Oswald Spengler
Der Untergang des Abendlandes – Zweiter Band
Oswald Spengler

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Cäsarismus nenne ich die Regierungsart, welche trotz aller staatsrechtlichen Formulierung in ihrem inneren Wesen wieder gänzlich formlos ist. Es ist gleichgültig, ob Augustus in Rom, Hoang-ti in China, Amosis in Ägypten, Alp Arslan in Bagdad ihre Stellung mit altertümlichen Bezeichnungen umkleiden. Der Geist dieser alten Formen ist tot.Cäsar hat das klar erkannt: Nihil esse rem publicam, appellationem modo sine corpore ac specie (Sueton, Cäs. 77). Und deshalb sind alle Institutionen, sie mögen noch so peinlich aufrecht erhalten werden, von nun an ohne Sinn und Gewicht. Bedeutung hat nur die ganz persönliche Gewalt, welche der Cäsar oder an seiner Stelle irgend jemand durch seine Fähigkeiten ausübt. Es ist die Heimkehr aus einer formvollendeten Welt ins Primitive, ins Kosmisch-Geschichtslose. Biologische Zeiträume nehmen weder den Platz historischer Epochen ein.Vgl. Bd. II, S. 613f.

Am Anfang, dort, wo die Zivilisation sich zur vollen Blüte entfaltet – heute – steht das Wunder der Weltstadt, das große steinerne Sinnbild des Formlosen, ungeheuer, prachtvoll, im Übermut sich dehnend. Sie zieht die Daseinsströme des ohnmächtigen Landes in sich hinein, Menschenmassen, die wie Dünen aus einer in die andre verweht werden, wie loser Sand zwischen den Steinen verrieseln. Hier feiern Geist und Geld ihre höchsten und letzten Siege. Es ist das Künstlichste und Feinste, was in der Lichtwelt des menschlichen Auges erscheint, etwas Unheimliches und Unwahrscheinliches, das fast schon jenseits der Möglichkeiten kosmischer Gestaltung steht.

Dann aber treten die ideenlosen Tatsachen wieder nackt und riesenhaft hervor. Der ewig-kosmische Takt hat die geistigen Spannungen einiger Jahrhunderte endgültig überwunden. In Gestalt der Demokratie hatte das Geld triumphiert. Es gab eine Zeit, wo es allein oder fast allein Politik machte. Aber sobald es die alten Ordnungen der Kultur zerstört hat, taucht aus dem Chaos eine neue, übermächtige, bis in den Urgrund alles Werdens hinabreichende Größe empor: die Menschen von cäsarischem Schlage. An ihnen geht die Allmacht des Geldes zugrunde. Die Kaiserzeit bedeutet, und zwar in jeder Kultur, das Ende der Politik von Geist und Geld. Die Mächte des Blutes, die urwüchsigen Triebe alles Lebens, die ungebrochne körperliche Kraft treten ihre alte Herrschaft wieder an. Die Rasse bricht rein und unwiderstehlich hervor: der Erfolg des Stärksten und der Rest als Beute. Sie ergreift das Weltregiment, und das Reich der Bücher und Probleme erstarrt oder versinkt in Vergessenheit. Von nun an werden Heldenschicksale im Stil der Vorzeit wieder möglich, die nicht durch Kausalitäten für das Bewußtsein verschleiert sind. Es gibt keinen inneren Unterschied mehr zwischen dem Leben des Septimius Severus und Gallienus oder dem Alarichs und Odoakers. Ramses, Trajan, Wu-ti gehören in das gleichförmige Auf und Nieder geschichtsloser Zeiträume.

