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50.

I m Salon der Präsidentin hatte am Mittag desselben Tages im Kreise der Familie eine jener Scenen stattgefunden, auf welche die Dichtigkeit der eichenen Thüren und die Schwere der Portieren von vornherein berechnet schienen. Fräulein Camilla und Fräulein Aurelie hatten sich heftig gezankt; die Mutter hatte vergeblich die Zankenden zu beschwichtigen gesucht, und Joli, der Schooßhund, welcher doch auch sein Theil an der Familiendispüte haben wollte, so laut gekläfft, daß der Präsident, der in seinem Zimmer gearbeitet hatte, kam, um sich nach der Ursache des Lärmens zu erkundigen. Da alle drei Damen zu gleicher Zeit auf ihn einsprachen und Joli (dem die Sache außerordentliches Vergnügen zu machen schien) noch immer aus Leibeskräften bellte, so wurde es dem Präsidenten einigermaßen schwer, den Grund des Streites zu erfahren. Zuletzt legte sich der Lärm so weit, daß Joli mit einem Satze auf einen Sammetfauteuil sprang und sich zum Schlafe zusammenrollte, als wisse er das, was nun kommen werde, auswendig. Und in der That war es eine alte Geschichte, die dem Präsidenten jetzt in der Wechselrede der drei Damen vorgetragen wurde.

Aurelie hatte Camilla darüber zur Rede gestellt, daß sie mit Herrn von Willamowsky genau so kokettire, als ob sie nicht verlobt sei; worauf Camilla geäußert hatte, daß dies, so viel sie sehen könne, Aurelien gar nichts angehe; Aurelie hatte dann gesagt: die Sache ginge sie sehr viel an, denn sie (Aurelie) habe nicht Lust sitzen zu bleiben, und das werde wohl das Ende vom Liede sein, wenn sie (Camilla) alle Herren, die in's Haus kämen, ohne Unterschied in ihre Netze zu ziehen suchte. – Aus der kleinen Quelle dieser harmlosen Neckereien war dann schließlich die Thränen- und Redefluth hervorgebrochen, deren hochgehende Wogen bis an den Arbeitstisch des Präsidenten drei Zimmer weiter gespült hatten.

Der Präsident öffnete eben den Mund, um seine Rede mit einem leisen: »Aber, Kinder« – zu beginnen. Fräulein Aurelie kam ihm zuvor.

»Ich weiß Alles, was Du sagen willst, Papa!« rief sie, »und weil ich doch, wie gewöhnlich, Unrecht bekommen werde, so sehe ich nicht ein, weshalb ich mich hier in Gegenwart meiner jüngeren Schwester ausschelten lassen soll.«

Und Fräulein Aurelie warf mit einer Miene, die von kindlicher Ehrfurcht das genaue Gegentheil war, den Kopf in den Nacken und eilte zum Zimmer hinaus, die Thür nicht ohne eine gewisse Heftigkeit hinter sich zuschlagend.

»Sehr artig von Fräulein Aurelie;« sagte Camilla, der Enteilenden spöttisch nachschauend.

»Du solltest Dich aber auch in Deinem Betragen mehr zusammennehmen,« sagte der Präsident mit sanftem Vorwurf.

»So?« sagte Fräulein Camilla; »jetzt soll ich wohl die Schelte haben, die Aurelie verdient hat – ich danke dafür.«

Und die junge Dame entfernte sich durch eine zweite Thür, mit einer Miene und einer Haltung, im Vergleich mit welchen das Benehmen Aurelien's geradezu fein und gesittet genannt werden mußte.

Die glücklichen Eltern blickten sich einander verlegen an.

»Ich fürchte, wir haben die Kinder doch etwas verwöhnt;« sagte der Präsident.

