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7. Die Anfänge der Prostitution.

Gegenüber den mutterrechtlichen Zuständen ist doch eine wesentliche Einschränkung am Platz. Sie sind nicht im eigentlichen Sinne staatsbildend. Die Weiberherrschaft bleibt meist eine reine Familienangelegenheit und vermag nicht eine straffe staatliche Organisation darzustellen.

Betrachten wir in der Geschichte der Gesellschaft die Menschenverbände, so finden wir zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen. Wir finden Gesellschaften, die aus dem Geschlechtsverkehr und der Fortpflanzung entstehen und solche, die durch willkürliche Verbindung ähnlicher Individuen zustande kommen. Der Trieb, welcher zur Gesellschaftsbildung der Familie führt, ist in den früheren Kapiteln bereits untersucht worden. Dagegen sind noch einige Worte über den Gesellschaftstrieb zu sagen, welcher zur staatlichen Organisation führt.

Für die gesellschaftliche Organisation sprechen viele praktische Momente im Leben. Schon im Tierreich ist die Geselligkeit eine Waffe im Kampfe ums Dasein. Unter den höheren und niederen Tierarten gibt es gesellige und ungesellige. Während die Polypen, welche sich durch Knospung fortpflanzen, sehr gesellig sind, beobachten wir bei vielen entwickelten, monogamisch lebenden Tieren keinerlei Gesellschaftstrieb. Der Gesellschaftstrieb ist also nicht etwa eine Funktion des Familientriebes.

Besonders im Menschenleben geraten beide häufig in Gegensatz, und die menschliche Gesellschaft erhält durch diesen Zwiespalt eins ihrer wichtigsten Fermente. In ihr ist der Kampf gegen die unverhüllten Äußerungen des Geschlechtstriebes, die als Störungen des sozialen Gleichgewichts erkannt werden, eine immer wiederkehrende Erscheinung. Die geringe soziale Kraft des Weibes beruht gerade darauf, daß es innerlich stets für die Rechte des Geschlechtslebens eintritt. Wir haben es also bei der Gesellschaftsbildung mit einer spezifisch männlichen Erscheinung zu tun. Der Mann hat zunächst praktisch die antisozialen Folgen der Brunstkämpfe erkannt, die eine Begleiterscheinung der Weiberherrschaft sind, und er versucht, die Geschlechtsrivalität aus dem Gesellschaftsleben fernzuhalten. Das Weib hat sich dem Bestreben in seiner Weise angeschlossen, indem es das geschlechtliche Schamgefühl fortbildete und pflegte. Der Mann huldigt auch rein geselligem Dasein, das Gleiches und Gleiches zu erhöhter Kraftentfaltung und gesteigertem Lebensbewußtsein vereinigt.

Dieser Geselligkeitstrieb des Mannes ist in dem kürzlich erschienenen Buche von Hans Blüher (»Die Erotik an der männlichen Gesellschaft«) psychologisch untersucht worden. Obwohl durch große Einseitigkeit, viele Fehler und Übertreibungen eingeengt, schält Blüher richtig den einen Kern dieses mann-männlichen Gesellschaftstriebes heraus, nämlich die Freude des Mannes an dem Zusammensein mit dem Manne, die in ihrer Wurzel erotisch ist und von den Pfeilern der männlichen Gesellschaft stets besonders lebhaft empfunden wurde.

Hinzu kommt jedoch noch ein anderes, was mir viel wichtiger erscheint. Ich habe klargelegt, daß die Gefühle des Herrschens und Untertänigseins zu den integrierendsten Lustbestandteilen der menschlichen Psyche gehören. Diese Gefühle werden aber durch die gesellschaftliche Bindung täglich ausgelöst. Es liegt hier eine »erotische Basis des Staates«, welche bisher in ihrer psychischen Bedeutung noch gar nicht gewürdigt wurde, und die ich in der nächsten Zeit zum Gegenstand einer besonderen Darstellung machen werde.

Die Eifersucht der Männer begünstigte die Familienbildung, nicht aber die Entwicklung der gesellschaftlichen Verbände. Wenn sie trotzdem zustande kam, so war sie das Ergebnis eben jener sekundären Erscheinungen, welche bereits dargestellt sind. Und außerdem mußte der Mann die notwendige Umwertung der Frau wegen der Formen, die sie bei der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung annahm, mehr und mehr als eine drückende Sklaverei empfinden.

