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54.

D ies plötzliche und trotz des Zeitungsartikels weder gewünschte noch erwartete Ende der so viel besprochenen mysteriösen Angelegenheit würde ohne Zweifel eine bedeutend größere Sensation im Publikum erregt haben, wenn in dieser Zeit nicht die am politischen Horizont von allen Seiten heraufdrohenden Gewitterwolken das Interesse aller Menschen ausschließlich in Anspruch genommen hätten. Die letzten Zuckungen der Revolution waren noch mächtig genug, hier die legitime Herrschaft von Gottes Gnaden in Frage zu stellen, dort, auf eine Zeit lang wenigstens, vollständig abzuschütteln. Die abermalige Auflösung der Kammern warf das Ferment der Bewegung in die schon längst gährende Provinz; überall züngelte die Flamme des Aufruhrs empor, angefacht durch den Sturm, der aus dem Zusammensturz des Hauses, in welchem des Vaterlandes Größe und Glück dem harrenden Volke hatte wieder gegeben werden sollen, vom Süden heranbrauste.

In Wolfgang's Seele fielen die aufregenden Nachrichten, die jetzt jeder Tag und jede Stunde brachte, wie Feuerflecken in ein bereits glimmendes Haus. Wie er in dem Kampfe der eigenen Seele ein Gegenbild des Ringens der Völker aus den drückenden Banden längst überwundener gesellschaftlicher Sitten und staatlicher Einrichtungen erblickt hatte, so glaubte er auch jetzt in dem Ton der Sturmglocke, die in barrikadenkampf-durchwühlten Städten gezogen wurde, einen Mahnruf für sich selbst zu hören, einen Mahnruf, mit einem Ruck die Fesseln der Unwahrheit und Heuchelei zu brechen, und zu leben und zu wirken, zu reden und zu handeln, wie es ihm das immer ungeduldiger an die Rippen pochende Herz gebot.

In diesen Gedanken wurde er ein paar Tage später durch einen Besuch des Malers Kettenberg unterbrochen, der zu einer für den genialen Wüstling ungewöhnlich frühen Stunde zu ihm in's Zimmer trat. Wolfgang war über das Erscheinen Kettenberg's einigermaßen erstaunt. Er hatte nach einigen vergeblichen Versuchen, mit dem lüderlichen Künstler in ein intimes Verhältniß zu treten, sich absichtlich in einiger Entfernung von demselben gehalten, um so mehr, als Kettenberg's vertrauter Umgang mit Willamowsky, Brinkmann, Hinkel, Wyse und anderen durch ihr ausschweifendes Leben berüchtigten Officieren nicht gerade für seine moralische Bildung zu sprechen schien. In der letzten Zeit, wo er selbst selten und immer seltener den Salon der Präsidentin besucht hatte, war ihm derselbe überdies fast gänzlich aus dem Auge gekommen; er erinnerte sich nur, daß man in dem Willamowsky'schen Kreise einmal darüber gewitzelt hatte, ob Kettenberg die neueste Eroberung Antonien's von Hohenstein, oder umgekehrt Antonie die neueste Eroberung Kettenberg's sei. Ihn hatte die Beantwortung der Frage wenig interessirt, denn auch zwischen Antonie und ihm hatte sich kein vertrauterer Verkehr gestalten wollen.

»Sie wundern sich,« sagte Kettenberg nach der ersten Begrüßung, »über meinen frühen Besuch; aber ich habe Ihnen Verschiedenes, was vielleicht von Wichtigkeit für Sie sein wird, mitzutheilen, und ich habe sehr wenig Zeit, sintemalen ich in zwei Stunden die Stadt auf längere Zeit verlasse.«

