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32.

W enn es ein Glück genannt zu werden verdient, in einer Situation, die nach mehr als einer Seite, hin mit unsrer Vergangenheit und mit unsren Neigungen wenig stimmt, nicht zur Besinnung kommen zu können, nachdem wir einmal durch den Drang der Verhältnisse hineingeschleudert sind – so wurde Wolfgang in den nächsten Tagen dies Glück in überreichem Maße zu Theil. Die Präsidentin hielt die Verlobung ihres Lieblingskindes für eine sehr passende Gelegenheit, ihrem ausschweifenden Hang nach Vergnügungen den Zügel schießen zu lassen. Mit einer Rastlosigkeit, die man der sonst so phlegmatischen Dame kaum zugetraut hätte, veranstaltete sie Theeabende mit einem »Tänzchen für die jungen Leute,« und, wenn es ihr in ihrer geräumigen prachtvollen Wohnung zu eng wurde (was regelmäßig einen Tag um den andern geschah), Ausflüge in die Umgegend, besonders nach dem benachbarten Gebirge, in dessen lieblichen Waldthälern sie – wie sie versicherte – einzig die Ruhe fände, nach der sie im lauten Lärm der Stadt vergeblich suche.

»Ich gestehe Ihnen, lieber Kettenberg,« sagte die Präsidentin zu dem jungen Maler, »wenn ich meine Camilla so rosig und glücklich sehe, da ist mir, als wäre ich selbst wieder jung geworden.«

»Das klingt ja gerade, als ob Sie Runzeln im Gesicht hätten, wie eine alte Frau von Murillo oder Rembrandt,« erwiderte der galante Kettenberg.

»Ach nein,« sagte Clotilde, »es ist nicht sowohl der Körper, der altert, aber das Herz, lieber Kettenberg, das Herz!«

»Nun gar das Herz!« rief der Maler lachend; »Herzen, wie das Ihrige, gnädige Frau, bleiben immer jung!«

»O, über Euch Künstler!« seufzte die Präsidentin; »harmlose Kinder, die Ihr noch an eine ewige Jugend glaubt! Aber, sagen Sie, Kettenberg, was arrangiren wir für heute Abend; es muß etwas Pikantes sein, etwas Ungewöhnliches!«

»Wie wär's?« sagte Kettenberg nachdenklich, »wenn einmal Jeder ruhig allein in seinem Hause bliebe, das ist gewiß ungewöhnlich und schon deshalb äußerst pikant.«

»Um Himmelswillen! Allein zu Hause bleiben, in diesem übersprudelnden Lebensdrang, in diesem unabweislichen Bedürfniß nach Mitteilung! ich glaube, Sie sind toll, Kettenberg! Was räthst Du, Camilla?«

»Vielleicht einmal wieder lebende Bilder,« meinte Camilla; »Wolfgang schwärmt für Göthe; ich glaube, es würde ihn freuen, mich einmal als Mignon in weißem Kleide mit Flügeln zu sehen.«

»Als halben Engel,« rief Kettenberg, »während er in Ihnen sonst einen ganzen Engel sieht, das wäre ein offenbarer Rückschritt. Aber der Einfall mit den lebenden Bildern ist gut; ich habe ein paar ausgezeichnete Ideen.«

Kettenberg kam an diesem Abend, wie immer, der trägen Erfindungskraft der Damen zu Hülfe, und die in aller Eile arrangirten Bilder fielen so gut aus, daß, wie der Maler mit großem Selbstgefühl behauptete, die alten Tage von Weimar wiedergekommen zu sein schienen, ja daß Göthe selbst – dieser Großmeister aller Maître de plaisir – diesmal noch von ihm hätte lernen können.

So ging es eine Woche hindurch, einen Tag, wie alle Tage; Wolfgang hatte in seinem ganzen Leben noch nicht so viel Festesluft geathmet, wie in dieser einen Woche; in seinem ganzen Leben nicht so viel lachen und scherzen hören; selber so viel gelacht und gescherzt. Aber Camilla brauchte sich nur einmal aus der Gesellschaft entfernt zu haben und mit ihrer Entfernung der Zauber, den sie auf ihn ausübte, gebrochen zu sein, oder er brauchte sich nur nach so vielen glücklich vertändelten Stunden wieder allein zu befinden – und alsbald schwebten aus den Tiefen seiner Seele die Sorgen empor und verdüsterten ihm mit ihren grauen Schattenleibern das helle Leben. Der Uebergang aus seiner ursprünglichen Sphäre in diese neue war zu plötzlich und zu schroff gewesen, um nicht von einer so weichen, zartfühlenden Seele auf das schmerzlichste empfunden zu werden.

