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66.

D er Mond war bereits aufgegangen und badete die Wipfel der Tannen, die leise im Nachtwinde rauschten, mit seinem geisterhaften Licht; aber unten zwischen den Stämmen lag noch die drückende Schwüle des heißen Tages. Der unglückliche Mann schritt dahin, wie in einem dunklen beängstigenden Traum. Er achtete nicht des Weges – was galt es ihm, wohin er ging! war doch für ihn überall das verworrene Labyrinth, aus dem kein Ausweg war, – nur der Tod. Er spannte mechanisch den Hahn seiner Büchse und setzte den Kolben auf die Erde. Dann fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, daß der Knall die armen Menschen, die von der blutigen Arbeit sich eben zum Schlaf hingelegt hatten, wieder aufschrecken würde, ja dem nahen Feinde die Stellung des Corps verrathen könnte. So nahm er denn das Gewehr wieder auf, mit jener Entsagung, mit welcher ein todtmüder Wanderer an einem schattigen Ruheplatze vorübergeht, um das vorgesteckte Ziel sicher zu erreichen. Er athmete auf, als er aus dem unheimlich schwülen Dunkel heraustrat auf die Lichtung im Walde, auf welche Degenfeld die Feldwache postirt hatte. Die Nähe des Feindes erlaubte es nicht, ein Wachtfeuer anzuzünden; die Leute lagen, in ihre Mäntel gehüllt, in dem Schatten der Bäume auf dem Moosteppich; nur Wenige schritten noch auf dem freieren Platze, wo auf den blanken Läufen der zusammengestellten Gewehre die Mondesstrahlen glitzerten, in leisen Gesprächen über die Ereignisse des Tages, auf und ab.

Münzer warf sich, von den Uebrigen etwas entfernt, auf die Erde und starrte beklommenen Herzens vor sich hin. Eine mächtige Gestalt löste sich von dem Dunkel des gegenüberliegenden Waldrandes ab und kam über die Lichtung herübergeschritten. Es war Cajus. Er streckte sich neben Münzer in das Moos und sagte:

»Sie scheinen heute besonders angegriffen, Herr Doctor?«

»Ich habe nicht Ihren eisernen Körper.«

»Ihr Körper wäre stark genug – ich verstehe mich auf dergleichen – wenn Ihr Herz ruhiger in Ihrer Brust schlüge.«

»Geben Sie mir dazu ein Mittel.«

»Leben Sie mein Leben, und ich wette Alles gegen Nichts, daß Sie sich nicht mehr über Herzklopfen zu beklagen haben.«

»Mein Leben ist kein sonniger Frühlingstag gewesen.«

»Ich weiß es; würde ich mich sonst um Sie einen Deut mehr kümmern, als um das andre Menschengesindel? Nur die Unglücklichen verstehen einander. Ich hasse die Glücklichen; sie sind von einer andern Race; zwischen ihnen und uns ist so wenig Gemeinschaft als zwischen Weißen und Indianern.«

»Wen nennen Sie glücklich?«

»Wer nicht das begehen kann, was die Menschen ein Verbrechen nennen, weil es ihm an der Leidenschaft fehlt, die das Verbrechen gebiert.«

Münzer blickte in das schwarzbraune, von struppigem Bart umrahmte Gesicht, in das der Mond in diesem Momente voll hineinschien, so daß das Weiße der Augen unheimlich blitzte. Es war ihm, als ob er den Cajus noch nie zuvor gesehen habe; er machte unwillkürlich eine Bewegung aus der Nähe dieses finstern Gesellen.

»Bleiben Sie ruhig, Doctor,« sagte Cajus mit einem kurzen, heisern Lachen; »ich habe noch kein Verbrechen begangen; und wenn auch viel Menschenblut an meinen Händen klebt, so wurde es doch in ehrlichem Kampfe, oder in grimmer Nothwehr vergossen. Aber ich weiß, daß ein Tag kommen wird, wo ich nicht tödten, sondern morden werde, mit Wollust morden. Ich habe mich schon dreißig Jahr lang auf diesen Tag gefreut.«

»Und wer ist es, der Sie so tödlich beleidigt hat?«

»Ein naher Verwandter Ihres Freundes, des jungen Aristokraten, den ich schon seines verfluchten Namens wegen hasse, wie sein ganzes verfluchtes Geschlecht: der Herr Obrist Guisbert von Hohenstein.«

Cajus knirschte mit den Zähnen und murmelte einen fürchterlichen Fluch in den struppigen Bart.

