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20.

D a wurde die Thür geöffnet und eine Dame, die eine Lampe in der Hand trug, stand vor Wolfgang. Es war Tante Bella. Ein jäher Schrecken durchzuckte den jungen Mann bei dem Anblick der Tante, die, so lange er denken konnte, drei oder viermal und das immer nur bei ganz außerordentlichen Gelegenheiten den Fuß über die Schwelle seines elterlichen Hauses gesetzt hatte. So war also doch das Fürchterliche eingetroffen: die Mutter war dem Tode nahe, vielleicht todt! Aber die gute Tante ließ ihm nicht Zeit, den entsetzlichen Gedanken auszudenken; »es geht besser, viel besser;« flüsterte sie schnell; »komm herein, armer Junge, Du hast Dich gewiß recht geängstigt.«

Bei diesen Worten hatte sie den vor Entsetzen Regungslosen bei der Hand ergriffen und in's Zimmer geführt.

»Wo ist die Mutter?« fragte Wolfgang.

»Nebenan, sie schläft;« erwiderte Tante Bella, die Lampe auf den Tisch stellend; »ängstige Dich nur nicht; es geht wirklich gut, ganz gut.«

Wolfgang hatte sich in einen Stuhl gesetzt, denn seine Knie zitterten. Die köstliche Gewißheit, daß die Mutter außer Gefahr sei, löste den Krampf, mit welchem Angst und Schrecken sein Herz zusammengeschnürt hatten und die Thränen stürzten ihm aus den Augen.

Jemand, den sie lieb hatte, weinen sehen, ohne mitzuweinen, war für Tante Bella eine Unmöglichkeit. Sie streichelte Wolfgang sanft das volle Haar aus der Stirn und sagte schluchzend:

»Armer, armer Junge! ja, ja ich glaub's! Du magst was ausgestanden haben! Aber nun laß es gut sein! Der Doctor sagt: es habe gar nichts zu bedeuten, und ich sage es auch. Ich kenne diese Zustände ganz genau; wenn Einer d'ran sterben könnte, ich wäre schon lange todt.«

»Gute, liebe Tante,« sagte Wolfgang, wie danke ich Dir, daß Du hergekommen bist! ich habe gar nicht daran gedacht, daß Du bei der Mutter sein könntest. Hätte ich das gewußt, ich würde mich viel weniger geängstigt haben.«

»Ja, wie hättest Du das auch denken können;« sagte Tante Bella; »ich komme ja, Gott sei's geklagt, selten genug zu Euch. Aber ich hatte alle diese Tage eine Ahnung, daß irgend Einem aus der Familie etwas passiren würde. Seit mein armer Bruder Eugen gestorben ist, bin ich aus der Angst nicht herausgekommen.

»Ist Onkel Eugen todt?«

»St! sprich leiser, daß sie nebenan nichts hören!«

Tante Bella zog einen Stuhl dicht zu Wolfgang an den Tisch und flüsterte:

»Ja, er ist todt, Dein lieber, guter Onkel. Du hast ihn kaum gekannt, und weißt nicht, was für ein braver, treuer Mensch er war. Seit acht Tagen schon ist er todt; ach! und wie schrecklich er gestorben ist! von seinen eigenen Maschinen gerädert! – ich darf gar nicht daran denken. Dein Onkel Peter war hin, die arme Ottilie zu holen; sie ist nebenan bei Deiner Mutter; Deine Mutter sagt, Ottilien's Hand sei gerade wie Deine, und Ottilie hat ihre Hand auf ihre Stirn legen müssen und so schläft sie schon seit einer halben Stunde so sanft wie ein Kind. Es ist ein wahres Glück, daß ich das liebe Mädchen nicht zu Haus gelassen habe, wie ich anfangs wollte, denn sie war kaum aus dem Wagen gestiegen, als eure Ursel kam. Gott! ist das ein dummes, albernes Ding! Wie kann Deine Mutter – na! das geht mich ja schließlich nichts an. Ich fragte sie, warum sie nicht gleich zu mir gekommen wäre, anstatt in der ganzen Stadt nach Deinem Vater herumzulaufen, der heute Morgen ausgegangen und nicht wieder nach Haus gekommen ist, und was glaubst Du, daß sie antwortete? sie hätte gedacht: ich könnte Deine Mutter nicht leiden, weil ich mich so selten bei Euch sehen ließe! Das hat man davon, wenn die, welche der liebe Gott vereinigt hat, sich muthwillig aus dummen Stolz und Hochmuth und alberner Rechthaberei trennen. Aber ich denke, daß soll jetzt anders werden. Deine Mutter hat die Kleine schon so lieb gewonnen! Da wird sie das Kind wohl öfter sehen wollen, und dann komme ich bei der Gelegenheit mit, wenn man sich auch aus mir nicht viel macht; ich bin überall das fünfte Rad am Wagen –«