»Dein Vorwurf gegen das Kind war aber auch sehr ungerecht.«

»Ich möchte doch den Tag erleben, wo Du mir ein Mal gegen die Kinder Recht giebst.«

»Wenn Du Unrecht hast, kann ich Dir nicht Recht geben.«

Joli blickte von seinem Lager auf, ob es der Mühe werth sei, sich an dem neuen Streit zu betheiligen. Da er aber außer seiner Herrin nur noch den Präsidenten in dem Zimmer sah, hielt er die Sache für nicht wichtig genug, und legte den Kopf mit den langen Ohren wieder zwischen die Vorderbeine.

»Aber, ma chère,« sagte der Präsident in seinem sanftesten Ton, »wer hat denn diese Verbindung mit Wolfgang, die schließlich doch an dem ganzen Unglück Schuld ist, von Anfang an protegirt und endlich zu Stande gebracht, wenn nicht Du? Ich kann doch nicht dafür, daß Camilla den Wolfgang nicht leiden kann. Hättest Du den Burschen gelassen, wo er war, so würdet Ihr Euch heute Morgen nicht den Impertinenzen von Mamsell Schmitz auszusetzen gehabt haben und Camilla könnte in Teu – wollte sagen, in Gottes Namen Willamowsky heirathen.«

Da die Präsidentin wußte, daß die Argumente ihres Gemahls im Grunde unwiderleglich seien, so blieb ihr natürlich nichts Anderes übrig, als sich in die Sopha-Ecke sinken zu lassen, das Taschentuch vor das Gesicht zu drücken und in Thränen auszubrechen.

Joli mußte auch diese Scene kennen; er bewegte nur leise, ohne den Kopf zu erheben, die klugen langen Ohren.

Der Präsident, der dringend zu thun hatte, aus Gründen der Klugheit aber und weil es die langjährige Gewohnheit so mit sich brachte, nicht in sein Arbeitscabinet gehen durfte, ohne seine Gemahlin vorher versöhnt zu haben, bot alle seine Überredungskunst auf, das wünschenswerthe Ziel so schnell wie möglich zu erreichen, und zuletzt trieb er die Galanterie so weit, sich (nicht ohne einige Mühe) vor der Weinenden auf ein Knie niederzulassen.

In diesem Augenblicke ertönte ein Geräusch, das zwischen Husten und heiserem Lachen eine glückliche Mitte hielt. Der Präsident kam unverhältnißmäßig viel schneller auf die Füße, als er vor einer halben Minute auf die Knie gekommen war.

»Die Liebe höret nimmer auf!« quäkte der Hereingetretene; »die schönste Illustration zu dem biblischen Wort, die meine Augen je geschaut haben!«

»Ah, mon cher ami, wie geht's, wie steht's?« sagte der Präsident, dem Medicinalrath mit großer Zuvorkommenheit die Hand reichend; »aber wie Sie immer à propos kommen! wir sprachen so eben von Ihnen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch entgegen, Herr von Schnepper.«

»Und den meinen,« sagte die Präsidentin, dem kleinen Mann die beiden fetten weißen Hände entgegenstreckend.

»Danke, danke!« sagte der Medicinalrath, die fetten Hände zu wiederholten Malen an seine dünnen Lippen drückend; ich kann wohl sagen: »es hat mich recht erfreut und gerührt. Mein Monarch ist sehr gnädig gegen mich gewesen.«

»Nun, lieber College, entre nous, Sie haben es sich sauer genug werden lassen,« sagte der Präsident. »Die Thätigkeit, die Sie seit dem März vorigen Jahres und nun gar in dem letzten Wahlkampfe entwickelt haben, war enorm. Daß Münzer nicht wieder gewählt wurde, haben wir nur Ihnen zu verdanken, denn, daß er nicht hätte wiedergewählt sein wollen, wie die Rothen uns hinterher weiß zu machen versuchen, glaube ich nimmermehr.«

»Mag sein, lieber Präsident,« erwiderte der kleine Mann, indem er sich auf einen Stuhl setzte und die goldene Dose zwischen den Fingern spielen ließ; »aber man hätte mir ja auch den zweiten mit der Schleife, oder den Geheimen geben können, aber gerade den Adel! Gestehen Sie, das hatten Sie nicht erwartet!«