»Wie ist das möglich?« fragte Münzer erstaunt: »ich denke, Sie haben den Obrist kaum zwei- oder dreimal gesehen, seitdem Sie nach Rheinstadt kamen; oder sind Sie schon früher –«

»In Rheinstadt gewesen,« unterbrach ihn Cajus; »ich bin nicht aus Amerika, obgleich ich jetzt amerikanischer Bürger bin. Ich bin in Rheinstadt geboren; mein eigentlicher Name ist – doch was thut der Name zur Sache. Mein Vater war ein Trunkenbold, meine Mutter eine öffentliche Dirne; ich bin im tiefsten Schmutz des Elends und des Lasters groß geworden. Aber ich hatte einen stolzen Sinn und wollte was Rechtes werden im Leben. Ich wurde Buchdrucker und gelegentlich auch Soldat. Ich liebte ein Mädchen, das, wie ich, im Elend aufgewachsen, wie ich, sich rein gehalten hatte in dem Schlammpfuhl, ein Mädchen, lieb und schön und brav, um dessentwillen auch ich brav geblieben, oder brav geworden war. Der Obrist von Hohenstein war Fähndrich in meiner Compagnie. Er war ein wüster, widerlicher Mensch und hatte schon lange meinem Mädchen nachgestellt. Da trifft er mich eines Nachts mit ihr auf der Straße; wir wohnten in demselben Hause, und sie hatte in einer Familie, die verreisen wollte, so lange gearbeitet. Er ging die Ronde und ließ mich und mein Mädchen von der Begleitungsmannschaft arretiren. Wir wurden auf die Wache gebracht; ich wurde in ein finsteres Loch geworfen; das wehrlose Mädchen wurde die Beute des viehischen Teufels, der, als er seine Gier gesättigt hatte, die Unselige seinen Helfershelfern überließ. Dann hat man sie halb nackt auf die Gasse hinausgestoßen – und als ich am folgenden Mittag aus dem Arrest entlassen war, brachte man die Leiche der Aermsten, die ihre Schande im Fluß ertränkt hatte. Zwei Wochen später wurde ich wegen eines Mordversuchs, verübt an einem Vorgesetzten, in Anbetracht mildernder Umstände, kriegsgerichtlich zu lebenslänglicher Kettenstrafe verurtheilt. Ich entfloh, als wir einmal draußen auf dem Glacis Bäume fällten, und entkam glücklich nach Frankreich. Dann bin ich in Spanien gewesen, habe gegen die Piraten gefochten, bin gefangen genommen, nach dem Innern von Marocco verkauft worden, und habe zehn Jahre lang Sclavenbrot gegessen. Mein Herr nannte mich Cajus, und den Namen habe ich später, als ich entflohen und nach Amerika gekommen war, beibehalten, um immer daran erinnert zu werden, was ich den hochgebietenden Herren, den Vornehmen, Reichen und Mächtigen schuldig sei. Was soll ich Sie lange mit den Abenteuern eines Menschen, der keine Heimath hat und keine Heimath haben will, behelligen? Ich habe unter allen Himmelsstrichen gegen Tyrannei gefochten; mein Körper trägt mehr Narben, als die Brust eines Friedensgenerals Orden tragen kann. Doch was sind diese Wunden gegen die eine Wunde, die mein Dasein vergiftet hat, die nie vernarbt ist, und brennt und brennt und brennen wird, bis, der sie mir schlug, zu meinen Füßen verröchelt. – Was giebt es da?«

Es war ein plötzlicher Aufstand in den stillen Lagerplatz gekommen. Alles drängte sich um eine Patrouille, die eben von ihrem Streifzuge zurückgekehrt war und, wie es schien, ein paar verdächtige Leute aufgegriffen hatte. »Es sind Spione – was soll man da noch lange Federlesens machen – stoßt sie über den Haufen!« Eine weinerliche Stimme ließ sich zwischendurch vernehmen: »Ich bin nur mitgegangen, weil er mir so viel Geld geboten hat; lassen's mich laufen, liebe Herren, lassen's einen armen Jungen laufen, der eine blinde Mutter zu Hause hat.«

Cajus und Münzer hatten sich erhoben und waren auf die laute Gruppe zugetreten. Der Mond schien hell; man konnte alle Einzelnheiten unterscheiden. Der eine der beiden Gefangenen war, als was ihn schon seine Sprache bezeichnet hatte, ein halbwüchsiger Bursche aus der Gegend; sein plumpes Gesicht war von Thränen überströmt. Der andre war ein schlanker, feiner Gesell in einer dunklen Blouse; ein gelber Strohhut, unter dem dunkles Gelock in reicher Fülle herabringelte, bedeckte den schönen Kopf, der sich mit Lebhaftigkeit zu den Herantretenden wandte.

