Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

19.

W ährend in der fieberhaft erregten Stadt die Menschen, wie von Dämonen getrieben, mit solchen Thaten der Leidenschaft ihr Gewissen belasteten, fuhr Wolfgang durch die ambrosische Nacht dahin in einer Stimmung, die kaum weniger erregt und doch so viel reiner und heilger war, als der duftige Athem des Abends, der über Rebenhügel und Saatfelder haucht, frischer und labender ist, als der dumpfe Brodem in der quetschenden Enge der Gassen einer mittelalterlich zusammengedrückten, übervölkerten Stadt.

Die Straße zog sich fast ununterbrochen hart am Ufer des Stromes hin, allen launischen Windungen desselben getreulich folgend. Der unchaussirte Weg war nach der großen Trockenheit der letzten Tage sehr sandig, so daß trotz des besten Willens des braven Köbes und der ehrlichsten Anstrengungen seiner wackern, starkknochigen Pferde die Fahrt sehr langsam ging, viel zu langsam für den armen Wolfgang, der in seiner Ungeduld, die Stadt zu erreichen, den Flug der Wasservögel, welche der knarrende Wagen hier und da aus dem Röhricht des Ufers aufscheuchte und die in wunderbarer Eile horizontal über den im Mondenschein blinkenden Wasserspiegel weg das jenseitige Ufer erstrebten, kaum schnell genug gewesen wäre. Zwar die Angst um die Mutter, welche anfangs seine Seele ganz erfüllt hatte, war bei ruhigerer Ueberlegung etwas geringer geworden. Wolfgang mußte sich sagen, daß die Mutter ähnlichen Anfällen von einer außerordentlich heftigen Migräne, in denen sie alsbald irre zu reden begann, schon häufig, ohne erheblich schlimme Folgen ausgesetzt gewesen sei. Wie oft hatte er selbst, vor ihrem Bett sitzend, seine Hand stundenlang auf die liebe brennende Stirn gelegt, während das leise Wimmern der Gequälten sein Herz zerriß und er Jahre seines Lebens freudig hingegeben hätte, wenn er damit der Mutter eine Stunde schmerzloser Ruhe hätte erkaufen können! Warum sollte der Anfall heute bedenklicher sein, als noch stets? und dann würde es der Vater über's Herz gebracht haben, in die Ratssitzung zu fahren, wenn er von der Gefahrlosigkeit des Zustandes der Mutter nicht vollkommen überzeugt gewesen wäre? Wolfgang hatte mit dem Vater nicht immer harmoniren können; er hatte mit tiefem Schmerz viele Züge von einer kalten, egoistischen, herzlosen Gesinnung in dem Vater wahrgenommen, aber gegen die Mutter hatte der Vater, so lange Wolfgang denken konnte, noch nie diese schlimme Seite seines Charakters herausgekehrt; gegen sie war er stets aufmerksam und voller Theilnahme gewesen. Besonders war das dem jungen Manne aufgefallen, als er neulich so unerwartet durch einen expressen Brief nach Hause gerufen worden war, und ihm der Vater bei seiner Ankunft in großer Erregung mittheilte: er habe für sich selbst und für die Mutter und Wolfgang eine Einladung nach Rheinfelden erhalten. Er hatte den Vater noch nie so heiter gesehen, oder eigentlich war heiter nicht der rechte Ausdruck für eine Stimmung, die in ihrer Aufgeregtheit für den ruhigen Beobachter etwas Beängstigendes hatte. Der Vater knüpfte an die bevorstehende Zusammenkunft mit dem Großonkel die kühnsten Hoffnungen; er pries sich glücklich, daß »der Alte noch in der zwölften Stunde zur Besinnung gekommen sei.« Nun würden ihn doch seine Standesgenossen nicht länger über die Achseln ansehen können! Und dann konnte es ja gar nicht fehlen, daß der General, nachdem er seine Versöhnung mit dem lange verkannten Neffen so gleichsam officiell bei einer Gelegenheit, wo die ganze Familie unter seinem Dach versammelt war, ausgesprochen, ihn auch mit den übrigen Verwandten zugleich in seinem Testament bedachte! Ja, wer könne es wissen, besser vielleicht bedachte, als die Andern, deren er wohl jedenfalls herzlich überdrüssig war! wozu hätte er sich sonst derer erinnert, die er seit zwanzig Jahren ganz vergessen zu haben schien!

