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29.

D er Wagen donnerte über das Pflaster, Straße auf, Straße ab, und noch immer hatte weder Antonie, noch Münzer ein Wort gesprochen. Münzer's Seele war voll Unmuth und Zorn und doch konnte er nicht verhindern, daß die unmittelbare Nähe des schönen Weibes, von deren Gegenwart der enge Raum wie von Veilchen und Rosenduft erfüllt war, ihn mit banger süßer Beklommenheit erfüllte. Nur einmal wandte er die Augen zu ihr, die sich so weit als möglich von ihm entfernt in die seidenen Kissen gedrückt hatte und da sah er bei dem hellen Lichtschein, der eben aus einem glänzend erleuchteten Kaufladen in den Wagen fiel, daß ihr schönes Gesicht sehr blaß war und Thränen über das schöne blasse Gesicht flossen.

Dann kam es über ihn wie ein schwerer ängstlicher Traum, aus dem man sich vergeblich emporzuraffen sucht. Nur wie in einem Traum sah er die Lichter aus den Häusern an dem Wagen vorüberfliegen; er dachte nicht daran, daß sie die kurze Strecke von dem Präsidialgebäude nach Antonien's Hause längst zurückgelegt haben mußten; er bemerkte nicht, daß der Wagen durch ein enges, vielfach gewundenes Thor donnerte dann leise über eine Brücke rollte, dann wieder durch ein Thor donnerte und wieder über eine Brücke rollte, daß anstatt der langen Häuserzeilen gartenumgebene Villen den chaussirten Weg einfaßten – er sah nichts als das blasse schöne Gesicht mit den glänzenden Thränen; er hörte nichts als von Zeit zu Zeit ein leises Schluchzen – und plötzlich hielt der Wagen.

»Wo sind wir?« fragte Münzer.

»Folgen Sie mir;« erwiderte Antonie, für einen Moment ihre Hand auf seine Hand legend.

Der Diener öffnete den Schlag.

»Befehlen gnädige Frau, daß angespannt bleibt?«

»Nein – oder doch, bis ich Ordre gebe.«

Vor der mit Weinspalieren bekleideten Villa war ein Ziergärtchen, in dessen Mitte ein Springbrunnen plätscherte. Auf dem Flur des Hauses empfing die Kommenden Antoniens hübsches Kammermädchen mit einem Lichte in der Hand. Die Kleine warf einen raschen Blick auf den fremden Herrn; aber sie mußte sehr gut geschult, oder fremden Besuch bei ihrer Herrin zu ungewöhnlicher Stunde sehr gewöhnt sein – wenigstens verzog sie keine Miene: öffnete eine Thür, welche der Hausthür gegenüber in ein Gartenzimmer führte, entzündete die Lichter der beiden silbernen Armleuchter, die auf einem großen Tische in der Mitte des Gemaches standen und entfernte sich auf einen Wink der Gebieterin schweigend, ohne einen zweiten Blick auf den fremden Herrn zu wagen.

Antonie hatte, während das Mädchen die Lichter anzündete, langsam ihre Handschuhe abgestreift, die Kapuze vom Kopf genommen, und Beides auf den Tisch gelegt; dann, als das Mädchen das Zimmer verlassen hatte, setzte sie sich auf einen der reichgeschnitzten Stühle, welche um den Tisch herumstanden, vergrub ihr Gesicht in den beiden Händen und brach in ein leidenschaftliches Weinen aus.

Münzer war schweigend einige Male auf- und abgegangen; jetzt blieb er vor der Weinenden stehen und sagte in leisem festem Ton:

»Gnädige Frau, wir kommen so nicht zu der Klarheit, die uns Beiden, Ihnen wie mir, Noth thut.«

»Sie haben Recht,« erwiderte Antonie, den schönen Kopf in eine Hand stützend, während die andre schlaff von dem Gesicht auf den Tisch sank; »Sie haben ganz Recht.«

Sie starrte düster vor sich hin. Plötzlich raffte sie sich mit einer gewaltsamen Anstrengung empor. »Luft, Luft!« rief sie; »ich ersticke hier; kommen Sie; »draußen wird mir besser werden; draußen werde ich auch sprechen können – Kommen Sie!«

Aus dem Zimmer führte eine Fensterthür auf eine Terrasse, von der Terrasse gelangte man wenige Stufen hinab in den Garten, in welchem durch das junge frische Laub mächtiger alter Bäume die Strahlen des Mondes zitterten. Vom Strome her, dessen glitzernde Wasser hier und da durch die Büsche blinkten, hauchte Kühlung in die hohen Baumgänge, in denen man noch die Hitze des Tages spürte. In den dichten Kronen der Kastanien zirpten hier und da verschlafene Vogelstimmen, aus einem Hollunderbusch schlug eine Nachtigall in leisen langgezogenen Tönen. Holder Frieden, süße Ruhe erfüllten das trauliche Revier; aber sie wußten nichts von Ruhe und Frieden, die beiden leidenschaftlichen Menschen, die jetzt, vor Aufregung stumm, in den dämmrigen Alleen umherirrten.

