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23.

» H err von Willamowsky, ich finde, Sie sind heute noch geistreicher, als sonst.«

»Finden Sie wirklich?« sagte der junge Officier, mit einem zärtlichen Blick seiner matten Augen auf den Gegenstand seiner Huldigung.

»Gewiß! so sehr, daß ich mich heute für eine so spirituelle Conversation in der That zu dumm fühle. Ueberdies hat die Mama nach mir geschickt. Entschuldigen Sie mich daher!«

Camilla stand von dem Platze am Fenster, wo sie mit einer Perlenstickerei so eifrig beschäftigt gewesen war, daß sie kaum auf das harmlose Gespräch des Dragonerlieutenants mit ihrer Schwester gehört zu haben schien, auf, rauschte an jenem, ohne ihn weiter eines Blickes zu würdigen, so nahe vorüber, daß ihr seidenes Gewand seine spitzen Kniee streifte und war im nächsten Augenblick in der hohen Flügelthür, die aus dem Empfangs-Salon in das Zimmer der Präsidentin führte, verschwunden.

»Aber, mon dieu, was bedeutet denn das!« sagte Herr von Willamowsky nach einer kleinen Pause, während welcher sich Aurelien's schwarze Augen an feiner bestürzten Miene sattsam geweidet hatten; »um Himmelswillen, Fräulein Aurelie, lachen Sie nicht, und sagen Sie mir: was das heißen soll.«

Aurelie zuckte die weißen Schultern.

»Ich fürchte, Sie haben Ihre Rolle ausgespielt, lieber Willamowsky – für einige Zeit wenigstens; schreiben Sie diese Illusion perdue zu den übrigen.«

» A bas,« sagte der Lieutenant; »so leicht wird man mit Stillfried von Willamowsky nicht fertig; sie wird bös sein, daß ich nicht schon gestern gekommen bin. Voilà tout

»Rauchen Sie, lieber Willamowsky?« fragte Aurelie.

»Wie kommen Sie zu der Frage? Sie wissen: ich detestire diese horrible Gewohnheit.«

»Sehen Sie, Willamowsky, welch' reizende Stickerei, die offenbar zu einem Cigarrenetui bestimmt ist! silberblau auf mattgrauem Grunde – unsre Farben, Willamowsky – das ist zart und sinnig, n'est-ce pas?« und das übermüthige Mädchen ließ die angefangene Arbeit Camilla's in der hellen Mittagssonne flimmern.

»Aber Camilla weiß so gut wie Sie, und alle Welt, daß ich nicht rauche!«

»Gewiß; und darum eben ist diese Arbeit nicht für Sie.«

»Aber für wen? vielleicht für Kuno?«

»Pah! Sie haßt Kuno, sage ich Ihnen!«

»So dachte ich auch; wenn, es aber Kuno nicht ist, so« –

»Wird es wohl ein Andrer sein. – Im Ernst, Willamowsky, kommen Sie einmal hierher in's Fenster und schnarren Sie etwas weniger, daß man's nicht nebenan hört. – Es geht hier etwas vor, von dem ich selbst nur erst eine Ahnung habe. Man traut mir nicht und hat auch keine Ursache dazu, denn ich habe diese Geheimnißkrämerei und dieses ewige Bevorzugen Camilla's satt und bin entschlossen, künftig meine eigenen Wege zu gehen. Sowie ich dahinter gekommen bin, sollen Sie's erfahren, denn ich liebe Sie, Willamowsky, weil Sie ein guter Mensch sind, dem es auf ein paar Louisd'or zu einem Bouquet nicht ankommt, wenn Sie einem armen Mädchen eine Freude damit machen können, und weil sie so wundervoll Polka tanzen und es sich in Ihrem neuen kleinen Wagen mit dem hübschen Rappen so himmlisch fährt. Ich glaube, daß Sie sich als Schwager ausgezeichnet benehmen würden und ich protegire Sie deshalb viel mehr als unsern Vetter Kuno, der alle Tage gelber und unangenehmer wird und überdies eine sehr schlechte Partie sein würde. Aber, wie ich Ihnen sagte: in diesem Augenblicke haben Sie nicht mehr Aussicht, als er: wir blicken mit unsern Schmachtaugen nach einem Andern aus. Kommt Zeit, kommt Rath, und nun machen Sie, daß Sie fortkommen: Sie alteriren sich sonst ausnahmsweise alles Ernstes und Ihre Ladylike schlägt sich noch die Vorderhufe ab. Apropos Ladylike. Wollen Sie wirklich mit Brinkmann's Fuchs tauschen? und warum ist Brinkmann heute nicht auf der Parade gewesen?«