Seit dem Anbruch der Kaiserzeit gibt es keine politischen Probleme mehr. Man findet sich ab mit den Lagen und Gewalten, die vorhanden sind. Ströme von Blut hatten zur Zeit der kämpfenden Staaten das Pflaster aller Weltstädte gerötet, um die großen Wahrheiten der Demokratie in Wirklichkeit zu verwandeln und Rechte zu erkämpfen, ohne die das Leben nicht wert schien, gelebt zu werden. Jetzt sind diese Rechte erobert, aber die Enkel sind selbst durch Strafen nicht mehr zu bewegen, von ihnen Gebrauch zu machen. Hundert Jahre später, und sogar die Historiker verstehen die alten Streitfragen nicht mehr. Schon zur Zeit Cäsars beteiligte sich die anständige Bevölkerung kaum noch an den Wahlen.Cicero weist in der Rede für Sestius darauf hin, daß bei den Plebisziten von jeder Tribus fünf Leute da seien, die noch dazu in der Wirklichkeit einer andern angehörten. Aber diese fünf waren auch nur da, um sich von den Machthabern kaufen zu lassen. Und kaum fünfzig Jahre vorher waren die Italiker in Masse für eben dieses Wahlrecht gefallen. Es hat dem großen Tiberius das Leben verbittert, daß die fähigsten Männer seiner Zeit sich von aller Politik zurückhielten, und Nero konnte auch durch Drohungen die Ritter nicht mehr zwingen, zur Ausübung ihrer Rechte nach Rom zu kommen. Das ist das Ende der großen Politik, die einst ein Ersatz des Krieges durch geistigere Mittel gewesen war und nun dem Kriege in seiner ursprünglichsten Gestalt wieder Platz macht.