Nur einmal hatte Antonie Münzer's beide Hände ergriffen und gesagt: »Haben Sie Mitleid mit mir!« dann waren sie wieder geraume Zeit schweigend nebeneinander hergeschritten. Vergeblich strebte Münzer den Bann, der seine Seele gefesselt hielt, zu zerreißen; so oft er das erlösende Wort sprechen wollte, fühlte er, wie sein Herz in ihm zuckte, sein heißes Herz, das nicht erlöst sein wollte, das gebieterisch sein Recht verlangte, sein ewiges, unveräußerliches Recht: an einem nicht minder heißen Herzen zu klopfen, in ein nicht minder heißes Herz all seine Feuersgluthen auszugießen. Wie ein dichter Schleier legte es sich über Alles, was noch vor wenigen Minuten im Saale des Präsidenten so klar in seinem Geiste gewesen war; er empfand nichts mehr von dem Zorn, der ihn erfaßt hatte, als er sich plötzlich wieder in den Banden sah, denen er noch eben erst hatte entfliehen wollen; er wußte nichts mehr, er empfand nichts mehr, als nur das Eine, daß ihn das schöne, blasse, stumme Weib an seiner Seite liebe, daß er sie wieder liebe, und daß er sich in dieser Liebe den Tod trinken werde.

Da blieb Antonie stehen und drückte die Hände gegen die Schläfen. »Ich habe Alles vergessen, Alles;« murmelte sie.

»So lassen Sie's vergessen sein;« sagte Münzer mit apathischer, klangloser Stimme; »was können wir Besseres thun, als vergessen.«

»Ich darf nicht vergessen, ich will nicht vergessen; ich muß Ihnen Alles sagen; ich werde wahnsinnig, wenn ich so weiter leben soll wie diese beiden letzten Tage.«

»Wahnsinnig?« sagte Münzer; »wer bürgt Ihnen denn dafür, daß wir es nicht schon Beide sind?«

»Nein, nein, nein!« rief Antonie leidenschaftlich; »ich bin nicht wahnsinnig; das, was ich bei Ihrem ersten Anblick empfunden habe, was mich seitdem immer und immer verfolgt hat, womit ich eingeschlafen bin und wieder erwacht bin – mitten in der Nacht – und dann erst recht klar und unumstößlich fühlte – das kann nicht Wahnsinn sein; das ist nicht Wahnsinn; das Andere ist Wahnsinn, aber nicht das, nein, nein!«

Antonie war wieder stehen geblieben. Durch das Dunkel glänzten die dunkeln Augen von dem Thau eben geweinter Thränen. Münzer starrte mit schauderndem Entzücken in diese glänzenden Augen.

»Du schönes Weib,« murmelte er; »Du, viel zu schön für diese plumpe Erde! was weißt denn Du von dem bunten Wirrwarr und der Noth des Menschenlebens? könntest Du so schön sein, wenn Du etwas davon wüßtest! Und wenn Du diese Noth durch mich kennen lerntest – dann fluche der Stunde, da Du mich gesehen. Aber Du wirst sie nicht kennen lernen. Du wirst morgen lachen, daß Du heute eine Empfindung so ernsthaft nehmen konntest; und Du hast recht, ganz recht. Lachen und scherzen und küssen und schön sein – das ist Deine Bestimmung; warum wolltest Du weinen? Es müßte denn sein, weil Du weißt, daß Dich die Thränen noch schöner machen.«

»Das ist's, was ich erwartete,« sagte Antonie mit leiser trauriger Stimme, »Sie denken von mir, wie alle Welt, und das – das kann ich nicht ertragen! Ich habe nie nach dem Urtheil der Welt gefragt, habe mich nie darum gekümmert; – was war mir die dumme, alberne Welt! Aber Sie, Sie – ich will ja nichts von Ihnen; ich weiß es ja, daß Sie mich nicht lieben können, nicht lieben wollen; aber verachten dürfen Sie mich nicht. Nein, nein, nicht verachten!«

Und Antonie hob ihre gefalteten Hände flehend zu Münzer empor.