»Er hat sich krank melden lassen; aber ich weiß, daß er mit dem Maler Kettenberg im Catalini'schen Garten bei einer Maibowle sitzt.«

» Les scélerats! Gehen Sie auch hin, lieber Willamowsky und nehmen Sie sich ein Beispiel an der Eintracht meiner Verehrer. Kettenberg ist ein wahrer Segen für euch. Er hat euch neue Cotillontouren gelehrt, er hat euch neue Recepte zu Bowlen mitgebracht; er hat die lebenden Bilder in unserm Cirkel in's Leben gerufen; enfin, hat er Camilla für die schönste, mich aber für die liebenswürdigste Präsidententochter auf der Welt erklärt.«

»Das sind Sie auch, auf Ehre, das sind Sie!« rief Herr von Willamowsky, die Hand der jungen Dame zierlich an seine dünnen Lippen führend.

»Auch Sie, Willamowsky? Haben Sie selbst jetzt noch Illusionen zu verlieren?«

Der hoffnungsvolle junge Dragonerofficier hatte sich kaum sporenklirrend und säbelrasselnd verabschiedet, als die Präsidentin aus ihrem Zimmer in den Salon gerauscht kam:

»Was hat er gesagt?« fragte sie, mit einem bezeichnenden Blick nach der Thür; »er ist ja sehr lange hier gewesen.«

»Desto mehr Gelegenheit hättest Du gehabt, ihn selbst zu fragen;« erwiderte Aurelie unartig.

»Ist das eine Antwort?« fragte die Mama, in die Nähe des Fensters tretend und durch ihre Lorgnette dem Wagen Willamowsky's nachschauend.

»Warum nicht? Wenn ich für eure Vertraute zu schlecht bin, so halte ich mich für zu gut, euer Spion zu sein.«

»Ich glaube, Du träumst, Aurelie,« sagte die Präsidentin, sich vom Fenster in das Zimmer wendend.

»O, liebe Mama,« erwiderte die junge Dame mit großer Lebhaftigkeit; »ich bin nicht ganz so dumm und so gutmüthig, wie ihr denkt. Oder meinst Du: ich sollte es ganz in der Ordnung finden, daß es Camilla und immer wieder Camilla ist, um die sich Alles dreht? daß Camilla sich in Rheinfelden amüsiren und bei dem Großonkel einschmeicheln darf, während ich mich hier in der Stadt langweilen muß und nichts zu thun habe, als eure Commissionen auszuführen? Meinst Du denn: ich wüßte nicht, daß es etwas zu bedeuten hat, wenn Fräulein Camilla ihren Anbetern, einem nach dem Andern, den Laufpaß giebt und Cigarrenetuis in unsern Farben« –

Das junge Mädchen wollte noch mehr sagen, aber Thränen, die ihr leicht in's Auge kamen, wenn sich die Sache, um die es sich handelte, zu einem übermüthigen Lachen nicht eignen wollte, erstickten ihre Stimme. Sie warf sich in die Ecke des Sopha's und drückte ihr Gesicht in die Kissen.

Das Schluchzen der Tochter war für die Mama das Signal, ebenfalls in Thränen auszubrechen.

»Das hat man nun von seiner Güte,« jammerte sie, sich in einen Fauteuil sinken lassend und ihr Taschentuch vor die Augen haltend; »nichts als Sorge und Herzeleid und Undankbarkeit – ich arme, unglückliche Frau!«

»Und ich will's nicht leiden;« schluchzte Aurelie aus dem Sopha heraus; »ich heirathe den ersten Besten; es ist ja doch ganz gleich, was ich thue.«

»Ich arme Frau! meine Kinder werden mich noch in's Grab bringen;« klagte die Präsidentin hinter ihrem Spitzentaschentuch.

»Ehem, hem!« machte Jemand, der von den weinenden Damen unbemerkt in den Salon getreten war und bereits auf dem großen bunten Teppich, der in der Mitte des Salons über den einfarbigen Teppich gebreitet war, gerade unter dem Kronenleuchter stand: »Ehem!«

Die Damen fuhren in die Höhe.

