Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

28.

D er Präsident hatte, als er nach Hause gekommen war, einen Brief des Onkels aus Rheinfelden vorgefunden, der seinen letzten Zweifel bezüglich des Verhaltens, welches er in der bewußten Familienangelegenheiten zu beobachten habe, hob. Der Alte erklärte mit dürren Worten, daß eine Heirath zwischen Wolfgang und Camilla sein ganz specieller Wunsch sei und daß es den Betheiligten nicht zum Schaden gereichen solle, wenn sie sich seinen Bestimmungen bereitwillig fügten. Mit diesem Briefe in der Hand hatte sich der Präsident sodann zu seiner Gemahlin begeben und eine lange Unterredung mit ihr gehabt, die von ähnlichen Unterredungen der Art zwischen den Gatten sich wesentlich dadurch unterschied, daß Beide diesmal vollständig » d'accord« waren, wie die Präsidentin mit selbstgefälligem Lächeln bemerkte. Die Präsidentin hatte darauf das Ankleidezimmer ihrer Töchter aufgesucht, um den jungen Damen gewisse Verhaltungsmaßregeln für den heutigen Abend zu ertheilen; der Präsident war wieder in sein Zimmer gegangen, um mit dem vor einer Stunde eingetroffenen neuen Kammerdiener Jean eine Conferenz zu haben, die fast vertraulich zu nennen war und in welcher die Namen der Frau von Hohenstein – »die Gnädige,« sagte Jean – und des Doctor Münzer zu wiederholten Malen vorkamen. Diese Conferenz wurde erst dann abgebrochen, als der gewöhnliche Diener des Präsidenten – mit einem nicht allzufreundlichen Seitenblick auf seinen neuen Kameraden – die angezündete Lampe hereintrug und zugleich meldete: Herr Dr. Münzer sei im Vorzimmer und lasse fragen: ob es dem Herrn Präsidenten genehm sei, ihn zu empfangen?

»Noch einen Augenblick, bis ich klingle;« hatte der Präsident erwidert und dann, als der Bediente sich wieder entfernt hatte, zu Jean gesagt! »es bleibt also dabei. Hundert Thaler, und wenn Sie sich ein Jahr lang gut halten, eine anständige Versorgung in meinen Büreau's; im andern Falle wissen Sie, daß ich Ihre Antecedentien kenne und daß ich Leute, die mir im Wege stehen, unschädlich zu machen weiß.«

»Sie sollen mit mir zufrieden sein, Herr Präsident!« sagte Jean, die Hand auf die linke Brust legend; »Sie sollen sehen –«

»Schon gut,« flüsterte der Präsident, »ich liebe die Redensarten nicht. Sie können gehen; dort durch das Nebenzimmer; Doctor Münzer darf Sie in diesem Augenblicke nicht sehen.«

Der geschmeidige Jean verschwand mit lautlosen Schritten durch die Thür, die in das Schlafgemach des Herrn führte, von welchem man wieder auf den Flur gelangte.

Der Präsident drückte die Feder des silbernen Glöckchens auf dem Arbeitstische.

Der Bediente öffnete die Thür und meldete:

»Herr Dr. Münzer.«

»Nun, das ist ja freundlich von Ihnen;« sagte der Präsident, dem Eintretenden die schmale weiße Hand entgegenstreckend, und, als Münzer nach einer förmlichen Verbeugung keine Miene machte, dieselbe zu ergreifen, mit einer anmuthigen Schwenkung den Gast auf einem der Fauteuils zum Niedersitzen einladend.

»Keine Freundlichkeit, Herr Präsident,« erwiderte Münzer, dem Präsidenten gegenüber Platz nehmend; »nur einfache Höflichkeit, deren Unterlassung mich nach dieser oder jener Seite hin unbequemen Mißdeutungen ausgesetzt haben würde.«

Der Präsident war durch diese Antwort, deren diplomatische Zurückhaltung er vollkommen zu würdigen wußte, einigermaßen überrascht. Er hatte von dem verrufenen Demokraten, den er bis dahin eigentlich immer nur aus der Ferne gesehen, ein ganz anderes Auftreten erwartet. Daß der Verfasser von Gedichten, deren gewaltiger Schwung dem trockenen Büreaukraten lächerlich dünkte, der Agitator, dessen stürmische Beredtsamkeit dem Manne der Salons immer höchst überspannt und bombastisch vorgekommen war, so geschäftsmäßig-kaltblütig sprechen und eine so ruhiggesellschaftliche Haltung haben konnte, däuchte ihm ein sonderbares Räthsel und er betrachtete den seltsamen Gast mit einer Verwunderung, von der sich eine leise Spur sogar in den sonst so theilnahmlosen Zügen ausprägte.

Auch Münzer heftete seine ausdrucksvollen Augen forschend auf den Präsidenten.

Eine Vergleichung der beiden Männer, über deren Gesichter und Gestalten jetzt das helle Licht der doppelarmigen Lampe strömte, wäre für einen Physiognomen nicht ohne Interesse gewesen. Es war, als ob sie nicht zu demselben Volk, ja als ob sie nicht in dasselbe Jahrhundert gehörten. Hier eine feingeschliffene Glätte, die ein Hauch der Leidenschaft entweder nie getrübt hatte, oder doch sicher nicht mehr trüben konnte; dort eine wilde Kraft, die jeden Augenblick die Fesseln einer erzwungenen Ruhe durchbrechen zu wollen schien; hier die lauernde Schlauheit, die jede Bewegung des Gegners sorgfältig bewacht, weil sie weiß, daß ihre einzige Stärke in der Vorsicht und in der feinsten Berechnung der Umstände liegt; dort ein stolzer Muth, der den Kampf des Kampfes wegen liebt und die Gefahr nicht kennt oder verachtet. Den hagern, geschmeidigen Mann hier mit der schmalen, hohen Stirn, dem glattrasirten lächelnden Gesicht, der leisen sanften Stimme, der frauenhaft graziösen Bewegung der langen, weißen, sorgsam gepflegten Hände konnte man sich kaum anders als hinter dem grünen Tische eines Sessionszimmers, oder an dem Kamin eines kerzenerhellten Salons mit der Theetasse in der Hand in anmuthigem Geplauder mit ordengeschmückten Herren oder Damen in großer Toilette denken; den Andern mit dem stolzen Kopf und dem edelblassen Antlitz, aus dem die schönen dunkelblauen Augen trotz ihrer Schwermuth so groß und kühn blickten, mit der gewaltigen Gestalt, den breiten Schultern und der hochgewölbten Brust, aus der die tiefe, melodische Stimme wie aus dem Herzen selbst zu kommen schien – man dachte ihn sich unwillkürlich nur in großen bedeutenden Situationen, vielleicht in keiner lieber, als an der Spitze einer begeisterten Schaar, die sich unaufhaltsam auf eine feindliche Batterie stürzt. – –

