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67.

M ünzer's Geistesgegenwart verdankte es der übrige Theil des Degenfeld'schen Corps, verdankte es die ganze Revolutionsarmee, daß das Schicksal dieses Tages nicht noch verhängnißvoller wurde. Der Ueberfall, auf den die Führer der Regulären es abgesehen hatten, war mißglückt. Damit war viel gewonnen, wenn auch natürlich die endliche Entscheidung dadurch nur hinausgeschoben wurde. Es zeigte sich bald, daß man es nicht mit einem Streifcorps der Feinde, sondern mit seinem ganzen linken Flügel zu thun hatte, während eine heftige Kanonade, die bald darauf von der Seite der Festung her ertönte, bewies, daß auch im Centrum und auf dem andern Flügel das Gefecht engagirt sei.

Degenfeld und Wolfgang waren mit ihrem Bataillon, sobald die ersten Schüsse gefallen waren, im vollen Lauf ihrer hart bedrängten Feldwache zu Hülfe geeilt, hatten die schon in den Wald eingedrungenen Regulären mit dem Bayonnet wieder hinausgeworfen und sich in der Lisière festgesetzt, die wüthenden Angriffe immer wieder zurückschlagend, bis sie sich endlich von der Uebermacht der Gegner auf beiden Seiten überflügelt und zum Rückzug gezwungen sahen. Auch so schon gelang es ihnen nur mit Aufbietung aller ihrer Kräfte und mit Verlust so manches Braven, der auf den moosigen Grund stürzte, um nie wieder aufzustehen, aus dem Walde herauszukommen, und das Flüßchen in der Ebene rechts von dem Dorfe überschreitend, eine neue Position zu nehmen, die ihnen für eine kurze Weile die Ruhe verhieß, deren die bis auf den Tod erschöpften Leute nur zu sehr bedurften. Jetzt erst ließ sich übersehen, wie groß ihr Verlust war. Kaum zwei Drittel von all' den wackern Burschen, die heute Morgen auf den ersten Ruf ihrer Führer so willig zu den Waffen gegriffen hatten, waren noch beisammen, und auch von ihnen hatten Viele leichtere oder schwerere Wunden davongetragen. Und jetzt erst bemerkten die Freunde zu ihrem Entsetzen, daß Münzer, den sie in Cajus' Compagnie, welche die Nachhut gebildet hatte, vermutheten, nicht unter den Geretteten war. Sie suchten Cajus auf, den sie kurz vorher nach dem Platz hinter den ersten Dorfhäusern hatten gehen sehen, wo Balthasar den Aerzten die Verwundeten verbinden half. Sie fanden ihn auf der Erde sitzend, Balthasar kniete vor ihm und schnitt ihm eben die Blouse von der breiten Brust und dem muskelstarken Arm. Auf ihre erste Frage, ob er schwer verwundet sei, sagte er: »Nein, aber ich kann den linken Arm nicht rühren.« Auf ihre zweite Frage nach Münzer wurde sein finsteres Gesicht noch finsterer: »Ich dachte, er wäre bei Ihnen,« antwortete er mürrisch; »nun, guter Freund, wie steht's? Lassen Sie mich sehen! Pah! die Kugel sitzt ja dicht unter der Haut; schneiden Sie das Ding heraus und binden Sie ein Stück Leinwand fest darum; dann ist die Sache abgethan. So, nun gehen Sie zu den Andern; ich muß ein paar Minuten verschnaufen.«

Er zog den Hut tief in die Stirn, schloß die Augen und lehnte sich mit der Schulter gegen die Wand.

Degenfeld und Wolfgang sahen wohl, daß der stoische, verschlossene Mensch nicht weiter befragt sein wollte und ließen ihn allein. Sie wandten sich an einige von Cajus' Leuten; es waren zufällig solche, die auf Posten gestanden hatten, als Münzer mit Antonie die Feldwache verließ. Sie konnten ihnen keine Auskunft geben; die Freunde wußten nicht, was sie über Münzer's plötzliches Verschwinden denken sollten. Entweder hatte er sich das Leben genommen, oder er war gleich zu Anfang des Gefechts gefallen. Wolfgang fürchtete das Erstere, Degenfeld behauptete das Letztere.