Wolfgang hatte viel gelesen, viel gedacht; aber seine Kenntniß des realen Lebens war verhältnißmäßig sehr gering; ja er hatte, wie das oft der Fall ist bei jungen Leuten, die in großer Einsamkeit aufwuchsen und dabei unter dem Einfluß einer Frau standen, von jeher eine instinctive Abneigung vor der Berührung mit der Wirklichkeit gehabt, deren lautes Treiben ihn in seinen Phantasien und Meditationen störte und durch deren rauhe Außenseite sein verwöhnter Geschmack nicht selten auf das empfindlichste beleidigt wurde. Ja auch sein Radicalismus war viel mehr ein philosophischer, als ein politischer, zum mindesten hatte er sich um die praktische Politik im Grunde niemals gekümmert. Er hatte, als er aus seinem Kant die Unvereinbarkeit eines Schöpfers Himmels und der Erden mit den Gesetzen der reinen Vernunft herausgelesen hatte, nebenbei auch die Abschaffung der sceptertragenden Königsgeschlechter dekretirt; aber der Gedanke, daß diese Abschaffung in der Wirklichkeit auf einige Schwierigkeiten stoßen dürfte, hatte ihn doch ziemlich ruhig gelassen. Aufgewachsen in einer verhältnißmäßig politisch trägen Zeit, hatte er von politischen Dingen selten sprechen hören, und was er davon gehört, war ihm, im Vergleich mit seinen geheimen radicalen Dekreten, unbedeutend und kleinlich erschienen. Die politische Bewegung des vorigen Jahres hatte ihn wohl für den Augenblick lebhaft interessirt; aber die Debatten des Ständetages hatten sich für seine Ungeduld viel zu sehr in die Länge und Breite gezogen, und er hatte sich mit erhöhtem Eifer seinen juristischen, philosophischen und ästhetischen Studien wieder zugewandt, in denen er für Geist und Gemüth eine so viel reichere Ausbeute fand. Inmitten dieser Studien hatte ihn die Revolution im Frühling dieses Jahres überrascht, überrascht insofern, als er plötzlich als Gemeingut Aller leibhaftig vor sich sah, was er bis dahin für sein geistiges Privateigenthum gehalten hatte.

Aber die geschehene That sah wesentlich anders aus, als die gedachte. Der glühende Lavastrom war kaum aus dem Krater hervorgebrochen, als er auch schon wieder zu erstarren begann, und mit welch unreinen Schlacken war der feurige Fluß angefüllt! Wolfgang war noch in dem Stadium geistiger Entwickelung, wo man sehr geneigt ist, das Ganze aus einem Fragment zu beurtheilen, das uns zufällig am nächsten liegt, und da war es freilich kein Wunder, wenn sein Urtheil über die modernen Freiheitsapostel nicht eben günstig ausfiel. Das Pochen der Commilitonen auf ihre exceptionelle Stellung, die alberne Renommisterei mit geschmacklosen Aeußerlichkeiten hatten ihn von jeher angewidert und abgestoßen. In der ersten Begeisterung hatte er gehofft, all' diese Schnörkel und Farben, all' diese bunten Lappen, hinter denen sich nur zu oft die nackte Ideenlosigkeit kaum versteckte, würden vor dem Anhauch der großen neuen Zeit verwehen, wie hohle Spreu vor dem Sturme; aber es blieb Alles beim Alten; auch kein Stäubchen rührte sich in der ganzen mittelalterlichen Rumpelkammer, und was von politischen Anläufen in Studentenversammlungen, bewaffneten Studentencorps und dergleichen zu Tage trat, schien Wolfgang mit so viel hohler Phantasterei, so viel sinnlosem Pathos, so viel kindischer Scheinseligkeit untermischt, daß er sehr bald den Versuch, unter diesen bramarbasirenden, bebänderten und betroddelten Römern ein Römer zu sein, als hoffnungslos aufgab.

Ohne Zweifel würde Wolfgang bei seinem ernsten Streben nach dem Wahren und Guten den großen Fehler, den er beging, als er die junge grüne Saat der Freiheit sofort in goldnen Aehrenhalmen stehen sehen wollte, und von der großen Masse eine Reife des Urtheils verlangte, von der er selbst sehr weit entfernt war, bald erkannt haben, wenn er in dieser Zeit einen einsichtsvollen Freund an seiner Seite gehabt hätte; aber leider war das nicht der Fall. Von den Professoren, die er persönlich kannte, waren die Einen stumm und starr vor Schrecken über eine Bewegung, die, wie ein Medusenhaupt, urplötzlich über ihrem friedlichen Schreibtisch emporgetaucht war; Andere wußten nicht, ob sie Ja oder Nein zu den großen Fragen sagen sollten, die ihnen die Zeit in so unbequemer Dringlichkeit zur Beantwortung entgegenhielt; wieder Andre redeten sich in eine Freiheitsbegeisterung hinein, die mit ihrer Vergangenheit in einem lächerlichen Widerspruch stand, und mithin wenig geeignet war, den ruhig-ernsten Wolfgang zu überzeugen. Unter den wenigen Commilitonen, mit denen er in einer Art von freundschaftlichem Verkehr stand, hielten sich Diejenigen, die er wegen ihrer Bildung und ihres zum Theil begeisterten wissenschaftlichen Strebens am meisten schätzte, von dem lauten Markt oft sehr thörichter, immer aber äußerst heftiger politischer Dispüte geflissentlich fern, und die, welche sich am eifrigsten der Bewegung zugethan zeigten und mit den Phrasen, die sie gestern aufgelesen hatten, heute am lautesten prahlten, waren zufällig solche, die Wolfgang entweder als ungebildete Menschen kennen gelernt hatte, oder die ihm schon vorher durch ihren maßlosen Ehrgeiz, ihre Sucht, eine Rolle um jeden Preis zu spielen, bei verschiedenen Gelegenheiten sehr unangenehm aufgefallen waren, deren Gesinnungslauterkeit mithin jetzt doppelt und dreifach verdächtig schien.