»Ich denke, Junge,« hatte er gerufen und dabei Wolfgang auf die Schulter geklopft, »ich denke, das soll auch Dir zu Gute kommen. Hätte ich vor fünf Jahren gewußt, daß es noch einmal so sich wenden könnte, ich würde Dir nie erlaubt haben, solch ein elendes Fach zu ergreifen, als Deine alberne Jurisprudenz, bei der schließlich doch nicht viel herauskommt. Referendar und Assessor das halbe Leben lang – was ist denn das? Ich möchte, Du wärest Soldat geworden! 's ist am Ende doch das einzige anständige Handwerk für einen Edelmann! Was meinst Du, Gretchen?«

Die Mutter hatte freundlich gelächelt und mit ihrer sanften Stimme gesagt: »Ich bin zufrieden, wenn Du zufrieden bist – und der Wolf,« hatte sie schnell hinzugesetzt, indem sie die Hand ihres Sohnes ergriff und liebevoll drückte.

Wolfgang aber hatte nicht gelächelt, denn die Weise, wie der Vater die ganze Sache ansah, hatte ihm ausnehmend mißfallen. Dies plötzliche scharfe Accentuiren des Adels, auf den der Vater bis dahin scheinbar so wenig Gewicht gelegt, war ihm befremdend. Es stimmte so wenig mit des Jünglings Vergangenheit und mit den freien Ansichten, die sich, mit in Folge gerade dieser Vergangenheit, in ihm entwickelt hatten! Und dann beleidigte sein reines Gefühl die niedrige Habsucht, die so unverhüllt aus den Worten des Vaters hervorblickte. War es denn immer Geld und wieder Geld, um das es sich handelte? Wenn der Vater Freude darüber empfand, daß ihm die Kreise wieder erschlossen werden sollten, an welche die Erinnerungen seiner jungen Jahre ihn nun einmal fesselten, – Wolfgang konnte sich nicht mitfreuen, indessen er konnte diese Neigung wenigstens verstehen. Aber daß der Vater neugierig war, zu wissen, wie lange der alte General wohl noch leben könne, daß der Vater sich mit scheinbar nicht geringer Genugthuung erinnerte, wie der General schon vor zwanzig Jahren an einem von den Aerzten für unheilbar erklärten Halsübel und an Gicht und Rheumatismus dazu gelitten hatte, daß der Vater ganz unumwunden aussprach: der alte Mann könne es »auf keinen Fall lange mehr treiben« – das konnte der hochsinnige Wolfgang mit seinen Begriffen von Menschenwürde nicht vereinen. Die ganze Reise nach Rheinfelden kam ihm wie eine Art von Raubzug vor, wie eine offenbare, schamlose Erbschleicherei, und er wäre derselben gern überhoben gewesen, umsomehr, als er sich das Zusammentreffen mit seinen Verwandten nur als ein Ereigniß denken konnte, das für ihn selbst und für die arme Mutter außerordentlich peinlich sein würde. Ging er doch an seinen Onkeln und Tanten auf der Straße vorüber, ohne von ihnen beachtet zu werden, vielleicht ohne von ihnen gekannt zu sein; thaten doch selbst seine Vettern, der Lieutenant Kuno und der Fähndrich Odo, die mit ihm auf derselben Schule, wenn auch nicht in derselben Klasse, gewesen waren, als ob sie von seiner Existenz nicht die entfernteste Ahnung hätten! Wäre eine Möglichkeit gewesen, der Reise nach Rheinfelden zu entgehen, Wolfgang würde diese Möglichkeit mit Freuden ergriffen haben, und wer weiß, ob er dem Befehl des Vaters nicht schließlich eine entschiedene Weigerung entgegengesetzt hätte, wenn die Mutter nicht gewesen wäre, seine liebe, gute Mutter, die dem Wunsche des Vaters so entsagungsfreudig, so hingebend entgegenkam.