»Sehr gut,« sagte der Präsident, »sehr gut. Aber Sie werden mir zugeben, Herr Doctor: wenn man freundlich ist, ohne es sein zu wollen, so ist das doppelte Freundlichkeit.«

»Mag sein, Herr Präsident; aber verzeihen Sie: ich glaube nicht, daß Sie diese Zusammenkunft mit dem Redacteur des Volksboten deshalb arrangirt haben, um mit ihm über den Begriff der Freundlichkeit zu philosophiren. Wollen wir nicht sogleich an den geschäftlichen Theil unsrer Aufgabe gehen? Ich vermuthe, daß es sich um unsre Zeitung handelt, die allerdings der Regierung, welcher Sie vorstehen, und Ihnen speciell, besonders in jüngster Zeit, ein Dorn im Auge sein muß.

»Mir speciell? warum mir speciell, mein werthgeschätzter Herr Doctor?« sagte der Präsident in seinem sanftesten Ton. »Etwa weil der Volksbote mir die Ehre erzeigt hat, meine Amtsverwaltung einer längern – und ich darf wohl sagen: fleißigen Kritik zu unterwerfen? Lieber Himmel, dergleichen Annehmlichkeiten sind bei einer höhern Stellung, zumal in einem freien Staatsleben, unvermeidlich.«

»In der That;« erwiderte Münzer mit einer Ironie, die zu verschleiern er sich nicht die Mühe gab; »ich gestehe, daß die schwache Wirkung, welche die Artikel » In Praesidentem« auf den Präsidenten von Hohenstein gehabt zu haben scheinen, wenig schmeichelhaft für den Verfasser derselben ist. Er glaubte eines Mannes scharfe Axt an einen Baum zu legen und sieht, daß er nicht mehr gethan hat, als ein Knabe, der mit Muscheln einen Leuchtthurm einwerfen zu können meinte. So wird es Sie, Herr Präsident, denn auch weniger unangenehm, als ich fürchtete, berühren, wenn ich Ihnen mich selbst als den beschämten Autor dieser zwecklosen Stylübungen vorstelle.«

»Sie sagen mir nichts, was mich überraschte« erwiderte der Präsident mit seinem verbindlichsten Lächeln; »ich werde dem einfach edlen Styl des Herrn Dr. Münzer nie den Affront anthun, ihn mit dem Gallimathias unsrer gewöhnlichen journalistischen Sudelköche zu verwechseln.«

»Verzeihen Sie, Herr Präsident, wenn ich noch einmal den Wunsch ausspreche: möglichst schnell über die Einleitung hinweg zur Sache, wegen derer Sie diese Zusammenkunft wünschten, zu kommen.«

»Wir sind schon mitten darin, Werthgeschätzter,« sagte der Präsident – und bei diesen Worten rückte er einen Lampenschirm auf dem Tische so, daß der Schatten über sein Gesicht fiel – »denn eben der Umstand, daß Sie, ein Mann von diesem Geist und diesem Wissen, sich so gewissermaßen auf eine und dieselbe Stufe mit den Lohn- und Brotschreibern stellen, und das schmerzliche Bedauern, welches dieser Umstand in mir und in Personen, die höher stehen, als wir Beide, hervorgerufen hat – ist es, was mich nach einer Unterredung mit Ihnen Verlangen tragen ließ, noch bevor Sie die Redaction des Volksboten übernommen hatten.«

Münzer machte eine ungeduldige Bewegung in seinem Stuhl.

»Ich bedaure, nicht die entfernteste Ahnung zu haben, worauf dies Alles zielt;« sagte er kurz und scharf.

»Ich hoffe, wir werden uns peu à peu verstehen,« sagte der Präsident, immer in demselben leisen, freundlichen Ton. »Es wäre ja ein halbes Wunder, wenn wir uns von vornherein verständen. Das ist ja eben das Unglück unsrer Zeit, daß eine babylonische Verwirrung die Menschen ergriffen hat und Keiner mehr die Sprache des Andern versteht, obgleich sie schließlich Alle, wenn auch vielleicht auf andern Wegen und mit andern Mitteln, dasselbe wollen.«

»Sollte der Unterschied nicht tiefer liegen?« sagte Münzer, den, ohne daß er es selber merkte, die Unterredung zu interessiren begann; »sollte die Verschiedenheit unsrer Sprache nicht die nothwendige Consequenz der totalen Verschiedenheit unsrer Ideen sein?«

Der Präsident zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht,« sagte er; »aber es ist mir bei den leidenschaftlichen Debatten, die jetzt in der Presse, in den Volksversammlungen, den Vereinen und so weiter geführt werden, oft ein Wort eingefallen, das Göthe einmal in Beziehung auf einen, ich erinnere mich nicht, welchen Philosophen brauchte, dessen abstruser Jargon ihm anfänglich das Verständniß der Gedanken desselben fast unmöglich gemacht hatte. – Man muß sich erst an seine Sprache gewöhnen, sagte der alte Herr; weiß man aber, daß bei ihm Pferd nicht Pferd, sondern cavallo, und Gott nicht Gott, sondern etwa dio heißt, liest er sich bequem und leicht. – Ich glaube, so oder ähnlich so verhält es sich auch mit uns. Sie wollen die Wohlfahrt unseres engeren Vaterlandes, Sie wollen ein einiges, mächtiges, freies Deutschland; ich will das Eine, wie das Andre; aber Sie wollen das Alles wo möglich heute, und ich, weil ich einzusehen glaube, daß wir in dieser stürmischen Weise das Ziel nie erreichen werden, will, daß man keinen dritten und vierten Schritt thue, ohne den ersten und zweiten wohl überlegt zu haben.«

Um Münzer's Lippen zuckte ein spöttisches Lächeln.

