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*

XI.

Nun, und die Herrschaften wollen heute bei dem köstlichen Wetter keine Promenade nach dem Frühstück machen? fragte Herr Banse, zu Herrn und Frau Sybold herantretend.

Sie ja auch nicht, wie es scheint, entgegnete Herr Sybold.

Gott, wir alten Leute, wir haben genug, wenn wir einen Tag über den andern herauskommen; überdies ist meine Frau heute nicht ganz wohl – hat sich ein bißchen schlafen gelegt, und was mich betrifft – offen gestanden, ich verdämmere viel lieber ein paar Stunden hier in dem schattigen Garten, als daß ich da draußen in der Sonnenhitze herumgondle oder kutschiere. Aber die Herrschaften – junge, rüstige Leute – ei! ei!

Junge Leute! sagte Herr Sybold lachend, na, na! Das sind denn auch für uns beide tempi passati; nicht wahr, Frau?

Sprich für dich allein, wenn ich bitten darf, sagte Frau Sybold, und rücke lieber ein wenig in den Schatten, damit Herr Banse sich setzen kann.

Danke verbindlichst, sagte Herr Banse. Sie wollen also wirklich keinen Ausflug unternehmen?

Wir wollten, sagte Herr Sybold, aber –

Schweig, Christian! sagte Frau Sybold.

Ich kann doch nichts für die Ungezogenheit von Herrn Delajoux? murmelte Herr Sybold.

Eine Ungezogenheit von Herrn Delajoux? fragte Herr Banse, ei, ei, das müssen Sie mir wirklich erzählen.

Herr Sybold zuckte die Achseln. Sie hören ja, sagte er, meine Frau will nicht, daß ich –

Weil Du alles falsch erzählst, sagte Frau Sybold. Die Sache ist einfach die: Wir haben, bis Lady Ballycastle vor drei Tagen kam, noch immer den neuen Landauer, den mit dem gelben Rips, zu unseren Spazierfahrten gehabt; seitdem bekommen wir immer den alten, mit dem verschossenen grünen Plüsch; ich glaubte im Anfange, es sei ein Zufall; heute bestand ich auf dem Rips. Und denken Sie, Delajoux hat die Stirne, mir ins Gesicht zu sagen, es ginge nicht, er müsse ihn für Mylady reservieren, falls Mylady ausfahren wollte. Wie finden Sie das?

Abscheulich, sagte Herr Banse, ganz abscheulich! Delajoux schneidet sich ins Fleisch, wenn er solche Gäste so behandelt. Aber für diesmal muß ich ihn doch ein wenig in Schutz nehmen: Lady Ballycastle hat den Landauer wirklich auf zwei Uhr bestellt –

Siehst Du, ich sagte es doch! rief Frau Sybold; Du weißt nie etwas, Herr Banse weiß immer alles!

Ich habe ja nichts weiter zu thun, als so ein bißchen herumzuhören, sagte Herr Banse, und der dicke Kurier von Mylady würde vor langer Weile närrisch werden, wenn er nicht ein wenig schwätzen könnte. So kann ich Ihnen auch sagen, daß Mylady die Promenade nicht allein machen wird, sondern in Gesellschaft von – nun, Sie raten es doch nicht: von Frau Moor.

Wie ist das möglich! rief Herr Sybold.

Wenn Du doch nur um Gotteswillen die Unart ablegen wolltest, die Leute bei jedem zweiten Worte zu unterbrechen, sagte Frau Sybold; bitte, fahren Sie fort, Herr Banse; ich muß wirklich auch fragen, wie ist das möglich?

Das würde eine lange Geschichte werden, sagte Herr Banse mit schlauem Augenzwinkern zu Herrn Sybold hinüber, und eine, die sich vor Damenohren –

Es ist ein Skandal, sagte Frau Sybold.

Aber Frau, du hast ja noch gar nichts gehört, fügte ihr Gatte.