»Aber Tante Bella,« sagte Wolfgang, »die Mutter spricht stets mit der größten Liebe von Dir und ich –«

»St, st!« sagte die Tante; »ich weiß, was ich weiß. Tante Bella ist immer nur dann gut, wenn man sie brauchen kann. Ich bin von jeher das Aschenbrödel in der Familie gewesen; aber das thut nichts, ganz und gar nichts; ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Aber, erkläre mir doch nur, Wolfgang, wie du nach Rheinfelden kommst! ich denke, Dein Vater und der alte General sind die größten Feinde! Das kann ja gar nicht mit rechten Dingen zugehen. Laß Dich um's Himmelswillen nicht mit denen ein, Wolfgang! Ich sage Dir, sie taugen Alle nichts; Alle, wie sie da sind. Wenn Dein Vater treu und ehrlich zu uns gehalten hätte, nachdem er einmal zu uns gekommen: es stünde besser mit Euch und uns.«

»Mag sein, Tante,« sagte Wolfgang, nachdenklich, »mag wohl sein; aber das ist ein langes Kapitel; wir wollen ein ander Mal darüber sprechen. – Ist der Vater noch immer nicht vom Rathhaus zurück? und was giebt's denn überhaupt in der Stadt?«

»Gott mag's wissen,« erwiderte Tante Bella; »die Menschen wollen ja einmal keinen Frieden halten. Mein Bruder Peter ist mit Dr. Münzer und Dr. Holm gegen Abend von Hause fortgegangen, ohne mir ein Wort zu sagen, was gar nicht hübsch von ihm ist, aber mit mir braucht man ja keine Umstände zu machen, das ist eine alte Geschichte. Ich wollte, ihr Männer könntet nur ein einziges Mal solche Angst ausstehen, wie wir, wenn wir allein zu Hause sitzen und nicht wissen, was draußen vorgeht und jedes Mal, wenn geklingelt wird, zusammenfahren, weil wir denken; es ist eine Unglücksnachricht. Ich begreife Deinen Vater nicht. Wenn Deine Mutter auch noch nicht so krank war, als er fortging, krank war sie immer und da hätte er wohl zu Hause bleiben können. Du wärst zu Hause geblieben, davon bin ich überzeugt, aber Du hast auch Schmitz'sches Blut in Deinen Adern und Schmitz'sches Blut ist treu. St! sprach da Deine Mutter nicht? richtig! sie ist aufgewacht! soll ich erst hineingehen und sagen, daß Du hier bist?«

»Thu's, liebe Tante, und ängstige Mutter nicht, wenn sie nach dem Vater fragt.«

»Ich werde doch nicht so thöricht sein,« erwiderte Tante Bella mit beleidigter Würde; »denkst Du denn, daß ich ein Kind bin? – Hörst Du? die Mutter lacht; sie ist ganz munter aufgewacht; ich wußte es ja. Ottilie ist ein Engel, ich bin nur begierig, zu hören, was Du von der Kleinen sagen wirst! Das wäre so eine Frau für Dich!«

Tante Bella stand auf und verschwand in dem Nebenzimmer. Wolfgang ging in großer Erregung auf und ab, die Unterredung mit der Tante hatte ihn sonderbar berührt; er hatte schon manchmal mit der guten Dame ganz ähnliche Gespräche gehabt; aber heute schienen ihm die alten, schon so oft durchsprochenen und beklagten Verhältnisse in einem ganz neuen Licht.