»Lassen Sie mir diesen Trost,« sagte er; »es ist mir peinlich, das Bild eines Mannes, den ich sehr geliebt habe, mit einem solchen Flecken behaftet zu sehen. Richten wir nicht, auf daß man über uns nicht richte! Wer weiß, wie bald wir selbst auf die wohlwollende Erinnerung unserer Freunde angewiesen sind!«

Er seufzte tief; Wolfgang versuchte, die trübe Stimmung des verehrten Mannes durch freundlichen Zuspruch aufzuheitern. Degenfeld schüttelte mit melancholischem Lächeln sein Haupt.

»So lange dieser Feldzug dauert,« sagte er, »haben mich jene Worte des alten Dichters verfolgt, die dem Scipio auf den Trümmern von Karthago durch das ahnungsschwere Herz zogen: Einst wird kommen der Tag! – Der Tag ist gekommen. Unsere Armee ist nur ein unerfreuliches Durcheinander wüster Trümmer; sie wird, noch ehe die Sonne sich neigt, in alle vier Winde zerstieben. Ohne die Armee kann sich die Festung nicht eine Woche länger halten. Die Revolution ist zu Ende; die Reaction kann ungestraft ihre Orgien feiern. Nein – nicht ungestraft! Denn dies ist nicht das Ende, kann nur der Anfang des Endes sein. Ein Volk, dem dies geboten wurde, wird sich nun und nimmer mit seinen Herrschern wieder aussöhnen; es wird, langsam und schwerfällig, wie es ist, den Tag der Abrechnung lange hinausschieben, aber einst wird dennoch dieser Tag anbrechen – ein furchtbarer Tag! Ich freue mich, daß ich ihn nicht erleben werde; das ist für Sie, mein jüngerer, stärkerer, muthigerer Freund! Sie werden dann nur zu sorgen haben, daß das Volk an seinen Drängern sich nicht zu grausam rächt. O, hätte ich den rechten Glauben an das Volk! ich würde in den Tod gehen, wie zu einem heitern Feste. Und da wir einmal vom Tode reden, Wolfgang, – wenn ich fallen sollte – möglich ist es ja am Ende doch – so vergessen Sie nicht, was ich Ihnen von meinem Bruder gesagt habe. Ich habe ihn bereits auf Ihre wahrscheinliche Ankunft vorbereitet, und bringen Sie ihm meinen letzten Gruß, und sagen Sie ihm: ich hätte ihm gern diesen Schmerz erspart, aber das Zwillingsgestirn, das über unserer gleichzeitigen Geburt leuchtete, hätte uns verschiedene Wege gewiesen, und der meinige wäre eben hier zu Ende gewesen. Wollen Sie das Alles ausrichten?«

Wolfgang drückte dem edlen Freunde in sprachloser Rührung die Hand. Degenfeld lächelte ihn freundlich an und sagte:

»Mein Herz ist leicht, wie einem Manne, der sein Haus wohl bestellt hat. Lassen Sie uns getrosten Muthes den Rest unserer Arbeit thun! – An die Gewehre!«

Degenfeld's scharfes Auge hatte nur zu richtig gesehen. Die Armee der Aufständischen war, auf diesem, ihrem rechten Flügel wenigstens, nur ein Haufe von Trümmern. In wilder Unordnung, die kaum noch ein Rückzug zu nennen war, drängten sich noch immer Reiter, Fußvolk und Kanonen über die Brücke in das Dorf. Vergebens bemühten sich die Führer diesseits des Flusses eine neue Schlachtlinie zu formiren. Der von einigen Feiglingen erhobene Ruf: »wir sind umgangen! wir werden abgeschnitten!« hatte eine Panik unter die Leute gebracht, welche die Ausführung irgend eines durchgreifenden Planes unmöglich machte und ihren Gipfelpunkt erreichte, als der Feind jenseits auf mehreren die Position beherrschenden Anhöhen Batterien demaskirte, deren wohlgerichtete Geschütze Tod und Verderben unter die der Brücke Zufliehenden sandten. Was unter diesen Umständen geschehen konnte, war, den Feind so lange als möglich vom Uebergang über den Fluß abzuhalten, um denen, die schon herüber waren und noch jeden Augenblick herüberkamen, Zeit zu lassen, sich von ihrem Schrecken zu erholen, oder doch mindestens den Rückzug einigermaßen geordnet anzutreten. Aus den Häusern des Dorfes wurde das Feuer der Angreifer lebhaft erwidert, aber auf dem weiter rechts gelegenen Ufer wurde die Vertheidigung schwächer und schwächer; schon sah man einzelne Trupps der Regulären den Versuch machen, das gerade an dieser Stelle wenig tiefe Flüßchen unter dem Schutz ihrer Batterien zu durchwaten. Degenfeld hatte die Gefahr sofort erkannt. »Eilen Sie, Wolfgang!« rief er dem Freunde zu; »nehmen Sie die Hälfte von unsern Leuten und raffen Sie unterwegs zusammen, was Sie nur immer mitbekommen können; ich kann mich hier schon noch eine Weile halten.«