»Ah! Herr Medicinalrath!« rief die Präsidentin durch Thränen lächelnd, und dem kleinen Manne die mit Ringen bedeckte fette Hand, die noch das Taschentuch hielt, entgegenstreckend; »Sie kommen gerade recht!«

»Das sehe ich,« erwiderte der Medicinalrath, die Hand der Gnädigen mit süßlicher Höflichkeit küssend; »die Damen wollten sich ja fast ausschütten vor Lachen! Sie haben ja ordentlich Thränen in den Augen! Was in aller Welt gab es denn so Komisches? Nun, nun, ich will nicht indiskret sein! Aber, Fräulein Aurelie, erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, daß Sie mir versprochen haben, um diese Stunde den schönen warmen Sonnenschein im Garten zu genießen. Wir kommen hernach zu Ihnen hinab! Eilen Sie, liebes Fräulein, eilen Sie!«

Und der galante Herr warf Aurelien, die dem erhaltenen Wink zu folgen sich beeilte, einige Kußhände zu, legte dann, als sie zur Thür hinaus war, Hut und Stock ab und setzte sich auf einen Fauteuil in unmittelbarer Nähe der Präsidentin.

Der Regierungs- und Medicinalrath Schnepper war ein kleiner, magerer Mann von ungefähr sechzig Jahren mit einem glattrasirten Gesicht, das durch den lauernden Blick der kleinen grauen Aeuglein unter den etwas buschigen Brauen und durch sein sarkastisches Lächeln, welches fortwährend um die schmalen, eingefallenen Lippen spielte, nicht gerade verschönt wurde. Die linke Schulter des kleinen Mannes war etwas höher als seine rechte, und vielleicht war dieses körperliche Gebrechen mit die Veranlassung, weshalb sich der alte Herr so ganz besonders sorgfältig kleidete.

Der Medicinalrath Schnepper strich die magern Beinchen und sagte, aus einer goldenen Dose eine kleine Prise nehmend, und die grauen zwinkernden Aeuglein forschend auf das verlegen lächelnde Gesicht der corpulenten Dame heftend:

»Was hat's denn gegeben, meine Gnädigste? etwas von Bedeutung?«

»Nicht doch, lieber Medicinalrath! Aurelie warf mir vor: ich zöge Camilla vor und so etwas« –

»Schmerzt, besonders wenn es wahr ist; natürlich; aber Sie haben ganz recht: Camilla ist ein Engelchen. Doch lassen wir diese Kindereien und kommen wir zur Sache; ich habe Ihnen einen ganzen Packen von Neuigkeiten mitzutheilen.«

»Lassen Sie hören, lieber Schnepper!« sagte die Präsidentin, sich in ihrem Lehnstuhl bequem zurecht rückend; »ich bin, wie immer, ganz Ohr.«

»Zuerst also,« sagte der kleine Herr, in die geöffnete Dose hineinriechend; »zuerst eine schlechte: mit den Vermögensverhältnissen des alten Willamowsky steht es keineswegs so gut, wie wir bis jetzt geglaubt haben. Ich weiß es aus den besten Quellen.«

»Was Sie da sagen!«

»Hm! Sie scheinen die Sache ja sehr ruhig zu nehmen. Ich will nur wünschen, daß Fräulein Camilla sich die schönen Aeuglein ebensowenig ausweinen wird.«

»Sein Sie davon überzeugt; aber es ist wunderbar, welches Ahnungsvermögen ich in diesen Dingen habe. Wollen Sie mir glauben, lieber Medicinalrath: ich sagte noch vorgestern in Rheinfelden: Du sollst sehen, Camilla, sagte ich: Stillfried macht einen zu großen Aufwand; der Alte kann es nicht auf die Dauer aushalten.«

»So, hm, hm! In Rheinfelden sagten Sie das und vorgestern Abend, dem Abend vor der Abreise? Hätte die Excellenz Versprechungen gemacht? und gäbe uns der Glaube an diese Versprechungen, die jedenfalls nicht gehalten werden, diese philosophische Ruhe? He?«

Die Präsidentin lächelte mit einer unendlichen Selbstgefälligkeit, während sie ihrem Wachtelhündchen, das unterdessen unter dem Sopha hervorgekommen war, sich gereckt, und schließlich auf dem Schooß der Herrin wiederum zur Ruhe begeben hatte, die langen Ohren streichelte:

»Sie sind mein Freund, Schnepper, und Camilla's Freund; Ihnen kann ich es sagen: die liebe alte Excellenz hat uns Versprechungen gemacht, große Versprechungen; ja mehr noch: Camilla kann sich als seine Haupterbin betrachten, wenn sie eine Bedingung erfüllt, die allerdings – ich will ganz offen sein, lieber Schnepper; erfahren müssen Sie's ja schließlich doch und ich möchte auch gern Ihren Rath in der Sache haben. Die Bedingung ist, daß sie ihren Vetter Wolfgang, den Sohn des Stadtraths heirathet. Lieg' still, Joli!«

Ein paar schärfer beobachtende Augen, als die halb von den Lidern bedeckten, ruheseligen Augen der Präsidentin würden bemerkt haben, daß des Medicinalraths graues Gesicht bei diesen letzten Worten noch um einige Schattirungen grauer geworden war.

»So!« sagte er; »hm, jetzt erklärt sich mir allerdings Manches. Hm! daher also die plötzliche Zahlungsfähigkeit des Stadtraths, vielleicht auch sein Renegatenthum, hm! Und Sie glauben, das Project werde sich ausführen lassen?«

» Mais, pouquoi pas, lieber Schnepper?«

»Vielleicht scheitert es gleich an dem kleinen Umstand, daß Herr Wolfgang möglicherweise nur noch ein paar Tage zu leben hat.«

»Großer Gott!« schrie die Präsidentin so laut, daß Joli vor Schrecken von ihrem Schooß fiel und, um seine Entrüstung über eine so beispiellose Störung doch an Jemanden auszulassen, den Präsidenten wüthend anbellte, welcher soeben aus der Session nach Hause gekommen war und mit dem Hut in der Hand in den Salon trat.

»Denke Dir, Philipp, der Wolfgang – leg' doch nur den Hut ab, Du siehst ja, daß der Joli sich vor dem Hute ängstigt! – soll heut noch sterben! Da hast Du den Grund, weshalb er nicht schon gestern zu uns gekommen ist. Ruhig, Joli, Du wirst meine Nerven noch ganz zerreißen – ach! ich arme Frau! hat sich denn heute alle Welt verbündet, mich zu quälen!«

Der Präsident schien durch diesen Empfang einigermaßen betroffen. Indessen war keine Spur von Erregung in dem leisen Ton seiner sanften Stimme, als er, zwischen seiner Gemahlin und dem Medicinalrath Platz nehmend, zu diesem letzteren gewandt, sagte:

» Sérieusement, lieber College, was ist das mit dem Wolfgang?«

Der Medicinalrath hatte unterdessen Zeit gehabt, zu überlegen, daß dieser Augenblick keineswegs geeignet sei, von einem gewissen Plan, zu dessen Ausführung er die Einwilligung von Camilla's Eltern nicht wohl entbehren konnte, die Hülle fallen zu lassen, und daß die Rolle des Hausfreundes bis auf Weiteres noch fortgespielt werden müsse. Ueberdies mußte er jedenfalls einmal erst das Project, in welches ihm die unvorsichtige Präsidentin einen Blick verstattet hatte, nach allen Seiten kennen lernen und so sagte er denn mit seinem gewöhnlichen Lächeln:

» Sérieusement, Herr Präsident, die Sache steht glücklicherweise nicht so schlimm, wie Frau Präsidentin in ihrer mütterlichen Aengstlichkeit dieselbe darzustellen beliebten. Hätte ich vorher gewußt, daß so intime, von einem Uneingeweihten unmöglich zu ahnende Beziehungen zwischen Ihrer Familie und der Ihres Herrn Bruders bestehen, – ich würde mich natürlich gehütet haben, der schönen Seele meiner verehrten Freundin so wehe zu thun. Auch habe ich in der That nur von einer Möglichkeit, keineswegs von einer Wahrscheinlichkeit, am wenigsten von einer Gewißheit gesprochen. Ihr junger – und ich muß bekennen – liebenswürdiger Neffe ist vergangene Nacht – vermuthlich in Folge des Schreckens über die Nachricht von der Krankheit seiner Mutter, die übrigens vollkommen wiederhergestellt ist, in Folge auch wohl einer leichteren Erkältung, welche er sich in dem offenen Wagen auf der Fahrt von Rheinfelden hierher zugezogen hat, – ist, sage ich, vorgestern Nacht von einem Fieber befallen, das anfänglich allerdings einen bösartigen Charakter anzunehmen schien, von dem sich der junge Mann aber bei seiner sehr kräftigen Natur auch ebenso gut in ganz kurzer Zeit vollständig erholen kann. – Sie sehen also, meine Herrschaften, wenn sonst in diesem Projecte kein error in calculo ist – der Tod wird nicht so unfein sein, Ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen.«

