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34.

D er unglückliche Zufall jenes Abends, an welchem Münzer seinen Sohn dem gewissen Tode entriß, schien keine ernsteren Folgen haben zu sollen, als ein heftiges Fieber, von welchem der Knabe noch in derselben Nacht befallen wurde, und das der ärztlichen Kunst nur gewichen war, um einem quälenden Husten Platz zu machen, der dem armen Kinde bei Tag und Nacht keine Ruhe ließ – dem armen Kinde und natürlich auch nicht des armen Kindes Mutter, die mit dem Kranken in einem Zimmer schlief. Aber freilich war des Kleinen Krankheit wohl nicht der Grund, weshalb Clärchen so oft in stiller Nacht, wenn Alles schlief, in ihrem Bette saß – stundenlang, den Kopf in die Hand gestützt, mit düstern Augen in das Flämmchen der Nachtlampe starrend, oder auch wohl ihr Haupt in den Kissen verbarg, um ihr Weinen und Schluchzen zu ersticken. Der Eifersuchtsfunken, welchen Wilhelm Rupertus' unbedachte Aeußerung an jenem Abend in Clärchens Seele geworfen, war in kürzester Frist zur düstern Flamme aufgeloht, die der unglücklichen Frau Herz und Hirn verbrannte. Daß ihr Gatte sie nicht liebe, wie er ein Weib lieben könne, daß er an die Gefährtin seines Lebens höhere Ansprüche erheben dürfe, als welchen sie beim besten Willen zu genügen im Stande sei, daß er sich in Folge dessen an ihrer Seite nicht glücklich fühle – dies Alles waren Sätze, deren Richtigkeit das bescheidene Clärchen schon seit Jahren kaum noch einen Tag, kaum noch eine Minute lang bezweifelt hatte. Vergebens, daß Münzer sie oft das Gegentheil versicherte, zum wenigsten für seine Unzufriedenheit, seine bösen Launen andere Gründe: Verdrießlichkeiten im Geschäft, Mißmuth über die politischen Verhältnisse, Abspannung in Folge der übermäßigen Arbeit vorzubringen versucht hatte. Münzer log nicht, wenn er so sprach; Clärchen wußte das sehr wohl; aber sie wußte auch: daß ein Mann, – zumal ein Mann von der Energie Münzer's – auch ein noch schwereres Loos leicht erträgt, wenn er nach dem Kampf des Lebens – gleichviel, ob er als Sieger oder Besiegter heimkehrt – sein müdes Haupt an dem Busen eines Weibes zur Ruhe wiegen kann. Clärchen wußte noch mehr. Sie wußte, daß der Mann diese Ruhe nicht findet, wenn ihm die rechte Liebe fehlt, daß die rechte Liebe aber ohne wahre Achtung nicht möglich ist, daß man wahre Achtung aber nur vor einem Wesen empfindet, das man sich ebenbürtig weiß. Und ihrem Gatten ebenbürtig zu sein, wie hätte sie darauf Anspruch machen können, – sie, die sich in ihrer Bescheidenheit gerade in dem, worauf er den höchsten Werth legte, so tief unter ihm sah? Was hatte sie nicht gethan, um der Höhe, auf der er stand, nah und näher zu kommen! Mit welchem rastlosen Fleiß hatte sie die Lücken einer sehr mangelhaften wissenschaftlichen Bildung auszufüllen gesucht! wie viel Stunden hatte sie mit dem für eine Frau so trockenen Studium der Grammatik hingebracht, mit dem Auswendiglernen von Vokabeln, mit der mühseligen Lectüre von ihres Gatten französischen und englischen Lieblingsschriftstellern, wo sie im Anfang die Bedeutung jedes dritten Wortes im Lexikon aufsuchen mußte! Mit welchem brennenden Eifer hatte sie besonders in der letzten Zeit, wo die Politik Münzer mehr und mehr in Anspruch nahm, die Zeitungen verfolgt, sich aus historischen Schriften, aus nationalökonomischen Werken