Wolfgang wäre gern bei Degenfeld geblieben, hätte gern diesen Kampf, dessen Ende nur zu ersichtlich war, an der Seite des Freundes ausgekämpft. Aber das Gefühl der Pflicht war stärker als jede andere Regung. Er drückte Degenfeld mit ernstem, vielsagenden Blicke die Hand; Degenfeld wandte sich ab, um seine Rührung zu verbergen. Dann, als der junge Mann schon einige Schritte von ihm fort war, kam er eilig hinter ihm her, umarmte ihn und murmelte: »Wir sehen uns nicht wieder! Leben Sie wohl, Wolfgang!«

Mit diesem Schmerzensruf in den Ohren eilte Wolfgang an der Spitze seiner Getreuen auf den bezeichneten Punkt. Als er an dem Hause vorüberkam, hinter welches man die Verwundeten getragen hatte, sah er Balthasar noch unermüdlich bei seiner traurigen Arbeit. Er wollte den Treuen mit sich nehmen, aber Balthasar wollte seinen Posten nicht verlassen. »Hier ist mein Platz, lieber Herr,« sagte er; »Niemand soll sagen, daß der Balthasar seinen Posten verlassen habe. Nehmen Sie mich mit, wenn Sie wieder zurückkommen!«

»Wenn ich wieder zurückkomme!« murmelte Wolfgang weiter eilend. Seine Seele war von trüben Ahnungen erfüllt. Was er um sich her sah, war nur zu sehr dazu geeignet, auch dem entschlossensten Geiste die Fassung zu rauben. Furcht, Verwirrung, äußerste Mutlosigkeit überall. Bataillone, die noch kaum im Feuer gewesen waren, stürzten in aufgelösten Schaaren nach den Höhen zu; eine Batterie, die an ihrer rechten Stelle jetzt von unschätzbarem Werthe gewesen wäre, jagte in die Fliehenden hinein und vermehrte noch das Entsetzen. »Alles ist verloren! wir sind umgangen! wir werden abgeschnitten!« – Diese Rufe des Verraths und der Feigheit flogen wie brennende Funken rings umher und trugen das Verderben mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die ganze Linie. Einer der höheren Befehlshaber, den Wolfgang von einigen anderen Officieren umgeben auf seinem Pferde haltend fand und um mehr Mannschaften bat, antwortete achselzuckend: »Nehmen Sie meine ganze Division, wenn Sie im Stande sind, die Leute in's Feuer zu bringen.«

»Wir können nur auf uns selbst rechnen, Herr Hauptmann,« sagte der treue Rüchel, der an Wolfgang's Seite geblieben war.

»Es scheint so!« erwiderte Wolfgang, »auch von Cajus habe ich nichts mehr gesehen.«

»Er muß drüben geblieben sein,« sagte Rüchel; »ich sah ihn noch ganz zuletzt; er lehnte sich auf seine Büchse und blickte so grimmig drein, wie – Herr des Himmels! da gehen sie schaarenweise über den Fluß und unsere Schafsköpfe feuern kaum noch.«

»Marsch, marsch!« kommandirte Wolfgang.