»Lieber College,« sagte der Präsident, und seine Stimme klang sanfter, als je: »ich gestehe Ihnen, ich hätte Ihnen nichts von der Sache gesagt – nicht, weil ich Ihnen, meinem langjährigen Freunde und Gesinnungsgenossen nicht unbedingt vertraute« –

Hier verbeugten sich die beiden Herren höflich gegeneinander; der Medicinalrath sagte außerdem: »ehem!« und nahm eine kleine Prise.

»Sondern, weil ich nicht gern über Projecte spreche, die, wie dieses hier, noch ganz und gar in der Luft schweben. Verzeihe, liebe Clotilde, daß ich ausnahmsweise nicht ganz Deiner Meinung bin, aber, sage selbst, welche Garantien haben wir denn! Einige vage Andeutungen des Onkels, die Ihr – ich bitte Dich, liebe Clotilde, alterire Dich nicht! – deren Tragweite Ihr doch möglicherweise überschätzt haben könnt. Ja, wir wissen nicht einmal, ob dieser Wolfgang, der mir ein excentrischer junger Mensch zu sein scheint, nicht heute schon wieder anderen Sinnes ist, oder ob seine bürgerliche Verwandtschaft aus der Ufergasse nicht ein Veto einlegt; und dann, ich darf es nicht verschweigen, traue ich dem Stadtrath, trotzdem er sich jetzt zu uns halten zu wollen scheint, ebensowenig, als ich der Solidität seiner Verhältnisse traue. Nun aber erwäge, liebe Clotilde! – erwägen Sie, lieber College! – die horrible Situation, in die wir gerathen würden, wenn der Fall einträte, daß der General den Wolfgang fallen ließe, oder der junge Mensch, seinen, ihm von der Mutter anhaftenden plebejischen Tendenzen folgend, sich wieder von uns lossagte – ich schaudre, wenn ich daran denke.«

»Lieber Philipp,« sagte die Präsidentin, welche während dieser langen Auseinandersetzung ihres Gemahls Zeichen lebhafter Ungeduld an den Tag gelegt hatte; »ich bin es zu sehr gewohnt, daß Du meine Pläne durchkreuzest, als daß ich mich in diesem Augenblicke über Deine Opposition gegen ein Project wundern sollte, das freilich das Unglück hat, aus meinem armen Kopfe hervorgegangen zu sein. Du weißt am besten, wie vorsichtig, wie ruhig ich bin und wie wenig geneigt, die Dinge von der Gefühlsseite aufzufassen; aber hier ist denn doch mein mütterliches Herz engagirt. Die Kinder lieben sich, ich habe die innigste Ueberzeugung davon; der General ist wie vernarrt in den Wolfgang; o, und Rheinfelden ist so schön! – Die Zimmer sind ein wenig dumpfig, und auch nicht eben geschmackvoll decorirt, aber das läßt sich ja Alles ändern, wenn man nur die paar Thaler anwenden will; und für mich wird es eine solche Erholung sein, wenn ich von Zeit zu Zeit zu meinen Kindern auf das Land fahren kann – aber freilich, was kümmert es Dich, ob wir glücklich sind, oder nicht, und ich dächte doch, Du wüßtest am besten, daß unsre Verhältnisse« –

»Was sagen Sie, lieber College?« fragte der Präsident, seine Hand für einen Augenblick leicht auf die Knie des Medicinalraths legend.

