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25.

E s war ein paar Stunden später, als der Wagen des Präsidenten die Ufergasse herauf gefahren kam und vor Peter Schmitz's Hause still hielt. Der Bediente sprang vom Bock und öffnete den Schlag; der Präsident stieg heraus und warf einen flüchtigen Blick auf das verkümmerte Wappen mit der unleserlichen Inschrift über der Hausthür und auf den Schild über den Fenstern des linken Erdgeschosses, auf welchem in sehr deutlichen, ja, wie es dem Präsidenten vorkam, frechen Lettern: »Expedition des Volksboten« zu lesen war. Ueberhaupt konnte sich der Präsident bei all' der kühlen Ruhe seines scharfsinnigen Geistes eines gewissen abergläubisch-unheimlichen Gefühls nicht erwehren, als er jetzt dem Bedienten den Auftrag gab, fortzufahren, wenn er in fünf Minuten nicht wieder käme. – Wenn er nun gar nicht wieder käme? – War doch aus diesem alten, düstern Hause für seine Familie schon Unglück genug hervorgegangen, wenn auch in Gestalt eines schönen Mädchens – eines so schönen Mädchens, wie da eben jetzt eines aus dem Seitenfenster des Erkerchens hervorschaute. Der Präsident zog unwillkürlich seinen Hut; das junge Mädchen erwiderte den Gruß und verschwand vom Fenster. Der Präsident trat in das Haus.

»Die Redaction des Volksboten ist eine Treppe hoch, gerade aus, dann rechts;« verkündete ein an die Wand geklebter Zettel, auf welchem außerdem eine riesige Hand mit ausgerecktem Zeigefinger die gebrechliche, zur Gallerie führende Treppe hinaufwies. Oben auf der Gallerie waren an schicklichen Stellen noch verschiedene Exemplare derselben Riesenhand angebracht mit der Ueberschrift »zur Redaction.« Der Präsident ging vorsichtig, als fürchtete er, die knarrenden Bretter könnten bei jedem Tritt unter ihm zusammenbrechen, die Gallerie entlang, und das unheimliche Gefühl, welches ihn beim Eintritt in das Haus überkommen hatte, steigerte sich mit jedem Augenblick. Er erinnerte sich nicht, je in seinem Leben ein so wunderlich gebautes Haus gesehen zu haben. Er fragte sich, was denn nur der ungeheure Flur zu bedeuten habe? ob das Haus wohl zusammenstürzte, wenn man den mächtigen Pfeiler, der in der Mitte des Flurs die Decke stützte, herausnähme? und die alte Sage von Simson, dem gemißhandelten, verhöhnten Sclaven, dessen blinde, todesmuthige Kraft ein ganzes Geschlecht seiner übermüthigen Herren in einer verzweifelten Anstrengung vernichten konnte, kam ihm in den Sinn – eine unbequeme Erinnerung hier in diesem Hause Peter Schmitz', des fanatischen Demagogen. Der Präsident blieb unwillkürlich stehen; es war so gespensterhaft still in dem öden, kühlen Raum, nur durch die weitgeöffneten Fenster in der Hinterwand schallte vom Hofe her ein gleichmäßiges Brausen und Rauschen – es waren die Pressen, die an der Abendnummer des »Volksboten« arbeiteten; vielleicht so eben einen jener scharfen, mit ätzender Satyre getränkten, » In Praesidentem« überschriebenen Artikel, welche seit einigen Tagen seine – des Präsidenten Philipp von Hohenstein – Amtsverwaltung einer mitleidslosen Kritik unterzogen, in die Welt schleuderten. Der Präsident von Hohenstein fand auf einmal, daß der Plan, dessen Ausführung ihn hier so unvorbereitet mitten in das Lager seiner schlimmsten Feinde führe, denn doch vielleicht etwas vorschnell gefaßt sei und – da fuhr der Wagen fort! die Dummköpfe! nicht zwei Minuten haben sie gewartet! aber jetzt noch umkehren? warum nicht? du hast das Redactionszimmer nicht finden können! bist du ja doch Niemandem begegnet! das junge Mädchen am Fenster wird sich nicht eben um dich gekümmert haben –