»Drücken Sie mich nicht so fest, lieber Mann,« sagte der schlanke Gesell zu dem einen Soldaten der Patrouille, der ihn noch immer am Handgelenk gefaßt hielt; »Sie fangen an, mir wehe zu thun. – Guten Abend, meine Herren; können Sie Ihren Leuten nicht sagen, in ihren Aufmerksamkeiten gegen ein paar harmlose Reisende etwas weniger handgreiflich zu sein?«

Es war eine melodische Stimme, die diese Worte in einem halb zornigen, halb scherzhaften Tone sprach. Münzer taumelte, wie vom Blitz getroffen, zurück. War es denn möglich? Sie hier? … Sein Herz, das die Fluth die Gefühle, die ein einziger Laut dieser Stimme entfesselt hatte, nicht fassen konnte, schlug, als wollte es zerspringen.

»Ich will Ihnen Ihre scherzhafte Laune bald vertreiben, junger Herr,« sagte Cajus mit finsterem Hohn; »Sie konnten wohl die Zeit, daß Sie zu Ihren Epauletten kamen, nicht erwarten? – Dem Burschen da bindet die Hände und stoßt ihn über den Haufen, wenn er sein weinerliches Maul noch einmal aufthut; mit diesem feinen Herrn wollen wir kürzeren Proceß machen.«

Er zog den kurzen, scharfen Dolch, den er beständig im Gürtel trug. Mit einem Satz war Münzer bei ihm und fiel ihm in den Arm. »Sind Sie wahnsinnig, Cajus?« rief er, und dann ihn auf die Seite reißend, flüsterte er ihm in's Ohr: »Sehen Sie denn nicht, daß es ein Weib ist?«

»Oho!« sagte Cajus; »steht die Sache so? Laßt ihn los, Leute! Der Doctor kennt den jungen Menschen und verbürgt sich für ihn.«

Der schlanke Gesell, der, als er die Stimme Münzer's vernommen, einen leisen Schrei freudigster Ueberraschung ausgestoßen hatte, fühlte kaum seine Hände frei, als er auf ihn zusprang, seinen Arm um ihn schlang und in leisem, schmeichelnden Tone flüsterte: »Habe ich Dich endlich wieder! endlich!«

Münzer machte sich mit Heftigkeit aus dieser Umarmung frei: »Lassen Sie des Spiels genug sein, gnädige Frau!« sagte er; »der Ort und die Zeit taugen wenig für diese Comödie!«

Antonie trat einen Schritt zurück, und blickte Münzer mit scharfen, forschenden Augen an. Dann faßte sie seine Hände und sagte: »Bernhard! eine Unterredung, die ich mir mit Gefahr meines Lebens errungen habe, kannst Du mir nicht versagen. – Die kleine Gunst bist Du einem Weibe, das Du einst geliebt hast, doch wohl schuldig.«

Sie faßte Münzer, ohne seine Antwort abzuwarten, unter den Arm und zog ihn aus dem hellen Schein des Mondes in das Dunkel am Waldessaum; dann, als fühlte sie sich selbst da noch nicht sicher, auf einen schmalen Weg, der von dieser Stelle aus durch den Forst führte. Münzer ließ es geschehen; er fürchtete Cajus' scharfe, mitleidslose Augen und die Neugier der Leute. Und zugleich lockte ihn der Zauber, der, mit unwiderstehlicher Gewalt von diesem Weibe ausstrahlend, seine Seele in die alten Fesseln schlug, von denen er sich auf immer befreit zu haben glaubte.

Sie waren, bevor Eines von Ihnen ein Wort hatte sprechen können, bis an den Rand des Waldes gekommen. Zu ihren Füßen senkte sich das Gebirge in grasbewachsenen, hier und da mit dichtem Gebüsch übersponnenen Hügelterrassen allmählig in die Ebene, von der in mächtigem Bogen die Wachtfeuer der feindlichen Armee durch das Dunkel heraufleuchteten. Nur von Zeit zu Zeit trat der volle Mond aus dem Wolkendunst hervor, der sich dichter und dichter über den Himmel breitete. Rosseswiehern und dumpfe Stimmen, die sich unverständliche Worte zuriefen, und das Schwirren der Cicaden in dem Haidekraut, und gelegentlich der kurze heisere Schrei eines nächtigen Vogels – das waren die einzigen Töne in dieser tiefen Stille. Die Luft war schwül, beängstigend schwül und drückend; Glühwürmer leuchteten aus dem Grase oder zogen ihre stillen glänzenden Bahnen um die Büsche, in denen sich nicht ein Blättchen regte.