Aber bevor der kleine Mann, der während dieser ganzen Verhandlung, in tiefes Nachdenken versunken, die goldne Tabaksdose zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand gedreht hatte, antworten konnte, wurde die Thür – zum abermaligen Entsetzen Joli's – aufgerissen und herein eilte die Obristin von Hohenstein und rief, noch bevor sie die Schwelle überschritten hatte:

»Nun das ist schön, ihr Lieben, daß ich Euch hier beisammen finde. O, mon dieu! ich bin so schnell gegangen, daß ich ganz außer Athem bin; aber ich mußte Euch doch zuerst die große Neuigkeit mittheilen. Nun rathet einmal! aber Ihr rathet's doch nicht und da will ich Euch denn nicht länger quälen, ihr guten Seelen. Der Wolfgang wird Officier – Alles schon abgemacht. Mein Mann ist stolz, den Plan, den er lange mit sich herumgetragen haben will, realisirt zu haben; aber der Gedanke ist von mir zuerst ausgegangen; ja ich kann sagen, daß ich den Wolfgang, seitdem ich ihn neulich in Rheinfelden gesehen, in mein Herz geschlossen habe, wie meine eigenen Söhne. Und denkt Euch, der liebe gute Großonkel will ganz und gar für seine Ausstattung sorgen und will durchaus, daß er in unser Regiment eintritt. In ein paar Tagen ist er Portépéefähndrich, dann wahrscheinlich nach der Residenz in die Officierspresse; und im Herbst werden wir das Vergnügen haben, den Herrn Lieutenant wieder hier begrüßen zu können. Ah! ist mir aber heiß geworden! Du könntest mir wohl ein Glas Limonade kommen lassen, liebe Clotilde? Aber, Kinder, Ihr seht ja ganz verdutzt aus! Ihr seid doch wohl nicht am Ende gar neidisch auf uns, daß der liebe alte Onkel sich Wolfgangs wegen an uns gewandt hat! Großer Gott! es lag ja doch am Ende nichts näher, und so sagte auch heute Morgen der Stadtrath zu meinem Manne – Bitte, lieber Florian – ach nein, Friedrich heißen Sie ja! – bestellen Sie mir bei Mademoiselle in der Küche ein Glas Limonade, oder lassen Sie's auch nur; ich muß doch gleich wieder fort. Adieu Kinder! und wie gesagt, Clotilde, ärgere Dich nicht, Kind – die Sache ist ja so einfach, wie nur möglich. Adieu, lieber Medicinalrath! trösten Sie die arme Clotilde; dem Wolfgang geht es übrigens vortrefflich; ich komme eben her; er ist ein herrlicher Junge. Adieu Kinder! Adieu Medicinalräthchen!«

Und damit rauschte Selma – von Joli mit wüthendem Bellen verfolgt – zur Thür hinaus, Die im Zimmer in großer Aufregung zurücklassend. Clotilde brach in Thränen aus; der Präsident ging, seiner Gewohnheit gemäß, mit langsamen Schritten, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab, der Medicinalrath nahm eine Prise, aus welcher er unter gewöhnlichen Umständen mindestens vier gemacht hätte.

»Sie fragten mich vorhin, was ich von der Affaire denke;« sagte der Letztere nach einer Pause; »wollen Sie's wirklich wissen?«

»Können Sie zweifeln, werthester College!« flüsterte der Präsident, stehen bleibend.

» Eh bien! gehen Sie auf den Plan Ihrer trefflichen Gemahlin, meiner werthen Freundin, ein; protegiren Sie das Verhältniß; gehen Sie, wenn es sein muß, bis zur öffentlichen Verlobung. Bis zur Heirath hat's ja immer noch Zeit, und man kann ja nicht wissen, was bis dahin passirt; aber Sie laufen so wenigstens nicht Gefahr, von Ihren Nebenbuhlern in der Gunst des Alten ganz aus dem Felde geschlagen zu werden, und Schade wär's doch immer, wenn Ihnen die Erbschaft entginge. Die Hauptsache scheint mir, daß Fräulein Camilla Alles thut, was sie in der Gunst des Alten weiter bringen kann; zu diesem Zwecke ist jedes Mittel recht, selbst ein Eingehen auf seine seltsamsten Launen. Freilich, diesen Wolfgang zum Officier zu machen –«

Und der Medicinalrath neigte nachdenklich sein graues Köpfchen.

»Weshalb erscheint Ihnen das so wunderbar?« fragte die Präsidentin, sichtbar gereizt.