In dieser Noth dachte Wolfgang an seinen Freund und Lehrer Münzer, dessen Umgang mit ihm von einem so großen Einfluß auf seine Entwicklung gewesen waren. Er schrieb an ihn einen langen, ausführlichen Brief, in welchem er seine Wünsche, seine Hoffnungen, seine Enttäuschungen, seine Befürchtungen mit möglichster Klarheit darlegte, und den Freund bat, ihm mit vollkommener Offenheit zu antworten und die Fehlschüsse, die er (Wolfgang) jedenfalls vielfach gemacht habe, schonungslos aufzudecken. Münzer antwortete; aber nur, um dem jüngeren Freunde zu sagen, daß er von Arbeiten zu überhäuft und nebenbei durch die Wendung, welche der Gang der Ereignisse genommen, zu verstimmt sei, um ausführlich schreiben zu können; Wolfgang möge doch auf ein paar Tage aus der Universitätsstadt, in der die Musen jetzt wohl so wie so sehr stumm sein würden, nach Rheinstadt herüberkommen, sie könnten ja dann Alles in Muße besprechen.

Die von Münzer gewünschte Zusammenkunft hatte nicht stattgefunden, denn zugleich mit diesem Briefe war jenes Schreiben vom Vater eingetroffen, das Wolfgang so unerwartet nach Rheinfelden führte. Die tiefe Ruhe eines schönen ländlichen Aufenthalts nach dem wüsten Lärm einer bis zum Grunde aufgeregten Stadt war eine unendliche Erquickung für Wolfgang gewesen, und seine Liebe zu dem bildschönen Mädchen gleichsam die duftige Blüthe dieser stillen, ruheseligen Frühlingstage. Der junge Mann hatte mit dem vollen Bewußtsein, daß diese Idylle von sehr kurzer Dauer sein werde, die Süßigkeit derselben genossen: der glückselige Augenblick hatte mit seiner Vergangenheit so gar nichts gemein; würde – davon war er überzeugt – mit der Zukunft so gar nichts gemein haben! Es war eben ein Traum, ein überaus lebhafter und reizender Traum, wie man ihn kurz vor dem Erwachen träumt und dabei weiß, daß es nur ein Traum ist. Aber der Traum hatte sich so in den Tag hinübergesponnen, daß, als Wolfgang erwachte, er alles Ernstes der Verlobte des Mädchens war, das zu lieben er geträumt hatte. Und wie wir im Traum keineswegs wunderbar finden, ja als ganz selbstverständlich gelten lassen, was uns im Wachen auf das höchste befremden und beunruhigen, ja erschrecken würde, so ging es jetzt Wolfgang. Das aristokratische Gewand, in das er sich in der Einsamkeit von Rheinfelden mit träumerischem Behagen gehüllt hatte, erwies sich als ein Nessuskleid jetzt, da er es am hellen lichten Tage vor allen Leuten tragen sollte – nicht als einen Fastnachtsrock, den man bei Seite wirft, wenn der Fastnachtsscherz zu Ende ist, sondern als die officielle Livree im Dienste eines Princips, gegen das sich seine Vernunft sträubte. Derselbe Widerspruch zwischen Wesen und Erscheinung, der ihm in dem revolutionairen Treiben der Universitätsstadt so peinlich gewesen war, trat jetzt zum zweiten Male an ihn heran, nur daß die Glieder des Widerspruchs ihre Stellen vertauscht hatten. Dort war er mit der Sache im Princip einverstanden gewesen, aber er hatte die hochherrliche Idee von plumpen Gesellen in den Staub der Alltäglichkeit und Gemeinheit schleifen sehen; hier fand er die feinsten Formen, eine gewählte Sprache; aber diese Formen waren hohl und leer und diese Sprache schien nur gesprochen zu werden, um absolute Nichtigkeiten oder die schiefsten, schielendsten Gedanken auszudrücken. Wolfgang machte diese traurige Entdeckung nicht sogleich, denn, um sich von dem gleißenden Schein einer äußerlich hoch cultivirten und innerlich rohen Gesellschaft keinen Augenblick blenden zu lassen, gehört eine Erfahrung, die der junge Mann nicht besaß und nicht besitzen konnte; aber dieses Spielen mit den Worten, dieses Schwatzen, um zu schwatzen, diese Unterhaltungen, in denen man ruhelos von einem Gegenstand zum andern sprang, um keinen zu erschöpfen, – das Alles fing allmälig an, ihn zu drücken, zu ängstigen, zu verstimmen, weniger in der Gesellschaft selbst, wo die Nähe der Geliebten ein reiferes Nachdenken unmöglich machte; desto mehr aber, sobald er sich am Abend wieder in seinem lieben Giebelzimmer befand, und in seinem großen alten Lehnstuhle sitzend und den blauen Wolken seiner Cigarre nachschauend, in jene Nachdenklichkeit verfiel, wo »unser ganzes Leben, vergangenes und zukünftiges, an unserm inneren Gesicht vorübergeht und an des nächsten Morgens Schicksal der ahnungsvolle Geist die fernste Zukunft knüpft.«