Antonie hatte sich auf den Stamm eines Baumes gesetzt, der von einem Sturme mit der Wurzel aus der Erde gerissen war. Münzer stand in ihrer Nähe, den Blick von ihr ab nach der Ebene gewandt. Er war wie betäubt, daß er nicht wußte, wie er hierher gekommen, kaum daran dachte, mit wem er hier war. Ein leises Schluchzen, das hinter ihm ertönte, erinnerte ihn daran. Er trat zu Antonie hin.

»Habe Mitleid mit mir!« sagte Antonie, von ihrem Sitz herab auf die Knie sinkend und beide Hände flehend zu ihm emporhebend.

»Hast Du es denn mit mir?« erwiderte Münzer; »Was treibt Dich – wenn es anders nicht ein blinder Zufall Deines abenteuerlichen Lebens ist – was treibt Dich, nachdem Du mit kalter Ueberzeugung das letzte Band zwischen uns zerrissen, zu mir, der nichts verlangt, als allein zu sein; nichts sehnlicher wünscht, als nicht mit einem Gedanken an den wahnwitzigsten Traum erinnert zu werden, den dies tolle Gehirn je geträumt hat?«

Er schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn und wandte sich wieder von Antonie ab, die noch immer in derselben Stellung verharrte.

»Steh auf, Antonie!« sagte er, als das leise Schluchzen wiederum sein Ohr berührte; »was soll diese Scene, die keinen Sinn hat? Steh' auf!«

»Nicht, bis Du mir sagst, daß Du mir glauben willst, wenn ich Dir schwöre, daß, seitdem Dein Mund mich zum letzten Male küßte, kein Mann mich berührt, nicht einmal meine Hand berührt hat.«

»Ich glaube, daß Du zu stolz bist, um zu lügen;« sagte Münzer nach einer kleinen Pause.

Antonie sprang empor, faßte seine Hände, bevor er's verhindern konnte, drückte sie an ihren Busen, an ihre Lippen: »Dank, Bernhard, Dank! tausend Dank! Das war's, was ich hören wollte! Nun kann ich wieder gehen; ich wollte Nichts weiter von Dir; ich will Nichts weiter von Dir!«

Sie ließ seine Hände los, nahm den Hut, der in das Gras gefallen war, setzte ihn auf die dunkeln Locken und wandte sich zu gehen.