»Damit es uns gehe,« sagte er, »wie dem schnellfüßigen Achilles, der die schleichende Schildkröte, die einen Schritt vor ihm voraus hat, niemals einholt, weil er erst die Hälfte des Schritts, und von dieser Hälfte wieder die Hälfte und so weiter in infinitum zurücklegen müßte! Nein, Herr Präsident! Schon vor zweitausend Jahren hat man es eine Thorheit genannt: neuen Most füllen zu wollen in alte Schläuche. Das ist aber das Beginnen der Besten Ihrer Partei; bemerken Sie wohl, Herr Präsident, der Besten, denen es wirklich, wie Sie sagen, um die Wohlfahrt des engeren Vaterlandes und um ein freies, einiges, mächtiges Deutschland zu thun ist. Aber die Andern? sie wollen nichts als den alten Wahn conserviren, die finstre Glaubensnacht, in dessen Dunkel das Menschengeschlecht nun schon so ewig lange rathlos herumgetappt ist; nichts, als ihre alten Privilegien erhalten, welche die Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen zu einem Spott und Hohn machen; nichts, als den – alten, unschmackhaften Most, den sich die Menschheit, die nicht privilegirte Menschheit, zum Ekel getrunken hat, weil sie ihn allzureichlich mit Thränen und Blut und Schweiß gemischt fand, in einen zierlichen neuen Schlauch füllen, dem sie, um die leichtgläubige Menge über den Inhalt zu täuschen, die schönsten, zierlichsten Namen geben. Wir aber, wir sind entschlossen, uns nicht länger mit glatten Worten speisen und mit schönen Phrasen tränken zu lassen; wir wollen Besitz nehmen von dem Erbtheil, das uns nur zu lange vorenthalten ist; wir wollen das alte Evangelium von der Erlösung der Menschheit, dessen Erfüllung die schlauen Priester des Mittelalters in ein Jenseits legten, schon hier auf dieser Erde zur Wahrheit machen, auf dieser unsrer Erde, aus der, nach den Worten des Dichters, unsre Freuden und Leiden quellen, und die unsre Heimath ist in jedem Sinn. – Nein, lassen Sie mich aussprechen, Herr Präsident! da ich so viel gesagt habe, so will ich auch noch das sagen, was mir speciell Ihnen gegenüber noch zu sagen bleibt. Ich habe Sie in meiner Zeitung angegriffen, scharf, mitleidslos angegriffen, nicht, weil ich eine persönliche Feindschaft gegen Sie fühlte, von der ich – das mögen Sie mir auf mein Manneswort glauben! – weit entfernt bin; auch nicht, weil ich Ihre Fähigkeiten und Ihre Kenntnisse bezweifle, denn ich halte Sie, ganz im Gegentheil, für einen in Ihrer Art ausgezeichneten Beamten – sondern weil ich an Ihrem Beispiele zeigen wollte, daß in unsren Tagen keine Wunder mehr geschehen, daß ein Saulus von gestern nicht heute ein Paulus werden kann, daß eine Regierung, welche sich von den alten Vollstreckern ihrer alten despotischen Willkür nicht trennen will oder kann, nicht den Willen oder nicht die Kraft hat, die Revolution durchzuführen, daß unter ihren Händen der befruchtende Strom sich elend in dem gierigen Sande des alten, sterilen Despotismus verlaufen wird.«

Während Münzer, hingerissen von dem Sturm der Gedanken, die seine Seele schon seit so vielen Jahren fortwährend beschäftigten, mit einer leidenschaftlichen, nur mühsam gezügelten Heftigkeit also sprach, hatte nebenan in dem Salon der Präsidentin jenes aus durcheinander schwirrenden Stimmen und klappernden Theetassen eigenthümlich gemischte Geräusch begonnen, durch welches sich eine größere Gesellschaft anzukündigen pflegt. Als Münzer, der bei seinen letzten Worten von seinem Stuhle aufgesprungen und in seiner Aufregung, wie er es zu thun pflegte, in dem Gemache hin- und hergeschritten war, in die Nähe der Thür kam, die zu dem Salon führte, glaubte er eine Stimme zu vernehmen, deren Klang ihm plötzlich alles Blut zu Herzen trieb. Auch der Präsident hatte diese Stimme gehört – der tiefe Schatten, der auf sein Gesicht fiel, bedeckte freundlich das höhnische Lächeln, das in diesem Moment um die schmalen blassen Lippen zuckte und den schnellen lauernden Blick, der aus den klugen, kalten Augen zu Münzer hinüberschoß.

Münzer wandte sich wieder zum Präsidenten, der sich nicht aus seiner Stellung gerührt hatte, und nun, auf den Stuhl, in welchem Münzer gesessen hatte, deutend, mit seiner sanften Stimme sagte:

»Sie müssen noch einmal Platz nehmen, Werthgeschätzter, und wäre es auch nur, um Ihren Gegner mit Ruhe anhören zu können. Zuerst danke ich Ihnen für die edle Aufrichtigkeit, mit welcher Sie sich über Ihr Verhältniß zu mir ausgesprochen haben. Obgleich es mir nie in den Sinn gekommen ist, daran zu zweifeln, daß Sie bei Ihren Angriffen auf mich immer nur von den reinsten Motiven geleitet wurden, so ist es mir doch angenehm, das gleichsam noch aus Ihrem Munde bestätigt zu hören. Sodann erlauben Sie mir, indem ich an Ihre letzten Worte anknüpfe, eine Bemerkung. Sie glauben nicht an den guten Willen der Regierung und ihrer Organe. Ich will davon absehen, daß dies Mißtrauen, in diesem Umfange wenigstens, nicht berechtigt ist, will Sie nicht daran erinnern, daß unser erhabener Souverain noch ganz kürzlich den Officieren des Elitecorps der Armee die Versicherung gegeben hat, daß er Alles, was er gethan, aus freien Stücken gethan habe – ich will einmal annehmen: es verhalte sich Alles genau so, wie Sie sagen. Nun aber frage ich Sie auf Ihr Gewissen: sind Sie im Stande, die unbrauchbar gewordenen Räder der Maschine durch neue, aus besserem Stoff zweckmäßiger gearbeitete zu ersetzen? sind Sie in der Lage, aus Ihrer Partei das decimirte Beamtenheer neu rekrutiren zu können? Sie sind es nicht, und wenn ich nicht zufällig der Präsident von Hohenstein wäre, sondern einer Ihrer vertrauteren Freunde und Gesinnungsgenossen, so würden Sie mir zugeben, daß Sie es nicht sind. Was folgt daraus? daß Sie mit den alten Factoren, die Sie durch keine neuen ersetzen können, rechnen müssen; daß Sie, in Ermangelung von reinem Wasser, die Wäsche des Staats noch eine Zeit lang in dem unreinen Wasser werden waschen müssen. Aber wer hindert Sie denn – und hier komme ich zum springenden Punkt der ganzen Frage – wer hindert Sie denn, allmälig frisches und immer frischeres Wasser in das alte hineinzuleiten? wer hindert Sie, um ohne Metapher zu sprechen, sich an der Regierung zu beteiligen und die Anstalten und Mittel, die Sie nun einmal vorfinden, zu Ihren Zwecken zu benutzen? Glauben Sie, daß wir uns sträuben würden, Sie in unseren Reihen aufzunehmen? Ich kann Sie versichern, daß dies nicht der Fall sein würde, daß die Regierung sich ihrer relativen Mangelhaftigkeit wohl bewußt ist und nichts eifriger wünscht, als sich mit frischen, jungen Kräften zu stärken. Wir drücken jetzt bei Manchem scheinbar die Augen zu, aber glauben Sie mir: wir sehen Alles, sehr viel mehr wenigstens, als wir zu sehen scheinen. Wir kennen sie sämmtlich, die hohlen Brauseköpfe Ihrer Partei, aber wir kennen ebenso auch die guten Köpfe, die Köpfe, welche einzig und allein in dem Schwarm von Nullen zählen. Es fällt mir nicht ein, Herr Doctor, Ihnen hier plumpe Schmeicheleien sagen, oder Sie sonst durch einen andern Köder, wie etwa Orden und Ehrenstellen, von Ihren Ueberzeugungen weglocken zu wollen; ich würde mich schämen, Ihnen einen Antrag zu machen, den Sie mit Verachtung zurückweisen würden, aber soviel kann und muß ich Ihnen sagen: wenn Sie der Regierung Ihre große Kraft, Ihre herrlichen Talente, Ihre ausgebreiteten Kenntnisse widmen wollten – jeder Wirkungskreis, den Sie für sich in Anspruch nähmen – er würde Ihnen geöffnet sein.«

Münzer hatte von der letzten Rede des Präsidenten nur den kleinsten Theil gehört, denn in dem Salon nebenan war auf einem Flügel in abgerissenen Tacten eine Melodie gespielt worden, die Münzer nur einmal gehört hatte, um sie nicht wieder zu vergessen, eine Melodie, die wie mit Zaubergewalt seine Seele umstrickte.

Mit einer gewaltsamen Anstrengung riß er sich empor.

»Ich danke Ihnen, danke Ihnen sehr für Ihre gute Meinung, Herr Präsident,« sagte er zerstreut; »aber ich meine: wir rücken bei alledem dem Punkte einer gegenseitigen Verständigung um keines Haares Breite näher. Ueberdies höre ich, daß Sie Gesellschaft haben und muß fürchten, Sie an einer angenehmeren Unterhaltung zu hindern. Erlauben Sie, daß ich mich verabschiede.«

»O nicht doch, nicht doch!« sagte der Präsident; »es ist freilich unbequem genug, das Gezwitscher und Quinquiliren nebenan; aber lassen Sie sich dadurch nicht verscheuchen. Es ist ja so selten, daß man einmal ein vernünftiges Wort mit einem vernünftigen Manne sprechen kann.«

Ehe Münzer etwas erwidern konnte, öffneten sich die beiden Flügel der Thür, so daß das helle Licht der Kerzen auf den Kronleuchtern und auf den Consolen und Tischen zusammen mit dem lauteren Geräusch der conversirenden Gesellschaft in das Gemach strömte, und als Münzer sich mit einem gewissen Schrecken umwandte, sah er Arm in Arm zwei Damen hereintreten, von denen er die eine ältere, sehr stattliche, etwas corpulente, nicht kannte, die andre aber – Münzer kannte sie nur zu gut – das schöne, verführerische Weib, dessen Bild noch eben vor seiner Seele gestanden, aus dessen Nähe er nur noch eben hatte fliehen wollen!

»Mein lieber Herr Doctor,« sagte die stattliche Dame, indem sie den Arm Antonien's fahren ließ und bis unmittelbar vor Münzer heranrauschte; »verzeihen Sie die zudringliche Neugier einer Ihrer wärmsten Verehrerinnen, die es nicht über das Herz bringen konnte, den Dichter der Rosamunde hier bei ihrem Gatten zu wissen, ohne einen Versuch zu wagen, ihn persönlich kennen zu lernen.«

Münzer verbeugte sich schweigend und als er seinen Kopf wieder emporrichtete, fiel sein Blick auf Antonie, deren große dunkle Augen mit einem eigenthümlich starren, fast angstvollen Ausdruck auf ihn gerichtet waren.

»Wie lange habe ich und meine Töchter uns darnach gesehnt!« sagte die Präsidentin; »Sie müssen, ja wahrhaftig Sie müssen mir erlauben, Herr Doctor, Ihnen meine Mädchen vorzustellen.«

»Verzeihen Sie, gnädige Frau,« erwiderte Münzer, »Sie sehen, ich bin keineswegs darauf vorbereitet, in Ihrem Salon zu erscheinen.«

»O, lieber Herr Doctor, nur keine Umstände!« rief die Präsidentin; »wir sind ganz unter uns, ganz en famille! Nicht wahr, liebe Antonie? nicht wahr, lieber Philipp?«

Und die Präsidentin wandte sich zu ihrem Gemahl.

Antonie trat an Münzer heran und sagte schnell und leise:

»Bleiben Sie; ich muß Sie sprechen!« und dann laut: »Thun Sie uns den Gefallen, Herr Doctor! Sie wissen: Noblesse oblige! Warum haben Sie eine Rosamunde gedichtet! Machen Sie gute Miene zum bösen Spiel!«

»Ich würde in Ihrem Bleiben eine Bestätigung des persönlichen Theils unsrer Unterhaltung erblicken,« sagte der Präsident.