In dem Augenblicke, wo der Präsident im Begriff war, umzuwenden und sich mit langen leisen Schritten davon zu machen, kam aus einer der niedrigen Thüren, die auf die Gallerte führten, eine ältere Dame, schwarz gekleidet, wie die junge Dame am Fenster, in der Hand ein Stickmuster und um den Hals eine lange Docke blutrothen Stickgarns wie eine Ehrenkette tragend. Da sie sich nach den vorderen Räumen begab, und die Riesenhände in die entgegengesetzte Richtung wiesen, so war, wenn der Präsident nicht geradezu davon laufen wollte, auf der schmalen Gallerie an ein Ausweichen nicht zu denken. Der Präsident hielt es also für das Gerathenste, einen suchenden Blick in dem Flur umherzuschicken, und in dem Moment, als die Dame bis auf drei Schritte an ihn heran war, sie plötzlich zu bemerken und etwas auf die Seite tretend und den Hut lüftend, im verbindlichen Tone zu fragen:

»Ah, Madame; Sie können mir vielleicht sagen, ob ich hier auf dem rechten Wege zum Büreau des Herrn Dr. Münzer bin?«

Tante Bella blieb stehen und heftete ihre ausdrucksvollen dunklen Schmitz'schen Augen mit einer so durchdringenden Schärfe auf den Frager, daß dieser unwillkürlich den gelüfteten Hut ganz abnahm, als könne er dadurch bewirken, daß die dunklen Augen der Dame einen etwas weniger unbequem-forschenden Ausdruck annähmen. Aber die dunklen Augen blickten nur noch forschender, und es lag auch durchaus keine Süßigkeit in dem Ton, mit welchem Tante Bella jetzt antwortete:

»Das Redactionszimmer ist am Ende der Gallerie, Herr Präsident.«

»Ah,« sagte Herr von Hohenstein mit einer anmuthigen Verbeugung: »ich habe die Ehre von Madame gekannt zu sein?«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, daß ich weiß, wie der Bruder meines Schwagers aussieht, ja!«

»Dann habe ich das Vergnügen, mit – Fräulein Schmitz?« –

»Arabella Schmitz, zu dienen, Herr Präsident. Ich fürchte, Sie werden jetzt nur erst Herrn Dr. Holm in der Redaction treffen. Dr. Münzer pflegt am Dienstag später zu kommen; bin ich vielleicht im Stande, Ihren Auftrag auszurichten?«

Bei diesen Worten blickten die dunklen Augen Tante Bella's forschender als je.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Fräulein; aber ich würde vorziehen, Herrn Dr. Münzer selbst zu sprechen; ich werde, wenn Sie erlauben, einige Zeit in dem Redactionszimmer auf ihn warten.«

»Wie es Ihnen beliebt,« sagte Tante Bella und ging mit einer kaum merklichen Neigung ihres Kopfes an dem Präsidenten vorüber.

» Incidit in Scyllam,« murmelte dieser, jetzt nothgedrungen weiter schreitend; »welch' impertinentes, diabolisches Frauenzimmer! ich wollte, ich wäre nur erst wieder aus der Räuberhöhle heraus! Ah! da ist endlich die Thür. Dr. Holm! – bin mit dem Menschen in Heidelberg zusammengewesen; habe ihn jetzt in vielen Jahren nicht gesehen. Man wird die Bekanntschaft erneuern müssen.«