Es war die höchste Zeit, daß die tapfere Schaar auf ihren Posten anlangte. Sie fanden in den Gärten und zwischen den Weiden des Ufers noch genug Leute vor, aber es fehlte an Munition, an guter Führung. Wolfgang formirte seine Mannschaft in eine Sturmcolonne und warf sich, nachdem er einige kräftige Salven gegeben, mit dem Bayonnet auf den Feind, dessen Reihen durch den Uebergang über den Fluß in große Unordnung gekommen waren. Was er selbst kaum für möglich gehalten, geschah. Die Regulären wichen einem Stoß, auf den sie nicht mehr gerechnet hatten. Das Ufer war wieder in den Händen der Aufständischen, und ein wohlgezieltes Feuer, das Wolfgang längs der ganzen Linie und besonders gegen die Brücke hin unterhielt, hatte wenigstens den Erfolg, daß der Angriff der Regulären auf dieser Seite in's Stocken gerieth.

Aber auf der andern Seite war das Glück den Aufständischen desto ungünstiger gewesen. Wolfgang's Abzug mit der Hälfte des Degenfeld'schen Corps hatte die Vertheidigung doch mehr geschwächt, als ihr Führer selbst vorausgesehen hatte. Dazu kam, daß die gleichzeitige feige Flucht der Batterie den Feinden einen Vortheil gewährte, den diese wohl zu nützen verstanden. Zum Ueberfluß gelang es ihnen jetzt auch noch, das Dorf gerade an diesem Ende in Brand zu schießen und die Aufständischen so ihrer besten Deckung zu berauben.

Degenfeld hatte mit der größten Kaltblütigkeit die Vertheidigung bis zu diesem Augenblicke geleitet, und nur seinem heldenmüthigen Beispiel war es zuzuschreiben, wenn die Leute noch immer in einer Position verharrten, die offenbar nur von Menschen zu halten war, die ihr Leben in die Schanze schlugen, um das der Anderen, und noch dazu der weniger Braven zu retten. Denn so lag die Sache in der That. Ging die Position verloren, bevor die Aufständischen ihren Rückzug in die Berge, die zum mindesten eine Art von Sicherheit gewährten, bewerkstelligen konnten, so mußte ein furchtbares Blutbad, ja eine totale Vernichtung dieses Flügels die nothwendige Folge sein. Nur das unablässige, kaltblütige Feuern der rechts und links von der Brücke postirten Schützen, verhinderte den Feind am Uebergang in das brennende und fast ganz von den Aufständischen schon geräumte Dorf. Das wußten beide Theile, die drüben so gut, wie die auf dieser Seite; der Kampf entbrannte immer heftiger, mochte sich aber dennoch noch eine Zeit lang fortspielen lassen, denn die geringe Entfernung, auf welche man sich genähert hatte, glich die schlechtere Beschaffenheit der Waffen auf Seite der Aufständischen so ziemlich wieder aus, ebenso wie die bessere Deckung der letzteren die ungeheure numerische Ueberlegenheit der Regulären einigermaßen aufwog.

Degenfeld stand auf einem Erdhügel und leitete das Gefecht. Der einzige Baum, der den Hügel krönte, gewährte nur einen kümmerlichen Schutz, aber daran dachte der Major wohl kaum. Er brachte das kleine Teleskop, durch welches er die Bewegungen der Feinde beobachtete, nur vom Auge, um die Stellung der Seinen zu mustern oder ihnen mit seiner ruhigen, klaren, in solchen Momenten weithin tönenden Stimme ein ermuthigendes Wort oder einen Befehl zuzurufen. Er wußte, daß so lange er auf dieser überall hin sichtbaren Stelle stand, die braven Burschen, die er nun schon so manche Woche geführt hatte, nicht wanken würden, und das machte seine Haltung so ruhig und seine Stimme so hell und voll. Manch' halb verzagendes Auge richtete sich auf die edel-schlanke Gestalt, mit deren braunem, hier und da schon ergrauenden Haar der Morgenwind spielte, und trank sich neuen Muth an diesem Bilde eines Muthes, dessen gelassene Heiterkeit unerschütterlich schien.