»Doch,« sagte der Präsident lächelnd, »denn ich wußte aus den besten Quellen, daß, als man höheren Ortes anfragen ließ, welche Form der Belohnung Ihnen wohl am angenehmsten sein würde, Sie selbst« –

»Schon gut, schon gut, wir verstehen uns,« lächelte der kleine Mann, »können Sie mir's verdenken?«

» Point du tout!« sagte der Präsident, »aber, lieber College, wie ich schon vorhin sagte: Sie sind wirklich recht à propos gekommen. Sie wissen ja: die alte Geschichte, Camilla wird immer unlenksamer, und – ich gebe Dir das zu, liebe Clotilde – ihr Herr Bräutigam beobachtet gegen sie – um es milde auszudrücken – eine solche Reserve, daß ich kaum den Muth habe, es dem Mädchen sehr zu verdenken, wenn ihre alte Neigung zu Willamowsky wieder etwas mehr erwacht.«

»Aber warum denn Willamowsky und immer wieder dieser verdammte Willamowsky!« rief der Medicinalrath mit so großer Heftigkeit, daß Joli im Halbschlaf zu knurren anfing.

Die beiden Gatten sahen sich einander voller Erstaunen an.

»Verzeihen Sie,« sagte der Medicinalrath, »daß ich mich von meiner warmen Theilnahme an Ihrem und der Ihrigen Geschick zu weit hinreißen ließ, aber offen gestanden: ich begreife nicht, wie man so gute Karten in den Händen haben und so schlecht spielen kann. Warum vertheilen Sie die Liebhaber Ihrer Töchter nicht zweckmäßig, auf Beide, anstatt sie auf die eine Camilla zu concentriren? Willamowsky ist, nachdem er neulich auch noch seine Großtante beerbt hat, wieder eine ganz passable Partie. Ich sage Ihnen: der Baron will sich rangiren; er glaubt – und mit Fug und Recht – daß er es so, wie er es treibt, nicht lange mehr treibt; er will heirathen à tout prix, und da ist ihm schließlich Aurelie eben so lieb, wie Camilla. Aurelie hat es herzlich satt, überall und immer als die zweite angesehen, oder vielmehr übersehen zu werden und will auch heirathen à tout prix. Nichts auf der Welt leichter, als Beide zusammenzubringen! Erholt sich Willamowsky – bon! so haben sie einen mittelmäßig reichen, aber äußerst fügsamen und bequemen Schwiegersohn. Erholt er sich nicht – nun! die junge Witwe wird sich im Besitz eines Vermögens, das für sie allein ein großes zu nennen ist, über den Verlust zu trösten wissen.«

Die beiden Gatten sahen sich abermals an, diesmal aber nur mit einer gewissen freudigen Ueberraschung.

»Nicht übel, nicht übel!« sagte der Präsident, »und Camilla? und Wolfgang?«

Der kleine Mann sagte: a hem! nahm eine Prise und machte sich während der folgenden Worte mit seinen Manchetten zu schaffen, auf die einige Tabakskörner gefallen zu sein schienen.

»Ich habe,« sagte er langsam, »in dieser ganzen Angelegenheit von vornherein einen Plan festgehalten, der sich im Verlauf des Verhältnisses immer klarer für mich entwickelt hat und dessen Richtigkeit mir jetzt unzweifelhaft feststeht. Bei dieser ganzen Sache kam es auf zweierlei an; erstens: Camilla die Erbschaft des Alten zu sichern, zweitens: Wolfgang als Mittel zu diesem Zweck zu benutzen, um ihn, wenn er uns die Kastanien aus dem Feuer geholt und sich die Finger gehörig verbrannt hatte, fallen zu lassen. Natürlich mußten wir auf die Idee des Alten eingehen; aber selbstverständlich nicht in purem, plumpen Ernst, sondern nur zum Schein, nur so lange, bis sich der Alte an den Gedanken: Camilla und Wolfgang als seine Erben zu betrachten, vollkommen gewöhnt hatte. Dann kam es nur darauf an: Wolfgang unmöglich zu machen, so daß er freiwillig oder unfreiwillig zurücktrat und nur Camilla auf dem Plane blieb.

