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64.

H err von Degenfeld hatte Wolfgang auf seine Bitten den Brief Onkel Peter's gegeben, welcher die Details von des Stadtrates Tode, so weit sie bis dahin bekannt waren, enthielt. Wolfgang überzeugte sich, daß der Vater, wie Degenfeld behauptet hatte, nicht zu retten gewesen war. Die angestellten Recherchen hatten ergeben, daß er schon seit Jahren eigentlich nur auf Unkosten seiner Gläubiger gelebt hatte; selbst gewisse Summen, die er bis zur Gefangennahme des Generals von diesem für Wolfgang's Unterhalt und militairische Ausbildung erhalten, waren in dem unersättlichen Schlund seiner Schulden verschwunden. Diese letzte Entdeckung trieb Wolfgang die Röthe peinlichster Scham in's Gesicht. Während er sich einer rigorosen Sparsamkeit befleißigte, hatte der Vater ihn dem alten General, vielleicht der ganzen Familie im Lichte eines Verschwenders erscheinen lassen, denn er hatte während seiner kurzen militairischen Carrière kaum den zehnten Theil des Geldes gebraucht, welchen sich der Vater auf sein (des Sohnes) Conto von dem General – erschwindelt hatte.

Es war eine furchtbare Nacht, diese Nacht, in welcher Wolfgang so mit dem Vater abrechnete, und am offenen Fenster in der lauen Nachtluft die von kaltem Schweiß bedeckte Stirn trocknete. Ein paar Mal hörte er an der Thür ein Geräusch; es war Balthasar, den die Sorge um den lieben Herrn nicht schlafen ließ, der nun endlich doch das schlimme Geheimniß erfahren, das ihm die gute, treue Seele alle diese Zeit hindurch so ängstlich verborgen hatte. Aber Wolfgang konnte ihm nicht öffnen; er fühlte, daß er nicht im Stande sei, diese feierliche Zwiesprache mit dem Tode und dem Verbrechen vor einem Zeugen zu führen.

Wer Wolfgang genau kannte, mußte von diesem Tage an eine merkliche Veränderung an ihm wahrnehmen, die sich so gar bis auf sein Aeußeres erstreckte. Die Linien seines männlich schönen Gesichtes waren schärfer; sein freundlicher Mund war fester geschlossen und der Blick seiner Augen strenger, forschender; ja sogar seine Haltung war straffer, sein Schritt gleichmäßiger als bisher. Die Ueberzeugung, die sich schon dem Knaben aufgedrängt, daß der Mensch vor allem seine Pflicht thun müsse, um in dieser schwankenden Welt einen festen Halt zu haben, hatte für ihn eine furchtbare Bestätigung erhalten; aber diese Ueberzeugung war es auch, die ihn mehr als alles Andre, mehr als der persönliche Einfluß Degenfeld's und Balthasar's, mehr selbst noch als der Gedanke an Onkel Peter, ja selbst an Ottilie aufrecht erhielt. Ja, der stolze Trieb des edlen Menschen, sein Leid möglichst allein zu tragen und selbst die Nähe der Geliebtesten zu meiden, ließ ihn sogar den Ring, den ihn Ottilie gesandt und den er bis jetzt wie einen Talisman verehrt hatte, vom Finger streifen, um gleichsam so symbolisch die symbolische Vereinigung mit einem so reinen Wesen aufzuheben. Aber seine innere Kraft war zu groß, als daß er nicht in kurzer Zeit dieser hypochondrischen Stimmung hätte Herr werden sollen, und zu seinem Glück war die Zeit und war die Situation, in der er sich befand, der Art, daß es schwer hielt, über dem privaten Leid die allgemeine Noth zu vergessen.

Was Degenfeld und jeder Einsichtsvolle mit ihm längst vorausgesagt hatte, war eingetroffen. Die Revolutionsarmee war, gedrängt von dem sechsfach überlegenen Feinde, der seine Heeressäulen langsam, als folgten sie nur dem Gesetz der eigenen Schwere, auf den offenen Straßen des vertheidigungslosen Landes heranwälzte, zu einem übereilten Rückzug gezwungen. An eine offene Feldschlacht, von der man in den Tagen sicherer Ruhe so viel geprahlt hatte, dachte Keiner mehr, und Wenige daran, daß der Rückzug in die wildeste Flucht ausarten müsse, wenn man die Gewaltshaufen des Feindes, die man zurückzuschlagen nicht vermochte, in ihrem Vordringen nicht wenigstens zu hemmen versuchte. Bis zum letzten Augenblicke hatte Degenfeld die Notwendigkeit dieser Maßregel wieder und wieder in dem rathlosen Kriegsrathe hervorgehoben, und sich selbst angeboten, die Führung der Arrièregarde zu übernehmen. Man hatte ihm geantwortet: er möge jedes Commando, das ihm beliebe, übernehmen, wenn er etwas zu commandiren finden könne.

Degenfeld eilte zu Wolfgang:

»Sind Sie Ihrer Compagnie sicher, Wolfgang?«

»Ich glaube, für meine Leute stehen zu können.«

»Dann halten Sie sich bereit; in einer Stunde marschiren wir gegen den Feind. Wie stark sind Sie?«

»Ich habe jetzt mit den Leuten, die man mir noch zugetheilt hat, vierhundert Mann. Ich könnte noch einmal so viel haben, aber ich habe nur die tüchtigsten genommen.«

»Desto besser. Ein paar hundert bringe ich wohl auch noch an die Gewehre. Was uns dann noch an numerischer Stärke abgeht, müssen wir durch Raschheit und Verwegenheit ersetzen – zwei Eigenschaften, an denen es glücklicherweise unserem Gegner fehlt.«

An diesem Tage trafen Münzer und Cajus von ihrer Mission in der Stadt ein, die jetzt einem Bienenstocke, der eben schwärmen will, glich. Sich durch den Strom von Fußvolk, Reiterei, Bagage- und Munitionswagen, der sich ihnen lärmend, fluchend, polternd entgegenwälzte, durcharbeitend, gelangten sie zu dem Platz, wo eben Degenfeld und Wolfgang ihre kleine tapfere Schaar zum Auszug musterten. Münzer knirschte vor Zorn über das heillose Treiben, das denn doch seine schlimmsten Erwartungen übertraf, mit den Zähnen. Degenfeld und Wolfgang schlugen ihm vor, doch lieber mit ihnen zu ziehen, als sich wider seinen Willen von dem Strudel der allgemeinen Verwirrung fortreißen zu lassen. Münzer war sogleich bereit: »Lieber Alles,« rief er, »als diese Elendigkeit, die nur Beine, aber weder Kopf noch Herz hat, einen Augenblick länger mit ansehen. Meine Mission war vergeblich, wie jeder Schritt, den ich hier noch gethan habe. Ich gehe mit Ihnen: zum Todtschießen oder Todtgeschossenwerden mag ich ja doch wohl noch taugen.«

Cajus lächelte zu diesem Ausbruch seines leidenschaftlichen Gefährten sein gewöhnliches finsteres Lächeln. Er sagte kein Wort, sondern nahm schweigend einem halbwüchsigen Burschen, der eben mit Anderen vorüberfloh, das Gewehr von der Schulter, und stellte sich damit in Reih' und Glied. Der Major zog seinen Degen und commandirte: »Rechts um! Bataillon, marsch!«



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