Das war vor kaum acht Tagen gewesen und heute schien dem jungen Mann eine Ewigkeit zwischen jetzt und damals zu liegen. Was hatte er nicht Alles seitdem erlebt! äußerlich so wenig, und doch welche Veränderungen waren seitdem in ihm vorgegangen! Wo war der Widerwille geblieben, mit welchem ihn sonst der bloße Gedanke einer Annäherung an seine hochmüthigen Verwandten erfüllt hatte? was war aus seinem Entschluß geworden, diese Annäherung, selbst wenn sie von jenen versucht werden sollte, mit höflicher Kälte zurückzuweisen? Hatte er sich nicht in den häufigen Zusammenkünften mit seinem Großonkel geradezu bemüht, den alten cholerischen Mann, dessen originelle Denkweise und sonderbar veraltete Rede ihm eine Art von historischem Interesse einflößten, für sich selbst, für den Vater und die Mutter günstig und günstiger zu stimmen? Hatte er sich nicht sehr gefreut, als ihm das offenbar gelang? als er zu bemerken glaubte, daß dieser menschenverachtende, cynische Sonderling in seiner Gesellschaft milder, weicher, menschlicher wurde? Hatte er sich nicht förmlich für den Gedanken begeistert, den greisen Egoisten am Rande des Grabes zur Religion der Humanität zu bekehren? Und hatte er es sich etwa weniger angelegen sein lassen, die Gunst seiner Tante zu erwerben? hatte er ihren sentimentalen Plattheiten nicht ein williges Ohr geliehen? war er auf ihr geistloses Geschwätz nicht immer mit großer Bereitwilligkeit eingegangen? hatte er ihr nicht dankbar die Hand geküßt, als sie eines Nachmittags auf einem Spaziergange im Park sagte: es thue ihr so leid, so sehr leid, daß sie seine schöne sanfte Mutter so spät erst kennen gelernt habe; jetzt aber wolle sie versuchen, das Versäumte so viel als möglich nachzuholen, eine Freundin wie diese habe ihr immer gefehlt? – Und nun endlich! hatte Camilla nicht die letzte Wolke des Unmuths von seiner Stirn weg gelächelt? die bittern Worte, die er stets für seine Verwandten gehabt, für immer und immer von seiner Lippe weggeküßt! Camilla! Camilla! ja! er hatte die Linie, die bis dahin sein Leben umschlossen hielt, passirt und andere schönere Sterne leuchteten ihm jetzt. Was hatte er bis vor wenigen Tagen, ja vor wenigen Stunden von Glück und Lust, von allem Schönsten, was das Menschenherz entzücken kann, gewußt? nicht mehr, als ein Nordländer von der zauberischen Pracht, mit welcher die Sonne des Südens Himmel, Meer und Erde schmückt! Nein, es kann nicht die Bestimmung des Menschen sein, in grüblerischem Trübsinn das Leben zu vertrauern, wie der hochherzige unglückliche Münzer oder der wunderliche Heilige in seinem melancholischen Thurm. Es muß eine Menschenliebe geben, die auch von Freude weiß; eine Freiheitsliebe, die sich vor dem Holden, dem Schönen nicht bekreuzigt. Was würde seine Mutter sagen, wenn sie Alles erführe? seine Mutter! aber wenn sie wirtlich so krank wäre, wenn sie sterben sollte – wohin wäre dann Freude und Glück? was wäre da noch hold und schön auf dieser Welt?…

Wolfgang fuhr aus dem Traume, der seine von so vielen und so mächtigen Eindrücken ermattete Seele gefangen gehalten hatte, jäh empor. Ganz wie vorhin schleppten die müden Gäule den Wagen langsam im tiefen Sande fort: ganz wie vorhin glitzerten die Wasser des Stroms zu seiner Rechten in den Strahlen des Mondes; ganz wie vorhin saß der schweigsame Köbes in der Ecke seines Sitzes vorübergebeugt, stumm und unbeweglich, wie ein Todter.

»Wie weit sind wir, Köbes?« fragte Wolfgang.

»Halbwegs;« brummte Köbes, ohne sich aus seiner Stellung zu rühren.

