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45.

M ünzer's Voraussagung ging in Erfüllung. Man hatte den Herrn aus Mainstadt, Herrn von Degenfeld und fünf oder sechs andre, die noch an demselben Morgen verhaftet waren, schon am folgenden Tage wieder entlassen, da die zu gleicher Zeit angestellten Haussuchungen wohl nicht nach Wunsch ausgefallen waren. Auch in Münzer's Wohnung hatte man während seiner Abwesenheit nach hochverrätherischen Papieren geforscht, aber so gar nichts, aus dem man beim besten Willen etwas hätte machen können, gefunden, daß man es schließlich für zweckmäßiger erachtete, den gefürchteten Demokraten nicht weiter zu belästigen. »Die Katze Reaction hat uns revolutionaire Mäuschen vorläufig noch einmal laufen lassen,« sagte Münzer am folgenden Tage zu Herrn von Degenfeld; »wir sind ihr noch nicht fett genug; aber wenn wir noch lange, wie bisher, auf unsern Lorbeeren ausruhen, wird uns die Trägheit wohl bald das nöthige Enbonpoint geben. Ich möchte verzweifeln, wenn ich sehen muß, wie unsre Sache Tag für Tag an Terrain verliert, ohne daß wir Hand oder Fuß regen, den Feind zurückzutreiben.«

»Was hülfe das, lieber Doctor?« erwiderte Herr von Degenfeld; »so lange wir nicht die Macht haben, den Feind mit dem ersten Angriff über den Haufen zu werfen? In der Politik entscheidet der Erfolg. Ein erfolgloser Angriff ist schlimmer als kein Angriff, denn er belehrt den Feind zugleich über seine Stärke und unsre Schwäche. Die Stütze der Reaction ist die Armee. Diese Stütze ist noch ungebrochen. Es ist schlimm genug, daß die Demokratie, als im März die Macht in ihre Hand gegeben war, keinen besseren Gebrauch von ihrer günstigen Situation gemacht, die reactionairen Officiere entfernt, die übrigen auf die Verfassung vereidigt und das ganze Heer, vom General bis zum jüngsten Rekruten demokratisirt hat – aber das Unglück dieser schweren Unterlassungssünde ist einmal geschehen. Was wollen Sie dagegen machen? Ihre paar versteckten Bürgerwehrflinten thun es nicht. Die Revolution muß da stattfinden, wo der Schwerpunkt der Gewalt liegt. In einem despotischen Staate, wo die Politik von dem Herrscher durch die Camarilla gemacht wird, fällt dieser Schwerpunkt in den Palast, und eine Palastrevolution ist dort die naturgemäße Krisis; bei uns fällt der Schwerpunkt in die Armee und uns kann daher nur eine Revolution retten, die in der Armee selbst ihren Ausgang nimmt.«

»Sie sprechen als Soldat, Herr von Degenfeld, und als solcher überschätzen Sie, meiner Meinung nach, das Gewicht, welches Ihr Stand in die Waagschale der politischen Entscheidung wirft.«

»Ich fürchte, die Zeit wird mir nur zu sehr Recht geben;« erwiderte Herr von Degenfeld achselzuckend.

»Und wie denken Sie sich eine solche Militairrevolution?« fragte Münzer.

»Ich denke sie mir nicht von der Masse ausgehend, von der ich überhaupt in keinem Falle die Initiative erwarte, sondern von einer einzigen bedeutenden Persönlichkeit. Die Armee ist das, was sie ist, nur durch das Bewußtsein der Macht, hervorgebracht durch die Gemeinsamkeit, die Solidarität der Interessen, die Gleichstellung in Reih und Glied, die Kameradschaft. Dies Bewußtsein schmeichelt selbst dem gemeinen Mann und dem vor allem. Er weiß, daß er, so lange er den bunten Rock noch nicht trug, ein Lump war, der – als Handwerksbursch, als Arbeiter, als Tagelöhner – von Allen gehudelt wurde und vor jedem schnurrbärtigen Gensd'armengesicht zittern mußte; er weiß, daß, wenn er den bunten Rock auszieht, er in dieselbe abhängige, demüthigende Stellung zurücktritt. Als Soldat kann er auftreten, wie ein Mann, denn er weiß, daß, wenn er sich nur sonst im Dienst ›stramm‹ hält, wie der Kunstausdruck ist, ihm Keiner sonst ein Haar krümmen kann, ja daß es ihm als eine Ehrlosigkeit ausgelegt wird, wenn er eine Beleidigung, oder gar einen thätlichen Angriff nicht auf der Stelle, wo möglich mit blanker Waffe, zurückweist. Für diese Wohlthat, ihm zu einer Position im Leben verholfen zu haben, ist er dem Institute dankbar, so drückend auch immer die Anforderungen des Dienstes auf ihm lasten mögen. Er flucht auf die ›verdammten Scheerereien,‹ und läßt sie sich doch aus dem angeführten Grunde gern gefallen. Darum machen auch Eure Sirenenlieder von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit keinen Eindruck auf ihn. Er weiß, daß er bei aller Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit es nicht weiter als bis zum Proletarier bringen kann, und wenn seine Einsicht auch so weit reicht, ihm klar zu machen, daß er auch jetzt nicht mehr und nicht weniger ist, so zieht er doch den Proletarier im Waffenrock dem Proletarier in der Blouse vor, denn jener ist – als Glied eines Ganzen wenigstens – etwas, dieser aber ist nichts.«