Die paar Sekunden, die er allein zubringen mußte, däuchten ihm eine Ewigkeit. Er hörte Tante Bella sprechen und dann seine Mutter, und dann eine Stimme, die er nicht kannte, eine sanfte, melodische Stimme …

Die Thür wurde geöffnet.

»Willst Du hereinkommen, Wolfgang; die Mutter befindet sich ganz wohl.«

Wolfgang trat in das Zimmer, in welchem ihn das häufige Kranksein der Mutter so heimisch gemacht, in welchem er an ihrem Bette, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, so viele lange, bange Stunden zugebracht hatte. Da lag, in dem Schatten des Vorhangs, der in reichlichen Falten herniederfloß, seine Mutter, bleich und angegriffen, aber mit lächelndem Munde und lächelnden Augen ihn begrüßend, und vor dem Bett, überströmt von dem milden Licht der Lampe, die zu Häupten des Bettes auf einem Tische stand, saß ein junges Mädchen, das, als er auf das Bett zuschritt, sich erhob und zu Tante Bella trat, die an dem Tisch einen kühlenden Trank bereitete.

»Bist Du da, mein Wolfgang?« sagte die Mutter; »ach, wie habe ich mich nach Dir gesehnt! verzeihe, daß ich Dir so viel Angst verursacht habe; aber ich mußte Dich wieder sehen; ich konnte nicht anders;« und sie schlang ihre kraftlosen Arme um den Hals des lieben Sohnes, der sich in tiefster Rührung über sie beugte, und küßte ihn zärtlich, wie nur eine Mutter küssen kann.

»Rege Dich nicht zu sehr auf, lieb Mütterchen«, flüsterte Wolfgang: »ich bleibe bei Dir; lege Dich wieder ordentlich hin, so, so!«

»O, ich fühle mich ganz kräftig,« sagte Margarethe, »ganz kräftig!« und dabei sank ihr Haupt matt auf das Kissen zurück; »sie haben mich ja so schön gepflegt, Bella und die liebe Kleine. Wo ist denn Ottilie?«

»Riefst Du mich, liebe Tante?« sagte das junge Mädchen, einen Schritt nach dem Bett zu machend und dann wieder schüchtern stehen bleibend, weil Wolfgang sich in diesem Augenblicke aus den Armen der Mutter aufrichtete und sie so groß und forschend anblickte.

»Ja, mein Kind;« sagte Margarethe »komm her! ich muß Dir doch meinen Wolfgang zeigen. Das ist Ottilie, Wolfgang!«

Ottilie trat rasch an das Bett und beugte sich über die Kranke, eine brennende Röthe, die ihr plötzlich, sie wußte selbst nicht weßhalb? in die Wangen schoß, zu verbergen.

»Liebes, herziges Mädchen;« sagte Margarethe, sie auf die Stirn küssend; »er wird Dich auch recht lieb haben, wie wir Alle; nicht wahr, Wolfgang?«

»Gewiß, das werde ich!« sagte Wolfgang, Ottilien, die sich jetzt zu ihm wandte, die Hand entgegenstreckend.

Das junge Mädchen wollte etwas erwidern; aber ihre Lippen zuckten nur, als sie ihre Hand langsam, fast zögernd in Wolfgang's Hand legte.

So standen sie und sahen sich, jetzt zum ersten Male. Eines das Andre voll in's Antlitz mit jenem prüfenden ahnungsreichen Blick, mit dem sich Menschen nur bei der ersten Begegnung und dann nie wieder anschauen, mit jenem Blick, der so wenig zu sehen scheint und doch oft so unendlich viel sieht, daß das ganze spätere Leben kaum hinreicht, den Kreis auszumessen, welchen dieser einzige Blick umspannte.

»Das werde ich;« wiederholte Wolfgang, und diesmal sagte er's mit inniger Ueberzeugung. »Mir ist's, als hätte ich Dich schon längst gekannt, Ottilie!« setzte er nach einer kleinen Weile hinzu, während er ihre Hand noch immer in der seinen hielt.