Der nächste Morgen! Er sollte am nächsten Morgen den ersten officiellen Schritt auf der Bahn, in die er sich so plötzlich gedrängt sah, thun – er sollte sich dem Major von Degenfeld vorstellen, dessen Bataillon der Obrist seinen Neffen zuzutheilen beabsichtigte. Wolfgang war bei dem Gedanken an diesen Besuch schlimm genug zu Muth. Freilich war er nach wie vor entschlossen, dem Vater, wenn es nothwendig war, das Opfer zu bringen, und der Vater hatte während der letzten Tage in wiederholten Unterredungen sein Möglichstes gethan, dem Sohne zu beweisen, daß es nothwendig, unumgänglich nothwendig sei. Er hatte – wie er sich ausdrückte – Wolfgang vollständig »in seine Karten sehen lassen« und ihm gezeigt, »wie schlecht sein Spiel stehe,« wie er sich ohne Kredit unmöglich halten, und wie einzig und allein eine vor aller Welt constatirte Aussöhnung mit seiner einflußreichen Familie, vor Allem mit dem reichen Onkel in Rheinfelden ihm diesen so hochnothwendigen Kredit verschaffen könne. »Du glaubst nicht, Wolfgang,« hatte er gesagt, »wie sehr ich durch den Fluch, den meine Familie, als Strafe meiner Verheirathung mit Deiner Mutter, auf mich geworfen hatte, in allen meinen Unternehmungen gehemmt worden bin! Die Welt ist nun einmal so, daß sie Jeden mit dem größten Mißtrauen betrachtet, von dem sich seine Verwandten öffentlich losgesagt haben, um so mehr, wenn diese Verwandten mächtig und reich sind. Mag er sich stellen, wie er will – er ist und bleibt ein Ausgestoßener, ein Paria. Ein Geschäftsmann, der, wie ich, mit einem kleinen Kapital arbeitet, kommt alle Augenblicke in die Lage, Geld aufnehmen zu müssen. Das ist sehr leicht, wenn man Kredit hat; aber sehr schwer, wenn man keinen hat, und ich hatte keinen. Ich bin immer in den Händen der Wucherer gewesen, denn die soliden und vorsichtigen Geschäftsleute sagten sich: es muß doch wohl sehr schlecht mit ihm stehen, sonst würden gewiß seine reichen Verwandten ihr Geld in seinen Geschäften anlegen. Und wenn sie auch recht gut wußten, daß in meinem Falle andere Gründe obwalteten, so thaten sie, als wüßten sie es nicht, um mich mit diesem Scheingrunde abweisen zu können. Das Alles wird mit einem Schlage anders, sobald Du der Verlobte der Tochter des Präsidenten, Officier in dem Regimente des Obristen, und der präsumptive Erbe – oder, wenn Du das durchaus nicht sein willst – jedenfalls einer der Erben des Generals bist. Und dann, lieber Junge, denke doch – nicht an Dich, denn ich weiß, daß Du an Dich in dieser ganzen Sache am wenigsten denkst, – denke aber auch nicht einmal an mich, sondern denke nur an die Mutter! Sie weint jetzt heimliche Thränen, daß Du Officier werden sollst, und es ist ja auch so erklärlich, daß sie mit ihren Ansichten vom Leben, und nach den traurigen Erfahrungen, die sie gemacht hat, sich nicht für das Project begeistern kann; aber, Wolfgang, wieviel Thränen würde sie erst weinen, wenn ich gezwungen wäre, meine Zahlungen einzustellen, wenn ich dies Haus verlassen müßte und mit dem Hause den Garten, den sie so liebt, der ihre größte Freude, ja, ihr zum Leben geradezu nothwendig ist. Sie würde in der billigen Miethwohnung einer unsrer engen traurigen Gassen ersticken, wie eine Pflanze ohne Licht und Luft. Nein, nein, Wolfgang! ich ehre Deine Bedenken gegen eine militairische Laufbahn, wenn ich sie auch von meinem Standpunkte natürlich nicht theile; ich würde Dir gern, wie ich es ja auch gethan habe, bevor die Noth so groß war, die Wahl frei lassen; aber Du siehst ja selbst: hier ist keine Wahl. Darum frisch an's Werk, lieber Junge! Es ist ein Sprung in's kalte Wasser; man schüttelt sich, man scheut sich, und wenn man drin ist, wundert man sich, daß man sich auch nur einen Augenblick hat scheuen können. Geh' morgen zum Major von Degenfeld! Er ist ein sehr liebenswürdiger Mann und wird den Sohn eines alten Kameraden mit offenen Armen empfangen. Ueberdies steht er in dem Geruche großer Freisinnigkeit, und so werdet Ihr Euch trefflich verstehen.«