Nun sehen Sie, meine Herrschaften, das Alles haben wir ja beinahe erreicht. Wenn ich den Burschen recht beurtheilt habe, so steht er jetzt schon auf dem Punkte, Camilla'n ihr Versprechen zurückzugeben. Das wäre ja nun recht gut; aber wir müssen mit Wolfgang's Weigerung, Camilla zu heirathen, in einem Augenblick vor den Alten hintreten, wo dieser selbst durch den Burschen gründlich gekränkt und beleidigt ist. Glücklicherweise hat der Himmel ja auch dafür gesorgt. Den Burschen drücken seine Epaulettes, sage ich Ihnen. Es dauert nicht lange und er hält's nicht mehr aus, das ist der rechte Augenblick. Dann schnell eine Scene herbeigeführt – nun meine Gnädigste, wir wissen ja dergleichen zu arrangiren! – und wir sind den Burschen los – verlassen Sie sich darauf!«

Die beiden Gatten tauschten abermals Blicke freudiger Ueberraschung, in die sich aber diesmal auch ein leiser Zweifel mischte.

»Ist das Spiel nicht etwas gewagt?« meinte der Präsident.

»Wer nicht wagt, nicht gewinnt,« sagte der Medicinal-Rath.

»Mein Bruder deutete heute morgen allerdings darauf hin, daß Wolfgang sich in seiner Stellung gerade nicht glücklich zu fühlen scheine.«

»Was ist da mit Fingern zu deuten, wo Alles mit Händen zu greifen ist!« sagte der kleine Mann eifrig, »der Obrist weiß viel mehr, als er zu sagen für gut hält. Denken Sie, daß Selma es verschmerzt hat, den Wolfgang ihren beiden Söhnen vorgezogen zu sehen? Sie sinnen – Selma so gut wie der Obrist – auf weiter nichts, als Wolfgang seine Stellung auf jede Weise zu verleiden. Denken Sie denn, es ist von ohngefähr, daß der Obrist Wolfgang gerade in Degenfeld's Bataillon gebracht hatte? es geschah mit der bestimmten Absicht, Wolfgang dadurch in dienstliche Ungelegenheiten zu verwickeln, ihn von vornherein in eine falsche Position zu bringen, mit den anderen Kameraden zu verfeinden und so weiter. O, ich sage Ihnen: der Obrist denkt weiter, als Sie sich vorstellen. Er würde sein Ziel, Wolfgang zum Abschied zu zwingen, auch noch viel energischer verfolgen, wenn er nicht fürchtete, den Alten tödtlich zu beleidigen und schließlich doch nur für Sie, respective für Camilla zu arbeiten. Deshalb dürfen Sie ihm nicht alle Hoffnung rauben, Sie müssen ihm die Möglichkeit, Kuno könne doch noch einmal Camilla's Gatte werden, immer im Hintergrunde zeigen, und Sie sollen Ihre Freude daran haben, wie herrlich Ihnen der gute Obrist in die Hände arbeitet.«

» Cher ami, Sie sind ein feiner Kopf,« sagte der Präsident mit aufrichtiger Bewunderung.

»Finden Sie?« sagte der kleine Mann wohlgefällig. Er schlug die letzten Tabakskörner von der Manchette, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, schlug die dürren Beinchen übereinander und blickte die Gatten mit einem triumphirenden Zwinkern seiner grauen stechenden Augen an. »Ich will Ihnen auch noch mehr sagen. Der Alte ist bereits nicht mehr so gut auf Wolfgang zu sprechen, als er es vor einem Jahre war. ›Der Junge kostet mich ein Teufelsgeld!‹ das hat er selbst zu mir gesagt, als ich das letzte Mal draußen war. Nun, meine Herrschaften, das Geld geht durch die Hände des Stadtraths! Sie können sich also wohl denken, wo der größere Theil bleibt.«