»Und die Consequenzen, die Sie aus diesen, wie ich glaube, richtigen Sätzen ziehen?«

»Ich wollte nur so viel sagen, daß man den Soldaten nicht dadurch zu gewinnen hoffen darf, wenn man ihm das Bewußtsein dessen zu schmälern und gar zu rauben sucht, was sein Stolz, der einzige Halt in seinem öden Leben ist: das Bewußtsein der auf der Gemeinsamkeit beruhenden Macht. Im Gegentheil: Man muß dieses Gefühl in ihm erhöhen, wenn man auf seine Dankbarkeit, auf seinen thatkräftigen Beistand rechnen will. Das kann aber nur, das vermag aber nur – und hier komme ich zum springenden Punkt der ganzen Frage – ein Mann, der in sich, in seiner Person, das Soldatenthum repräsentirt – mit einem Worte: ein glücklicher Feldherr. Er kann mit der Armee machen, was er will; er kann sie gegen die Freiheit oder für die Freiheit in den Kampf führen. Sie wird ihm hierhin und dorthin willig folgen, denn die Seele der Armee ist wie eine leere Tafel; der, welcher stark genug ist, diese Tafel mit der einen mächtigen Hand zu halten, kann sie mit der andern beschreiben, wie er will.«

»Ich fürchte: ein solcher Mann dürfte sich schwer finden lassen,« sagte Münzer.

»Ohne Zweifel,« erwiderte von Degenfeld; und doch muß er meiner Meinung nach gefunden werden, wenn wir aus der Misère unsrer Zustände heraus kommen sollen.«

»Und wenn der Mann die Macht, die er vielleicht im ersten Augenblick mit reinen Händen und reinem Herzen entgegennahm, hernach gegen die Freiheit wendet, wie die Geschichte an so vielen Beispielen zeigt?«

»So müssen wir durch den Imperialismus hindurch, der für uns vielköpfige Deutsche, schon der Abwechselung wegen, auch gerade kein Unglück ist.«

»Aber die Armee ist nicht unüberwindlich,« rief Münzer, »der achtzehnte März hat es bewiesen.«

»Der achtzehnte März hat in meinen Augen nichts bewiesen,« erwiderte von Degenfeld, »als nur die Kopflosigkeit der Führer auf Seiten des – Militairs. Nein, nein, lieber Doctor! Das Volk in Waffen wird immer stärker sein, als das waffenlose Volk. Wenn Sie das Volk in Waffen erst entwaffnen müssen, um Ihre Ideen durchzuführen, wenn Sie nicht vielmehr diese Waffen für Ihre Zwecke verwerthen können, so geben Sie in Gottes Namen die Sache auf, denn es wird in Ewigkeit nichts daraus.«

»In Ewigkeit wohl,« sagte Münzer; »denn die stille Kraft der Zeit zerreibt zuletzt Basaltgebirge, warum nicht auch Armeen; aber nur in der Zeitlichkeit nicht, zum wenigsten nicht zu meiner Zeit. Ach, Herr von Degenfeld: es ist ein hartes Loos, immerdar den Stein des Sisyphus rollen zu müssen.«

»Muth, lieber Freund, Muth!« rief Herr von Degenfeld; »wenn Sie den Kopf hängen lassen wollen, der Sie für Weib und Kinder kämpfen, dem jeder gute Schwerthieb mit einem liebevollen Lächeln, oder mit einer schönen Hoffnung bezahlt wird – woher soll ich denn den Muth nehmen – ich einsamer Schuhu, der Niemanden auf der weiten Welt hat, für den er ringen und kämpfen könnte und möchte! Geben Sie mir ein Weib zu lieben und ich will – nein! prahlen will ich nicht; ich habe seit einiger Zeit graue Haare in ungewöhnlicher Zahl auf meinem Kopfe bemerkt.«