Und will auch nicht, rief Frau Sybold. Du kennst meinen Horreur vor jedem Skandal. Aber wie haben Sie es denn herausgebracht?

Wodurch man alles herausbringt, verehrte Frau, erwiderte Herr Banse, durch ein strenges Kreuzverhör, in welches ich vor dem Frühstück Myladys Kurier einer- und den Zimmerkellner Jean aus der ersten Etage andrerseits genommen habe.

Nun und – und – rief Frau Sybold ungeduldig.

Sie müssen sich die Sache nicht so schlimm denken, sagte Herr Banse, eine Prise nehmend; meine gute Frau meint, sie fände gar nichts drin. Was ist denn schließlich auch, daß sich ein Paar junger Eheleute ein bißchen zankt, der Mann davonrennt, die junge Frau händeringend im Hause umherläuft, unserer Mylady – das hat der Kurier von Miß Flinch – ohnmächtig ins Zimmer fällt; von der Mylady – das hat Jean von Fräulein Pilz, der Moorschen Bonne – zu Bett gebracht wird in dem Augenblicke, wo der junge Ehemann nach Hause kommt; wütend über die Gegenwart von Mylady, mit der er, wie Sie sich erinnern, schon im Speisesaale eine Scene gehabt, auf sein Zimmer stürzt, vor dessen verschlossener Thüre dann – ein paar Stunden später – das habe ich von Jean selber – die arme kleine Frau um Einlaß bittet, der ihr denn endlich nach langem Parlamentieren, als Jeans Stiefel bereits auf den letzten Treppenstufen knarren, gewährt wird.

Es ist reizend, sagte Frau Sybold, einen großen schwarzen Fächer, den sie erst heute nach langem Suchen in einem Galanterie-Laden aufgetrieben hatte, heftig bewegend, wie sie es gestern von Lady Ballycastle gesehen.

Nicht wahr? sagte Herr Banse. Leider hat die entente cordiale nicht länger als bis um sechs Uhr circa gedauert, zu welcher nachtschlafenden Stunde der brave Jean dem jungen Ehemanne begegnen muß, wie er aus derselben Thür schlüpft, in welche er gestern Abend die arme junge Frau hat schlüpfen sehen, worüber denn der besagte junge Ehemann, scheint es, so in Verwirrung gerät, daß er eiligst die Treppe hinab und zum Hause hinausläuft, um bis zu diesem Augenblicke noch nicht retourniert zu sein.

Er hat sich das Leben genommen, sagte Frau Sybold, den Fächer mit Geräusch zuklappend.

Möglich, sagte Herr Banse, wenn auch nicht wahrscheinlich, wenigstens nicht in den Augen der jungen Frau, die sich doch sonst wohl schwerlich eben zu der bewußten Spazierfahrt mit ihrer neuen Freundin zurecht machen würde. Freilich, was thut der Mensch nicht in seinem Schmerz!

Aber ich weiß, was ich thue, rief Frau Sybold; ich reise noch heute. Kein Wort, Christian; Du kennst meine Festigkeit; was ich gesagt habe, das habe ich gesagt, und dabei bleibt es.

Verzeihen Sie, verehrte Frau, sagte Herr Banse, wenn ich mir erlaube, die stumme Bitte Ihres Herrn Gemahls zu unterstützen und auch meinerseits um Ihr Bleiben zu petitionieren. Ich würde es mir nie vergeben können, Sie durch meine vertrackte Schwatzhaftigkeit vertrieben zu haben. Was gehen uns ruhige Leute schließlich die anderen an? Und wir leben doch nun einmal in einem Hotel, und Sie werden mir zugeben, trotz Delajoux' Unhöflichkeit, alles in allem nicht schlecht. Ueberdies: das Wetter ist nach dem gräßlichen Gewitter gestern Abend heute so prachtvoll, hält auch sicher an; wir werden einen wunderbaren November haben und eine glänzende Herbstsaison. Vor einer Stunde sind wieder zwei Damen mit einer Kammerjungfer angelangt, von Clarens; haben erst heute Morgen telegraphisch Logis bestellt. Drei Zimmer Parterre, die Eckzimmer, mit zwei Fenstern nach der Straße und vier nach dem Garten heraus und einem abgeschlossenen Stück Veranda zu privater Benutzung. Unser guter Brasilianer hatte sie ursprünglich, aber die dicke Russin nebenan rauchte so viel Zigaretten, sonst hätte er nicht nach oben, neben Lady Ballycastle, ziehen und sich von der gestern umlaufen zu lassen brauchen. Apropos, soll dem alten Herrn sehr schlecht bekommen sein das Umgelaufenwerden; hat eine ganz fürchterlich miserable Nacht gehabt; sitzt jetzt da hinten in seinem Wägelchen und läßt sich sonnen; werde ihm mal guten Tag sagen und mich nach seinem Befinden erkundigen.