»Das ist wenigstens ein Trost,« seufzte Wolfgang, indem er aus seinem Lehnstuhle, der diesmal ein wirklicher Sorgenstuhl für ihn war, aufstand und sich in das offne Fenster lehnte. Die Nacht war dunkel, kaum daß sich die Umrisse der großen Bäume hinter der Klostermauer drüben von dem Himmel abhoben. Nur ein einzelner Stern blickte durch den Wolkendunst. Wolfgang dachte des wonnigen Abends im Park von Rheinfelden, als er Camilla im Laubgange, wo die Nachtigallen schlugen, traf und ihr seine Liebe gestand. Damals hatte auch ein einzelner Stern am Himmel gestanden; aber der Stern hatte gefunkelt und geleuchtet, als könne er nie wieder verschwinden und der ganze Himmel war von einer unbeschreiblichen Glorie erfüllt gewesen. Heute war Alles Nacht und Finsterniß und Oede, und jetzt verschwand auch der Stern, an welchem Wolfgangs Blicke mit einer Art von abergläubischer Verehrung gehangen hatten. Es kam ihm vor, wie ein böses Omen. Er hatte bei dem Sterne an Camilla gedacht. »In unsrer Brust sind unsres Schicksals Sterne,« sagte er mit dem Dichter; aber er sagte es ohne Glauben, denn er fühlte nicht den stolzen Muth, der einzig und allein zu diesem stolzen Worte berechtigt. Wie viel höher hatte sein Herz an jenem Abend geschlagen! wie mitleidswerth war ihm die Zaghaftigkeit des wunderlichen Heiligen im Hexenthurm erschienen! und heute war er nahe daran, mit sich selber Mitleid zu empfinden!

Mit einem mächtigen Entschluß riß er sich aus dieser unbequemen trübseligen Stimmung. Er richtete sich empor und schloß das Fenster. »Der Vater hat recht,« murmelte er, »hier ist keine Wahl. Ich muß den Weg gehen, so wenig er mir auch gefällt; ich kann nichts dafür; und so will ich ihn denn nun auch gehen, ohne nach rechts und links zu blicken, will ihn gehen mit festen Schritten und aufgerichteten Hauptes, wie ein Mann. Mag er dann führen, wohin er will; ich bin auf Alles gefaßt. Waren es doch auch nicht immer die bequemsten und erwünschtesten Wege, auf denen die Heroen ihre goldnen Vließe und ihre goldigen Prinzessinnen holten, und doch waren sie Helden, ja sie wurden es erst durch ihr Wandeln auf so schlimmen und verwünschten Wegen. Nun, ich habe mir auch meine goldige Prinzessin zu erobern und das goldene Vließ, sagen sie, soll ich obenein in den Kauf bekommen. Morgen trete ich die große Fahrt an und der erste Riese, den ich zu bekämpfen habe, ist der Major von Degenfeld. Morgen wollen wir mit ihm kämpfen; aber vorläufig einmal zu Bett gehen und wo möglich von unsrer holdseligen Prinzessin träumen …

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Indessen träumte Wolfgang in dieser Nacht sehr wenig von seiner Geliebten, desto mehr aber von einem schnauzbärtigen, stirnrunzelnden, bramabasirenden grimmigen alten Haudegen, der wohl niemand anders sein konnte, als der Major und Commandeur des zweiten Bataillons neunundneunzigsten Infanterie-Regiments von Degenfeld. Glücklicherweise entsprach dieses abscheuliche Traumbild der wirklichen Erscheinung des Majors ganz und gar nicht, wie Wolfgang sich zu seiner Freude überzeugte, als er am andern Vormittag zur festgesetzten Stunde von einem Schreiber, der im Vorzimmer arbeitete, in das Gemach seines künftigen Chefs geführt wurde.

Herr von Degenfeld war ein mittelgroßer, schlanker Mann in dem Anfang der vierziger Jahre mit einer edelgeformten, an den Schläfen bereits kahlen Stirn und großen, mild blickenden Augen, der, wie er sich jetzt von seinem Arbeitstische erhob, dem Eintretenten mit einer höflichen Verbeugung entgegentrat und ihn mit ein paar freundlichen Worten zum Sitzen einlud, viel mehr den Eindruck eines weltkundigen Gelehrten, als eines Soldaten machte. Dieser Eindruck wurde durch den bequemen Hausrock von gesteppter Seide, in welchen der Major seine schlanke Gestalt geknöpft hatte, noch mehr aber durch die Ausstattung seines Zimmers, an dessen Wände eine sehr stattliche Bibliothek in einfachen Regalen aufgestellt war, noch wesentlich unterstützt. Auch der Tisch vor dem mit schwarzem Leder überzogenen, die Spuren langer und treuer Dienste tragenden Sopha, auf welchem die Beiden jetzt Platz nahmen, war mit Büchern, Broschüren, Zeitungen bedeckt, und selbst die Atmosphäre des Zimmers hatte jene friedliche, vom Bücher- und Tabaksduft angehauchte Stimmung, die für die »enge Zelle« eines Gelehrten so charakteristisch ist, wie der Duft von Blumen oder das Parfum von Esbouquet für das Boudoir einer eleganten Frau.