»Antonie,« rief Münzer, »bist Du wahnsinnig! Wo willst Du hin?«

»Wie soll ich bleiben, wenn Du mich von Dir stößt?«

»Ich stoße Dich nicht von mir; ich kann Dich nicht von mir stoßen. Antonie!«

Mit einem leisen Schrei des Entzückens warf sich das leidenschaftliche Weib an seine Brust und bedeckte seinen Mund mit glühenden Küssen. Dann sagte sie: »Nun gieb mir Deinen Arm und laß uns auf- und niedergehen, wie wir es so oft in meinem Salon gethan haben, und laß mich Dir erzählen, wie diese Tollheit über mich gekommen ist, die ich so schwer gebüßt habe. Sieh', Bernhard, mein Stolz krümmte sich unter der Kälte, mit der Du mich so oft behandelt hast, noch viel mehr aber unter dem Bewußtsein, daß Deine Herrschaft über mich trotz alledem so grenzenlos war. Ich wollte versuchen, ob ich den Schwur nicht halten könnte, den ich mir gelobt, als mein Gatte gestorben war: daß nun und nimmer wieder ein anderer Mann mir etwas Anderes sein sollte, als mein Sclave und das Spielzeug meiner Laune. Ich warf Dir an jenem Abend, als Du den Maler bei mir trafst, den Fehdehandschuh hin; ich schwöre es Dir, Bernhard, mit klopfendem Herzen, in der ängstlichen Hoffnung: Du würdest ihn nicht aufheben. Du thatest es doch, thatest es in einer Weise, die über Deinen Entschluß, mit mir zu brechen, kaum einen Zweifel ließ. Das hatte ich nicht erwartet; ich war außer mir. Der Maler glaubte meine Laune benutzen zu müssen, und insinuirte mir den Plan, den wir am nächsten Tage ausführten; aber nicht in seinem, sondern in meinem Sinn! Der eitle Thor! als ob die Schuhe, die ich anziehe, um von einem Ort zum andern zu kommen, dadurch ein anderes Recht gewönnen, als fortgeworfen zu werden, wenn ich sie nicht mehr brauche! als ob man von Dir fliehen könnte, um einem Menschen, wie er, zu folgen! Auf der nächsten Station schon verabschiedete ich ihn; ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Mich aber hat die Verzweiflung, Dich verloren zu haben, die Sehnsucht, Dich wieder zu finden, ruhelos umhergetrieben von einem Orte zum andern. Jeden Abend hoffte ich, diese kindische Schwäche, wie ich es nannte, überwunden zu haben, und jeden Morgen erwachte ich aus ängstlichen Träumen mit der Gewißheit, daß ich ohne Dich nicht leben könnte. Ich hatte es nicht ertragen können, nicht mehr so frei zu sein, wie ehemals, und jetzt schmachtete ich nach Deiner Herrschaft; jetzt hatte ich keinen Gedanken, keinen Wunsch, als nur den einen: Deine Sclavin zu sein; ich wollte Deine schlimmsten Launen tragen für ein freundliches Lächeln Deiner stolzen Augen; ich wollte für eine Nacht an Deinem Herzen jahrelange Höllenqualen dulden! – So raste es durch mein Herz und Hirn, bis ich glaubte, wahnsinnig zu werden; und eines Morgens stand mein Entschluß fest, Dich aufzusuchen, und wäre es auch nur, um zu Deinen Füßen zu sterben. Ich wußte, daß Du in der Revolutionsarmee warst; Du hattest in den letzten Tagen oft davon gesprochen, daß man suchen müsse, diesen Funken zur Flamme anzufachen; ein Herr, den ich in der Schweiz traf, und der, unter dem Vorwande, eine Commission auszuführen, sich zur rechten Zeit salvirt haben mochte, bestätigte meine Vermuthung; er hatte Dich wiederholt gesehen und gesprochen; er nannte mir auch Degenfeld's und Wolfgang's Namen, daß Du mit ihnen in demselben Corps seiest; daß das Corps sich in letzter Zeit mit der übrigen Revolutionsarmee vereinigt habe. Ich reiste sofort ab; ich kam bis in den Badeort, ein paar Meilen von hier. Dort hieß es: ich könne mit der Eisenbahn nicht weiter; die Schienen seien aufgerissen, überdies müsse ich durch beide Armeen hindurch. Mein Entschluß war schnell gefaßt: ich zog Männerkleider an, die ich immer auf Reisen mit mir habe, fuhr auf einem Wagen, den ich mir mit vieler Mühe endlich verschafft hatte, in Euer Hauptquartier, wo ich mich, für einen Studenten ausgab, der in dem Degenfeld'schen Corps dienen wollte, und wo man mir auch die Stellung Eures Corps so ungefähr beschrieb. Der Kutscher wollte oder konnte nicht weiter fahren; ich nahm einen Burschen, der sich mir als Führer anbot und ging mit ihm in die Berge. Am Nachmittage hörten wir schießen; da, dachte ich, würdest Du auch dabei sein, zumal die Richtung, aus der der Schall kam, mit derjenigen, in die man mich gewiesen hat, stimmte; so bin ich immer auf das Schießen losgegangen, zum größten Entsetzen des Burschen, den ich nur kaum noch durch Bitten, Drohungen und Versprechungen zum Mitgehen bewegen konnte. Es war ein mühseliger Marsch; wir gingen immer querwaldein und verliefen viel Zeit, da wir oft an Stellen kamen, wo wir durchaus nicht weiter konnten. Plötzlich gegen Abend, als ich schon ganz nahe zu sein glaubte, hörte das Schießen auf; ich mußte auf gut Glück weiter gehen; und das Glück ist ja auch gut gegen mich gewesen; es hat mich zu Dir geführt, mein Holder, Einziger, Trauter; und nun verlasse ich Dich nicht wieder; und Du verläßt mich nicht wieder – nicht wahr, mein Bernhard, Du kommst nun mit mir! Sie sagen ja: es sei hier doch Alles verloren! und ich glaube es auch. Was willst Du unter diesem traurigen Gesindel? was kann man denn für eine Sache thun, die hoffnungslos verloren ist?«

»Man kann für sie sterben,« erwiderte Münzer, »auf daß Andre aus ihrer feigen Ruhe aufgeschreckt werden und an die gute Sache glauben.«

»Du glaubst ja selbst nicht daran! aber nein, Bernhard, ich will Nichts gesagt haben; ich will Alles, was Du willst; ich will mit Dir sterben, da ich ja doch ohne Dich nicht leben kann. Glaube nicht, daß ich keine Kraft oder keinen Muth habe; ich bin sehr stark; ich kann meine Büchse abschießen, wie ein Andrer, und mein Pferd tummeln, trotz dem besten Reiter. Ich will an Deiner Seite fechten; Du sollst mit Deinem Gesellen zufrieden sein; Du sollst Dich seiner nicht zu schämen haben.«