»Aber,« sagte der Präsident, »ich war der Meinung, daß Arthur's Angelegenheiten in letzterer Zeit sich bedeutend gebessert hätten; Sie deuteten schon vor einem Jahre an, daß er am Banquerut stehe, und Sie sehen: er hat sich ganz gut herausgerissen.«

»Weiß der Himmel, wie er es fertig gebracht hat,« sagte der Medicinalrath; »er stand am Banquerut; ich weiß es mit vollster Bestimmtheit. Es ist möglich, daß ihn der Alte unterstützt hat, obgleich es mir kaum glaublich scheint, daß er funfzehn oder zwanzigtausend Thaler – und weniger hätte dem Stadtrath schwerlich geholfen – daran gewandt haben sollte. Ich gab ihm damals noch ein Jahr; die Zeit ist bald um, fällt er diesmal, so haben wir doppelt leichtes Spiel; mit banqueruten Verwandten braucht man nicht so viel Umstände zu machen.«

»Der arme Teufel,« sagte der Präsident achselzuckend; »es sollte mir doch leid thun, wenn es bis zum Aeußersten mit ihm käme. Er sah heute Morgen wirklich recht jämmerlich aus.«

»Aber, lieber Präsident,« sagte der Medicinalrath, »ich begreife Sie nicht! Wenn Sie wirklich ein Tendre für Ihren Herrn Bruder haben – was ich übrigens heute zum ersten Male bemerke – so können Sie ihm doch nur gratuliren, daß er diese ewig kränkelnde, grämelnde, larmoyante Frau los ist! Ich hab' es schon vor einem Vierteljahr gesagt, daß sie nicht zu retten sei. Aus Dank für meine Aufrichtigkeit hat man mir nebenbei den Demokraten, den Dr. Brand, vorgezogen – ich werde dem Herrn Stadtrath diese Effronterie auch nicht so leicht vergessen.«

» Retournons à nos moutons, – cher ami!« sagte die Präsidentin; »Sie haben uns noch Eines nicht gesagt und doch sind Sie heute von so entzückender Ausgiebigkeit, daß ich überzeugt bin, Sie werden uns auch dies Eine sagen können. – Wenn wir Willamowsky mit Aurelien abfinden und Wolfgang fallen lassen – was, oder vielmehr wer bleibt uns dann für Camilla? Wenn Sie uns einen Schwiegersohn nehmen, haben Sie auch die Pflicht, uns einen andern dafür wieder zu schaffen.«

Der Medicinalrath von Schnepper schlug die Beinchen aus einander, streckte dieselben von sich, lehnte sich noch tiefer in seinen Stuhl zurück, ließ die goldene Dose zwischen Zeigefinger und Daumen der linken Hand spielen, warf einen wohlgefälligen Blick in den ihm gegenüber stehenden Trümeau und sagte mit eigenthümlichem Lächeln: »Wie gefalle ich Ihnen, meine Gnädigste?«

» Mais, très-bien, cher ami,« sagte die Präsidentin, welche die Frage wörtlich und in Folge dessen ihre Lorgnette vor das Auge nahm.

»Nicht wahr!« fuhr der kleine Mann in demselben Tone fort: »ein wohl conservirter Sechsziger, mit einem. Privatvermögen von einer viertel Million und einem baaren Einkommen aus seiner Praxis von ungefähr zehntausend Thalern, d. h. mit einer Revenue, wie unser Premier-Minister; ein Mann, dessen Verdienste um den Staat und das Herrscherhaus der Monarch mit der höchsten Ehre, die er zu verleihen im Stande ist, ganz kürzlich anzuerkennen geruht hat; ein Mann, der, wer weiß es? bei einer theilweis neuen Combination des Ministeriums, die ich für unbedingt nöthig halte, das Portefeuille eines gewissen Herrn, der sich schon vollständig abgenutzt hat, übernehmen wird – ich glaube ganz gern, meine liebe gnädige Freundin, daß Ihnen ein solcher Mann als Schwiegersohn gar nicht ungelegen käme.«