»Ich Sie verachten? welches Recht hätte ich, Sie zu verachten?«

»Ja, Sie thun es; ich weiß, ich fühle, daß Sie es thun. Ich sah es, als ich Ihnen heute bei meinem Schwager entgegentrat, an dem Blick Ihrer Augen, an dem Zucken Ihrer Lippen; ich hätte auch wissen können, daß Sie meiner Bitte nicht Folge leisten, daß Sie nicht bleiben würden; aber, wenn Sie geblieben wären, so würden Sie gesehen haben, daß ich nicht geblieben wäre, daß ich mich nicht zum gehorsamen Werkzeug meines Schwagers hergegeben hätte; ich schwöre Ihnen: es war ein Zufall, daß ich zugleich mit Ihnen die Gesellschaft verließ.«

»Ich verstehe Sie nicht, gnädige Frau!« erwiderte Münzer, an Antonien's Seite auf einer Bank Platz nehmend; »Sie sprechen in Räthseln. Was wollte der Präsident von Ihnen?«

Antonie antwortete nicht. Bei dem Silberlicht des Mondes, das zwischen den hohen Bäumen hindurch gerade auf die Bank fiel, auf der sie saßen, sah Münzer, daß Antoniens schönes Gesicht von heftigster Bewegung fast entstellt war, daß ihr Busen unruhig wogte, ja ihr ganzer Körper zitterte und bebte. Er erfaßte ihre Hand; sie war kalt.

»Lassen Sie uns hineingehen,« sagte er; »Ihr leichter Gesellschaftsanzug und Ihr Shawl schützen Sie nicht hinreichend vor der Abendkühle.«

»Nein, nein, lassen Sie uns hier bleiben,« sagte Antonie, indem sie ihre Hand aus Münzer's Hand zog und sich dichter in ihren Shawl hüllte; »da drinnen kann ich nicht sprechen. Hören Sie mich an! Sie wissen nicht, was der Präsident von mir wollte? ich will es Ihnen sagen. Er befahl mir, Ihre Hand, wenn ich sie einmal hielt, nicht wieder aus der meinen zu lassen; befahl mir, Sie zu lieben, oder Ihnen wenigstens Liebe zu heucheln, bis Sie mich wieder liebten, bis Sie sich mir in blinder Leidenschaft ganz ergeben hätten, und ich dann – wie er sich ausdrückte – mit Ihnen und aus Ihnen machen könnte, was ich wollte.«

»Befahl Ihnen?« sagte Münzer; »welche Macht hat der Präsident denn über Sie, daß er Ihnen das befehlen konnte? und wie kommt er darauf, uns – Sie und mich – nur überhaupt in Verbindung zu bringen?«

»Er wußte, daß Sie vorgestern Abend bei mir gewesen waren.«

»Durch den Obrist von Hohenstein?«

»Ja, vielleicht – gewiß aber durch meinen Kammerdiener Jean, den ich noch an demselben Abend entließ, und der heute im Dienst des Präsidenten ist.«

»Aber, gnädige Frau, anstatt mir Klarheit zu bringen, häufen Sie Räthsel auf Räthsel.«

»Sagen Sie mir das zum Hohn, oder sprechen Sie, wie Sie denken?« fragte Antonie, Münzer starr in die Augen sehend.

»Ich spreche, wie ich denke, gnädige Frau.«

»Sehen Sie,« erwiderte Antonie mit demselben starren, forschenden Blick; »ich würde jetzt, wenn ich nur klug wäre, wenn ich so wäre, wie die Leute sagen, daß ich bin, Sie in der guten Meinung, die Sie – wunderbar genug – von mir haben, bestärken. Denn Sie sind gut und großmüthig und edelherzig, und würden mir glauben, wenn ich Ihnen sage: daß, was die Leute von mir erzählen, Alles erlogen ist, daß ich keine hartherzige Kokette bin, daß ich nicht einen Mann nach dem andern verrathen habe. Aber ich will die Wahrheit sagen; nicht aus Furcht vor dem Präsidenten, denn, wenn ich mich vor Verläumdungen fürchtete, so hätte ich meinen Kammerdiener nicht entlassen; sondern weil – o, mein Gott, ich weiß es selber kaum, warum ich mich so vor Ihnen demüthigen muß.«