Und doch sah es in dem Herzen des Mannes ganz anders aus. In diesen kurzen Minuten, während die Kugeln hageldicht um ihn herum vorbeipfiffen, oder klappend in den Baum schlugen, oder die Erde zu seinen Füßen aufwühlten, ging sein ganzes Leben in einer langen Reihe deutlichster Bilder an seines Geistes Aug' vorüber. Die Hoffnungen und der Ehrgeiz seiner jungen Jahre, seine tiefe, kalt verschmähte, nie vergessene Liebe, seine einsamen genußreichen Studien, die süße Gewohnheit privilegirten Daseins, angenehme kameradschaftliche Beziehungen, die sich mehr und mehr trübten, je offener er mit den Resultaten seiner Studien hervortrat, je weniger Hehl er aus den gewonnenen Ueberzeugungen machte. – Dann die schlimme Zeit, wo der Bruch nicht länger zu verheimlichen war, wo die unzählige Schaar der Gegner sich wie eine wilde Meute über ihn stürzte – vor allen der Mann, der ihn schon lange Jahre mit dem tödlichsten Hasse verfolgt hatte, und den der Zufall ihm heute wiederum in offener Feldschlacht entgegenstellte. Die Neunundneunziger waren es, die am hartnäckigsten den Uebergang über den Fluß zu erzwingen suchten. Er sah das Bataillon, das er selbst jahrelang geführt hatte, gegen ihn operiren, und zum Theil dieselben Manöver ausführen, die nach seinen Instructionen in die ganze Armee übergegangen waren; an der Verbesserung der Büchsen, deren Spitzkugeln um seine Ohren pfiffen, hatte er selbst den wesentlichsten Antheil gehabt. Eine sonderbare Empfindung überkommt den unglücklichen Mann. Ihm ist, als ob seine Existenz doppelt, als ob er drüben und hüben zu gleicher Zeit sei, zu gleicher Zeit die Regulären gegen die Aufständischen, die Aufständischen gegen die Regulären in den Kampf führte. Er schilt Jene, daß sie ihre Waffen, ihre Uebermacht nicht besser benutzen; er murmelt ungeduldig die Commando's vor sich hin, die man geben müßte, um in kürzester Zeit den ganzen aufständischen Pöbel vor sich herzutreiben; und im nächsten Augenblick sieht er seine pulvergeschwärzten braven Burschen und ein Schauer der Bewunderung ihres Heldenmuthes durchbebt seine Seele. Sein Herz ist zwiefach getheilt, aber das Eine weiß er über Alles gewiß: daß er denen drüben nicht lebendig in die Hände fallen werde, wenn es in seiner Macht stehe. Er zieht die Pistole, die er im Gürtel trägt, halb hervor – aber noch ist der Augenblick nicht gekommen. Er sieht, wie die drüben noch ein Bataillon in's Feuer bringen und hinter diesem ein drittes und viertes in Angriffscolonne formiren, deren Fronte nach der Brücke zu gewandt ist. Es ist kein Zweifel, daß sie den Uebergang über die Brücke forciren wollen; er springt von dem Hügel herab, um in Person alle entbehrliche Mannschaft selbst nach dem bedrohten Punkte zu führen; in diesem Augenblicke trifft ihn eine Kugel in den rechten Arm; er nimmt den Degen in die Linke und ruft: Hierher! zu mir! da zerschmettert ihm eine zweite Kugel das linke Knie; er stürzt besinnungslos vornüber zur Erde. Mit Blitzesschnelle fliegt die Schreckenskunde, daß der Major gefallen sei, durch die ganze Linie. »Alles ist verloren! rette sich, wer kann!« Umsonst versuchen Cajus und einige Andere die Fliehenden zum Stehen zu bringen; sie werfen die Gewehre, die Patrontaschen von sich und eilen aus dem Feuer, in dem Momente, wo die Bataillone der Regulären gegen die Brücke debouchiren, sich dieses Schlüssels der ganzen Position bemächtigen und zu gleicher Zeit in Masse den Uebergang über den Fluß wagen, der auf dieser Seite kaum noch verteidigt wird.

Ein paar Männer, die in der Nähe standen, als Degenfeld fiel, hatten ihn aufgehoben und aus dem Feuer heraus nach dem Feldlazareth getragen. Sie hätten sich die Mühe sparen können. Von den Aerzten war kein einziger mehr da; um die wenigen tödtlich Verwundeten – denn die leichter Blessirten hatten ebenfalls das Weite gesucht – bemühte sich der arme Balthasar, indem er von einem zum andern ging und die Lippen der Verlechzenden mit Wasser netzte, das er aus dem nahen Dorfbrunnen schöpfte.