»Herein!«

Es war eine brummige, tiefe, sonderbare Stimme, die das »Herein« gerufen hatte und eine sonderbare Gestalt war es auch, die der Präsident, als er dem Rufe Folge geleistet, in dem Redactionszimmer an einem kleinen Tisch in der Nähe des zweiten Fensters mit dem Rücken nach der Eingangsthür sitzend fand: ein starker, breitschultriger Mann mit einem breiten massiven Schädel, den struppiges, schwarzes, negerartig krauses Haar dicht bedeckte. Als er sich nach dem Eintretenden umblickte, sah dieser ein schwarzbärtiges todtenblasses, und dennoch unsäglich finstres Gesicht, aus dem ein paar kleine stechende, und wie es dem Präsidenten schien, blutunterlaufene Augen starrten. Der Mann trug, trotz der sommerhaften Frühlingswärme, einen dicken groben Flausrock, und, wie zur Entschädigung dafür, Beinkleider von ungebleichtem Leinen. Um seinen muskulösen, nackten Hals hatte er ein blutrothes baumwollenes Tuch lose geschlungen; in seinen Ohren trug er kleine messingene Ringe.

»Ich wünsche, Herrn Dr. Münzer zu sprechen,« sagte der Präsident.

»Noch nicht hier!« erwiderte der im Flausrock; »sehr beschäftigt, wenn er kommt.«

»Ich vermuthe das, auch will ich ihn nicht lange aufhalten. Mein Name ist: Präsident von Hohenstein; mit wem habe ich die Ehre?«

Der Präsident hatte sich genannt, einmal, weil er in dem stechenden Blick der kleinen schwarzen blutunterlaufenen Augen eine dringende Aufforderung, sich zu legitimiren, gelesen zu haben glaubte, und sodann aus dem langjährigen Bedürfniß, Leuten in niedrigerer Lebensstellung durch seinen Rang zu imponiren. Indessen schien der so oft erprobte Zauber diesmal eher die entgegengesetzte Wirkung zu haben. Zum wenigsten zuckte es seltsam durch des bleichen bärtigen Mannes wildes Gesicht und ein kurzes heiseres Lachen drang aus seiner Kehle. Er starrte den Präsidenten an und blickte dann in die Correctur, an der er beschäftigt war, dann wieder auf den Präsidenten, wie ein Sicherheitsbeamter, der die Identität eines ganz besonders kostbaren Hallunken durch sorgfältige Vergleichung des Originals mit dem Signalement im Steckbrief constatiren will; schließlich vertiefte er sich, als sei er jetzt mit sich im Reinen, wieder in seine Arbeit.

Der Präsident verwünschte innerlich seine Unvorsichtigkeit, die ihn in eine Lage gebracht hatte, welche von Minute zu Minute peinlicher wurde. Es war ihm, als ob die mit dem Duft frischer Druckerschwärze und feuchten Papiers erfüllte Luft der Stube ihn ersticken müßte, als ob die Wände auf ihn fallen und ihn zerschmettern würden, als ob die dickschnäbligen Papageien und Kakadu's der zerfetzten modrigen Tapete sich über ihn lustig machten. Zuletzt blieb er vor einem an eine Tapetenthür geklebten Bogen stehen, auf welchem die berühmte Fabel von dem Hausherrn, der zur Nacht auf die Katzenjagd geht, mit drolligen Bildern illustrirt war. Das mit gesperrter Schrift gedruckte »blinder Eifer schadet nur« schien ihm eine Weisheit von nie geahnter Tiefe zu enthalten. Der Mann im Flausrock achtete seiner nicht weiter; er hatte sich wieder über seine Arbeit gebeugt; nichtsdestoweniger wurde dem Präsidenten das Zusammensein mit demselben immer unerträglicher. Es war aber auch ein zu unheimlicher Gesell, der im Flausrock. Er schrieb mit der linken Hand, offenbar mit der äußersten Anstrengung und Unbeholfenheit; sein mächtiger Leib ward fortwährend wie vom heftigsten Fieber geschüttelt, während auf seinem Gesicht schneller und immer schneller eine fieberhafte Purpurgluth mit einer gespenstisch fahlen Blässe wechselte. Dabei stöhnte und wimmerte er von Zeit zu Zeit ganz leise, wie ein von grausamsten Schmerzen Gefolterter, und dann lachte er wieder sein kurzes, heiseres Lachen, wie Jemand, der ein äußerst drolliges Buch liest und sich durch die eigene Heiterkeit nicht stören will.