»Weil – doch wir sind in einer nervösen Stimmung, meine theuerste Freundin. Brechen wir diese Unterredung ab, und machen Sie mit den jungen Damen einen kleinen Spaziergang. Die Promenade ist überfluthet mit der Crème unsrer Gesellschaft. Man sieht es der Stadt nicht an, daß wir mitten in der Revolution sind. Und, verehrteste Freundin« – der Medicinalrath trat näher zur Präsidentin, die bereits aufgestanden war, heran und sagte mit leiserer Stimme: »Lassen Sie Aurelien nicht so sehr merken, daß Camilla unser Liebling ist; wir könnten die junge Dame doch nöthig haben – Adieu, schöne Frau! Adieu, Joli! au revoir! – Ehem! Nun will ich mich aber auch Ihnen, Herr Präsident, empfehlen; wir sehen uns heute Abend im Verein, nicht?«

»Schwerlich; es ist meiner Frau Empfangstag, wie Sie wissen; deshalb möchte ich noch gern, wenn Ihre Zeit es erlaubt, ein paar Worte mit Ihnen sprechen; aber nicht hier; bitte, treten wir in mein Zimmer; mir ist immer, als ob in diesem Frauengemach die Spiegel und Meubel Augen und Ohren hätten.«

»Ha, ha, ha!« lachte der Medicinalrath, während er mit dem Präsidenten in das Nebenzimmer ging; »das möchte noch sein, aber wenn sie auch einen Mund hätten!«

Der Präsident lächelte:

»Nun, für Sie, den discretesten aller Menschen, würde das doch keine Gefahr bringen; aber nehmen Sie Platz, lieber College, und nun sagen Sie mir einmal aufrichtig: was halten Sie von dem Project?«

»Aufrichtig! ich glaube, Herr Präsident, daß, wie die Sachen augenblicklich liegen, Sie auf diesen hochromantischen Handel werden eingehen müssen. Niemand kann durch die Sache weniger angenehm berührt worden sein, als ich; aber ich kann leugnen, daß es sich diesmal ausnahmsweise um etwas Anderes handelt, als um phantastische Seifenblasen, die in den Gehirnchen der lieben Damen entsprungen wären. Es ist notorisch, daß der Stadtrath gestern Wechsel zu einem bedeutenden Betrage – es sind ganz zufällig einige durch meine Hände gegangen – bezahlt hat. Von wem kann er das Geld haben, als von dem Alten? Wenn aber dieser graue Harpagon seine Kasten öffnet, so will das gewiß etwas sagen; und wenn der Obrist es sich zur Ehre macht, den jungen Menschen in seinem Regimente zu placiren, und die Obristin Hals über Kopf die Nachricht davon in der ganzen Stadt herumträgt – so können wir wohl schwören, daß der General einen Trumpf darauf gesetzt hat.«

»Ich gestehe: mir ist bei einem Project, das so aus dem Kreise des gewöhnlichen Laufes der Dinge herausfällt, das einen – sit venia verbo! – so revolutionären Charakter hat, gar nicht gut zu Muthe;« sagte der Präsident, die Spitzen seiner langen dünnen Finger sanft zusammendrückend.

»Das glaube ich gern,« erwiderte der Medicinalrath; »mir würde auch an Ihrer Stelle für die Kleine eine solide Partie, und wäre es auch mit einem älteren Manne, lieber sein.«

Hier schwieg der kleine Herr einen Augenblick und warf einen schnellen Blick auf die lange Gestalt des Präsidenten, der mit lautlosen Schritten in dem Gemache auf- und abging. Da dieser auf die letzte Bemerkung nichts erwiderte, fuhr er in einem etwas gereizten Tone fort:

»Camilla ist klug und sollte eine kluge Wahl treffen; für die jeder guten Familie unentbehrliche Confusion wird, fürchte ich, Fräulein Aurelie schon sorgen.«

»Sie erschrecken mich, Werthester!« sagte der Präsident stehen bleibend; »wenn Sie von so ernsten Dingen in einer so leichtfertigen Weise sprechen. Haben Sie, betreffs Aureliens, mir irgend welche Beobachtungen mitzutheilen?«

»O nicht doch, nicht doch!« sagte der Medicinalrath; »mein Urtheil über Fräulein Aurelie beruht mehr auf physiologischen Gründen, als auf moralischen. Die junge Dame hat ein feuriges Temperament; sie ähnelt in dieser Hinsicht ihrer schönen Tante Antonie. Apropos, Herr Präsident, haben Sie denn schon von der neuesten Extravaganz der reizenden Wittwe Ihres beau-frère gehört?«