»Ha, ha, ha!« lachte Clotilde, »Sie sind heute in einer entzückenden Laune, mon ami! wirklich entzückend!« Und die corpulente Dame warf sich in ihre Sopha-Ecke zurück und lachte so, daß Joli, der zwischen diesem überlauten Lachen, das ihn so grausam aus seinem süßen Vormittagsschlaf weckte, und der Person des ihm sehr verhaßten Medicinalraths eine Verbindung wittern mußte, von seinem Stuhle sprang und dem kleinen Mann nach den dürren Beinchen fuhr.

»Abscheuliches Thier!« sagte der Medicinalrath, und schlug mit seinem rothseidenen Taschentuch ärgerlich nach dem Angreifer.

Joli ließ sich eine so herrliche Gelegenheit, seinem Gegner zu schaden, natürlich nicht entgehen. Er schlug seine scharfen Zähnchen in einen Zipfel des Taschentuches und stemmte sich, so sehr er konnte, auf seine vier Beine, während der Medicinalrath an der andern Seite zerrte.

»Ich sterbe, ich sterbe!« rief die Präsidentin, die vor Lachen schier ersticken wollte.

»Ich wollte, Sie befreiten mich lieber von dieser Bestie!« rief Herr von Schnepper mit einem keineswegs freundlichen Blick seiner stechenden Augen auf die lachlustige Freundin.

»Ruf das Thier ab, meine Liebe!« sagte der Präsident, dem die Wendung, welche die Scene genommen hatte, keineswegs gefiel.

Wer weiß, zu welchen unangenehmen Auftritten es noch zwischen den Freunden gekommen wäre, da die Präsidentin nicht aufhörte zu lachen und Herr von Schnepper immer zorniger wurde, wenn Joli nicht durch den Eintritt eines seiner speciellen Freunde auf andere Gedanken gebracht worden wäre.

Der neue Ankömmling war der Assessor von Wyse. Der junge Mann war so gegen seine sonstige Gewohnheit, sich durch nichts aus seiner blasirten Ruhe bringen zu lassen, verstört und aufgeregt, daß sämmtliche Anwesende wie aus einem Munde riefen:

»Was giebt's, Herr von Wyse!«

»Eine wunderliche Neuigkeit,« sagte von Wyse, sich erschöpft in einen Stuhl sinken lassend, »die unglaublich klingen würde, wenn ich sie nicht aus der besten Quelle hätte.«

»Aber, mon Dieu, Sie tödten mich!« rief die Präsidentin.

»Ich bitte Sie, reden Sie, Wyse!« sagte der Präsident.

»Die Sache ist –« sagte Herr von Wyse in augenscheinlich nicht geringer Verlegenheit, »aber, ich muß Sie dringend bitten, den Ueberbringer der Nachricht den Schmerz, den Ihnen dieselbe ohne Zweifel verursachen wird, nicht entgelten zu lassen – die Sache ist, daß die alte Excellenz von Rheinfelden heute Morgen auf Requisition des Oberstaatsanwalts in seinem Schlosse verhaftet und unter Eskorte hierher in Untersuchungshaft geführt ist.«

Des Präsidenten bleiches Gesicht war noch um einige Töne bleicher geworden; die Präsidentin war augenscheinlich einer Ohnmacht nahe; Herr von Schnepper schaute mit einem gewissen Wohlbehagen, auf die Zerschmetterten.

»Aber, wie ist dies möglich, Wyse? und von wem haben Sie es?« stammelte der Präsident.

»Von meinem, Bruder, dem Referendar,« sagte von Wyse, »er hat selbst das Protocoll des ersten Verhörs aufgenommen.«

»Und um Himmelswillen, lieber Wyse, um was handelt es sich denn?«

»Mein Bruder konnte und wollte sich natürlich darüber nicht auslassen,« sagte der Assessor mit einem bezeichnenden Blick nach der Präsidentin, die wie erstarrt mit weit geöffneten Augen und Munde in der Sopha-Ecke saß.