»Ein Weib zu lieben,« wiederholte Münzer, und seine Augen nahmen einen eigenthümlich starren Ausdruck an, den sie in letzter Zeit öfter gezeigt hatten; »zu lieben von ganzer Seele und von diesem Weibe wieder geliebt werden, – nun, diesen Traum hat am Ende Jeder von uns einmal gehabt – und verloren.«

»Wie meinen Sie?« fragte Herr von Degenfeld überrascht.

»Ich meine: unsre Ideale sind Eines und das reale Leben ist ein Anderes und wer das Eine mit dem Andern reimt, der soll – ein glücklicher Mann sein. Leben Sie wohl!«

»Ich glaube gar, ich habe da eine wunde Stelle in dem Herzen dieses Mannes berührt,« sprach Herr von Degenfeld bei sich; das würde mir Manches bei dem seltsamen Menschen erklären; ich muß doch einmal Wolfgang fragen; er kennt ihn ja seit langen Jahren.«

Wolfgang hatte, gleich nach seiner Zurückkunft, die mit der Münzer's ungefähr zusammenfiel, die Bekanntschaft der beiden Männer vermittelt. Sie hatten sich sehr schnell gefunden, da sie in ihrem geistigen Wesen so manches Gemeinsame hatten. Beide waren sie Idealisten, Beide waren sie, bei dem entschiedensten Drange, für das Gemeinwohl zu wirken, vielleicht keine im eigentlichen Sinne praktischen Politiker; Beide hatten sie den zähen, unbeugsamen, leicht verletzlichen Stolz einer ausgeprägten Individualität, der sich so schwer mit jener liebreichen Nachsicht gegen die Schwächen des Nächsten vereinigt, ohne welche eine volle Wirksamkeit im Geiste der Nächstenliebe schwer, wenn nicht unmöglich ist. Dazu kam, daß Beide durch die traurigen Erfahrungen der letzten Zeit sehr verstimmt waren. Münzer kam eben aus einer Versammlung, von der er so viel erwartet hatte und in deren endlichem kläglichen Geschick er nur die gerechte Strafe ihrer Zerfahrenheit und Schwäche sehen konnte; Degenfeld war vor wenigen Tagen ein Opfer jenes militairischen Kastengeistes geworden, der, wie Münzer sagte, sein mumienhaftes Dasein nur dadurch fristen kann, daß er jedem frischen Hauch der Wissenschaft und des Lebens den Eintritt verwehrt. Beide trafen in dem Pessimismus zusammen, welcher sich hochsinniger Menschen in dem verzweifelten Kampf gegen Dummheit, Stumpfsinn und Schlechtigkeit so leicht bemächtigt. Indessen war es Herrn von Degenfeld schon so vorgekommen, als ob Münzer's Trübsinn, der sich öfters zur tiefsten Schwermuth steigerte, seine Nahrung noch aus andern, als nur politischen Ursachen ziehen müsse. Besonders auffallend war ihm dies kurz nach Münzer's Rückkehr von Rheineck gewesen und Herr von Degenfeld nahm deshalb die erste Gelegenheit, die sich bot, wahr, um Wolfgang zu bitten, ihm einige Details über Münzer's Privatleben mitzutheilen. Wolfgang hatte wenig zu erzählen. Er war selten in Münzer's Familie gewesen; die Kinder waren sehr hübsch und zutraulich; von Clärchen wußte er nur zu sagen, daß sie einen angenehmen Eindruck auf ihn gemacht habe, doch habe er immer das Gefühl gehabt, als ob die stille bescheidene Frau dem Freunde nicht genügen könne, oder nicht genüge. Münzer habe nie über seine Familienverhältnisse gesprochen, so sei es ihm (Wolfgang) immer vorgekommen, als ob der Freund gar nicht verheirathet sei. In diesem Augenblicke sei Frau Münzer mit den Kindern bei einem alten Onkel, einem katholischen Pfarrer, irgendwo auf dem Lande in einem Dorfe, dessen Name ihm nicht gleich beifalle.

Wolfgang war sehr zerstreut, während er so Herrn von Degenfeld's Neugierde mehr reizte als befriedigte. In der That war er in diesem Augenblicke ganz und gar mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt.