»Geben Sie mir Ihren Arm, Herr Doctor, und erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Mädchen zeige!« sagte die Präsidentin, indem sie Münzer unterfaßte und in den Salon führte, während der Präsident mit einem geflüsterten: »Bitte, liebe Schwägerin, auf einen Moment!« Antonien in seinem Zimmer zurückhielt.

Münzer war in seinem Leben sehr selten in einem so glänzenden Salon gewesen, als der war, in den er sich hier so plötzlich gegen seinen Willen versetzt sah. Aber vergebens spähten die vielen Augen, die sich bei seinem Eintritt mit einem Ausdruck starrer Verwunderung oder unverschämter Neugier auf ihn richteten, nach einem Zug von Verlegenheit oder Befangenheit in seinem schönen blassen Gesicht. Für die Einsichtigeren lag in diesem Gesicht und vor Allem in der Haltung der hohen, mächtigen Gestalt viel mehr Stolz als Demuth, ja in dem Blick der großen, feurigen Augen etwas wie ein glimmender Zorn, der nur einer geringen Veranlassung bedurfte, um in hellen Flammen aufzulodern. Und das waren in der That die Gefühle, die Münzer's Herz erfüllten, während die Präsidentin, ohne seinen Arm loszulassen, ihn den einzelnen Herren und Damen ihrer Gesellschaft vorstellte: »General Hinkel von Gackelberg – ein großer Verehrer ihrer Muse, Herr Doctor – Oberbürgermeister Dr. Dasch – ah! die Herren kennen sich bereits, wie ich sehe! – Herr Ober-Regierungsrath von Droste, Herr Regierungs-Assessor von Wyse, Herr Referendar von Elvensleben – Herr Baron von Willamowsky – Herr von Brinkmann – aber, wo habt Ihr denn die Damen gelassen, ihr jungen Herren? alle geflüchtet, wie die Tauben, natürlich um sich eine Schnurre von Kettenberg erzählen zu lassen! Nein, nun hören Sie das Gelächter! Der Kettenberg – der Maler, Herr Doctor – Sie kennen ja seine herrlichen Bilder von der letzten Ausstellung! Er ist unser enfant, – enfant terrible, wie ihn meine Aurelie getauft hat. Nichts als Narrenspossen im Kopf, aber ein so lieber Mensch! – Da steckt nun das ganze muntre Völkchen beisammen. – Wir werden sie schon in dem andern Zimmer aufsuchen müssen. Richtig, da sind sie! Das ist meine Camilla, Herr Doctor! Aurelie, wie echauffirt Du nun wieder bist! Die beiden Fräulein von Hinkel, Fräulein von Droste – warum ist denn Ihre Mama nicht mitgekommen, liebe Elfriede? – und da ist er ja, der Papageno! – Kettenberg, Sie sollen mir's büßen, wenn Sie allen unsern Mädchen den Kopf verdrehen!«

»Meine gnädige Frau!« erwiderte Kettenberg, – ein schöner junger Mann mit glänzend dunklem lockigen Haar, schwarzem Schnurr- und Knebelbart – »ich glaube mir dadurch im Gegentheil ein Verdienst zu erwerben. Die Köpfchen kommen so vielleicht an die rechte Stelle!«

»O, Sie loser Spötter! Wie könnt Ihr Euch das nur gefallen lassen, ihr jungen Damen! Aber jetzt müssen Sie mich für einen Moment entschuldigen, Herr Doctor; ich höre, daß noch eben Jemand kommt.«

Und die Präsidentin rauschte davon, um »ihren lieben, lieben Schwager,« den Stadtrath von Hohenstein zu begrüßen, der soeben in den Empfangs-Salon getreten war.

Die Gesellschaft bei der Präsidentin sollte heute nicht aus dem Erstaunen heraus kommen. Die Ankunft des Stadtraths erregte eine kaum minder große Sensation, als das Erscheinen Münzer's. Zwar die in das politische Parteitreiben Eingeweihten – General Hinkel, Oberbürgermeister Dasch, Regierungsrath von Droste und Andre – wußten, daß der Stadtrath von Hohenstein sich in den letzten Tagen mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit aus einem vormärzlichen Liberalen zu einem enragirten Vertheidiger des Thrones und des Altars entpuppt hatte; aber man hatte doch nicht geglaubt, daß die Aussöhnung des reuigen Sünders mit seiner Familie eine so vollständige sei, und seine Anwesenheit in dem Salon der Letzteren und der überaus herzliche Empfang der Präsidentin drückten daher gleichsam das letzte Siegel auf den neugeschlossenen Bund. Der Neophyt hatte seine Prüfung bestanden; er war fortan ein Gleicher unter Gleichen. Das zeigte denn auch das Benehmen der Gesellschaft. Sämmtliche anwesende Herren, Graf Hinkel an der Spitze, beeiferten sich, dem Stadtrath die Hand zu drücken, ihm etwas Angenehmes zu sagen, und der Bediente hätte mit dem Präsentirteller noch lange manövriren können, ehe der Stadtrath zu einer Erfrischung – deren er in der That zu bedürfen schien – gekommen wäre, wenn nicht Camilla, aus dem andern Zimmer herbeieilend, dem Onkel mit ihren eigenen schönen Händen die Tasse gereicht hätte.

»Lieber Onkel! Sie müssen schon einmal mit meiner Bedienung vorlieb nehmen,« sagte Camilla mit holdem verschämten Lächeln, und hob dann die langen dunkeln Wimpern, um zu dem Stadtrath mit einem Blicke emporzuschauen, für den Herr von Willamowsky, der ganz in der Nähe stand, seiner Seelen Seligkeit unbedenklich hingegeben haben würde.