»Sie wollen uns verlassen?«

»Ha, ha, ha!« lachte Kettenberg; »sagen Sie das nicht, als ob Ihnen, wer weiß was, daran gelegen wäre, daß ich bliebe! Aber so sind die Menschen! Keine Treue und kein Glauben mehr in Israel von Berseba bis Dan! Bin ich doch auch überzeugt, daß Sie mir nicht glauben werden, wenn ich Ihnen sage, daß ich sehr viel von Ihnen halte, daß mir Ihr Wohl sehr am Herzen liegt, und doch bin ich im Begriff, Ihnen die schlagendsten Beweise für diese kühne Behauptung zu geben. Aber ich muß mich kurz fassen, und so hören Sie denn andächtig zu. Zuerst eine Frage: Haben Sie in diesen Tagen einen Brief von der Präsidentin oder von Camilla gehabt? Nein? ich dachte es mir wohl. Man wird auch nicht mehr schreiben, man wird Sie auszuhungern suchen, man wird Sie dazu treiben, zu thun, was die ehrenwerthe Gesellschaft selbst zu thun nicht den Muth hat.«

»Aber, Herr Kettenberg, ich habe in der That nicht das Vergnügen –«

»Mich zu verstehen. Ich will deutlicher, oder lieber gleich ganz deutlich sprechen. Sie sind das Opfer einer schändlichen Intrigue, lieber Hohenstein. Ich kann Ihnen, schon der Kürze der Zeit wegen, nicht sagen, wie ich hinter all' diese lieblichen Streiche gekommen bin; aber ich verbürge mich für die Wahrheit meiner Angaben mit meinem Ehrenwort. Man hat in der Familie den Entschluß gefaßt, Sie fallen zu lassen. Es scheint, daß Derjenige, welcher anstatt Ihrer das Glück haben soll, von Camilla mit Hörnern geschmückt zu werden, sich in letzterer Zeit sehr wesentliche Verdienste um die Familie erworben hat, die den hohen Preis, welchen man zu zahlen im Begriffe steht, rechtfertigen. Dieser Andere ist, um Ihnen auch das zu sagen, Niemand Anderes, als der Geheimrath von Schnepper – Sie lachen? – Sie wollen sich todt lachen? – lachen Sie sich todt; aber sterben Sie in der Ueberzeugung, daß ein Mann, der binnen zwei Monaten in den Adelstand erhoben und zum Geheimrath befördert wurde, auch trotz seiner sechzig Jahre im Stande ist, einen dreiundzwanzigjährigen Lieutenant aus dem Sattel zu heben und ein junges ehrgeiziges Fräulein von achtzehn Jahren mit bewunderungswürdig kaltem Kopf und einem wahrhaft arktischen Herzen glücklich zu machen. Wie dem auch sein mag, so viel steht fest, daß mir und meinem Freunde Willamowsky, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit natürlich, das große Geheimniß anvertraut ist. Was wollen Sie? die junge Dame macht eine glänzende Carrière. Ein Minister-Portefeuille für den glücklichen Gatten – ein prachtvolles Hotel in der Williamsstraße, Vorstellung bei Hofe, ein langer Schweif von Bewunderern aller Grade vom Prinzen bis zum Kammerjunker, unter denen sie nur zu wählen hat, für die glückliche junge Gemahlin! – lieber Hohenstein! ich sage Ihnen: es sind Engel um geringere Herrlichkeiten gefallen, weshalb also nicht ein Mädchen, das, wie Camilla von Hohenstein, von