In Balthasar's Armen erwachte Degenfeld.

»Wie steht die Schlacht?«

»Es ist, glaube ich, Alles verloren,« erwiderte die treue Seele; »sie fliehen nach allen Seiten.«

»So fliehen auch Sie, mein Freund; ich brauche Niemanden um zu sterben.«

Ein Pelotonfeuer, das ganz in der Nähe loskrachte, und ein wildes Hurrah, bewiesen, daß der Feind da sei.

»Fliehen Sie, Balthasar,« sagte Degenfeld und zog die Pistole, »Sie haben keinen Augenblick mehr zu verlieren.«

»Ich werde Sie und diese andern Unglücklichen nicht verlassen,« erwiderte Balthasar sanft und fest.

Die Regulären brachen zwischen den Häusern hervor. Der Lieutenant von Hinkel – ein bartloser neunzehnjähriger Bursche – sah Degenfeld liegen und kam mit gezücktem Degen auf ihn zugestürzt, mit quäkender Stimme rufend: »Ergeben Sie sich, Herr Major!«

Degenfeld richtete sich auf seinem gesunden Arm empor; um seine todtbleichen Lippen zückte ein verächtliches Lächeln; er hob die Mündung der Pistole an seine Schläfe und drückte ab. Sein Oberkörper sank langsam auf die Seite; ehe das edle zerschmetterte Haupt den Boden berührte, hatte die Heldenbrust bereits den letzten Athem ausgehaucht.

Sein brechendes Auge hatte die verhaßte Gestalt seines Todfeindes nicht mehr gesehen, der jetzt an der Spitze einiger anderer Officiere aus dem brennenden Dorfe herangesprengt kam.

Von Hinkel trat mit der Meldung an ihn heran, daß »der Major von Degenfeld –«

»Todt oder lebendig?«

»Todt, Herr Obrist.«

»Hole Sie der Teufel,« rief der Obrist wüthend, »wir mußten den Hund lebendig haben. Sie haben mir den ganzen Spaß verdorben. Wo ist er?«

Von Hinkel deutete mit seinem Degen auf den Dahingestreckten. Der Obrist spornte sein schäumendes Pferd bis dicht an den Todten und blickte von oben herab in das bleiche, ruhige Gesicht. Die Pistole, welche die erstarrte Hand noch immer fest hielt, und die schwarzen Blutstropfen, die langsam aus der Wunde in der Schläfe in das Haar rannen, bewiesen, daß Degenfeld nur zu wohl gewußt hatte, was seine Feinde wünschten.

Der Obrist schien sich an diesem Anblick nicht satt sehen zu können; er murmelte unverständliche Worte durch die zusammengekniffenen Zähne. Er war ein guter Hasser; aber so wie diesen Menschen hatte er wenige gehaßt. Endlich riß ihn ein wildes Geschrei ganz in seiner Nähe aus der Starrheit, in die er versunken war.

Balthasar hatte mit Entsetzen Degenfeld's Ende gesehen, aber mit noch größerem Entsetzen, wie die von Mordlust Wahnsinnigen über die Verwundeten herstürzten und die Halbtodten mit Bayonnetstichen durchbohrten. Er hatte den Einen, bei dem er sich gerade befand, mit seinem Leibe zu decken gesucht; man hatte ihn hohnlachend auf die Seite geschleudert; jetzt brachte ihn ein halbes Dutzend unter wüsten Schimpfwörtern und unbarmherzigen Kolbenstößen herbeigeschleppt.

»Bringt den Hund hierher!« schrie der Obrist. »Er scheint eine Art von Regimentsschreiber oder so was vorstellen zu sollen. Was hat er denn da für eine dicke Brieftasche in seinem zerlumpten Frack?«

Es war eine Brieftasche, die Cajus verloren hatte, als Balthasar ihm den verwundeten Arm verband. Der Obrist, der sie sich hatte auf's Pferd reichen lassen, warf einen flüchtigen Blick hinein.