»Da haben wir ja noch eine halbe Stunde, bis wir auf der Chaussee sind!« rief Wolfgang ungeduldig; »wir kommen ja auch gar nicht aus der Stelle.«

Köbes pfiff ein paar langgezogene Töne. Bei jeder andern Gelegenheit würde das seine ganze Antwort auf den Vorwurf eines ungeduldigen Passagiers gewesen sein; des armen Wolfgang Seelenzustand schien ihm indessen eine besondere Berücksichtigung zu verdienen. So brummte er denn, den Kopf ein ganz klein wenig herumwendend: »Sand ist Sand.«

»Ohne Frage, lieber Köbes;« sagte Wolfgang, der des Mannes wunderliche Ausdrucksweise von Jugend auf kannte; »ich wollte auch nur sagen, daß Sie so schnell fahren möchten, wie es irgend geht.«

Köbes pfiff die ersten Tacte von: »Ich hatt' einen Kameraden,« was heißen sollte: »ich weiß schon, was ich zu thun habe und an mir soll es nicht fehlen;« und brach dann plötzlich ab, als hätte er seine Meinung deutlich genug ausgesprochen.

Wolfgang konnte das öde Schweigen, das seine aufgeregten Nerven peinigte, nicht lange ertragen.

»Köbes,« sagte er, »haben Sie meine Mutter in den letzten Tagen manchmal gesehen?«

»Ob!« sagte Köbes.

»Und sie sah wohl aus?«

»Na!« sagte Köbes.

»Sie meinen: nicht?«

»Falsch angespannt!«

»Was heißt das?« fragte Wolfgang, den diese seltsame Antwort eigenthümlich berührte.

Köbes wendete sich halb um, zum Zeichen, daß er eine erschöpfende Diskussion des angeregten Themas beabsichtigte und sagte:

»Hohensteins sind Hohensteins.«

»Das heißt, lieber Köbes?«

»Taugen nichts.«

»Ein schönes Kompliment für mich, der ich auch ein Hohenstein bin.«

»Adel ist Adel,« sagte Köbes.

»Das heißt?«

Der alte Kutscher hatte sich wieder zu seinen Pferden gewandt und antwortete nicht. Wolfgang mochte seine Frage nicht wiederholen, um so weniger, als sie jetzt von der Landstraße auf die Chaussee bogen, und mit der schnelleren Bewegung die Sehnsucht, möglichst bald nach Hause zu kommen, mächtig in ihm erwachte. Die Bäume an der Wegseite zogen langsam an ihm vorbei; es war Wolfgang, als ob die Fahrt ewig dauere. Sie kamen durch ein Dorf; fast in allen Häusern brannte noch Licht; in dem Wirthshaus ging es sehr lebhaft zu. Als der Wagen schnell über das Pflaster vorbei rollte, stürzten die Gäste an die Fenster und vor die Thür; Wolfgang hörte rufen: sie kommen! und dann wieder: 's blos ein Wagen! Er wußte nicht, was das zu bedeuten hatte. Dicht hinter dem Dorf begegnete ihnen eine Procession, die quer über die Chaussee zog: »Heilige Jungfrau, bitt' für uns! heiliger Sebastian, bitt' für uns!« – Das gab einen mehrere Minuten langen Aufenthalt. Kaum hatte der Wagen sich wieder in Bewegung gesetzt, als ein dumpfer Donner, unter dem die Erde bebte, an Wolfgang's Ohr schlug. Der Donner kam näher, das Beben wurde stärker; ein Reiter im vollen Rosseslauf sprengte heran: Platz! Platz da! im nächsten Augenblicke kamen mehrere Geschütze im schnellsten Jagen vorüber; der Mondschein glitzerte auf den blanken Rohren und auf den Waffen der Reiter; die Fuhrknechte hieben wie toll auf die schäumenden Pferde; ein nebenher sprengender Officier parirte mit Mühe sein Pferd vor Wolfgang's Wagen, den er zu spät bemerkt hatte und schrie wüthend: »Verdammt! könnt Ihr nicht aus dem Wege bleiben!« – und die wilde Jagd war vorbei gerast, ehe der alte Köbes seine scheu gewordenen Thiere beruhigen konnte.

»Was heißt denn das?« fragte Wolfgang bestürzt.

»Militair ist Militair;« brummte Köbes.