Die Gesellschaft hatte heute überreichen Stoff der Unterhaltung und Beobachtung; denn es hatten sich kaum die Wogen des Erstaunens, welche durch das Erscheinen des Stadtraths aufgeregt waren, wieder gesänftigt, als der Obrist und die Obristin von Hohenstein, in ihrem Gefolge die Söhne, der Lieutenant Kuno der Portépée-Fähndrich Odo, in den Saal traten. Nun waren die beiden Letzteren freilich stehende Figuren an den Empfangsabenden der Präsidentin, aber die Eltern hatten schon seit langer Zeit nur immer an den eigentlichen Gesellschaften, zu denen besonders eingeladen wurde, Theil genommen, und es war ein stadtkundiges Geheimniß, daß die beiden Schwägerinnen sich gegenseitig mit dem gründlichsten Haß beehrten. Also auch dieser Schritt konnte nicht ohne Bedeutung sein, und es war wohl natürlich, daß die Geschichtenträger und Gebehrdenspäher, deren die Gesellschaft genau so viel als Personen zählte, sich alsbald mit großem Eifer daran machte, den mysteriösen Dingen, die hier vorgingen, auf die Spur zu kommen. Wirklich dauerte es denn auch gar nicht lange, als eine über alle Maßen erstaunliche Nachricht – man wußte nicht, von wem sie ausgegangen war – rings in der Gesellschaft umher von Mund zu Ohr von Ohr zu Mund ging: die Nachricht von der in aller Kürze bevorstehenden Verlobung Camilla's mit ihrem Vetter Wolfgang, dem Sohne des Stadtraths. Man fand nach einigem Nachdenken in der Anwesenheit sämmtlicher Mitglieder der Familie eine unumstößliche Bestätigung dieser Nachricht und wußte nun auch, weshalb Antonie schon seit einer halben Stunde in dem Arbeitscabinet des Präsidenten, jedenfalls zu einem wichtigen geheimen Gespräch mit diesem Letzteren, verschwunden war. Antonie wollte – stolz und eigensinnig, wie man sie kannte – von einer solchen halben Mesalliance – denn Wolfgang's Mutter war und blieb doch immer eine geborne Schmitz – nichts wissen, und eine Einhelligkeit Aller, die den Namen Hohenstein trugen, war bei einer so wichtigen Sache, wenn auch nicht unumgänglich, so doch auf jeden Fall äußerst wünschenswerth. Jetzt erklärte sich auch – einigermaßen wenigstens – die sonst unerklärliche Anwesenheit des Dr. Münzer. Dr. Münzer – man wußte wiederum nicht, woher die Kunde kam – war ein vertrauter Freund der Familie Schmitz und war vor Allem lange Jahre hindurch der Lehrer Wolfgang's gewesen. Man wollte dem jungen Hohenstein eine Ehre erweisen, indem man seinen Lehrer ehrte und hatte – eine feine Berechnung – der Sache, um sie nicht gar zu auffallend zu machen, einen halbpolitischen Anstrich gegeben.

Während die Gesellschaft sich in dieser eben so nützlichen wie angenehmen Weise unterhielt und die Bedienten mit den Theebrettern und Kuchentellern und ihrem leisen: Befehlen? geräuschlos durch die Zimmer huschten, hatte Münzer hinreichende Muße gehabt, über die mehr als schiefe Lage, in die er hier gerathen war, nachzudenken. Er hatte sich, sobald er von der Präsidentin befreit war, gesagt, daß er – koste es, was es wolle – ein Haus verlassen müsse, das er nie hätte betreten sollen; daß ein längeres Verweilen in diesen Zimmern ein Hohn gegen seine Ueberzeugungen, ein Verrath an seiner ganzen Vergangenheit sei; und daß er dieses Haus verlassen werde, sobald er Gelegenheit gehabt, Antonien zu sagen: sie solle sich keine Mühe geben, das Spiel von neulich wieder zu beginnen. So lauge aber mußte er bleiben. Das stolze Weib sollte nicht glauben, daß er vor ihr fliehe, sollte sich nicht einbilden, ihn zum gefälligen Spielball ihrer souveränen Laune zu haben. Sie sollte auch etwas von dem Herzweh erfahren, das sein Erbtheil war von Kindesbeinen an – ein Erbtheil, welches sich in den letzten Tagen so herrlich vermehrt hatte! – wenn sie anders ein Herz hatte!

Und Münzer blieb, jeden Augenblick hoffend, Antonie werde wieder zur Gesellschaft kommen, und mit jedem Augenblick, den er in diesen Zimmern zubrachte, kam stärker und stärker ein Etwas über ihn, von dem er sich keine Rechenschaft gab, und das ihn doch nicht minder, wie sein Verlangen, Antonien zu sprechen, an diese Stelle bannte. –

Wenn er die keusche zarte Empfindung eines Weibes gehabt hätte, so hätte er vielleicht gewußt, was dieses Etwas war und hätte es gefürchtet, wie Emilia Galotti die Luft kannte und fürchtete, die durch die orangedufterfüllten Prachtsäle des Kanzlers Grimaldi strich. Münzer durfte nicht der feinsinnige Kunstkenner sein, der er war, wenn die Schönheit der Gemälde, Vasen und Statuen an den Wänden, auf Consolen und Piedestalen sein Auge nicht entzücken; nicht der Poet, der er war, wenn die Gegenwart so vieler reizender, ja schöner Mädchen ihn nicht wie lieblichste Musik berühren sollte. Und wie er sich jetzt, nachdem er sich in den hohen, kerzenglanzerfüllten Zimmern umgesehen, in einem kleineren, lauschigen, ampelerleuchteten Teppichgemach in den schwellenden Sammet eines Sophas sinken ließ, der sich im Kreise um eine Säule zog, auf welcher oben in einem Marmorbecken ein kleiner Springquell plätscherte, – da dachte er an die armselige Hütte, in der er frierend und hungernd zum hagern, düstern Knaben herangewachsen war, und an die schauerliche Winternacht, als sein Vater bleich und kalt und starr auf dem Strohlager lag, und seine kranke, verhärmte Mutter daneben kniete und, wirre, wahnsinnige Worte, die sie für Gebete hielt, murmelnd, den Rosenkranz durch ihre harten, schwieligen, zitternden Hände gleiten ließ, und er, das junge Herz mit namenlosem Jammer und Grausen erfüllt, aus der Hütte in die heulende Nacht hineinstürzte, nach dem Dorfe zu laufen und den Priester zu holen – den alten, guten, mitleidigen Priester, der schon am andern Morgen eine Waise mit sich in seine ärmliche Wohnung führen mußte …