Das Benehmen und die Rede des Herrn von Degenfeld standen mit seiner Erscheinung in der vollkommensten Harmonie. Da war keine Spur von der steifstelligen Grandezza, der schnarrenden Stimme und der rohen oder affectirt nachlässigen Sprache, durch die sich nur zu oft die Officiere höherer und niederer Grade so unrühmlich auszeichnen: die Haltung des Majors war so ruhig und natürlich, die Bewegung seiner schlanken Hände so anmuthig, er drückte sich so bequem und zugleich so leicht, ja elegant aus; dabei war der Ton, in welchen er den jungen Mann über seine bisherigen Studien, seine Lieblingsschriftsteller in eingehender, von der ausgebreitetsten Belesenheit zeugender Weise befragte, so weich und herzlich, daß Wolfgang sich auf das angenehmste berührt, und, wie das bei seinem liebevollen Wesen natürlich war, auf das lebhafteste zu diesem trefflichen Manne hingezogen fühlte.

Auch auf den Major schien das bescheidene und bei aller Bescheidenheit bestimmte und verständige Auftreten des jungen Mannes den vortheilhaftesten Eindruck zu machen. Er blickte ihn mit seinen sanften klugen Augen freundlich forschend auf Stirn und Mund und sagte lächelnd, als Wolfgang unter diesem prüfenden Blick unwillkürlich erröthete:

»Verzeihen Sie, mein junger Freund, ich habe die für Andere sehr unbequeme Eigenschaft, die Physiognomie der Menschen, mit denen ich voraussichtlich auf kürzere oder längere Zeit in ein genaueres Verhältniß treten werde, möglichst genau zu studiren, da ich noch immer gefunden habe, daß die Menschen, Alles in Allem, genau so sind, wie sie aussehen. Sie können sich meine Lavater'sche Grille um so eher gefallen lassen, als ich überzeugt bin, daß, wenn Ihr Inneres Ihrem Aeußeren entspricht – und nach meiner Theorie muß dies der Fall sein – wir sehr gut miteinander auskommen werden.«

»Sie sind sehr gütig, Herr Major.«

»Ich bin nur aufrichtig, aus Princip, wenn Sie wollen; und weil ich das bin, darf ich auch gewisse Verhältnisse nicht unerwähnt lassen, über die ich nebenbei um so ruhiger mit Ihnen sprechen kann, als dieselben in der That, zum wenigsten im Regimente, ein öffentliches Geheimniß sind und Ihnen nicht acht Tage lang verborgen bleiben würden, sobald Sie erst einmal zu uns gehören. – So wissen Sie denn, daß Ihr Herr Onkel und ich auf sehr gespanntem Fuße miteinander stehen, ja, daß der Obrist mich, wie ich aus mancherlei Symptomen schließen muß, mit seinem ganz besonderen Hasse beehrt. Ich habe ihm meines Wissens dazu niemals eine directe Veranlassung gegeben und muß deßhalb annehmen, daß ich ihm durchaus antipathisch bin. Dazu kommt freilich, daß ihm meine Auffassung unseres Berufes sehr zuwider ist und auch seiner ganzen Natur und dem Standpunkte seiner Bildung nach zuwider sein muß. Um so größer war deshalb, wie Sie sich denken können, meine Verwunderung über den Beschluß des Obristen, Sie gerade meinem Bataillone zuzutheilen, und ich gestehe Ihnen, daß ich bis auf diesen Augenblick nicht ahne, was ihn dazu bewogen haben kann, zumal in den beiden andern Bataillonen mehr Vakanzen sind, als in dem meinigen, und die Kommandeure derselben durchaus Männer nach seinem Herzen und seine ganz speciellen Freunde. Vielleicht daß er nur seine Unpartheilichkeit dokumentiren wollte, indem er seinen Neffen mir, seinem speciellen Gegner, zur Ausbildung übergab; vielleicht, daß er so eine Annäherung versucht, die, wie er glauben mag, von meiner Seite, schon im Interesse des Dienstes, nicht zurückgewiesen werden würde. Die letztere Annahme ist allerdings die am wenigsten wahrscheinliche. Wie dem aber auch sein mag: Sie, mein junger Freund, sollen unter diesen Verhältnissen in keiner Weise zu leiden haben. Ich werde thun, was in meinen Kräften steht, um Ihnen das Fortkommen auf der keineswegs dornenlosen Bahn, die zu betreten Sie im Begriffe sind, so viel als möglich zu erleichtern. Und nun erlauben Sie mir eine Frage, Herr von Hohenstein, die Ihnen sehr indiscret vorkommen wird, die mir aber aus gewissen Gründen sehr wichtig ist: nicht wahr? es ist nicht ganz Ihr freier Wille, was Sie zu uns führt?«

Wolfgang fühlte, wie ihm das Blut in die Wangen schoß.