»Ich glaube, liebe Clotilde, Du thätest besser, Dich nebenan ein wenig zu erholen,« sagte der Präsident, indem er seiner Gemahlin, deren schwache Willenskraft durch den Schreck vollkommen aufgelöst war, den Arm bot und sie in das nächste Zimmer führte. Dann kam er schnell zurück, faßte den Assessor heftig am Arm und sagte mit leiser und heiserer Stimme: »Um Gotteswillen, Wyse, Sie wissen es? was ist's?«

»Wenn Sie es doch wissen wollen, Herr Präsident: gegen den General ist von seiner Haushälterin eine Denunciation wegen Mord, verübt an einem seiner Diener, vor, ich glaube acht oder zehn Jahren, eingebracht worden, und wie dem auch sein mag, der Oberstaatsanwalt hat sich genöthigt gesehen, die Verhaftung anzuordnen. Natürlich leugnet der General Alles, aber mein Bruder sagte mir: der alte Herr habe erbärmlich ausgesehen, und er selbst habe die Empfindung gehabt, daß die Sache einen unangenehmen Ausgang nehmen werde.«

Der Präsident ließ sich in einen Stuhl sinken und stützte die hohe schmale Stirn in die Hand.

»Glauben Sie, Wyse, daß es mir möglich sein wird, den alten Herrn zu sprechen?«

»Ich glaube kaum, Herr Präsident, Sie wissen, die –«

»Ich weiß, ich weiß, aber man macht schon einmal eine Ausnahme; gehen Sie, Wyse! erkundigen Sie sich, Sie haben durch Ihren Herrn Bruder gewiß viele Konnexionen in den betreffenden Kreisen! thun Sie, was Sie können, Sie werden mich dadurch auf das Aeußerste verbinden.«

»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Herr Präsident,« sagte von Wyse, indem er sich vor den Herren anmuthig verbeugte und von Joli's freundschaftlichem Bellen begleitet zur Thür hinaus ging.

»Was sagen Sie, lieber Freund! was sagen Sie!« rief der Präsident, dem Medicinalrath mit angstvollen Augen anblickend.

»Daß ich die Sache für äußerst wahrscheinlich halte,« erwiderte der Medicinalrath, eine Prise nehmend. »Wahrscheinlich? aber Sie wollen mich tödten! Es wäre das Schrecklichste, was mir passiren könnte. Ich bitte Sie, Schnepper, einen Mörder in unserer Familie! nein – der Chef unserer Familie ein Mörder! Die Sache würde das fürchterlichste Aufsehen machen. Denken Sie doch an den Skandal, als der Herzog von Praslin! … und nun ganz kürzlich der Mord der Gräfin Görlitz! … Freund, ich bin außer mir! Man wird, man muß uns fallen lassen – ein solcher Skandal compromittirt alle Verwandten irréparablement bis in's zehnte und zwölfte Glied! Ich wäre verloren, geradezu verloren, und das jetzt, jetzt, wo ich mehr Chancen, Oberpräsident oder gar Minister zu werden habe, als je zuvor.«

Herr von Schnepper zuckte die Achseln. »Es ist ein böser Fall,« sagte er und streckte die Hand nach Hut und Stock aus, die neben ihm auf einem Sessel lagen.

»Aber, großer Gott, College, Freund! Sie wollen mich doch nicht verlassen? In dieser Noth nicht verlassen!« rief der Präsident, den kleinen Mann ängstlich in den Fauteuil wieder zurückdrängend.

»Ich weiß keinen Rath, sagte der Medicinalrath verdrießlich; »absolut keinen Rath!« Der Präsident ging, die Hände auf dem Rücken, mit langen Schritten in dem Gemache auf und ab.