Ein krampfhaftes Schluchzen brach aus Antonien's Brust, aber mit einer gewaltigen Anstrengung kämpfte sie die Erregung nieder und fuhr in ruhigerem Tone fort:

»Sie haben mir erzählt, wie arm und elend die Verhältnisse waren, in denen Sie zum Knaben erwachsen sind, was Sie für Noth und Leid als Jüngling erduldet – ich habe immer wieder daran denken müssen; ich bin aus dem Schlaf weinend erwacht, weil ich Sie im Traum in einer Schlucht zwischen schneebedeckten Bergen von Wölfen verfolgt sah, und ich Ihnen zu Hülfe kommen wollte und nicht aus der Stelle konnte. Aber dann habe ich mir wieder gesagt: er war ein Mann und konnte sich selber helfen, denn er war stärker, als die grimmigste Noth. Ich, ich bin in Reichthum und Pracht geboren und erzogen, nein, nicht erzogen, denn Niemand hat sich um meine Erziehung bekümmert Ich konnte thun und lassen, was ich wollte, und so bin ich groß geworden, ohne je einen ernsten Gedanken gehabt zu haben, ohne etwas Anderes zu wissen, als daß ich reich und schön sei und das Leben genießen dürfe, wie ich konnte und mochte. Schließlich haben sie mich verheirathet. Herr von Hohenstein, der eben aus Amerika, wo er zwanzig Jahre lang allen Staaten nacheinander gedient hatte, zurückgekehrt war, gefiel mir besser, als die Andern, weil er mir nicht ganz so platt schmeichelte, wie die Andern und weil er so viel gesehen und erlebt hatte und mir das Alles, und besonders sein verschlossenes, düstres Wesen ausnehmend interessant vorkam, um so mehr, als man mir gesagt hatte, daß er früher der Wildeste der Wilden gewesen sei. Von Liebe fühlte ich nichts, ich habe keinen Augenblick daran gedacht, ob ich an seiner Seite glücklich sein könne; ich wußte nur, daß wir viel miteinander reisen würden. Das war die einzige Bedingung, die ich gemacht hatte. Und gereist sind wir denn auch – aus einem Bad in das andre, und keines konnte dem armen Manne die verlorene Gesundheit wieder bringen; und so sind wir umhergereist, ein, zwei, drei Jahre lang und mit jedem Tage wurde er düstrer und verschlossener und ich – nun ich war jung und lebenslustig und hatte nicht geheirathet, die Krankenwärterin eines Mannes zu sein, den ich nicht liebte und der auch nicht einmal geliebt sein wollte. Das hat er mir oft selbst gesagt. Dann ist er gestorben. Ich hatte keine andre Empfindung, als daß er nun von seinen Qualen erlöst sei und ich von der Qual, Zeugin dieser Qualen zu sein. Heirathen wollte ich nicht wieder, denn wenn ich die Männer vorher noch nicht verachtet hatte, so verachtete ich sie jetzt. Ich brauchte sie nur als Spielwerk meiner Laune und – ich sagte Ihnen schon, daß ich keine Grundsätze hatte, als nur den einen: das Leben zu genießen, wie ich konnte und mochte.«

Antonien's Stimme zitterte, als sie das sagte und ihr Athem flog, als sie leise, hastig und abgebrochen, wie Jemand, der unter heftigen Schmerzen zu sprechen gezwungen ist, flüsterte:

»Ich habe nie an Liebe geglaubt – nie – nie – bis es zu spät war.«

Sie seufzte tief und strich sich mit der Hand über Stirn und Augen, dann erhob sie sich. Münzer war ihr gefolgt.

»Wir wollen hineingehen,« sagte sie.

Aber sie gingen nicht hinein; sie streiften wieder durch die dämmrigen Alleen, stumm und rathlos, weil Beide fühlten, daß das letzte Wort noch nicht gesprochen sei, und Keines den Muth hatte, dies letzte Wort, das Wort, das sie auf immer trennen oder vereinigen mußte, zu sprechen.