»Ich weiß nicht, Herr Major,« antwortete er nach einer kleinen Pause, »ob ich einem Andern gegenüber den Muth hätte, diese Frage der Wahrheit gemäß zu beantworten; ich weiß nur, daß ich nicht den Muth habe, Ihnen mit einer Lüge entgegenzutreten. Ihre Voraussetzung ist vollkommen richtig. Ich werde so wenig aus freiem Entschlusse Soldat, daß mich dieser Entschluß vielmehr die größte Ueberwindung gekostet hat, und daß ich mich zu diesem Schritte, gegen den sich meine Neigungen, Gewohnheiten, ja meine Ueberzeugungen sträuben, auf keinen Fall verstanden haben würde, wenn nicht gewisse Verhältnisse, deren Detaillirung Sie mir erlassen werden, meinen Willen paralysirt hätten.«

Der Major nickte mit dem Kopfe: »Ich konnte mir's denken,« sagte er; »wer, wie Sie, mit solchem Fleiß und mit so schönen Erfolgen der Wissenschaft Jahre lang gehuldigt hat, wird ihr nicht untreu, wenn nicht eine äußere Nöthigung ihn dazu zwingt. Uebrigens kenne ich die Verhältnisse Ihrer Familie genau genug, um ungefähr zu wissen, wie der graue Deus ex machina aussieht, dessen Machtwort Sie plötzlich aus einem Jünger der Themis in einen Sohn des Mars umgewandelt hat. Ich bin um so mehr im Stande, mich in Ihre Lage zu versetzen, als Ihr Fall im Grunde die genaue Wiederholung meines eigenen Schicksals ist. Auch ich hatte, wie Sie, bereits mehrere Jahre studirt und dachte nicht daran, meine geliebten Bücher jemals zu verlassen, als mir das Schicksal in Gestalt – nun es kommt nicht darauf an, in welcher Gestalt – die Feder aus den Fingern schlug und mir dafür den Degen in die Hand drückte.«

Der Major blickte nachdenklich vor sich nieder; dann wandte er sich wieder zu Wolfgang und sagte mit seinem freundlichen Lächeln:

»Sie werden also denselben Weg zurückzulegen haben, den auch ich gegangen bin, und Sie werden, wenn mich nicht Alles trügt, dieselben, zum wenigsten doch sehr ähnliche Erfahrungen machen. Aber Sie haben einen großen Vortheil vor mir voraus: Ihre Lehrzeit wird weniger lange dauern, wenn dieselbe vielleicht auch härter sein wird, als es bei mir der Fall war. Die Veränderungen, welche unsre rastlos vorwärts drängende Zeit in allen Lebenssphären hervorbringt, werden in keinem Berufe gewaltiger sein, als gerade in dem des Soldaten. Die europäischen Armeen können das nicht bleiben, was sie jetzt sind, besonders können unsre deutschen Armeen es nicht. Es giebt für uns nur die eine Alternative: entweder wir werden Prätorianer, oder wir schaffen die Heere der Fürsten in Volksheere um. Ich bin nicht Pessimist genug, um das Erstere für wahrscheinlich zu halten, zum wenigsten nicht auf längere Zeit; aber ich bin auch nicht so sanguinisch, um zu glauben, daß die andere Metamorphose so leicht und so schnell von Statten gehen wird. Der Fortschritt auf diesem Gebiete wird und muß mit dem auf den andern Gebieten Hand in Hand gehen; es ist lächerlich, ein Volksheer zu wollen, bevor wir noch ein Volk sind. Daß wir dies Ziel erreichen, ist meine innigste Ueberzeugung – ja ich hätte ohne diese Ueberzeugung schon längst den Dienst quittirt. Aber damit wir es desto schneller erreichen, dazu ist vor Allem nöthig, daß in unsern Reihen die fast noch gänzlich fehlende Erkenntniß des Zieles und der Mittel zum Ziele geweckt und gefördert wird. Deshalb begrüße ich jede Intelligenz, die uns zuwächst, mit aufrichtigster Freude, und so freue ich mich auch Ihrer Ankunft, Herr von Hohenstein, als wären Sie ein langerwarteter lieber Gast. Sie kommen nicht aus freien Stücken, aber wir Soldaten wissen am besten, daß man sich seinen Posten nicht immer aussuchen, daß man sich aber auf jedem Posten brav halten kann, um so braver, je gefährlicher der Posten ist.«

Ein militairischer Diener trat herein und meldete dem Herrn Obristwachtmeister, daß es Zeit sei, sich zur Parade anzukleiden.

Wolfgang wollte sich empfehlen.