mit entsetzlich langen statistischen Tabellen über die Gegenstände, von welchen sie ihren Gatten mit Dr. Holm und Peter Schmitz so oft sprechen hörte, zu unterrichten gesucht! Aber das Alles ging so langsam! und das arme Clärchen hatte für ihre Studien so wenig Zeit! Wie oft beneidete sie die reiche Frau Rupertus, die sich ihrer Wirthschaftssorgen mit ein paar kurzen Befehlen an ihre zahlreiche Dienerschaft entledigen konnte, und dann den lieben laugen Tag für ihre harmlosen Liebhabereien, für ihre Blumen, ihre Musik, ihre Stickereien frei hatte. Clärchen hatte Niemandem Befehle zu geben, als einer Aufwärterin, welche die gröberen häuslichen Arbeiten verrichtete, denn auch nur einen beständigen Dienstboten zu halten, gestatteten Münzer's beschränkte Verhältnisse nicht. Da gab es denn in Küche, Keller und Kammer Arbeit die Hülle und Fülle, und wenn Clärchen die Nadel mit einer so wunderbaren Geschicklichkeit führte, daß Tante Bella es schier unbegreiflich fand, so hatte es der jungen Frau an der nöthigen Uebung zur Ausbildung dieser Kunst wahrlich nicht gefehlt. Dann, wenn die Kinder aus der Schule kamen, wollten und mußten sie doch auch etwas von der Mutter haben; sie wollten der Mutter ihre Erlebnisse erzählen, ihre kleinen Anliegen vortragen; sie mußten ihre Schulaufgaben unter den Augen der Mutter ausführen. Es wäre in der That nur zu verzeihlich gewesen, wenn Clärchen unter dem schweren Druck dieser mit der gewissenhaftesten Sorgfalt erfüllten Pflichten allen Ansprüchen auf eine höhere Geistescultur entsagt hätte, wie es unzählige Frauen unter vergleichungsweise viel günstigeren Verhältnissen thun zu dürfen glauben – und wenn sie dennoch unermüdlich vorwärts strebte, wenn sie sich dennoch im Lauf der Jahre eine zum Theil sehr gründliche Kenntniß von vielen Dingen verschafft hatte, die nicht wenigen sogenannten gebildeten Männern mehr oder weniger fremd sind, so war das ein Erfolg, der gewiß Anerkennung verdiente, und der vor allen ihren Gatten zur höchsten Bewunderung hätte hinreißen müssen. Aber Clärchen fand diese Anerkennung nicht; auch – worauf es zunächst ankam – bei ihrem Gatten nicht, und daran war sie allerdings, zum Theil wenigstens, selber schuld. Wie sie den Schatz ihrer Kenntnisse heimlich zusammengetragen hatte, so hielt sie ihn verborgen wie ein unrechtmäßiges, wie ein gestohlenes Gut. Sie folgte den Discussionen der Männer mit einer Aufmerksamkeit, mit einem Verständniß, die Niemand ahnte, und wenn sie ja einmal ein Wort mit hineinzureden wagte, so that sie es schüchtern und unbeholfen, und brach ab, sobald sie die Blicke der Anderen mit einem, wie sie glaubte, spöttischen Ausdruck auf sich gerichtet sah. Wohl kam in solchen Augenblicken ihrem Gatten eine Ahnung von dem reichen Leben, das unter dieser bescheidenen Hülle verborgen keimte und blühte; aber es waren das eben nur Momente. Feurig, geistreich und beredt, wie er es war, unterschätzte er bei weitem die »stille Kraft,« die Leopold Schefer in einem seiner schönsten Gedichte so herrlich feiert; es fiel ihm oft, wenn er seine Gattin mit solcher sichern Ruhe im Hause schalten sah, das Bild der stummen Psyche ein; aber daß diese stumme Psyche von Liebeslippen zur beredten Psyche wach geküßt werden könne – das glaubte er nicht, daran verzweifelte er, weil es ihm nicht mit dem ersten Kusse gelungen war.