Endlich sagte Münzer – und seine tiefe Stimme bebte –:

»Antonie, hören Sie mich ruhig an. Lassen Sie uns groß denken und handeln. Das ist schwer, aber es ist denn schließlich doch das Leichteste. Sie lieben mich; Sie haben mir eben, indem Sie mir die Geschichte Ihres unseligen Lebens erzählten, einen Beweis dafür gegeben, wie ihn vollwichtiger ein Weib nicht geben kann. Und ich, Antonie, ich sage Ihnen: ich habe immer an Liebe geglaubt, doch, daß die Liebe, an die ich glaubte, möglich sei, – das weiß ich erst, seit ich Sie gesehen. Aber trotz alledem haben Sie Recht: – es ist zu spät, für Sie und für mich. Ich kann nicht abtrünnig werden von meinen heiligsten Ueberzeugungen; ich kann nicht fürder für Gerechtigkeit kämpfen, wenn ich selbst nicht gerecht bin; wenn ich für mich selbst nicht anerkenne, was ich die Andern lehre, daß jeder Mensch sich bescheiden muß, damit die Andern auch zu ihrem bescheidenen Theil von Glück kommen. Sieh, Antonie, wenn ich der maßlosen Leidenschaft, die mich zu Dir zieht, folgte, so würde ich die Hütte niederbrennen, in der mein Weib und meine Kinder wohnen. Ich liebe mein Weib nicht, wie ich Dich liebe, dennoch liebe ich sie; ich liebe meine Kinder nicht, wie ich weiß, daß ich ein Kind lieben würde, das Du mir geboren hättest – dennoch liebe ich sie. Ich muß mich bescheiden, bescheide Du Dich auch.«

Münzer konnte Antonien's Gesicht nicht sehen, denn der Mond war hinter eine Wolke getreten und hohe Bäume überschatteten den Ort, wo sie standen, aber er hörte ihr leises Schluchzen. Eine unendliche Wehmuth erfaßte ihn; seine Augen wurden heiß, seine Brust dehnte sich, als wollte sie zerspringen:

»Antonie!«

Das schöne leidenschaftliche Weib lag in seinen Armen und ihre heißen Küsse begegneten sich.

Da tönte der helle scharfe Ton der Glocke eines in der Nähe des Ufers vorüberbrausenden Dampfers durch die stille Nacht. Erschrocken riß sich Antonie von Münzer los und eilte – sie wußte selbst kaum, was sie that – tiefer in das Dunkel des Gartens hinein; Münzer stand da mit hochklopfendem Herzen; ihm war es, als ob die eherne Zunge ihn in die Welt und zu seiner Pflicht zurückriefe.

Und in diesem Augenblicke gellte durch das Rauschen der Wogen am Ufer ein Angstruf, wie eines Ertrinkenden: Hülfe, Hülfe!

Mit drei Sätzen war Münzer an der hölzernen Stacketthür, die wenige Schritte von der Stelle, wo er zuletzt mit Antonien gestanden hatte, aus dem Garten auf den Uferweg führte. Er sah ein kleines Boot in den Wellen schaukeln, in dem Boote ein paar kleine Knaben, die in hülfloser Angst die Arme ausstreckten und in dem Moment kam eine noch größere Welle, das Boot tanzte und schwankte und – der eine der Knaben schoß mit dem Kopf vorüber in den brausenden Strom.

Mit einem Ruck seiner starken Arme hatte Münzer das schwache Gitter zerbrochen. Im nächsten Moment stand er bis an die Brust im Wasser – und da tauchte wenige Schritte von ihm entfernt ein Kopf und ein Arm hervor, um sogleich wieder zu verschwinden. Mit einigen mächtigen Schlägen war Münzer über der Stelle, wo der Knabe versunken war, und da dicht vor ihm tauchte es wieder auf; Münzer ergriff das Kind, und als er es schwimmend aus dem Wasser hielt, sah er beim bleichen Schein des Mondes entsetzt das todtblasse, verzerrte Gesicht seines eigenen Sohnes, seines Kindes, dessen freundliche blaue Augen ihn noch vor wenigen Stunden so froh und zärtlich angelächelt hatten.

Mit der Kraft der Verzweiflung strebte Münzer dem Ufer zu; er fühlte Boden unter seinen Füßen; er richtete sich auf, den Knaben hoch emporhaltend, – der zarte Körper hing schlaff und regungslos in seinen Armen.

Münzer stand auf dem Ufer; – es war die höchste Zeit. Der feste Boden schwankte unter ihm; wie durch einen dichten Nebel sah er mehrere Gestalten auf sich zukommen; er hörte oder glaubte einen Schrei zu hören: Mein Kind! mein Kind! Dann sauste es wie eine furchtbare Windsbraut in seinen Ohren; es wurde Nacht um ihn und in ihm, und ohnmächtig sank er zusammen.



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