»Wollen Sie einen Blick in den Leitartikel des Abendblattes werfen?«

Der im Flausrock reichte dem Präsidenten, welcher jetzt, nachdem er die ingenuose Fabel zum sechsten Mal durchgelesen, im Zimmer mit leisen Schritten auf- und abging, das Blatt, an dem er bis jetzt corrigirt hatte. Der Präsident erschrak über den Ausdruck, den des Mannes Gesicht in diesem Augenblick zeigte, so, daß er ein paar Schritte zurücktaumelte und eine abwehrende Bewegung machte.

»Nun, wie Sie wollen,« sagte der im Flausrock grinsend; »aber der Artikel ist gut geschrieben und was den Inhalt betrifft, so, hat es schon schlechtere Conterfei's gegeben; ho, ho, ho!«

Und der Mann ergriff eine zweite »Fahne« und fing wieder an zu corrigiren.

»Ich bleibe keinen Augenblick länger,« murmelte der Präsident, »nicht für eine Million!«

In dem Momente, als der Präsident die Hand auf den Drücker der Thür legen wollte, erschallte draußen auf der hölzernen Gallerie der Schritt Jemandes, welcher mit dem einen Fuße sehr leise und mit dem zweiten sehr fest auftritt und dazu mit einem derben Stock den obligaten Takt stößt. Eine gar nicht üble Baßstimme sang:

»In diesen heil'gen Hallen
Kennt man die Rache nicht –«

dann wurde – ohne vorhergehendes Anklopfen – die Thür aufgestoßen und herein hinkte Dr. Holm, den breiträndrigen gelben Strohhut sammt dem Stock in der einen und in der andern Hand das rothseidene Taschentuch, mit welchem er sich in dem kühleren Zimmer den Schweiß von der perlenden Stirn und dem kahlen Schädel wischen wollte. Aber er vergaß diese nützliche Manipulation vor Erstaunen über den Anblick des alten Universitätsfreundes und jetzigen politischen Gegners, dessen Anwesenheit im Redactionszimmer des Volksboten in der That befremdlich genug war, für Dr. Holm zumal, dessen menschenfreundliches Gemüth mit dem Bewußtsein belastet war, daß noch heute Abend einer jener fulminanten Artikel » in Praesidentem« im Volksboten zu lesen sein würde. Aber Dr. Holm besaß in einem hohen Grade die herrliche Eigenschaft »nicht leicht aus der Fassung gebracht zu werden,« und so schwenkte er denn den breiträndrigen Strohhut mit einer kühnen Armbewegung und rief:

»Seid mir gegrüßt, der Regierung erleuchteter, würdiger Präses.«

»Ich sehe, die Jahre haben dem frischen Humor meines Universitätsfreundes nichts anzuhaben vermocht;« erwiderte der Präsident, der sich durch diesen cordialen Empfang sehr erleichtert fühlte, mit seinem verbindlichsten Lächeln.

»Dank sei den heiligen Göttern, die solches mir gnädig gewährten!« sagte Dr. Holm; »aber wollen wir uns nicht setzen, Herr Präsident, damit Sie mir in Ruhe sagen können, was uns die Ehre Ihres Besuches verschafft.«