So hatte Clärchen nie sich selber vertrauen, so hatte Münzer nie seiner Gattin vertrauen lernen, und so war es gekommen, daß Clärchen recht hatte, wenn sie annahm, daß Münzer sie nicht liebe, wie er ein Weib lieben könne, daß Münzer an ihrer Seite nicht vollkommen glücklich, ja, wie sie sich in trüben Stunden manchmal sagte: vollkommen unglücklich sei.

Bis zu dieser letzten Zeit aber hatte sie nie auch nur mit einem Gedanken gefürchtet, ihr Gatte liebe ein andres Weib. Wie sollte sie auch! wußte sie doch nur zu gut, wie das Leben ihres Mannes eine ununterbrochene Arbeit war; wie er von dem Schreibtisch zu Hause an den Schreibtisch in der Redaction, von der Redaction in den demokratischen Verein oder die Volksversammlung ging, und dann am Abend von dem Schreiben und Sprechen ermüdet und trotz der Ermüdung oft so schmerzlich aufgeregt nach Hause kam. Wußte sie doch, daß er trotz seines feurigen Temperaments und seines Dranges nach Mittheilung die Gesellschaft viel mehr mied als suchte, und daß in dem engen Umgangskreise, in welchem sie sich bewegten, kein weibliches Wesen war, das ihm auch nur das flüchtigste Interesse hätte abgewinnen können!

So war es gewesen bis ganz vor Kurzem, bis zu dem verhängnißvollen Abend in Rupertus' Villa. »Wie findet denn Ihr Gemahl die Gnädige? er ist ja ein Kenner!« – das Wort war wie eine fürchterliche Offenbarung für Clärchen gewesen. Sie kannte Antonie von Hohenstein nicht persönlich, aber sehr gut von Ansehen und leider auch durch das Gerücht, das von der schönen Frau frecher Libertinage sehr viel zu erzählen wußte. In dem Moment, als Rupertus ihren Gatten und jene Frau in einem Athem nannte, war es wie ein fahler Blitz durch ihre gramesdüstre Seele gefahren: so schön wie Antonie von Hohenstein muß das Weib sein, das Bernhard's Leidenschaft in lodernde Flammen zu setzen vermag. Und nun: Münzer, der ihr die Vorkommnisse seines Lebens stets erzählte – weil er Jemand haben muß, dem er sich mittheilen kann, nicht weil er dich seiner Mittheilungen für würdig hielte, oder deinen Rath und deine Meinung zu hören wünschte, dachte Clärchen oft – Münzer hatte ihr von dieser Begegnung, die von so merkwürdigen Umständen begleitet gewesen war, nichts gesagt – kein Wort, keine Andeutung. Er war an jenem Abend spät nach Hause gekommen, gegen die Gewohnheit still und verschlossen, und sein Auge und seine Stirn waren seit jenem Abend düster gewesen, wie noch nie. – Und während sie, in diesen selbstquälerischen Gedanken verloren, stumm und still zwischen den scherzenden und lachenden Freunden saß, schlug ihres Kindes Hülferuf an ihr Ohr, und als sie eine Minute später mit Herrn Rupertus zur Stelle war, sah sie ihr Kind, das sie todt glaubte, in den Armen ihres Gatten, der gleich darauf wie ein Todter zusammenbrach. Die Wiederbelebung der Ohnmächtigen, die Sorge um Carl hatte Clärchen gar nicht daran denken, gar nicht darnach fragen lassen, wie denn nur ihr Gatte auf das einsame Ufer gekommen, und als sie am nächsten Morgen daran dachte – da brauchte sie nicht mehr darnach zu fragen, denn sie wußte, daß er nur aus dem Garten der Frau von Hohenstein gekommen sein konnte. Aus dem Garten Antonien's von Hohenstein – aus dem Garten, von dem Rupertus unter Lachen behauptet hatte, daß er den Zwecken der galanten Dame ganz besonders günstig sei – aus dem stillen, verschwiegenen Garten, aus dessen dichten Boskets der Gesang der Nachtigallen so herrlich erschallt war, auf dessen üppigen Laubkronen der helle Mondenschein so zauberisch gelegen hatte! Clärchen stöhnte, während sie sich langsam, langsam den scharfen Stahl der Eifersucht mitleidslos in's Herz bohrte – dann aber raffte sie sich empor. Nein, nein! – nicht weinen! – nicht eine Thräne weinen um einen Mann, der sich weit genug wegwirft, eine notorische Buhlerin zu lieben, ein Weib, deren Lebensgeschichte in der chronique scandaleuse der vornehmen Gesellschaft der Stadt Bände füllte! nein, nein! nicht eine Thräne! – Aber auch nicht eine Stunde länger in seinem Hause bleiben, und wäre schon in der nächsten Nacht ein Graben an der Landstraße für sie und die Kinder das Bett und der Sternenhimmel die Decke. Für sie! aber für die Kinder? für ihre kleine süße Ella, für ihren armen Carl, der von Fieberschauern geschüttelt in seinem Bette lag und alle Augenblicke die Mama um Wasser, ach, nur einen Tropfen Wasser bat.