»Bleiben Sie noch einen Augenblick sitzen,« sagte der Major; »es eilt nicht so; ich lasse mich immer eine geraume Zeit vorher und wiederholt erinnern, weil es mir sehr peinlich ist, mich in meinen Arbeiten Knall und Fall unterbrechen zu müssen. – Haben Sie schon mit Ihrem Herrn Onkel über die verschiedenen Wege, auf denen man zu den Epauletten gelangen kann, gesprochen? und haben Sie sich für einen dieser Wege entschieden?«

»Ja, Herr Major. Der Obrist hat mir gerathen, sobald als möglich Urlaub nach der Residenz von Ihnen zu erbitten, und mich dort privatim zu dem Examen vorzubereiten. Er meint, ich würde so am schnellsten und sichersten zum Ziele kommen.«

»Habe ich recht gehört, Herr von Hohenstein, daß Sie mit Ihrer schönen Cousine Camilla verlobt sind?«

»Ja, Herr Major!«

»Und doch willigen Sie in diese freiwillige Verbannung?« fragte Herr von Degenfeld lächelnd. »Nun, Sie müssen das mit sich selber ausmachen und vielleicht thun Sie besser, das lästige Uebergangsstudium fern von der Heimath in aller Stille zurückzulegen. Von einem Besuch der Divisionsschule würde auch ich Ihnen aus mehr als einem Grunde abgerathen haben; aber freilich hätten Sie die nöthigen Studien hier ebenso gut machen können, wie in der Residenz. Indessen, Sie müssen das, wie gesagt, mit sich selber ausmachen. Nur auf Eines möchte ich mir erlauben, Ihre Aufmerksamkeit zu richten. Es sieht in diesem Augenblick ziemlich toll in der Residenz aus und wenn ich auch von der Wirksamkeit der Constituante, deren Zusammentritt ja in den nächsten Tagen bevorsteht, das Beste hoffe, so darf man doch nicht erwarten, daß die wildbewegten Wellen sich sofort beruhigen werden. Ich halte sogar im Gegentheil die Wiederkehr mehr oder weniger stürmischer Tage für unausbleiblich. Sie sind in der Residenz in der glücklichen Lage, diesen Stürmen vom Hafen Ihrer Inactivetät aus ruhig zuschauen zu können. Verscherzen Sie diese glückliche Lage nicht dadurch, daß Sie sich so oder so direct in den Streit der Parteien mischen, sondern benutzen Sie dieselbe, indem Sie die Parteien, ihre Vorzüge und Schwächen, ihre Ziele und Mittel, und überhaupt die ganze politische Situation auf das sorgfältigste und gewissenhafteste studiren. Nichts ist thörichter, als die Behauptung unsrer Officiere, daß wir Soldaten nur Soldaten und sonst weiter nichts in der Welt zu sein brauchten. Wenn mich nicht Alles trügt, stehen wir an der Schwelle einer Periode, wo der General, der nicht zugleich Staatsmann ist, eine traurige Rolle spielen wird, und ebenso die Staatsmänner, die sich nicht nöthigenfalls für ihre Ideen schlagen können, wenig geachtet sein werden. Lassen Sie sich deshalb die Zeit, die Sie auf das Studium der Kriegswissenschaft verwenden, nicht verdrießen, selbst wenn Sie sich später wieder in einen andern Sattel schwingen sollten; man muß eben heut zu Tage in mehr als einem Sattel gerecht sein.«

Hier erschien der Diener abermals und meldete, daß nur noch funfzehn Minuten an ein Uhr fehlten.

»Es ist gut!«

Der Mann machte auf dem Absatz Kehrt und marschirte wieder zur Thür hinaus.

»Ich hasse den Menschen beinahe,« sagte der Major lächelnd; »er ist wie eine Personification des geistlosen, zeitraubenden, unerbittlichen Dienstes; Sie glauben nicht, wie viel gute Stunden der Mensch mir schon gestohlen und wie viel erträgliche Gedanken er mir schon in der Geburt gemordet hat. Aber nun wollen wir ihn doch nicht zum dritten Male kommen lassen. Leben Sie wohl, Herr von Hohenstein. Morgen wird Ihr Patent fertig; übermorgen werden Sie sich auf der Parade vorstellen müssen; und den Tag darauf können Sie, wenn Ihre Fräulein Braut es sonst erlaubt, reisen. Wollen Sie mich vorher noch einmal besuchen, so kann ich Ihnen vielleicht für Ihre Studien einige nützliche Winke geben. Das Handwerksmäßige lernt ein Mann, wie Sie, ja im Handumdrehen: aber eben deshalb darf ein Mann wie Sie auch nicht beim Handwerksmäßigen stehen bleiben. – O Himmel! Ich höre meine Parze schon wieder! Adieu, adieu!«

Und Herr von Degenfeld drängte Wolfgang zur Thür hinaus, als wollte er ihm die Danksagung ersparen, welche ein so unerwartet freundlicher Empfang allerdings in reichem Maße verdiente.



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