Herr Banse wollte sich erheben, Frau Sybold legte ihm den schwarzen Fächer auf den Arm.

Der läuft Ihnen ja nicht fort. Sie müssen uns erst noch von den beiden Damen erzählen.

Von welchen Damen? Ja so! Nun, da weiß ich freilich auch nicht viel: eine Baronin Granske –

Die sollte ich kennen, sagte Frau Sybold nachdenklich, aus Berlin, nicht?

Norddeutschland wenigstens, erwiderte Herr Banse, von der Insel Rügen, nach Aussage der Kammerjungfer, die ich vorhin auf einen Augenblick beiseite genommen. Es war nicht ganz leicht, die Kleine zu verstehen. Sie spricht vermutlich ein ausgezeichnetes Plattdeutsch; aber mit ihrem Hochdeutsch ist es nur so so. Waren Sie schon auf Rügen?

Natürlich, sagte Frau Sybold.

Das heißt, wir wollten immer hin, sagte Herr Sybold.

Natürlich wollten wir hin, das habe ich ja gesagt! rief Frau Sybold, Du läßt einen ja nie aussprechen. Das werden die Damen sein.

Natürlich, sagte Herr Banse mit einem Zwinkern der Augen zu Herrn Sybold hinüber, der ihm dafür hinter dem Rücken seiner Frau mit dem Finger drohte.

Ich fürchte, ich kenne sie doch nicht, sagte Frau Sybold, welche unterdessen durch ihre Lorgnette die beiden Damen beobachtete, die eben aus der offenen Fensterthür ihres Salons auf die Veranda hinausgetreten waren; scheint übrigens nichts Besonderes; die alte Dame sieht aus wie eine Hökerfrau und ihre Tochter wie eine Probiermamsell bei Gerson!

Es ist nicht ihre Tochter, sagte Herr Banse, ihre Gesellschafterin – ein Fräulein von Seeburg.

Ihre Gesellschafterin – versteht sich – das kann man ja auf den ersten Blick erkennen, sagte Frau Sybold; warum gehen die Damen in Trauer?

Himmel, danach habe ich mich nicht erkundigt, sagte Herr Banse aufstehend; das muß ich doch noch herauszubringen suchen – bis spätestens zum Diner – auf Wiedersehen, meine Herrschaften – habe die Ehre.

Herr Banse ging gekrümmten Rückens, in die vorgehaltene Hand hüstelnd, davon.

Ein gräßlicher Schwätzer, sagte Frau Sybold; der Mensch wird mich noch umbringen, und diese plebejische Neugier! Du sollst sehen, er kann uns heute Mittag sagen, weshalb die Damen trauern, während man Dich fragen kann, wonach man will, und kriegt nie eine verständige Antwort. Uebrigens, daß die junge Person bloß die Gesellschafterin ist, glaube ich nicht, oder die Dicke ist keine Baronin; eine Baronin würde niemals ihre Gesellschafterin vor aller Welt so um den Leib fassen, darauf verstehe ich mich denn doch ein bißchen besser, als ein Bunzlauer Porzellanhändler.


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