»Danke, danke!« flüsterte der Präsident, ohne den Rohrlehnstuhl, auf welchen Holm mit seiner gewöhnlichen majestätischen Geste wies, anzunehmen; »so lieb mir auch eine längere Unterredung mit meinem alten Universitätsfreunde wäre, so zwingt mich meine knapp zugemessene Zeit, ihm mein Anliegen in aller Kürze vorzutragen und ihn zu bitten, dasselbe gütigst bei seinem Herrn Collegen befürworten zu wollen. Aus Gründen, die ich hier nicht weiter entwickeln kann« – bei diesen Worten blickte der Präsident auf den Mann im Flausrock – »liegt mir außerordentlich viel an einer Zusammenkunft mit Herrn Dr. Münzer. Ich würde ihn in seiner Wohnung aufsuchen, fürchte aber, ihn dort so wenig, wie hier, zu treffen. Deshalb möchte ich Sie nun ersuchen, ihm mitzutheilen, daß, wenn er nicht vorzieht, mir diese Zusammenkunft heute Abend in meinem Hause zu gewähren, er mir für eine andere Zeit und einen anderen, von ihm zu bestimmenden Orte ein Rendezvous concedire. Wollen Sie, lieber Herr Doctor –«

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr Präsident,« unterbrach Dr. Holm den glattzüngigen Staatsmann, »aber Gottesdienst, wissen Sie, geht vor Herrendienst, und wenn der Leitartikel – wie steht's, Cajus, ist er gereinigt von Fehlern des Drucks der holde Leitorum?«

»Hier,« sagte der Flausrock, sich auf seinem Stuhle halb umwendend und mit der linken Hand das Blatt, welches er vorher dem Präsidenten vergeblich zum Lesen angeboten hatte, hinhaltend.

Die mächtige Hand, die das leichte Blatt hielt, zitterte und auf dem erdfahlen Gesicht standen große Schweißtropfen.

»Um des Himmelswillen,« rief Holm, mit dem hingehaltenen Blatt die Hand zugleich ergreifend, »wie sehen Sie denn aus? was ist Ihnen?«

»Ich bin, als ich die Treppe heraufkam, gefallen, und ich glaube, ich habe mir den rechten Arm gebrochen,« murmelte Cajus.

»Mann, seid Ihr toll!« rief Holm, der bei diesen Worten beinahe so blaß geworden war, wie der im Flausrock, »und Ihr sitzt hier – seit einer Stunde – in diesem Zustande?«

Ein grimmiges Lächeln zuckte über das Gesicht des Leidenden.

»Die Herren hätten ja die Correctur selbst machen müssen, und ich weiß, daß Sie so schon Mühe haben, fertig zu werden, und –« die schmerzgebrochenen Augen schossen einen finstern Blick auf den Präsidenten – »gerade diesen Artikel konnte ich keinem Andern überlassen.«

Der Corrector wollte aufstehen, aber die Bewegung brachte den zerbrochenen Arm aus seiner Lage. Der wüthende Schmerz preßte dem stoischen Manne einen dumpfen Weheschrei aus und er sank ohnmächtig auf seinen Stuhl zurück.

Dr. Holm fuhr mit einer Geschwindigkeit, die man ihm bei seiner Lahmheit nicht zugetraut hätte, an die Thür, die nach dem Setzersaal führte, riß das Fensterchen auf und schrie mit der ganzen Kraft seiner Lunge: »Hülfe! Hülfe!« dann griff er nach der Klingelschnur, die über dem Redactionstische hing und begann an dieser Sturm zu läuten, während er dabei noch immerfort Hülfe! schrie, obgleich die von ihrer Arbeit aufgeschreckten Setzer mit verstörten Mienen schon in das Zimmer gestürzt kamen. Zu gleicher Zeit aber ward auch die Thür, die nach dem Flur führte, geöffnet und Tante Bella eilte herein, – das Stickmuster noch in der Hand und das rothe Garn noch um den Hals – und rief:

»Habe ich es doch gedacht, daß dieser Mann uns Unglück in's Haus bringen würde! Was giebt's, Holm?«

»Rühre ihn Keiner an; er hat den Arm gebrochen!« schrie Dr. Holm den Männern zu. die den noch immer ohnmächtigen Cajus emporzurichten bemüht waren.