»Helfen Sie mir, rathen Sie mir,« rief er, indem er von dem Sopha, auf welchem er bis dahin neben Herrn von Degenfeld gesessen hatte, aufsprang und mit ungeduldigen Schritten im Zimmer hin und her ging; »ich kann diese traurige Rolle nicht weiter spielen. Sagen Sie mir, daß kein Mensch verpflichtet ist, zum Heuchler zu werden, daß Niemand, und wären es sie, die uns erzeugten, mehr von uns fordern kann, als unser Leben, wenn es sein muß, daß wir aber unter allen Verhältnissen unsere Ehre, unsere Ueberzeugung rein bewahren müssen vor jedem Makel – sagen Sie mir, was ich mir des Tages hundert Mal sage – und ich ziehe diesen Rock aus, der mich mehr peinigt, als das Kleid des Nessus den Herkules gepeinigt haben kann.«

»Sie sind außer sich, lieber Freund,« sagte Herr von Degenfeld; »Sie haben gewiß wieder einen Cardinalfehler beim Bataillonsexerciren gemacht, oder haben bei Catalini mit den Kameraden Domino spielen müssen.«

»Können Sie noch spotten!«

»Im Ernst, lieber Wolfgang! ich beantworte alle Ihre Fragen mit Ja und Nein, wie Sie sie auch beantworten, und dennoch muß ich bei meiner Ansicht, daß Sie Ihre Rolle vorläufig noch weiter spielen müssen, beharren. Sie dürfen die Chancen, die sich Ihnen geboten haben, nicht von der Hand weisen. Ihr Vater ist aus seiner kritischen Lage noch immer nicht befreit; er hat mir das gestern selbst gestanden; Ihre Mutter, dieser Engel von Frau, ist krank und bedarf der Schonung mehr als je; Ihr Großonkel kann nicht ewig leben und – ich gestehe ganz offen, daß ich Ihren Verwandten das große Vermögen nicht gönne. Und dann – was, wie Sie wissen, in meinen Augen die Hauptsache ist: Sie sind Ihrer Partei schuldig, daß Sie die Handhabe, die Sie einmal in der Hand haben, auch in der Hand behalten; Sie können uns ein gut Theil wichtiger werden, als Ihre Philosophie sich diesen Augenblick vielleicht träumen läßt, lieber Wolfgang.«

»Und ist das nun Ihr Ernst?«

»Mein vollkommener; Napoleon war, als er in Ihren Jahren war, auch nicht mehr als ein simpler Lieutenant.«

»Aber er war doch immer Napoleon.«

»Den brauchen wir gar nicht. Wir brauchen nur einen Mann mit etwas von dem militairischen Genie allerdings, das der Corse hatte und mit der ganzen heiligen Begeisterung für die Freiheit, die der nicht hatte. Wer sagt Ihnen, daß Sie nicht dieser Mann sind? Welchen Grund haben Sie, an sich zu verzweifeln? Haben Sie kein Talent? ich sage Ihnen: Sie haben Talent, denn Sie haben einen raschen Blick, ein schnelles und sicheres Urtheil und physischen Muth, ohne die Gefahr der Gefahr wegen zu suchen, und das sind die Ingredienzen des militairischen Talentes. Und was Ihre Jugend anbetrifft, so lebt man erstens in Tagen, wie die unsrigen sind, sehr schnell, und zweitens bin ich durchaus nicht Münzer's Ansicht, daß die Entscheidung dieses so höchst complicirten Processes schon morgen oder übermorgen eintreten wird. – Sie spielen jetzt eine traurige Rolle, sagen Sie. Wohl; ich gebe es zu: aber es ist ja auch eben nur eine Rolle. Was ich später von Ihnen verlange, das sollen Sie nicht spielen, das sollen Sie sein: der Retter Ihres Vaterlandes, der Held, der den tausendköpfigen Drachen, der jetzt die Prinzessin Freiheit in Fesseln hält, erschlägt, nein – in den Dienst der Prinzessin zwingt. Wolfgang, haben Sie keinen Ehrgeiz? oder ist das Ziel, das ich Ihnen zeige, nicht eines Manneslebens werth?«

»Aber – verzeihen Sie mir diese Frage! – weshalb haben Sie selbst nicht nach diesem Ziele gestrebt? oder vielmehr: warum haben sie die günstige Position, die Sie hatten, weggegeben, die Handhabe, die Sie hielten, losgelassen?«