Es heißt deshalb den Sinn der Zeit vollständig verkennen, wenn MommsenUnd merkwürdigerweise auch Ed. Meyer in seinem Meisterwerk »Cäsars Monarchie«, der einzigen Arbeit von staatsmännischem Range über diese Zeit (und vorher schon in dem Aufsatz über Kaiser Augustus, Kl. Schr. S. 441 ff.). eine tiefsinnige Zergliederung der von Augustus geschaffenen »Dyarchie« mit ihrer Gewaltenteilung zwischen Prinzeps und Senat vornimmt. Ein Jahrhundert vorher wäre diese Verfassung etwas Wirkliches gewesen, eben deshalb aber auch keinem der damaligen Gewaltmenschen in den Sinn gekommen. Jetzt bedeutet sie nichts als den Versuch einer schwachen Persönlichkeit, sich über unwiderrufliche Tatsachen durch bloße Formen hinwegzutäuschen. Cäsar sah die Dinge, wie sie waren, und richtete seine Herrschaft ohne Sentimentalität nach praktischen Gesichtspunkten ein. Die Gesetzgebung seiner letzten Monate beschäftigte sich ausschließlich mit Übergangsbestimmungen, von denen keine einzige für die Dauer gedacht war. Eben das hat man immer übersehen. Er war ein viel zu tiefer Kenner der Dinge, um in diesem Augenblick, dicht vor dem Partherfeldzug, die Entwicklung vorauswissen und endgültige Formen für sie festsetzen zu wollen. Augustus aber war wie vor ihm Pompejus nicht der Herr seines Anhangs, sondern durchaus von ihm und dessen Anschauungen abhängig. Die Form des Prinzipats ist gar nicht seine Erfindung, sondern die doktrinäre Durchführung eines veralteten Parteiideals, das ein anderer Schwächling, Cicero, entworfen hatte.De re publica vom Jahre 54, eine für Pompejus bestimmte Denkschrift. Als Augustus am 13. Januar 27 in einer ehrlich gemeinten, aber eben deshalb um so sinnloseren Szene dem »Senat und Volk von Rom« die Staatsgewalt zurückgab, behielt er das Tribunat für sich, und das war in der Tat das einzige Stück politischer Wirklichkeit, das damals zum Vorschein kam. Der Tribun war der legitime Nachfolger des Tyrannen,Vgl. Bd. II, S. 1052. und schon C. Gracchus hatte 122 dem Titel einen Inhalt gegeben, der nicht mehr durch die gesetzmäßigen Schranken eines Amtes, sondern nur noch durch die persönlichen Talente des Inhabers begrenzt wurde. Von ihm führt eine gerade Linie über Marius und Cäsar zu dem jungen Nero, als er den politischen Absichten seiner Mutter Agrippina entgegentrat. Dagegen war der PrinzepsVgl. Bd. II, S. 1071. von nun an ein Kostüm, ein Rang, vielleicht eine gesellschaftliche, sicherlich aber nicht mehr eine politische Tatsache. Gerade dieser Begriff war in der Theorie Ciceros mit einem verklärenden Schimmer umgeben und schon von ihm mit dem des Divus verbunden worden.Im Somnium Scipionis VI, 26, wo der ein Gott genannt wird, der den Staat so regiert, quam hunc mundum ille princeps deus. Dagegen ist die »Mitarbeit« von Senat und Volk eine altertümliche Zeremonie, in der nicht mehr Leben enthalten war als in den ebenfalls von Augustus wieder hergestellten Bräuchen der Arvalbrüder. Aus den großen Parteien der Gracchenzeit waren längst Gefolgschaften geworden, Cäsarianer und Pompejaner, und endlich war auf der einen Seite die formlose Allgewalt geblieben, »die Tatsache« im brutalsten Sinne, »der Cäsar« oder wer ihn unter seinen Einfluß zu bringen vermochte, und auf der andern Seite das Häuflein beschränkter Ideologen, die ihr Mißvergnügen hinter einer Philosophie verbargen und von da aus mit Verschwörungen ihrem Ideal aufzuhelfen suchten. Es waren in Rom die Stoiker, in China die Konfuzianer. Erst jetzt versteht man die berühmte »große Bücherverbrennung«, die der chinesische Augustus 212 v. Chr. anordnete und die in den Köpfen später Literaten den Schein einer ungeheuerlichen Barbarei angenommen hat. Aber Cäsar war den stoischen Schwärmern für ein unmöglich gewordenes Ideal zum Opfer gefallen ;Es war vollkommen richtig, wenn Brutus neben der Leiche den Namen Ciceros ausrief und Antonius diesen als intellektuellen Urheber der Tat bezeichnete. Die »Freiheit« bedeutete aber nichts als die Oligarchie einiger Familien, denn die Menge war ihrer Rechte längst müde geworden. Daß neben dem Geist das Geld hinter der Tat stand, die großen Vermögen Roms, die im Cäsarismus das Ende ihrer Allmacht heraufkommen sahen, war selbstverständlich. dem Divuskult wurde in stoischen Kreisen ein Cato- und Brutuskult entgegengestellt; die Philosophen im Senat (damals nur noch eine Art von Adelsklub) wurden nicht müde, den Untergang der »Freiheit« zu beklagen und Verschwörungen wie die pisonische von 65 anzustiften, was beim Tode Neros beinahe die Zustände der Zeit Sullas wieder heraufbeschworen hätte. Deshalb ließ Nero den Stoiker Paetus Thrasea, und Vespasian den Helvidius Priscus hinrichten, und deshalb wurde das Geschichtswerk des Cremutius Cordus, in dem Brutus als der letzte Römer gepriesen worden war, überall in Rom eingesammelt und verbrannt. Es war ein Akt der Notwehr des Staates gegenüber einer blinden Ideologie, wie wir ähnliche von Cromwell und Robespierre kennen, und in genau derselben Lage befanden sich die chinesischen Cäsaren gegenüber der Schule des Konfuzius, die einst ihr Ideal einer Staatsordnung herausgearbeitet hatte und nun die Wirklichkeit nicht zu ertragen verstand. Die große Bücherverbrennung war nichts als die Zerstörung eines Teils der politisch-philosophischen Literatur und die Aufhebung der Lehrbetriebe und geheimen Organisationen.Dagegen wurde der Taoismus unterstützt, weil er die Abkehr von aller Politik predigte. »Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein«, sagt Cäsar bei Shakespeare. Diese Abwehr hat in beiden Imperien ein Jahrhundert gedauert; dann war selbst die Erinnerung an parteipolitische Leidenschaften geschwunden, und die beiden Philosophien – des Zenon und des Konfuzius – wurden die herrschende Weltstimmung der reifen Kaiserzeit.Das hat Tacitus nicht mehr verstanden. Er haßt diese ersten Cäsaren, weil sie mit allen denkbaren Mitteln sich gegen eine schleichende Opposition wehrten in seinen Kreisen –, die seit Trajan eben nicht mehr vorhanden war. Die Welt aber ist nun der Schauplatz tragischer Familiengeschichten, welche die Staatengeschichte ablösen, wie sie das julisch-claudische Haus und das des Schi Hoang-ti (schon 206 vor Chr.) vernichtet haben und wie sie aus den Schicksalen der ägyptischen Herrscherin Hatschepsut und ihrer Brüder (1501–1447) düster aufleuchten. Es ist der letzte Schritt zum Definitiven. Mit dem Weltfrieden – dem Frieden der hohen Politik – tritt die »Schwertseite«Vgl. Bd. II, S. 964. des Daseins zurück und die »Spindelhälfte« herrscht wieder; es gibt nur noch Privatgeschichte, private Schicksale, privaten Ehrgeiz, von den kümmerlichen Nöten des Fellachen angefangen bis zu den wüsten Fehden der Cäsaren um den Privatbesitz der Welt. Die Kriege im Zeitalter des Weltfriedens sind Privatkriege, furchtbarer als alle Staatenkriege, weil sie formlos sind.