Clärchen mußte bleiben und sie blieb, ihre Pflicht thuend, unermüdlich nach wie vor, ohne an sich zu denken, oder doch wenigstens, ohne sich durch den Gedanken an ihr Leid von dem, was sie für ihre Pflicht hielt, auch nur um eines Haares Breite abbringen zu lassen. Die schlimme Stunde, wo sie von ihm, den sie viel mehr als ihr Leben geliebt hatte und vielleicht noch liebte, würde scheiden müssen, würde kommen – das wußte sie, das bestätigten ihr alle Beobachtungen der nächsten Tage, aber noch war die Stunde nicht gekommen; noch hatte sie nichts zu thun, als durch verdoppelte Aufmerksamkeit, Sanftmuth und Milde die Dämonen zu verscheuchen, die um ihres Gatten Haupt die düsteren Flügel schlugen und das helle Auge seines Geistes verfinsterten. Sie sah, mit welcher Anstrengung er seine Aufgaben bewältigte, wie er sich zur Arbeit zwingen mußte, wie sehr seine sonst so stolze Kraft geschwächt war! Und doch brauchte er diese Kraft gerade jetzt mehr denn je. Das Ziel, auf das Münzer mit solcher Energie seit so langer Zeit hingestrebt hatte, war noch nicht erreicht, und doch mußte er es erreichen, um seinetwillen, um seiner Partei willen. Er durfte in dem so heiß entbrannten Wahlkampf nicht unterliegen; und je näher die Entscheidung des Kampfes kam, desto kräftiger rafften sich die Gegner auf, desto schwieriger wurde es, die so schon in ihrem Grunde erschütterte Partei zusammenzuhalten. Eine furchtbare Arbeitslast lag auf Münzer's Schultern; seine bleiche Stirn, seine matten eingesunkenen Augen, seine schlaffen Wangen, selbst der tiefer und rauher gewordene Ton seiner Stimme zeugten davon. Sollte sie, die seit dem ersten Tag, wo ihr Auge ihn erblickte, nur für ihn gelebt hatte, jetzt, gerade jetzt ihn verlassen? seine Bürde noch schwerer machen? – denn, daß er sich nicht fühllos, nicht ohne Kampf und nicht ohne Schmerz von ihr trennen würde, das sagte ihr eine Stimme, die ihr so oft zugeraunt hatte und selbst jetzt noch zuraunte: er liebt Dich doch, trotz alledem, genug wenigstens, um mit Dir leiden zu können, wenn Du die Wunde aufdeckst, an der Du verblutest.

Wie sie das Leben weiter leben sollte – Clärchen wußte es nicht; sie dachte auch kaum an die Zukunft, sie wußte nur, daß sie so nicht weiter leben könne.

In den ersten Tagen war es für die unglückliche Frau eine Linderung ihrer Qualen gewesen, sich einzureden, daß sie sich irre, daß Alles nur ein böser Traum, eine hypochondrische Grille von ihr sei. Aber auch dieser schwache Trost sollte ihr bald geraubt werden.

Am dritten Tage, als Bernhard eben das Haus verlassen hatte, um auf die Redaction zu gehen, wurde ihr durch die Stadtpost ein Brief von unbekannter, offenbar verstellter Hand gebracht. Der Brief war »ein Ehrenmann« unterschrieben. Der Ehrenmann hielt es für seine Pflicht, Frau Münzer auf ein schon seit längerer Zeit bestehendes Verhältniß zwischen ihrem Gatten und Frau Antonie von Hohenstein aufmerksam zu machen, umsomehr, als dieses Verhältniß bereits den Charakter eines stadtkundigen Skandals angenommen habe. Nebenbei schien der Ehrenmann die Absicht gehabt zu haben, auf jede Weise das Gefühl der unglücklichen Frau zu kränken, indem er ein langes Register galanter Abenteuer aus dem Leben Antonien's aufführte und mit der Versicherung schloß: »daß er für diesmal allerdings nur das Mittheilbare mitgetheilt habe, daß er aber nächstens mit einigen, besonders kostbaren Details aufwarten werde.«