Kindesbeinen an den Teufel im Leibe hatte. Gut! Sie lachen noch immer, und offen gestanden: ich glaube, Sie haben gut lachen; nichts destoweniger muß ich mir doch erlauben, Sie an die ernste Seite Ihrer Situation zu erinnern. Man ist nämlich im feindlichen Lager klug genug, einzusehen, daß die Welt sich immer und ohne Ausnahme auf die Seite der Jugend und Loyalität stellt, und daß der Flecken, welcher in jüngster Zeit, trotz des famosen Artikels in der Rheinstädtischen, auf das Wappenschild der Hohenstein's gespritzt ist, durch diese Verkuppelung eines so schönen Mädchens, wie Camilla, an einen so alten Sünder, wie der Geheimrath, gerade nicht kleiner werden dürfte. Man will also einen Grund haben, mit Ihnen zu brechen, und glaubt das am besten dadurch zu erreichen, daß man Sie zwingt, Ihren Abschied zu nehmen, wobei man noch den Vortheil hat, Sie in der Gunst des Alten auf Rheinfelden ein für alle Mal zu stürzen. Dies soll nun auf zweierlei Weise in's Werk gesetzt werden. Zuerst dienstliche Scheerereien, Rüffel von Ihrem Onkel vor der ganzen Fronte, und was dergleichen mehr ist. Sie müssen nämlich wissen, daß man der Obristenfamilie nur einen Theil der Karten gezeigt und daß man den Tröpfen weiß gemacht hat, Kuno habe nach Ihrem Sturz die ersten Ansprüche und die besten Aussichten auf die Hand der schönen Vielumworbenen. Deshalb schwärmt natürlich Kuno für das erwähnte Project und ist entschlossen, Ihnen den Rückzug auf jede Weise zu erleichtern, indem er versuchen wird, Sie in so viel Händel und Unannehmlichkeiten als nur möglich ist, zu verwickeln. Einen vorzüglich günstigen Angriffspunkt glaubt man in Ihrem Verhältniß mit Ihrer schönen Cousine aus der Ufergasse gefunden zu haben. – Nun, nun, Sie brauchen nicht roth zu werden! Wozu hat man denn hübsche Cousinen, wenn man ihnen nicht den Hof machen soll? Und hübsch ist das Mädchen! sapristi! ein Kopf, wie eine Muse! ich habe in meinem Leben selten ein so durchgeistigtes, blauäugiges, lächelnd-ernstes Gesicht gesehen. Ich lobe Ihren Geschmack und es soll mich sehr freuen, wenn Sie dem plumpen Gesellen, dem Kuno, gelegentlich auf die plumpen Finger klopfen. Denn Kuno ist der Entdecker der Schönheit in der Ufergasse; er renommirt auch mit freundlichen Grüßen, die er von Fräulein Schmitz bei seinen Fensterparaden erhalten haben will. Beruhigen Sie sich! es glaubt kein Mensch an diese Grüße, Kuno selbst nicht, denn er trägt das heimliche Bewußtsein seiner Jämmerlichkeit überall mit sich herum. Am wenigsten glaubt Willamowsky daran, der, Roué, wie er ist, doch im Grunde des Herzens ein braver Kerl ist und sich entschieden geweigert hat, in dieser Intrigue irgend eine Rolle zu übernehmen. Ich glaube, ich kann Ihnen den Baron empfehlen, im Falle Sie in die Lage kämen, sich nach einem anständigen jungen Mann zur Regelung gewisser kleiner Vorkommnisse umzusehen.«