»Weil ich – nun ja, mein junger Freund, Ihnen kann ich es sagen: weil ich in mir die Kraft nicht fühlte, der Heiland unserer Leiden zu werden; ich konnte mich nur opfern. Ich konnte nur einem Andern, der größer ist, als ich, den Weg bereiten; konnte nur rufen: thut Buße und bessert Euch! Ich weiß: ich habe manches noch nicht ganz verstockte Herz gerührt; ich habe in manchen, noch nicht ganz umnebelten Verstand einen Lichtstrahl geworfen: ich habe meine Pflicht gethan.«

Ein lebhafterer Glanz hatte bei diesen letzten Worten aus Degenfeld's großen sanften Augen geleuchtet; nun aber flog ein Schatten über sein ausdrucksvolles Gesicht und seine Stimme bebte, als er sagte:

»Soll ich deshalb leugnen, daß mir das Opfer sehr schwer geworden ist? daß der zähnefletschende Ingrimm, mit welchem man mich niedergehetzt hat, mich nicht empört? der gemeine Geifer, mit dem man mich besudelt hat, mich nicht anekelt? daß ich mehr als einmal auf dem Punkte gestanden habe, die Thorheit zu begehen, meinen Widersachern mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten? Ich leugne das Alles nicht, lieber Wolfgang, denn es ist nicht leicht ein wahreres Wort gesprochen, als daß nicht Alle, die ihrer Ketten spotten, frei sind. Bis jetzt bin ich noch Herr über meine Thorheit geworden und hoffe es auch künftig zu werden, wenn – doch lassen Sie uns davon abbrechen. Ich habe einen Auftrag für Sie – von der Partei.«

»Endlich,« sagte Wolfgang, »es kränkt mich längst schon, daß man mir kein größeres Vertrauen schenkt.«

»Sie sollten dafür dankbar sein, lieber Wolfgang. Man zweifelt weder an Ihrem guten Willen, noch an Ihrer Einsicht, noch an Ihrem Muth; aber man will Sie – auf meinen speziellen Wunsch – nicht in die schiefe Lage bringen, sich unnöthigerweise mit Geheimnissen schleppen zu müssen, die man Ihnen gelegentlich auf Ihr Ehrenwort abfordern kann. Wenn die Zeit zum Handeln kommt, wird das Alles mit einem Schlage anders werden; vorläufig handelt es sich nur um eine diplomatische Mission.«

»Und die bestände worin?«

»Sie wissen, daß Münzer, seit dem Eingehen des Volksboten und schon seitdem er nach der Residenz ging, mit Ihrem Onkel Schmitz, mit Dr. Holm und jener ganzen Partei so gut wie zerfallen ist. Ich halte das, wie die Sachen liegen, für ein großes Unglück; die Partei muß zusammenhalten, oder wir sind unrettbar verloren. Das habe ich von vornherein gesehen und mich bemüht, die entente cordiale wieder herzustellen; leider bis jetzt ohne Erfolg. Münzer ist ein starrer, eigenwilliger Charakter; Ihr Onkel Schmitz scheint nach Allem, was ich von ihm höre, von demselben Kaliber. Diese Charaktereigenthümlichkeit trennt sie mehr, als ihre Meinungsdifferenzen, die im Grunde gar nicht so bedeutend sind. Trotzdem ist es so weit gekommen, daß wir mit jenen Männern und ihrem höchst bedeutenden Anhang außer allem Connex sind. Da sollen Sie uns nun helfen, nicht durch directe Vermittelung, sondern vorläufig nur dadurch, daß Sie uns über die Stimmung in der Ufergasse Nachricht bringen. Sie können dabei natürlich ganz offen zu Werke gehen: eines Hinterhaltes bedarf es gar nicht. Wollen Sie uns den Gefallen thun?«

»Von Herzen gern;« sagte Wolfgang, »ich hatte heute so die Absicht, dem Onkel endlich einen Besuch zu machen. Endlich! nach unserm Rencontre auf der Wache, von dem ich Ihnen erzählte, sind schon wieder vier Wochen vergangen. Sie sehen, welch' thatkräftiger Mensch ich bin.«

»Fangen Sie auch schon an, auf sich zu schelten, Herr Lieutenant?« sagte Herr von Degenfeld lächelnd, indem er Wolfgang zur Thür geleitete. »Ueberlassen Sie das uns abgedankten Majors, wir haben mehr Ursache dazu. Adieu! Auf baldiges Wiedersehen!«



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