»Und so geht mir's mit Dir;« erwiderte Ottilie.

Margarethe's Augen hatten mit unaussprechlicher Zärtlichkeit auf den beiden hohen Gestalten geruht.

»Nun habe ich zwei Kinder;« sagte sie ganz leise. Sie faltete die Hände über der Brust und schloß die Augen.

»Ich werde wieder müde,« sagte sie; »geht Ihr nach Haus, Bella und Ottilie; der Wolfgang soll Euch nach Haus bringen. Es braucht Niemand bei mir zu wachen; wenn ich etwas bedarf, klingle ich der Ursel, aber ich weiß: ich werde ruhig schlafen. Sage dem Vater, wenn er nach Hause kommt, daß ich mich ganz wohl fühle; hörst Du, Wolfgang?«

Tante Bella fand diese Anordnung keineswegs vernünftig und öffnete schon den Mund zum entschiedenen Widerspruch, aber Wolfgang winkte ihr zu schweigen. Kopfschüttelnd gehorchte ihm die gute Dame. Alle Drei machten sich in aller Stille bereit, das Zimmer zu verlassen.

»Ottilie!« sagte da Margarethe leise und ohne die Augen aufzuschlagen; »Ottilie, ich sehe Dich doch Morgen wieder?«

»Gewiß, liebe Tante;« sagte das junge Mädchen.

»Gut, gut! Nun laßt mich schlafen; ich bin so müde.«

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Wolfgang hatte die Damen nach Haus gebracht und schritt langsam den bekannten Weg nach seiner elterlichen Wohnung zurück. Auf den Straßen war es still geworden, nur hier und da ging es in der Nähe von Wirthshäusern lebhafter zu; sonst aber schien man des unnützen Lärmens müde zu sein; nur noch einzelne Fenster waren erhellt. Der volle Mond war schon hinter die Häusermassen gesunken, die hohen Thürme der Kirchen waren noch von seinem matten Licht umflossen, aber in den Gassen dunkelte es stark. Wolfgang war es, als wollte heute der Weg kein Ende nehmen. Er war so müde, daß er im Gehen träumte. Schon auf dem Wege nach dem Schmitz'schen Hause hatte er kaum gehört, was Tante Bella, die er am Arm führte, Alles erzählte – es war gewiß sehr wichtig gewesen, denn die Tante hatte mit der größten Lebhaftigkeit und unausgesetzt gesprochen; aber er erinnerte sich durchaus nichts mehr von Allem, was sie gesagt hatte. Ottilie, die auf der andern Seite neben ihm ging, war ganz still gewesen; nur einmal hatte sie gesagt: »das darf Wolfgang nicht!« aber Wolfgang wußte nicht mehr in welchem Zusammenhang. Er sann vergeblich darüber nach, aber je mehr er sann, desto dichter wurde das Dunkel. »Was darf ich nicht?« fragte er sich wieder und wieder.

Er kam durch eine stille einsame Straße, in die er in seiner Achtlosigkeit unversehens gerathen war, denn sein eigentlicher Weg führte gar nicht durch diese Straße. Als er an einem der hübschesten Häuser, das sich durch einen, von epheuberankten Pfeilern getragenen Balcon auszeichnete, vorüberschritt, wurde die Thür dieses Hauses geöffnet und ein Mann kam so eilig die Stufen, welche zur Hausthür führten, herab, daß er an Wolfgang stieß und diesen so sehr unsanft aus seinen Träumen aufschreckte.

»Entschuldigen Sie!« sagte der Mann und eilte weiter.

»War das nicht Dr. Münzer,« sprach Wolfgang bei sich; »und wie komme ich denn hierher? wohnt hier nicht Tante Antonie? Was hat der Münzer hier zu thun?«

Die Begegnung mit Münzer hatte Wolfgang auf ein paar Minuten munter gemacht; aber bald überwältigte ihn wieder die Abspannung. Er schleppte sich nur so eben weiter und war herzlich froh, als er endlich die elterliche Wohnung wieder erreicht hatte.