»Aha!« sagte er, »da haben wir ja einen Haupthalunken! Das ist der berüchtigte Cajus, meine Herren; hätten Sie geglaubt, daß der Kerl eine solche verschneiderte Physiognomie hätte? Der Kerl ist ein Intimus meines sauberen Herrn Neffen. Was weiß er von dem Burschen? wo ist er?«

»Ich heiße nicht Cajus,« sagte Balthasar, »weiß auch nicht, wo mein lieber junger Herr in diesem Augenblick ist, und, wenn ich's wüßte, würde ich es nicht sagen.«

»So? nicht sagen? und warum denn nicht?« fragte der Obrist mit rohem Hohn.

»Weil Ihr seid, wie die reißenden Wölfe;« erwiderte Balthasar und seine sonst so milden blauen Augen flammten in heiligem Zorn auf; »weil Ihr die Erde besudelt mit dem Blute von Männern, die besser sind als Ihr; weil jeder gute Mensch sich mit Abscheu von Euch wenden muß.«

»Nun, wie gefällt Ihnen das, meine Herren?« sagte der Oberst, sich mit finsterem Lächeln im Sattel umwendend. »Aber wir wollen dem blassen Schuft das Predigen vertreiben. Fort mit ihm an die Wand da und stopft ihm sein Maul mit ein paar blauen Bohnen!«

Die Soldaten stießen Balthasar nach dem Hause, aus dessen Strohdach schon die Flammen leckten, und stellten ihn mit dem Rücken gegen die Wand. Er war sehr bleich, aber er blickte festen Auges, ohne mit den Wimpern zu zucken, auf seine Henker. »Ich will ruhig stehen,« sagte er, »aber dann martert mich nicht länger und schießt mich auf der Stelle todt.«

Sie traten ein paar Schritte von ihm zurück und blickten auf den Obrist.

»Legt an!« rief der Obrist, der es sich nicht nehmen lassen wollte, diese Exemtion selber zu commandiren; »Feuer!«

Die Schüsse krachten; Balthasar's zerschmetterter Körper fiel vornüber zur Erde. Die Flammen prasselten hell aus dem niedrigen Dache heraus; der Rauch und die Funken flogen den Mördern in's Gesicht.

»Macht, daß Ihr weiter kommt!« herrschte der Obrist die Soldaten an; »vorwärts, meine Herren, wir verbrennen sonst bei lebendigem Leibe.«

Er spornte sein Pferd und sprengte mit seiner Suite davon. Hinter ihm her wälzten sich die Flammen des brennenden Dorfes, ein furchtbarer Scheiterhaufen für die Vielen, deren todte Leiber auf derselben Stelle lagen, die sie, getreu der Sache, welche sie für die rechte hielten, vertheidigt hatten, so lange noch ein Athem in, ihnen war.

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Mit der Eroberung des Dorfes durch die Regulären war die Linie der Aufständischen vollständig durchbrochen. Es handelte sich nur noch darum, fechtend die Hügel zu gewinnen, oder bei dem Versuch zu sterben. Wolfgang, der die gefahrvolle Lage der Seinen auf der andern Seite des Dorfes wohl bemerkt hatte, war in Verzweiflung; aber er konnte nichts für sie thun; er konnte nicht einen Mann entbehren, und das eigene Leben war er den braven Burschen schuldig, die für ihn, um seinetwillen so lange in dem furchtbarsten Feuer ausgehalten hatten und deren Rettungshoffnung auf ihm und einzig auf ihm ruhte. So gab er denn mit schwerem Herzen den Befehl zum Rückzug. Unter beständigem Feuern, das den verfolgenden Feind in gehöriger Entfernung hielt, erreichte er den Wald, der sich zum Glück auf dieser Seite die Hügel hinab bis fast an das Dorf zog. Als er den Blick noch einmal in das Thal zurückwandte, sah er, daß die Regulären jetzt überall die Position besetzt hielten, welche vor noch nicht einer Stunde die Aufständischen inne gehabt hatten; sah er von rothen Flammenstreifen durchzüngelte schwarze Rauchwolken über die Stätte sich wälzen, wo er die Freunde verlassen hatte, und daß dies der Tag war, dessen tödtlicher Hauch Degenfeld's ahnende Seele nur schon zu lange umwittert hatte.



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