Ein Reiter kam hinterher getrabt. Es war der Doctor, dessen Pferd für Parforcetouren weniger geeignet sein mochte. Wolfgang rief ihn an: »Bitte, mein Herr, können Sie mir sagen, was dies bedeutet? ist in der Stadt etwas vorgefallen?«

Der Doctor, eine lange, hagere Gestalt, erwiderte mit einer schnarrenden, mißmüthigen Stimme:

»Was wird's sein! blinder Lärm, wie alle Tage! Sechs mal in vierundzwanzig Stunden Ordre und Contreordre; wenn der Hauptmann ein paar Minuten gewartet hätte, wäre die Contreordre wohl gekommen, 's ist zu dumm! Man will uns die Annehmlichkeiten des Landlebens zu kosten geben. Alle Dörfer sind besetzt mit Truppen, wie ein Hase mit Speck. Die Bauern müssen doch auch erfahren, daß sie in einem Militairstaat leben! Komm, Lise, noch ein kleiner Galopp, sonst kriegen wir Beide Arrest. Adieu, mein Herr!«

Der Doctor gab seinem Pferde die Sporen und sprengte davon.

»Fahren Sie zu, Köbes,« bat Wolfgang, »um's Himmelswillen, fahren Sie zu!«

Köbes pfiff und die müden Gäule, welche großes Verlangen nach dem Stall haben mochten, griffen schneller aus, zum Glück für Wolfgang, dessen Unruhe durch diesen neuen Zwischenfall den höchsten Grad erreicht hatte. Er lehnte sich in den Sitz zurück und hüllte sich dichter in seinen Ueberrock. Die Aufregung und vielleicht auch die Kühle der Nacht, die jetzt empfindlich zu werden begann, schüttelten ihn wie mit Fieberfrost; seine Hände waren eiskalt, aber seine Stirn brannte. In seinem überreizten Gehirn drängten sich phantastische Bilder. Er sah wildbewegte Volksmassen sich durch die engen Straßen wälzen; er glaubte das Läuten der Glocken und das Knattern des Gewehrfeuers zu vernehmen. Dann wieder sah er seine Mutter von Schmerzen gefoltert, im Bette liegen; dann streckte der alte General mit heiserem Lachen seinen kahlen Kopf dazwischen und dann lehnte sich Camilla unter Kosen und Küssen an seine Brust und riß sich jäh aus seinen Armen, als vom Schlosse her sein Name gerufen wurde.

Wolfgang fuhr empor. Er mußte vor Ermattung eingeschlafen sein, denn, ohne daß er wußte, wie er so schnell dahingekommen, rasselte der Wagen eben über die Zugbrücke und hielt vor der Wache.

»Kann passiren;« hörte Wolfgang eine quäkende Stimme sagen; es war ihm, als ob er für einen Augenblick das Gesicht seines Vetters Kuno gesehen habe; es mochte aber auch eine Täuschung sein. Der Wagen donnerte durch das dunkle Thor, dessen mächtige Flügel ein mit den Schlüsseln klappernder Unterofficier auseinanderschlug, in die engen mondbeschienenen Straßen hinein. Die lichterhellten Fenster tanzten an ihm vorüber, lärmende Menschen drängten sich in wirren Haufen, und stoben auseinander, wenn eine Patrouille im Geschwindschritt anmarschirt kam. Und nun eine stillere Straße – die Straße, in der die Wohnung seiner Eltern lag. Der Materialladen des Nachbars, in dessen Thür der Besitzer, mit seinen zwei Lehrlingen und dem Dienstmädchen neugierig-ängstlich nach dem »Cravall« ausschauten und da hielt der Wagen vor dem großen, dunklen Hause. Wolfgang blickte empor. Nur zwei Fenster im oberen Stock waren matt erhellt; es waren die Fenster des Wohnzimmers, aus dem man in das seiner Mutter gelangte. Mit einem Satz war er aus dem Wagen. Die Hausthür war nicht verschlossen. Auf dem Flur brannte die Lampe in der Glasglocke, die von der Decke herabhing; er erstieg eilends die breite, stille Treppe und stand, tief Athem schöpfend, vor der Thür des Wohnzimmers. Sein Herz klopfte zum Zerspringen; was lag nicht Alles für ihn hinter dem dünnen undurchdringlichen Schleier des nächsten Augenblicks? Leben und Tod!



 << zurück weiter >>