Wenn der Präsident von Hohenstein, als er in hellem Zorn über Antonien's entschiedene Weigerung, seinen politischen Intriguen ein williges Werkzeug zu sein, seinem Kammerdiener Jean diesen Brief in die Feder dictirte, gehofft hatte, einen öffentlichen Bruch zwischen Münzer und seiner Gattin hervorzurufen, und so den verhaßten Gegner in den Augen des Publicums moralisch zu vernichten, so hatte er sich gröblich verrechnet.

Clärchen hatte diesen Brief, bevor sie ihn noch ganz zu Ende gelesen, mit zitternden Händen an der Flamme eines Lichtes verbrannt. Ihr Haus schien ihr verunreinigt, so lange ein solches Document innerhalb desselben existirte; der Athem des Verleumders, der die reine Luft rings um sie her verpestete, sollte verwehen wie die graue Asche. Ja, des Verleumders! Bernhard Münzer konnte nie auf eine so tiefe Stufe sinken, daß er dem Urtheil eines so niedrigen Geistes, wie der des unbekannten Schreibers jenes Briefes, erreichbar gewesen wäre. Die dämonische Macht seiner Phantasie konnte wohl die hohe Geisteskraft in eine falsche Richtung treiben, aber nicht den Edelmuth seines Herzens so gänzlich in sein Gegentheil verkehren. Wer jenen Brief auch geschrieben haben mochte – ein Freund Bernhard Münzer's war es sicherlich nicht gewesen, und das Weib, das seinen Namen trug, die Mutter seiner Kinder konnte nie und unter keinen Umständen ein Bündniß mit den Feinden Bernhard Münzer's eingehen.

Und Clärchen verschloß ihr schreckliches Geheimniß tief in ihrem Busen und drückte beim Schein des Nachtlämpchens das Gesicht in die Kissen, damit selbst die stille Nacht ihr leises Schluchzen nicht höre. Ihre größte Angst war jetzt, daß Münzer's Feinde ihn direct mit ihren vergifteten Pfeilen angreifen würden; und in dieser Angst glich sie einem Menschen, der ein theures Wesen in einer Gefahr schweben sieht, die nur dadurch überwunden werden kann, daß der Gefährdete von seiner Lage nichts ahnt. Aber es schien, als ob dem Angreifer zu einem solchen Angriff der Muth fehlte. Zum wenigsten vermochte Clärchen in dem Benehmen ihres Gatten keine Veränderung zu bemerken, die auf eine ungewöhnliche Erregung hätte schließen lassen. Im Gegentheil, er war wohl düster und traurig, wie er es die ganze letzte Zeit gewesen war; aber im Uebrigen milder und teilnehmender, als sonst. Kein bitteres Wort, das ihm früher, wenn er das Drückende seiner Lage einmal lebhafter als gewöhnlich empfand, so leicht entfuhr, kam über seine Lippen; er beschäftigte sich, wenn er zu Hause war, viel mit Ella, sein erstes Wort, wenn er nach Hause kam, war eine Frage nach dem Kranken, und sein letztes Wort, wenn er Morgens oder Nachmittags auf die Redaction ging, eine Bitte an Clärchen, guten Muths zu sein und die Sache nicht schlimmer zu nehmen, als sie in Wirklichkeit sei, vor Allem aber sich nicht selbst krank zu machen.

Die Tage kamen und gingen, und der Termin, den Clärchen sich selbst für die Entscheidung ihres Schicksals gestellt hatte, nahte heran. Wenn Münzer gewählt war – und daß er gewählt werden würde, daran zweifelte Clärchen nicht – wollte sie mit ihm sprechen; was dann weiter geschehen würde, – Clärchen wußte es nicht; sie dachte auch kaum darüber nach; die Zeit jenseits dieses Termins erschien ihr dunkel wie das Grab.



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