So sprach das leidenschaftliche Weib unter Schmeicheln und Kosen. Münzer's Herz war von widerstreitenden Gefühlen zerrissen. Noch vor wenigen Stunden hatte Wolfgang's Mittheilung ihm mit unbarmherziger Klarheit gezeigt, wie unbegreiflich er sich in seiner Gattin geirrt, was er in seines Sinnes Thorheit an der Guten, Sanften gesündigt und gefrevelt hatte. Und, wie um ihm zu beweisen, daß seine Reue vergeblich, und die Kluft, die zwischen ihm und Klärchen sich aufgethan, unausfüllbar sei, mußte in diesem Augenblicke sie ihm entgegentreten, sie, deren tiefe, weiche Stimme wie berauschendste Musik sein Ohr berührte, an deren herrlicher Schönheit sein trunkenes Auge sich nicht ersättigen könnte, deren glänzende Gaben seine Phantasie entflammten, deren leidenschaftliches Herz in gleichem Tacte mit dem seinen schlug, deren Liebe der seinen begegnete, wie eine Flamme der andern, um, wenn sie sich erreicht, in feuriger Umarmung zum Himmel zu lohen. – Er sagte ihr Alles, was seine Seele bis in ihre tiefste Tiefe aufwühlte; er war außer sich; er drängte sie von sich, die sich von so wilder Leidenschaft erschreckt, zitternd an ihn schmiegte Und preßte sie wieder an sein Herz, küßte ihren Mund, ihre Augen, ihr schönes, vom Nachtthau feuchtes Haar unter den zärtlichsten Liebesschwüren.

So, ineinander verloren, hatten sie nicht bemerkt, daß ein Gewitter, das sich schon lange durch dumpfes Rollen und Grollen angekündigt hatte, heraufgekommen war, bis ein jäh herabzuckender Blitz, dem alsbald ein mächtiger, weithin in den Bergen verhallender Donnerschlag folgte, sie an die Gefahr ihrer Lage erinnerte. Münzer glaubte die Richtung nach dem Lagerplatz zurück zu kennen; aber je tiefer sie in den Wald drangen, um so mehr mußte er sich überzeugen, daß der Weg, den er eingeschlagen, nicht der rechte sei. Es ging in der Horizontale, anstatt bergauf, und plötzlich sogar ziemlich steil bergab; doch wurde der Wald lichter. Vielleicht waren sie über den Lagerplatz hinausgegangen und näherten sich demselben von der entgegengesetzten Seite. Doch schon nach wenigen Schritten erkannte er seinen Irrthum. Sie waren wiederum an den Waldsaum gelangt, aber zu einer anderen Stelle wie vorhin. Nur so viel konnten sie bei der fast vollkommenen Finsterniß, die jetzt eingetreten war, unterscheiden; alles Einzelne umhüllte ununterscheidbar die schwarze Nacht; der Mond war gänzlich bedeckt von schweren Wolken, aus denen jetzt große warme Tropfen zu fallen begannen.

»Es ist vergeblich,« sagte Antonie; »wir müssen den Morgen abwarten; wir verirren uns sonst noch mehr.«

»Aber, was soll aus Dir werden, armes Kind?«

»Bin ich nicht bei Dir?«

Ein weit überhängender Felsen überwölbte eine tiefe Höhlung, die von Hirten oder Jägern als Zufluchtsstätte schon öfter benutzt zu sein schien, denn der Boden war reichlich mit losem trockenen Moos bedeckt. Münzer raffte zusammen, soviel er erreichen konnte und bat Antonie, sich niederzulegen.

»Wenn ich das Lager mit Dir theilen kann, sonst nicht,« erwiderte Antonie.

Münzer nahm die Büchse von der Schulter, stellte sie gegen die Felswand und setzte sich so, daß er sie jeden Augenblick erreichen konnte. Antonie kauerte neben ihm nieder und lehnte ihren Kopf an seine Brust. Er umfing sie mit seinen Armen und strich ihr die feuchten Locken aus dem glühenden Gesicht. Sie schmiegte sich zärtlich an ihn; ihr warmer Athem umkoste seine Wange; ihr Busen hob und senkte sich in unruhigen Wogen; ihre heißen Lippen suchten und fanden die seinen.