»Aber Holmchen, sind Sie denn von Sinnen?« rief Tante Bella, »wir können ihn doch hier nicht sitzen lassen. Geben Sie mir lieber ein Glas Wasser aus der Karaffe. Lohmann, laufen Sie nach dem Doctor! er soll sofort kommen! Sie Beide und Hartwig – Sie haben ja viel Kraft! – tragen Sie ihn nach vorne – in die rothe Stube! So!«

Da richtete sich Cajus in die Höhe, blickte mit verwirrten Augen auf die um ihn Herumstehenden und sein finsteres Gesicht wurde noch finsterer.

»Ich dächte, es wäre genug, daß Einer nicht weiter kann, müßt Ihr Andern deshalb auch von der Arbeit laufen.«

Er stand vollends auf und nahm den gebrochenen Arm in den gesunden:

»Ich kann allein nach Hause gehen,« sagte er, »machen Sie mir nur gefälligst die Thür auf.«

»Papperlapapp!« sagte Tante Bella. »Nach Hause gehen! Ich möchte wohl wissen, was Sie ohne Frau und Kind und Kegel mit einem zerbrochenen Arm zu Hause wollten! Wir haben hier Platz genug und Arme genug. Ich möchte nicht das Gesicht sehen, das mein Bruder machen würde, wenn er nach Hause käme und hörte, wir hätten Sie so fortgelassen.«

Dies letzte Argument schien auf den sonderbaren Mann sichtbaren Eindruck zu machen. Er murmelte ein paar unverständliche Worte und folgte dann Tante Bella aus dem Zimmer. Zwei von den Setzern gingen auf einen energischen Wink von Tante Bella's energischen Augen mit; die andern begaben sich unter dem bei solchen Gelegenheiten üblichen Hin- und Herreden wieder an ihre Arbeit. Der Präsident und Dr. Holm blieben allein.

»Uff!« stöhnte Dr. Holm, indem er sich gänzlich erschöpft in seinen Lehnstuhl sinken ließ und Arme und Beine von sich streckte; »mir schlottern alle Glieder! Ist das ein Eisenmensch, eine Römernatur dieser Cajorum! Was sagen Sie, Herr Präsident? Haben Sie in Ihren Büreaus auch solche Helden?«

»Ich fürchte, nein,« erwiderte der Präsident, der während dieser ganzen Scene in der fernsten Ecke des Zimmers gestanden hatte.

»Und eine Sache, die solche Kämpfer hat, sollte nicht siegen!« rief Dr. Holm, enthusiastisch auf den Tisch schlagend; »eine Sache, zu der Männer halten, die nicht blos jeden Augenblick bereit sind, für ihre Ideen in den Tod zu gehen – denn dulce est pro patria mori,–mororum! (abermaliges Berühren der Tischplatte mit der geballten Hand) aber sich den Arm brechen, mit einem gebrochenen Arm einen Leitartikel corrigiren – corrigorum Leitorum!«

»Ich sehe, Sie haben Ihren alten Heidelberger Scherz der Latinisirung deutscher Wörter noch immer nicht abgelegt,« sagte der Präsident, schon nahe an der Thür.

»Den Göttern Dank!« erwiderte Dr. Holm, sich erhebend und den Besuch mit jener anmuthigen Grandezza, die ihm, trotz seiner Lahmheit, jeder Zeit zu Gebote stand, zur Thür begleitend, »wenn Sie auch noch Latein sprächen, Herr von Hohenstein, wir brauchten keine Leitorum in praesidentem zu schreiben.«

»Ha, ha!« lächelte der Präsident, »sehr gut, sehr gut! Adieu, lieber Doctor! Sie vergessen nicht, Ihrem Herrn College« –«

»Soll geschehen, soll geschehen!«

»Ihr ergebenster Diener!«

»Servorum! Servorum!«

»Ein Narr dieser Mensch«, murmelte der Präsident, während er mit langen, leisen Schritten über die Gallerie davoneilte; »ein Narrenhaus dieser ganze Rumpelkasten. Nun, wenn ich den Hauptnarren, den Münzer, nur am Seile führen kann, bin ich doch nicht vergeblich hier gewesen.«



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