»Schon wieder?« seufzte der Präsident, »diese Frau wird mich durch ihre Thorheiten noch zur Verzweiflung bringen.«

»So wissen Sie nicht, daß ihr vorgestern Abend bei dem Crawall der Pöbel die Fenster hat einwerfen wollen? daß Münzer sie aus dieser Gefahr gerettet hat? und zum Dank dafür mit einem köstlichen Souper unter vier Augen bewirthet worden ist? Das Alles wissen Sie nicht?«

»Nur, daß vor ihrem Hause ein Auflauf stattgefunden hat; von Münzer's Einmischung kein Wort; aber ich bin Ihnen verpflichtet für diese Mitteilung; die Sache scheint mir von einiger Wichtigkeit. Ein Souper, sagten Sie! und tête-à-tête? Aber, von wem haben Sie das?«

»Von der gnädigen Frau selbst, die mir die heillose Affaire vor einer halben Stunde unter Scherzen und Lachen mit allen Details erzählt hat.«

»Mit allen Details?« flüsterte der Präsident.

Die beiden Herren sahen sich ein paar Secunden lang mit einem eigenthümlichen Blick des Einverständnisses in die Augen.

»Aber welchen Grund kann sie gehabt haben, Ihnen das Geheimniß mitzutheilen?« begann der Präsident von neuem.

»Weil es eben kein Geheimniß mehr ist, weil der Obrist, Ihr Herr Bruder, brutaler Weise das reizende tête-à-tête gestört hat – um elf Uhr – in nachtschlafender Zeit – es ist in der That himmelschreiend.«

»Auch das hat sie Ihnen erzählt?«

»Nein nicht sie, sondern ihr Kammerdiener Jean, der – ein boshafter Affe, wie er ist – den unbequemen Besuch nicht abgewiesen hat und in Folge dessen noch an demselben Abend aus dem Dienst gejagt wurde. Der arme Teufel – nebenbei ein Client von mir – ist heute Morgen zu mir gekommen, hat mir sein Leid geklagt und mich gebeten, ihn anderweitig zu placiren.«

»Und haben Sie ihm eine Stelle verschafft?«

»Vor der Hand nicht; ich weiß in diesem Augenblicke keine mir bekannte Familie, der ich den Burschen vortheilhaft empfehlen könnte.«

»So schicken Sie ihn zu mir.«

»Zu Ihnen?«

»Aber, lieber College, wo haben Sie heute Ihren von mir so oft bewunderten Scharfsinn? Sehen Sie denn nicht, wie uns der Zufall da die Karten so glücklich gemischt hat, daß wir sie gar nicht besser wünschen können?«

»Ich gestehe zu meiner Beschämung, daß ich Ihre Combinationen nur zum Theil ahne. Mein Kopf ist heute etwas eingenommen und dann – dies wunderliche Project, Ihre reizende Camilla – eine so abenteuerliche Verbindung –«

»Pah!« sagte der Präsident lächelnd, »diese Familienangelegenheit muß für den Augenblick hinter den Staatsangelegenheiten zurücktreten. Die Sache eilt auch nicht so: aber in acht Tagen finden die Wahlen Statt und unter einem Ministerium Münzer zu dienen, wäre uns doch Beiden unbequem. Meinen Sie nicht?«

Der kleine Medicinalrath schlug sich vor die Stirn:

»Gott, wie dumm ich war! Freilich, freilich! die Sache ist von Wichtigkeit. Was gedenken Sie aber zu thun?«

Der Präsident lächelte:

»Das weiß ich selbst noch nicht, lieber College; ich weiß nur, daß Münzer ein Poet und ein Schwärmer, das heißt verführbar, und Antonie die verführerischste aller Sirenen ist. Doch da höre ich, daß mein Wagen vorfährt. Ich wollte zum Oberpräsidenten; begleiten Sie mich eine Strecke. Wir überlegen unterwegs noch, wie die Sache anzufassen ist. Aber, eh' ich's vergesse: schaffen Sie mir noch heute den Jean! Können Sie?«

»Ohne Zweifel.«

» Eh bien! gehen wir. Bitte, bitte, nach Ihnen!«



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