Kettenberg hatte sich in dem Strom seiner Rede nicht unterbrechen lassen. Jetzt nahm er eine Cigarre aus dem Etui, zündete sie an, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und sagte:

»So, lieber Hohenstein! ich hoffe, daß Sie nun hinreichend orientirt sind, um Ihren Weg durch diese Wirren finden zu können; ich habe beim Pistolenschießen neulich auf der Bastion gefunden, daß Sie ein scharfes Auge und eine sehr sichere Hand haben. Hat man die aber und ein muthiges Herz dazu, so wollte ich den Teufel sehen, der stark genug wäre, einen solchen Kerl zu holen. Also genug von Ihnen, und nun ein paar Worte von mir. Ich möchte nicht gern, daß Sie, gerade Sie, nachdem ich fort bin, übel von mir dächten und überdies können Sie mir vielleicht in einer Angelegenheit, die ich leider vor meiner Abreise nicht mehr erledigen kann, von Nutzen sein. Ich weiß nicht, lieber Hohenstein, ob Sie wissen, daß ich Ihrer schönen Tante – Sie haben verdammt viel schöne Weiber in Ihrer Familie, Sie Glücklicher! – seit einiger Zeit den Hof mache? Wissen Sie? gut! und daß ich das Glück gehabt habe, der genannten Dame nicht gerade zu mißfallen? Das wissen Sie nicht? nun, so wissen Sie es jetzt, und wenn Sie eines Beweises bedürfen, so genügt Ihnen vielleicht der, daß Frau von Hohenstein und ich ganz zufällig heute Mittag in demselben Zuge abreisen und, wie ich vermuthe, eine ziemliche Strecke zusammen reisen werden. Nun würde das ja Niemanden etwas angehen, sintemalen weder ich, noch Frau von Hohenstein in der Lage sind, besonders große Rücksichten auf das Urtheil der Welt nehmen zu müssen; leider aber hat Frau von Hohenstein, wie es scheint – ich bekümmere mich um die Antecedentien der Damen, welche mir die Ehre ihres näheren Umgangs schenken, grundsätzlich nicht – ich sage: es scheint, daß Frau von Hohenstein mit Ihrem Freunde, dem Doctor Münzer, in demselben Verhältniß gestanden hat, in welchem ich – eh bien – augenblicklich mit ihr stehe. Ich schließe das wenigstens daraus, daß sie jedesmal in eine nervöse Aufregung geräth, sobald die Rede auf den Doctor kommt, und ich vermuthe beinahe, daß sie weniger aus Freundschaft für mich, als aus Verzweiflung an der Liebe Münzer's zu ihr, mit mir nach Egypten geht. Mir ist das, offen gestanden, ganz gleich, wenn sie nur geht. Ich liebe den Orient und liebe schöne Frauen; sie gehören zusammen; man darf Beide nicht mit dem nüchternen Auge des Verstandes – gleichviel! ich wollte Ihnen keine moralisch-ästhetische Vorlesung halten, sondern Sie bitten, Ihrem Freunde zu sagen, daß, wenn er mich über mein Verhältniß zu Antonien zur Verantwortung ziehen zu müssen glaubt, ich nach meiner Rückkehr, die der Himmel noch lange hinausschieben möge! – bereit bin, mit ihm den Narren zu spielen. Vorher hätte ich es nicht gut gekonnt, weil ich von dem Grundsatze ausgehe, daß man das, wofür man sich gegenseitig todt schießen will, erst einmal in Sicherheit haben muß, weil es sich sonst des Pulvers nicht verlohnt. – Und nun, lieber Freund, leben Sie wohl! Sie entschuldigen, wenn ich nicht viel Umstände mache; ich habe noch eine Welt zu besorgen und nur noch eine Stunde Zeit. Addio!«

Kettenberg drückte Wolfgang zuerst die Hand, umarmte ihn dann und eilte zur Thür hinaus.