Als Münzer erwachte, dämmerte bereits der graue Morgen durch die Nebelluft. Er richtete sich leise empor und starrte düstern Auges auf Antonie herab, deren Kopf auf seinem Schooße ruhte. Ein böser Traum schien die Schlummernde zu ängstigen. Ihre dunklen Brauen waren wie im Schmerz zusammengezogen; ihre Wangen brannten; aber ihre Hände waren kalt und ihr Körper zuckte wie im Fieberfrost. Münzer beugte sich zu ihr nieder.

»Wach' auf, Antonie!«

Sie schlug die großen Augen auf und blickte verwirrt um sich her.

»Ach, Du bist es!« sagte sie mit einem tiefen Seufzer. »Gott sei Dank! ich habe recht häßlich geträumt. Der Obrist hielt mich in seinen Armen, ich konnte nicht schreien, mich nicht bewegen, während sein eisiger Athem mich bis in's Herz erkältete und seine schwarzen Augen glühende Dolche schossen, die sich mir in das Gehirn bohrten. Gott sei Dank, daß es nur ein Traum war.«

Auf einmal fing sie an zu lachen. »Hier haben wir geschlafen!« rief sie; »in dieser Höhle! das nenne ich mir ein köstliches Gemach! Ach! und ich habe doch so schön geschlafen, so schön! nur daß der häßliche Traum mich zuletzt noch so gequält hat.«

Sie warf sich Münzer an die Brust und küßte ihn. Münzer machte sich sanft aus ihren Armen los: »Wir müssen fort, Antonie, es ist die höchste Zeit.«

»Komm!« sagte Antonie.

Sie traten aus der Höhle heraus und blickten sich um. Man konnte noch wenig erkennen. Ein dichter Nebel zog in breiten Streifen über Wiesen zwischen Flecken Buschwerks, die wie Inseln aus dem grauen Dunst hervorragten, in welchem sie mit jedem Augenblicke tiefer versanken. Von dem Walde, aus dem sie gekommen waren, konnten sie nichts entdecken. Münzer vermuthete ihn auf dieser, Antonie auf jener Seite, sie gingen erst nach der einen, dann nach der andern, und schienen nur immer weiter von den Tannen abzukommen, die doch nach ihrer Erinnerung ganz nahe sein mußten. Endlich entdeckten sie dieselben in einiger Entfernung, aber ein Bach, der über Nacht übergetreten war, und die Wiese ringsumher versumpft hatte, hinderte sie in gerader Richtung darauf loszugehen. Sie bogen seitwärts und im Nu war der Wald wieder im Nebel verschwunden. Da auf einmal gelangten sie an den umgesunkenen Baum, auf dem sie gestern Abend gesessen hatten. Links davon, ungefähr hundert Schritte am Saume hin, führte der schmale Pfad auf den Lagerplatz zu.

»Wir haben gewonnen,« sagte Münzer; »es war auch hohe Zeit. Was ist das?«

Ein eigenthümliches Geräusch wie von knackenden Büschen, und dann wieder ein dumpfer Ton, wie von vielen Menschen, die mit gleichmäßigem Schritt über weichen Boden sich fortbewegen, dazwischen manchmal wie ein mit unterdrückter Stimme gesprochenes kurzes Wort – so kam es die Hügelböschung herauf.

Die Beiden standen und lauschten athemlos in den Nebel hinein.

»Es ist der Feind,« flüsterte Münzer, und riß die Büchse von der Schulter.

»Was willst Du thun?«

»Ein Zeichen geben, ehe es zu spät ist.«

Er feuerte seine Büchse ab; fast in demselben Moment krachten ein paar Schüsse, die von den Herankommenden auf's ungefähr abgefeuert worden waren, und Münzer stürzte zu Antonien's Füßen nieder.

Mit einem wilden Schrei sank sie an seiner Seite auf die Knie und hob sein blutendes Haupt empor. Sie glaubte nicht anders, als daß er todt sei; aber sie überzeugte sich bald, daß die Kugel nur die Schläfe gestreift hatte, daß noch nicht alle Hoffnung verloren sei. Sie drückte ihr Taschentuch auf die klaffende Wunde, sie riß ihr seidenes Halstuch ab und band es ihm um den Kopf. Vergebens! in immer stärkeren Bächen strömte das entfesselte Blut über ihre zitternden Hände. Sie löste ihren Gürtel, streifte ihre Blouse ab und riß sie in Stücke; sie setzte sich auf den Rasen und hob das geliebte Haupt auf ihren Schooß, an ihre Brust; sie achtete auf nichts, als auf das strömende Blut; sie sah nichts, als das immer bleicher werdende Gesicht; was galt es ihr, daß rechts und links von ihr Schüsse krachten, daß rechts und links an ihr vorüber graue Gestalten mit wildem Hurrah durch den Nebel stürmten, daß bald ganze Salven in ihrer Nähe abgefeuert wurden, daß der Nebel sich hob und ihr so der einzige Schutz geraubt wurde, der sie bis jetzt wie durch ein halbes Wunder den Blicken der Angreifer verborgen hatte.