»Aber es ist ja nicht möglich!« sagte er, wieder vor dem Medicinalrath stehen bleibend, »man kann den Chef einer Familie, wie die unsrige, die ihren Stammbaum bis in das vierzehnte Jahrhundert zurückführt, nicht auf die Denunciation eines gemeinen Weibes hin verurtheilen. Der alte Herr muß ja die Sympathie der Richter, der Geschworenen, aller Welt für sich haben.«

»Sie dürften sich gerade in dem letzteren Punkte irren, Werthgeschätzter,« sagte der Medicinalrath; »der Ruf, in welchem der General steht, ist bekanntlich nicht der beste, und dann vergessen Sie einen hochwichtigen Punkt. Der General ist Protestant, und seine Richter, seine Geschworenen werden dem größeren Theil nach Katholiken sein. Unser protestantischer Beamten- und Militairadel aus den östlichen Provinzen steht bei dem gemeinen Mann und auch sonst bei den Lokalpatrioten in keineswegs gutem Geruch. Ich halte es gar nicht für unmöglich, daß, selbst im Falle die Sache schwer zu erweisen sein sollte, sich die Meinung im Publikum gegen den General erklärt, und Sie wissen, das influencirt immer auf die Richter, und vor allem auf die Geschworenen. Dazu kommt, daß der Oberprocurator ein Ultramontaner vom reinsten Wasser und ein Abkömmling des alten eingesessenen Adels ist, also in seiner Person zwei Eigenschaften vereinigt, welche es ihm sehr süß erscheinen lassen werden, einmal an einem dieser Eindringlinge, die ihnen immer die besten Stellen wegschnappen, ein Exempel zu statuiren. Sie werden mir zutrauen, daß ich, der ich selbst Katholik bin und aus einem alten Patriciergeschlecht stamme, diese Verhältnisse einigermaßen beurtheilen kann, wenn ich auch als Politiker den Schwerpunkt nicht hier in Rheinstadt, sondern in der Residenz suche, und auch sonst die engen Schuhe des Localpatriotismus gründlich ausgetreten zu haben glaube.«

»Aber, mein Gott, bester, theuerster Freund,« sagte der Präsident, dem kleinen Mann, der jetzt aufgestanden war und Hut und Stock bereits in der Hand hatte, am Rockknopf festhaltend; »gerade als Katholik, als ein specieller Freund des Staatsprocurators müssen Sie ja etwas für mich thun können.«

»Nun,« sagte der Medicinalrath, den goldenen Knopf seines Stockes an die dünnen Lippen legend; »in den von Ihnen genannten beiden Eigenschaften würde mein Einfluß wohl sehr irrelevant sein, indessen – vielleicht mein sächliches Gutachten über den Befund der Leiche, wenn es ja so weit kommen sollte –«

»Liebster, Himmlischer,« rief der Präsident, den kleinen Mann umarmend; »Sie sind unser Retter, unser guter Engel! Befehlen Sie über mich! meine Dankbarkeit würde grenzenlos sein.«

»Wirklich?« sagte der Medicinalrath mit einem ironischen Lächeln; »aber, ich kann keine Secunde länger bleiben. Leben Sie wohl, Werthester, und nehmen Sie ein Brausepulver; Sie sind fieberhaft aufgeregt.«

Herr von Schnepper hatte die Thür fast erreicht, als der Präsident, der in tiefem Nachdenken stehen geblieben war, sich vor den Kopf schlug und rief:

»Schnepper, auf ein Wort!«

»Was beliebt?«

»War denn das vorhin Ihr Ernst mit – hm – mit Camilla?«

»Aber Werthester, Sie werden doch Scherz verstehen!« sagte der Andre mit einem süßlichen Grinsen; »leben Sie wohl!«

Der Präsident sah mit starren Blicken nach der Thür, durch welche der Medicinalrath verschwunden war.

»Hm, hm! murmelte er; »steht die Sache so? Es wäre freilich ein eigenes Ding, gewissermaßen ridicül, unschicklich; indessen – es käme auf das Mädchen an – sie ist anders, wie sonst die Backfische sind – man müßte einmal hinfühlen – lieber Alles, als daß der Alte – hm, hm.«



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