Wolfgang war von Allem, was er gehört hatte, im ersten Augenblick wie betäubt, dann war das nächste Gefühl ein Gefühl der Freude, daß nun endlich die Entscheidung gekommen, endlich die Stunde zum Handeln da sei. An der Wahrheit von Kettenberg's Mittheilungen konnte er nicht zweifeln. Der Maler hatte die schärfsten Augen und Ohren, kannte die Verhältnisse der Präsidentenfamilie bis in die kleinsten Einzelnheiten, und, was er selbst nicht gesehen und gehört hatte, wußte er ohne Zweifel durch Aurelie, deren Vertrauter er noch immer war, und durch Willamowsky, der als Bräutigam Aurelien's nicht aufgehört hatte, der Freund von Aurelien's treulosem Geliebten zu sein. – Ueberdies war, was Kettenberg mitgetheilt hatte, so ganz im Charakter der betheiligten Personen! Camilla die Braut eines fanatischen Reactionärs, eines greisenhaften Stutzers, eines abgefeimten Wollüstlings! Die Zauberin hatte die reizende Hülle abgeworfen und sich in ihrer wahren Gestalt gezeigt! Wie oft hatte er sich anfänglich der Undankbarkeit geziehen, wenn in ihm Zweifel über Zweifel an dem Werth der Geliebten auftauchten! wie hatte er diese Zweifel sich selbst zu widerlegen gesucht! Wie hatte er nach Gründen gehascht, um diesen Zug zu rechtfertigen und jenen zu beschönigen, und einen dritten zum mindesten naiv und einen vierten vollkommen harmlos zu finden! – Das war nun Alles vorbei! und dem Himmel Dank, daß es vorbei war! Dies war vorbei, und das Andere mußte folgen! Wie er aus den Banden einer unwürdigen Liebe befreit war, so sollten auch die anderen Banden fallen: die Abhängigkeit von dem alten unheimlichen Mann, der in seiner gewaltthätig-brutalen Weise nur das Prototyp für dieses ganze Geschlecht war; die Unterordnung unter ein System, das der ganzen modernen Entwickelung Hohn sprach und von allen Einsichtsvollen als das vorzüglichste Hinderniß eines günstigen Ausgangs der Revolution bezeichnet wurde; der Umgang mit Menschen, die er so tief verachtete, wie seine edlen Vettern und ihren Anhang! – Und was hatte Kettenberg von den Unverschämtheiten erzählt, die sich Kuno in Betreff Ottilien's hätte zu Schulden kommen lassen? Offenbar war Alles eine plumpe Erfindung des eitlen Thoren – sonst würde wohl Tante Bella doch einmal eine Andeutung gemacht haben; – aber der bloße Gedanke, es könnte etwas der Art geschehen, ja der Umstand allein, daß dieser Bube Ottilien's Namen in den Mund genommen hatte im Kreise dieser plattköpfigen Bursche – das empörte Wolfgang und erfüllte seine Seele mit Gefühlen des Hasses und des Rachedurstes, wie er sie nie vorher empfunden hatte. Und was war das für eine Geschichte mit Münzer, Antonie und Kettenberg? Das rechte Gegenstück zu seiner eigenen ruhmlosen Liebesaffaire! Hatte Antonie Münzer wirklich geliebt? und hatte sie einen Münzer einem Kettenberg opfern können!

Also wiederum ein schlaues, intriguantes, schönes Weib, das einen Mann, dessen Sinnen und Trachten auf ganz andere Ziele gerichtet ist, aus seiner Sphäre lockte, um ihn hernach auf das schamloseste zu verrathen! Dieselbe Comödie Zug für Zug; man brauchte nur die Namen zu vertauschen: Münzer für Wolfgang, Antonie für Camilla, Schnepper für Kettenberg, Clärchen für – Ottilie! für Ottilie! wenn ich sie gekannt, geliebt hätte – und ist sie kennen und lieben nicht Eines? – wenn ich sie gekannt hätte, bevor ich nach Rheinfelden kam – nimmer, nimmer wäre dies geschehen! nimmer! O, könnte ich es ungeschehen machen! Könnte ich wieder werden, wie ich war, ehe diese unselige Verblendung über mich kam! Könnte ich? – wer hindert mich daran, zu können, was ich will? Die Beste der Mütter würde mir Beifall lächeln, wenn sie mich diese unwürdigen Ketten brechen sähe! Der Onkel, Tante Bella, Ottilie – sie würden mich wieder den Ihrigen nennen können; aber der Vater? der Vater? – was wird er sagen? freilich denkt er seit einiger Zeit auch anders über diese Angelegenheiten. Und Münzer? Degenfeld? –

Wolfgang hatte nicht Zeit, sich alle diese Fragen zu beantworten, denn die Stunde, in welcher er auf der Parade erscheinen mußte, war gekommen und er mußte sich sehr beeilen, um nur nicht allzu spät zu kommen.