Er sah rechts im Parterrezimmer, wo sein Vater schlief, Licht. Der Vater mußte zu Hause sein. Die Hausthür war verschlossen. Wolfgang klingelte leise, damit die Mutter nicht gestört werde. Es wurde nicht geöffnet; doch sah er, wie das Licht in der Schlafstube seines Vater hin und her getragen wurde. Müde und ungeduldig, wie der junge Mann war, kletterte er an dem Weinspalier, welches die Mauer bekleidete, so weit in die Höhe, daß er an das Fenster klopfen konnte: »ich bin's!«

Das Rouleau wurde in die Höhe gezogen; Wolfgang sprang auf den Boden hinab. Das Fenster wurde geöffnet; der Stadtrath schaute heraus.

»Bist Du's, Wolfgang?«

»Ja, Vater.«

»Kommst Du allein?«

»Mit wem sollte ich kommen?« erwiderte der junge Mann, verwundert über die Frage.

»Ich werde Dir gleich aufmachen.«

Nach wenigen Augenblicken wurde die Hausthür geöffnet. Wolfgang sah den Vater in einen Schlafrock gehüllt mit einem Lichte in der Hand vor sich stehen. Der Vater sah so blaß, so verstört, so angegriffen aus, daß Wolfgang heftig erschrak.

»Bist Du krank, Vater?«

»Ich nicht wohl? weshalb nicht wohl?« erwiderte der Stadtrath, im Begriff die Hausthür wieder zu verschließen. Wolfgang bemerkte, daß die Hand, in welcher der Vater das Licht hielt, heftig zitterte. Er ergriff das Licht und wie er dabei die Hand des Vaters berührte, fühlte er, daß dieselbe eiskalt war.

»Aber, lieber Vater, Du bist gewiß krank;« rief der junge Mann ernstlich besorgt.

»O, nicht doch;« erwiderte der Stadtrath und versuchte zu lächeln; »ich bin angegriffen, sehr, sehr angegriffen; den ganzen Tag auf den Beinen, in einem fort gesprochen; das greift an; ich bin sehr matt, sehr; gute Nacht, kannst das Licht behalten; ich habe noch eines in meiner Stube brennen.«

»Bist Du bei der Mutter gewesen?«

»Ich? nein, nein! bewahre Gott!« und der Stadtrath zuckte sichtbar zusammen, während er das sagte. »Geh zu Bett, mein Junge;« setzte er nach einer Pause hinzu, »brauchst mich nicht so ängstlich forschend anzusehen; ich bin ganz wohl, vollkommen wohl; aber etwas angegriffen; den ganzen Tag auf den Beinen, das viele Reden – gute Nacht, mein Junge.«

Der Stadtrath schlug den Schlafrock dichter um sich und ging rasch in sein Zimmer, das er hinter sich verschloß. Wolfgang fiel das auf; der Vater hatte sonst stets bei unverschlossenen Thüren geschlafen.

Ein seltsam banges Gefühl überkam den jungen Mann, als er so mit dem Lichte in der Hand in dem weiten Flur stand, durch welchen jetzt das Tiktak der alten Wanduhr auf dem Treppenabsatz so unheimlich laut erscholl. Die Lampe in der Glasglocke an der Decke flatterte noch einmal auf und erlosch. Wolfgang berührte das unangenehm; er hatte eben an die Mutter gedacht; es kam ihm vor wie ein böses Omen.

»Du bist übermüde,« sprach er bei sich; »mach, daß Du zu Bette kommst, Du siehst sonst heute Nacht noch Gespenster.«

Er ging leise die Treppe hinauf, lauschte auf dem Flur des ersten Stockes an der Thür der Schlafstube seiner Mutter – es war Alles still. Er ging in das zweite Stock, wo in dem Giebel sein Zimmer war, das er als Knabe schon bewohnt hatte, und das er bei seinen Besuchen immer wieder bezog. Er entkleidete sich langsam, denn seine Hände versagten ihm fast den Dienst, und er hatte kaum das Licht ausgelöscht, als bleischwerer, von ängstlichen Träumen gequälter Schlaf auf seine von den bunten Wechselfällen des Tages ermattete Seele sank.



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