»Nun über welchem poetischen Gedanken grübeln Sie, Herr Doctor,« sagte der Maler Kettenberg, mit dem Münzer gleich zu Anfang ein paar höfliche Worte ausgetauscht hatte, und der sich nun zu ihm auf das Sopha setzte. »Sollten Sie Mangel an Stoff haben, so kann ich Ihnen vielleicht mit einigen interessanten Vorwürfen dienen. – Da ist zum Beispiel die kleine Camilla, – Sie werden sie am besten als Sirene, vulgo Menschenfischerin, verwerthen können. Ich habe, wie Jeder, der sie zum ersten Male sieht, für sie geschwärmt, und sie läßt sich anschwärmen, trotz einer, das versichere ich Sie; aber auf die Dauer ziehe ich ihre Schwester Aurelie vor, – reines Sommerwetter, sage ich Ihnen, mit obligaten Regenschauern, die aber zur Abwechselung etwas wahrhaft Entzückendes haben. Sie ist nicht ganz so schön, wie Sirene Camilla, aber sie würde, glaube ich, mit einem Manne, den sie liebte, noch heute Nacht im Nebel verschwinden, wenn's eben nicht anders ginge – und ich liebe dergleichen Temperamente. Oder wie gefällt Ihnen Fräulein Georgine von Hinkel, die junge Dame dort mit den prachtvollen rothen Haaren, die sie so antik-apollinisch zu kräuseln versteht, und den nicht minder klassischen, klassisch nackten Schultern und Busen? Die ist nun schon mehr Phryne oder Laïs; sie hat mich unter der Hand auffordern lassen, sie als Diana im Bade zu malen – auf mein Wort und meine Ehre! – und für wen, glauben Sie? für ihren Bräutigam! Ob ich den guten Jungen als Actäon anbringen soll, geziert mit dem Schmuck der Hörner, den sie ihm jedenfalls auf seinen hohlen Schädel setzen wird, hat sie mir nicht dabei sagen lassen; auch nicht, ob sie selbst Modell stehen will – das Letztere vermuthe ich aber. Sie glauben mir nicht? Auf mein Wort und meine Ehre: die Geschichte ist wahr. O, ich könnte Ihnen noch andere Dinge aus dieser ehrenwerthen Compagnie erzählen, von der Ihr harmlosen Gelehrten euch nichts träumen laßt! ich sage Ihnen: stellenweise das reine Sodom und Gomorrha!«

»Und weshalb frequentiren Sie eine Gesellschaft, die Sie so gründlich zu verachten scheinen?« fragte Münzer.

»Verachten?« sagte Kettenberg, »hm! ich verachte sie eigentlich nicht, denn ich meine: wenn andere tugendhafte Leute dies Leben führen könnten, sie würden es schließlich auch nicht anders, oder doch nicht viel anders treiben. Wo einer Pflanze allzureichliche Nahrung geboten wird, schießt sie leicht in geile Triebe, und wo sie der Nahrung ermangelt, verschmachtet und verkümmert sie. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wer, wie ich, gründlich den Süden kennt, weiß am Besten, wie unvermeidlich das ist. Aber ich liebe nun einmal den Süden und das Licht und all die verteufelte Herrlichkeit einer üppigen Natur. Es liegt mir im Blut, ich kann nicht anders. Und dann, was wollen Sie? Ich bin Maler, kein schlechter Maler nach Ihrem eigenen Ausspruch in Ihren Besprechungen der letzten Kunstausstellung. Eh bien! ich bin nicht so gestellt, daß ich recta via für die Unsterblichkeit malen konnte. Für wen soll ich also malen, als für die Götter der Erde, die Reichen und Vornehmen? Wer will denn sonst gemalt sein? und wer kann mich sonst bezahlen? Wenn ich aber diese Gesellschaft, die für mich ist, was das Licht für die Farben, verhorresciren wollte, aus diesen oder jenen moralischen Scrupeln – nun, dann kann ich meine Palette in den Ofen werfen und hingehen und Häuserwände anstreichen. Braucht man deshalb ein schlechter Mensch zu sein? Ich habe noch keinem Menschen, mit meinem Wissen, ein Leides gethan und fühle auch nicht die geringste Neigung dazu. Ich liebe auch die Freiheit, obgleich Sie das nicht glauben werden; aber die Kunst ist ein edles Weib, das mir treu gewesen ist mein Leben lang, und das ich nicht einer Maitresse halber, sie sei so reizend, wie sie wolle, aufgeben mag. Wie aber die Kunst neben der Freiheit, neben Eurer Freiheit bestehen soll, das vermag ich, bei Gott, nicht abzusehen. Ihr wollt den Luxus abschaffen und die Kunst ist ein Luxus. Das gemeine Volk – im besten Sinne, Doctor! – hat keine Liebe für die Kunst, kein Verständniß der Kunst. So lange es eine Kunst giebt, sind die Höfe der Fürsten ihre Zufluchtsstätte gewesen. Führen Sie mir nicht die Republiken des Alterthums und des Mittelalters dagegen an! Ob Einer die Herrschaft in Händen hat, oder sich einige Wenige in die Herrschaft theilen, das kommt schließlich auf eins heraus. Perikles plünderte den ganzen Archipel, um die Akropolis zu schmücken, und – aber ich ermüde Sie durch mein Geschwätz und habe mich noch immer meines Auftrages nicht erledigt.«

»Ihres Auftrages? an mich? und von wem?«

»An Sie allerdings; und von wem? ja, das ist schwer zu sagen, eigentlich von der ganzen Gesellschaft. Wissen Sie, nicht direct, sondern so: hören Sie doch einmal hin, Kettenberg! Sie verstehen das ja meisterhaft, Kettenberg!«

»Also die Scene zwischen dem Tempelherrn und dem Klosterbruder im Nathan!«

»Ha, ha, ha! sehr gut – das heißt: Sie gäben ein prächtiges Modell zu einem Tempelherrn, wahrhaftig; aber ich, als Klosterbruder, ha, ha, ha! Der Einfall ist zu gut!« und Kettenberg wollte vor Lachen schier ersticken.