Diese Paraden mit ihrem öden Einerlei stundenlangen geschäftigen Müßigganges waren Wolfgang von Anfang an ein Gräuel gewesen, und gerade heute wollte die Sache kein Ende nehmen. Der in die dienstlichen Mysterien Eingeweihte mußte sofort bemerken, daß etwas ganz besonders Wichtiges im Werke war. Zuerst steckten die fünf Generale, welche die Garnison von Rheinstadt aufzuweisen hatte, die Köpfe zusammen; dann wurden die »Herren Regiments-Commandeure« befohlen, dann die »Herren Stabsofficiere,« dann die »Herren Hauptleute,« dann wieder die »Herren Stabsofficiere,« dann abermals die »Herren Hauptleute,« dann die »Herren Stabsofficiere und Hauptleute« zusammen, schließlich »die sämmtlichen Herren Officiere.«

Als der weite Kreis geschlossen, sämmtliche rechten Hände vorschriftsmäßig an die Kopfbedeckungen gelegt waren, auch die Herren in dem inneren Kreise die Hacken zusammen genommen hatten (diejenigen, welche sich unbeobachtet wußten, nahmen es in dem letzteren Punkte weniger genau), sprach der Commandirende General-Lieutenant Graf von Schnabelsdorf: »Meine Herren! ich habe Ihnen heute verschiedenes Wichtige mitzutheilen. Die Stunde, in welcher Sie werden zeigen können, daß Sie das Herz auf dem rechten Fleck haben, ist gekommen. Die Fahne des Aufruhrs gegen die Verordnungen und Gebote unseres allergnädigsten Herrn ist in unserer Provinz, ja in unserer allernächsten Nähe erhoben. Fern sei es von mir, anzunehmen, daß in das Herz Eines unter Ihnen die Irrlehren gottvergessener und eidbrüchiger Menschen jemals Eingang finden könnten; daß Einer von Ihnen jemals vergessen könnte, daß er den Degen, den er trägt, von seinem allergnädigsten Herrn erhielt und daß er Niemandem auf der Welt Rechenschaft schuldig ist, als diesem allergnädigsten Herrn; – es versteht sich von selbst, sage ich: daß Sie Alle, wie Sie hier stehen, keinen andern Gedanken haben, als für den Thron und den Altar, diese beiden höchsten Heiligthümer, zu leben und zu sterben; aber, meine Herren, viele unter Ihnen sind noch jung und wissen nicht, daß es gegen Treulosigkeit und Verrath kein anderes Mittel giebt, als die Gewalt. Und an diese jüngeren Herren möchte ich in dieser ernsten Stunde noch einige Worte väterlicher Ermahnung richten. Lassen Sie sich nicht durch die Maske der Biederkeit, welche die Verräther nur gar zu gern vor ihr schändliches Gesicht nehmen, täuschen! reißen Sie diese Maske herunter! lassen Sie sich im betreffenden Falle auf keine langen Unterhandlungen mit den Rebellen ein! zeigen Sie, daß Sie das Schwert nicht umsonst tragen, und bedenken Sie, daß es besser ist: es kommt auch einmal der Unschuldige zu Schaden, als daß die Schuldigen ohne Schaden und ohne Strafe davonkommen. Vergessen Sie in keinem Augenblicke, daß das Auge des Kriegsherrn auf Ihnen ruht, daß Sie – ich wiederhole es, denn Sie können es sich nicht tief genug einprägen – daß Sie Niemandem auf der weiten Welt verantwortlich sind, als dem Kriegsherrn, daß sein Wunsch und Wille die Richtschnur und der Maßstab für Ihr Thun und Lassen sind. So, aber auch nur so, werden Sie sicher sein können, die allergnädigste Huld zu verdienen; so, aber auch nur so, werden Sie sich Ihrer Väter, die für Thron und Altar Ihr Blut verspritzt haben, würdig zeigen. Das wollte ich Ihnen an's Herz legen. Ich danke Ihnen, meine Herren!«

Die Parade war aus einander gegangen, nur der Obrist von Hohenstein konnte, wie gewöhnlich, kein Ende finden. Die Unterofficiere du jour liefen hin und her, die Feldwebel schrieben ganze Bücher voll, endlich rief der kleine, schiefe Adjutant von Zitzelwitz: »die Herren Officiere!«

Die Officiere des neunundneunzigsten Infanterie-Regiments traten um den Obrist von Hohenstein zusammen.