Eine Compagnie nach der andern rückte mit ausgeschwärmten Schützenzügen unter Trommelschall gegen die Waldlisière vor, die, wie es schien, von den aus ihrer Ruhe aufgeschreckten Freischärlern schnell besetzt war und auf das hartnäckigste vertheidigt wurde; immer wieder erschallte nach kurzer Zeit der Hornruf: Zurück! Endlich mußte es ihnen doch gelungen sein, sich in dem Walde festzusetzen; denn das Hurrah der Soldaten erschallte jetzt, mit dem Krachen der Büchsen, zwischen den Bäumen heraus. Ein neues Bataillon rückte denen, die schon im Walde waren, nach. Die Soldaten einer ausgeschwärmten Schützenlinie kamen gerade über den Ort, wo Antonie regungslos mit ihrer traurigen Last saß.

»Da sind noch ein paar Demokratenhunde,« rief der Eine, und legte sein Gewehr auf Antonie an.

»Spare Deine Patronen, Kamerad!« sagte ein Officier, mit seinem Degen den Lauf des Gewehrs in die Höhe schlagend.

Der Lieutenant von Todwitz hatte gesehen, daß der auf dem Boden ausgestreckte Mann, dessen blutendes Haupt der schöne junge Mensch auf seinem Schooße hielt, todt oder schwer verwundet war; der Anblick hatte sein Mitleiden erregt. Er sprang auf die Gruppe zu; Antonie blickte ihn mit starren flehenden Augen an. Sie kannte den jungen Officier wohl; sie hatte oft genug mit ihm auf den Bällen getanzt.

»Retten Sie ihn, Herr von Todwitz!« rief sie, alles Andere vergessend, ihm entgegen.

Der Officier stand wie versteinert. War dies Antonie? die glänzende Antonie von Hohenstein? in diesem Aufzuge? in dieser Situation?

Herr von Todwitz war ein guter Junge und nicht so unempfänglich für den Duft einer heroischen Handlungsweise, als daß ihn, was er hier sah, nicht hätte rühren sollen.

»Ich will Alles thun, was in meinen Kräften steht,« sagte er, »aber ich fürchte, ich werde wenig thun können.«

Ein höherer Officier kam herangesprengt, schon von weitem mit heiserer, wüthender Stimme rufend:

»Lieutenant von Todwitz, werden Sie in drei Teufels Namen in den Wald hinein kommen, oder nicht?«

Antonie stieß einen Schrei aus, als sie diese Stimme hörte:

»Um Gotteswillen, Todwitz,« flehte sie; »lassen Sie uns nicht in seine Gewalt fallen, eher tödten Sie ihn und mich!«

Von Todwitz stand in der peinlichsten Verlegenheit; aber schon war der Obrist von Hohenstein da. Er hielt sein schnaubendes Pferd au: »Zum Teufel, Herr Lieutenant –«

Da fiel sein Auge auf Antonie, die ihn mit den Blicken der Verzweiflung und des tödtlichen Hasses zugleich anstarrte. Todwitz' verlegene Miene sagte ihm das Uebrige. Er brach in ein heiseres Lachen aus.

»Nun, das ist gottvoll, auf Ehre!« rief er, »eine barmherzige Samariterin nach der neuesten Façon!«

Er sprang vom Pferde, dessen Zügel er einem der Soldaten zuwarf und trat auf Antonie zu.

»Seien Sie vernünftig, Antonie,« sagte er in leisem Tone, »Sie sehen, er verblutet sich ja; was haben Sie am Ende davon! Lassen Sie ihn von unserm Arzte verbinden, so behalten Sie ihn doch wenigstens am Leben.«

Antonie wollte etwas erwidern, aber die furchtbare Aufregung hatte ihre Kräfte aufgezehrt; sie brach ohnmächtig zusammen in dem Augenblicke, als ein paar Soldaten auf den Wink des Obristen ihr den Verwundeten aus den Armen nahmen.

Der Obrist blickte, mit den Zähnen an der Unterlippe nagend, vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und sagte in rauhem befehlenden Tone:

»Schaffen Sie die Beiden hinter die Linie, Todwitz! Sie haften mir dafür!« Dann setzte er etwas freundlicher hinzu: »Und, Todwitz, machen Sie es so, daß die Geschichte möglichst wenig Aufsehen verursacht. Sie wissen ja mit Weibern umzugehen.«



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