»Aber nun im Ernst,« sagte er, sich mit dem Battisttaschentuche die Thränen trocknend, »wenn sich über so etwas im Ernst sprechen läßt. Ich soll Sie ausforschen, ob unser gemeinschaftlicher Freund Wolfgang – ich habe ihn neulich drüben in der Universitätsstadt kennen und schätzen gelernt – ein prächtiger Bursch, auf Ehre! – wirklich dir kleine Sirene Camilla heirathen soll.«

»Aber ich weiß kein Wort davon!«

»Im Ernst?«

»In vollem Ernst!«

»Und glauben auch nicht daran?«

»Es wäre mir sehr schmerzlich, wenn ich's glauben müßte. Aber die Sache scheint mir ganz undenkbar. Wolfgang ist ein ernster, hochsinniger Mensch; er kann sich nicht durch ein hübsches Mäskchen blenden lassen.«

»Meinen Sie, Doctor? ich glaube, das Unglück ist schon manchen ernsten und hochsinnigen Menschen passirt; ja passirt, wenn mich meine Erfahrung nicht trügt, denen gerade am leichtesten. Vielleicht hat auch an diesem Project die Diplomatie der Alten mindestens eben so viel Antheil, als die Liebe der Jungen. Daß die Sache nicht aus der Luft gegriffen ist, steht übrigens fest. Die kleine Aurelie, müssen Sie wissen, ist meine große Freundin und deponirt alle ihre zartesten Geheimnisse in den dreimal versiegelten Schrein meines Herzens. Von Aurelien aber habe ich heute Abend die feierliche Versicherung erhalten, daß die Sache im besten Gange sei. Anderes spricht dafür. Mein Freund Willamowsky, der die beste Aussicht hatte, sich an Camilla's Seite vollends zu ruiniren, ist heute Morgen mit langer Nase weggeschickt und hat seitdem seinen Gram in diversen Maibowlen zu ersäufen versucht, in Folge dessen nebenbei seine Augen noch etwas gläserner und dummer in die Welt starren, als sonst. Auch Vetter Kuno – ebenfalls ein Freier der vielumworbenen Helena – ist seit einigen Tagen in fürchterlicher Stimmung, trotzdem er exorbitantes Glück im Pharao gehabt hat, und spricht nur von verdammten Parvenü's, die mehr Glück wie Verstand haben und ehrlichen Kerlen die besten Bissen vor der Nase wegschnappen. Und dann ist es jedenfalls nicht von ungefähr, daß heute Abend sämmtliche Hohensteins – ich glaube, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren – hier versammelt sind. Der Stadtrath – ich sage Ihnen, man überschüttet ihn mit Liebenswürdigkeiten und Camilla flattert um ihn herum, wie ein Schmetterling um die süßeste Honigblume.«

»Hören Sie auf!« rief Münzer, »es ist genug und mehr als genug! Mir thut das Herz weh von all' dieser glänzenden Misère. Ich will fort – mir ist, als ob diese Luft mich erstickte. Sie wissen jedenfalls hier im Hause Bescheid. Kann man durch diese Thür auf den Flur gelangen?«

Münzer war aufgesprungen; Kettenberg fuhr ebenfalls aus seiner halb liegenden Stellung in die Höhe.

»Sind Sie ein Feuerkopf!« rief er, »aber das ist recht! das stimmt zu Ihrem Gesicht! Durch diese Thür? Gewiß! Sie führt auf einen langen Korridor und der Korridor bis an die Treppe. Ich hätte große Lust, mit Ihnen durchzubrennen; aber das darf ich der kleinen Aurelie nicht zu Leide thun. Haben Sie denn Ihren Hut? ja? nun dann: addio, Doctor! wettern Sie Ihren Zorn in ein paar schönen Gedichten aus – das erleichtert das Herz. Sie haben so lange nichts Poetisches von sich gegeben! Addio! halten Sie sich nur links!«

Münzer drückte dem Maler die Hand und ging durch die Thür, die aus dem Kabinet auf den Korridor führte, dann den sehr langen, halbdunklen Korridor entlang bis auf den hell erleuchteten Vorsaal. Als er den Vorsaal durchschritt, um zur Treppe zu gelangen, begegnete ihm ein schwarz gekleideter Diener mit einem Präsentirbret in der Hand. Münzer kam das gelbe lächelnde Gesicht bekannt vor; er wußte aber nicht, wo er es gesehen hatte. Der Mann mit dem gelben Gesicht blieb, als Münzer an ihm vorüber war, stehen, schnitt eine höhnische Grimasse und murmelte:

»Da läuft er hin, der dummstolze Kerl! der Gimpel! sieht weder nach rechts, noch links. Das ist wieder ein rechtes Fressen für meine Gnädige! Aber, ich will's euch eintränken – wartet nur!«

Als Münzer die breite teppichbedeckte Treppe hinabschritt, hörte er hinter sich das Rauschen eines Frauengewandes. Er achtete nicht darauf. Aber das Rauschen kam näher und als er an der Hausthür, die von einem galonnirten Portier aufgerissen wurde, angekommen war, hörte er es so dicht hinter sich, daß er auf die Seite trat, um der Dame den Vortritt zu lassen. Die Dame, die ihr Gesicht mit einem dichten Schleier verhüllt hatte, eilte mit einer Verbeugung an ihm vorüber.

Vor dem Portale hielt ein eleganter, geschlossener Wagen, dessen Kutscher sich vergeblich bemühte, die jungen, feurigen Pferde, welche das lange Stehen ungeduldig gemacht haben mochte, zur Ruhe zu bringen. In dem Augenblick, wo die Dame auf den, vom Bedienten geöffneten Schlag treten wollte, bäumte sich das Handpferd, daß der Bediente nach vorne sprang und die Dame in augenscheinlichste Gefahr gerieth, von dem Tritt herab unter die Räder geworfen zu werden. Münzer sprang hinzu und fing sie auf. Sie glitt aus seinen Armen auf die Erde und sagte dann, seine Hand ergreifend, rasch:

»Ich bin's – Antonie! Sie wollten mir aus dem Wege gehen; aber Sie sehen, der Zufall ist mächtiger als wir. Begleiten Sie mich; ich habe Ihnen Wichtiges mitzutheilen. Wollen Sie?«

Bei dem ersten Ton von Antonien's Stimme hatte ein Schauer der Wonne Münzer's Adern durchrieselt, und dann war ihm das stolze Blut aus dem Herzen nach dem Gehirn geschossen und mit finsterer Stirn sagte er durch die, wie im Zorn zusammengepreßten Zähne:

»Ich will es! es ist besser so, für Sie und mich!«

Er half Antonien in den Wagen, stieg selbst hinein und zog die Thür hinter sich zu. Der Bediente war schon oben auf dem Bock. Der Kutscher, der jetzt seiner Sache sicher war, hieb kräftig in die Pferde; die feurigen Thiere sprangen an und der Wagen donnerte über das Pflaster.



 << zurück weiter >>