Denn der Weltfriede – der oft schon dagewesen ist – enthält den privaten Verzicht der ungeheuren Mehrzahl auf den Krieg, damit aber auch die uneingestandene Bereitschaft, die Beute der andern zu werden, die nicht verzichten. Es beginnt mit dem staatenzerstörenden Wunsch einer allgemeinen Versöhnung und endet damit, daß niemand die Hand rührt, sobald das Unglück nur den Nachbar trifft. Schon unter Marc Aurel dachte jede Stadt und jeder Landstrich nur an sich, und die Tätigkeit des Herrschers war eine Privatsache neben den andern. Den Fernwohnenden waren er, seine Truppen und Ziele ebenso gleichgültig wie die Absichten der feindlichen germanischen Heerhaufen. Auf dieser seelischen Voraussetzung entfaltet sich ein zweites Wikingertum. Das »In Form sein« geht von den Nationen auf die Scharen und Gefolgschaften von Abenteurern über, mögen sie Cäsaren, abtrünnige Heerführer oder Barbarenkönige heißen, für welche die Bevölkerung zuletzt nichts als ein Bestandteil der Landschaft ist. Es besteht eine tiefe Verwandtschaft zwischen den Helden der mykenischen Vorzeit und den römischen Soldatenkaisern, zwischen Menes vielleicht und Ramses II. Für die germanische Welt werden die Geister Alarichs und Theoderichs wieder erwachen, wovon die Erscheinung Cecil Rhodes' eine erste Ahnung gibt; und die stammfremden Henker der russischen Vorzeit von Dschingiskhan bis Trotzki, zwischen denen die Episode des petrinischen Zarentums liegt, sind doch nicht allzu verschieden von manchen Prätendenten der romanischen Republiken Mittelamerikas, deren Privatkämpfe dort die formvolle Zeit des spanischen Barock längst abgelöst haben. Mit dem geformten Staat hat auch die hohe Geschichte sich schlafen gelegt. Der Mensch wird wieder Pflanze, an der Scholle haftend, dumpf und dauernd. Das zeitlose Dorf, der »ewige« BauerVgl. Bd. II, S. 660, 990f. treten hervor, Kinder zeugend und Korn in die Mutter Erde versenkend, ein emsiges, genügsames Gewimmel, über das der Sturm der Soldatenkaiser hinbraust. Mitten im Lande liegen die alten Weltstädte, leere Gehäuse einer erloschenen Seele, in die sich geschichtslose Menschheit langsam einnistet. Man lebt von der Hand in den Mund, mit einem kleinen, sparsamen Glück, und duldet. Massen werden zertreten in den Kämpfen der Eroberer um Macht und Beute dieser Welt, aber die Überlebenden füllen mit primitiver Fruchtbarkeit die Lücken und dulden weiter. Und während man in den Höhen siegt und unterliegt in ewigem Wechsel, betet man in der Tiefe, betet mit jener mächtigen Frömmigkeit der zweiten Religiosität, die alle Zweifel für immer überwunden hat.Vgl. Bd. II, S. 941 f. Da, in den Seelen, ist der Weltfriede Wirklichkeit geworden, der Friede Gottes, die Seligkeit greiser Mönche und Einsiedler, und da allein. Er hat jene Tiefe im Ertragen von Leid geweckt, welche der historische Mensch in dem Jahrtausend seiner Entfaltung nicht kennen lernt. Erst mit dem Ende der großen Geschichte tritt das heilige, stille Wachsein wieder hervor. Es ist ein Schauspiel, das in seiner Zwecklosigkeit erhaben ist, zwecklos und erhaben wie der Gang der Gestirne, die Drehung der Erde, der Wechsel von Land und Meer, von Eis und Urwäldern auf ihr. Man mag es bewundern oder beweinen – aber es ist da.


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