Der Obrist schaute finster wie eine Wetterwolke, und seine Stimme klang noch rauher und heiserer, wie gewöhnlich, als er, die schmalen, dunkeln stechenden Augen fortwährend auf Wolfgang richtend, schnarrte: »Sie haben vorhin gehört, meine Herren, was der General gesagt hat. Merken Sie es sich und merken Sie es sich noch besonders, daß in dem Regiment, welches ich die Ehre habe zu commandiren, nicht der Schatten des Schattens einer demokratischen Gesinnung geduldet wird. Ich danke Ihnen! – Herr Lieutenant von Hohenstein!«

Die übrigen Officiere traten auf ihre Plätze zurück; Wolfgang blieb vor dem Obristen stehen.

»Ich wollte Dir nur sagen, daß Du Dich ganz besonders in Acht zu nehmen hast, wenn Du Deine Spadille noch länger zu tragen wünschst.«

»Da ich aus Ihrer Ausdrucksweise schließen muß,« erwiderte Wolfgang, »daß Sie nicht als Obrist und Commandeur des Regiments mit mir sprechen, sondern als der Bruder meines Vaters, so erwidere ich Ihnen, daß ich die demokratischen Gesinnungen, die hier so in Verruf sind, vollkommen theile, und daß ich den Degen, oder die Spadille, wie Sie sich auszudrücken belieben, keinen Augenblick länger zu tragen wünsche, als bis ich auf eine schickliche Weise von dieser Ehre befreit werden kann.«

Ueber des Obristen finsteres Gesicht flog ein finsteres Lächeln.

»Und wenn ich nun nicht als Onkel, sondern als Ihr Chef mit Ihnen spräche, mein Herr Lieutenant von Hohenstein?«

»So würde ich Ihnen dasselbe nur in anderer Form sagen, Herr Obrist.«

»Sehr gut, Herr Lieutenant, sehr gut! – Darf ich mir Ihren Degen ausbitten, Herr Lieutenant?«

»Das heißt, Herr Obrist?«

»Herr von Zitzelwitz!«

»Herr Obrist!«

»Führen Sie Herrn von Hohenstein sofort auf die Wache des Forts St. Sebastian. Auf meine Verantwortung, Herr von Zitzelwitz! ich werde die Sache sofort Sr. Excellenz melden.«

»Wollen Sie mir folgen, Herr von Hohenstein?« sagte Herr von Zitzelwitz, der ganz blaß geworden war.

»Ohne Zweifel, Herr von Zitzelwitz!« sagte Wolfgang und dann an den Obrist herantretend, leise: »Sie führen die Ihnen zu Theil gewordenen Aufträge prompt aus, Herr Obrist; sorgen Sie nur dafür, daß Ihnen der Lohn nicht entgehe; es wäre doch schade, wenn Sie sich ganz umsonst prostituirt hätten. – Ich bin bereit, Herr von Zitzelwitz!«

Von dem Paradeplatz gelangte man auf einem kurzen Wege durch das Glacis an das Fort St. Sebastian. Der Portépée-Fähndrich Odo, welcher die Wache commandirte, machte ein sehr albernes Gesicht, als er sich von Herrn von Zitzelwitz (der noch immer sehr blaß aussah) den Lieutenant von Hohenstein vom neunundneunzigsten Infanterie-Regiment als Arrestanten überliefern ließ.

Als Wolfgang hinter den beiden Herren her den langen schmalen Gang, der zu dem Officier-Arrestlokal führte, hinabschritt, flüsterte ihm der Unterofficier, der hinter ihm herging, zu:

»Sie sollen nicht lange sitzen, Herr von Hohenstein!«

Wolfgang glaubte die Stimme des Unterofficier Rüchel zu erkennen; indessen konnte er sich bei der Dämmerung, die in dem Gange herrschte, nicht überzeugen, ob er Recht gehabt hatte.

Ein paar Augenblicke später saß er, ein Gefangener, in derselben engen dumpfigen Stube, aus welcher er vor einigen Monaten Onkel Peter befreit hatte.



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