Solange die einfache aneignende Wirtschaft herrschte, pflegte die Arbeitsteilung den Eigenschaften und Neigungen beider Teile zu entsprechen. Der Mann übernahm den Schutz der Familie und die Jagd, und die Frau widmete sich dem Sammeln pflanzlicher Nährstoffe und wehrloser Tiere. Bei Beginn des Ackerbaus wurde jedoch die Frau zu einer Arbeitsmaschine, die den ganzen Nahrungsbedarf zu beschaffen und umzuformen hatte. Und gerade daher mußte die Macht der Frau sie aus psychologischer Notwendigkeit zur Übermacht streben lassen; wie das im Anschluß an die wirtschaftlichen Verhältnisse im vorigen Kapitel dargestellt ist, und gerade daher war der Umschlag unausweichlich.

Wie reagierte nun der Mann auf diese Übermachtgelüste der Frau? Zunächst mit der Geringschätzung der Arbeit, welche von dieser Zeit an bis zur Beendigung der Sklavenwirtschaft in den meisten Kulturformen als Schmach bezeichnet wird. Und ferner äußerlich mit der Bildung der männlichen Gesellschaft, welche die Frau von ihrer Machthöhe stürzte.

Unter den einfachen Verhältnissen werden es Jäger und Krieger gewesen sein, welche sich zusammentaten. Die eigentlichen Träger dieser Sippenbildung waren die geschlechtsreifen, aber unverheirateten Männer, wie es sich aus der natürlichen, ältesten gesellschaftlichen Einteilung in Altersklassen ergab: in Kinder, mannbare Jugend und verheiratete Erwachsene. Die unverheirateten Männer schließen sich zum Männerhaus zusammen. Das Männerhaus führt den Kampf mit andern Sippen und raubt die Mädchen fremder Stämme.

Infolge dieses Mädchenraubes ist das Dasein und der Bestand einer einflußreichen und starken Jünglingsklasse sehr eng mit dem Bestand der freien Liebe verknüpft, d. h. mit der Möglichkeit des Geschlechtsverkehrs ohne Bande und Pflichten der Ehe. Überall, wo diese Möglichkeit beschränkt oder abgeschnitten ist, schmilzt die Altersklasse der Junggesellen zusammen. Jeder heiratet, und nur die wenig geachteten bleiben übrig.

Der freie Geschlechtsverkehr erhält bald das ökonomische Merkmal der Prostitution. Das Mädchen bekommt von seinem Liebhaber Geschenke, die es entweder triumphierend trägt oder später als Mitgift in die Ehe bringt. Und auch der Charakter der Unfruchtbarkeit, welcher der Prostitution anhaftet, gehört diesem freien Geschlechtsverkehr zu. Die Geburt eines Kindes wäre den Mädchen höchst unerfreulich, weil dann die einträgliche Zeit des freien Verkehrs zu Ende wäre. Daher werden alle möglichen Mittel angewandt, um die Empfängnis zu verhindern und das Kind abzutreiben. Bei einigen Rassen tötet man das Kind nach der Geburt. In diesem Männerhause ist der alte Umwerbungszustand bereits aufgehoben. So berichtet Inood von den Baronga, daß die Frauen sich den Männern anbieten.

Wenn die Stämme sich vergrößern und das Sippenwesen übermächtig wird, so führen die Zustände bisweilen schnell zu einer völligen Sklaverei des Weibes. Am weitesten verbreitet sind derartige Zustände bei den Herero, bei denen sich nach Angaben Büttners die Männer zu festorganisierten Verbänden zusammenschließen. Jeder einzelne Mann des Verbandes ist Miteigentümer der Frauen, des Viehes usw. von allen seinen Genossen.

Sehr charakteristisch für den Übergangszustand zur Prostitution sind die Verhältnisse bei den hamitischen Massai. Bei ihnen wird der Knabe mit dem 16. Lebensjahr beschnitten. Er bleibt dann zunächst bis zur Heilung abseits. Darauf wird er in den Kraal der Elmoran, die Kriegerkaste, aufgenommen, wo er mit den jungen Mädchen (Nditos) ein ungebundenes Leben führen kann. Die Elmoran nehmen außer Honig und Zucker nur Fleisch zu sich, die Nditos nur Getreide. Ein Zeichen dafür, daß die Elmoran von der wirtschaftlichen Macht der ackerbautreibenden Frau unabhängig sein sollen. Mit 30 Jahren heiratet der Elmoran und wird ein Elmorua; dann gibt es für ihn keine Speiseverbote mehr.

Wie bei den Massai, knüpft auch bei allen andern Stämmen die Entstehung der Prostitution eng an das Männerhaus an. Wenn ursprünglich alle Mädchen frei mit den Insassen des Männerhauses verkehren, so sind es auf einer späteren Entwicklungsstufe nur noch wenige, die dann im Männerhause wohnen. Diese Mädchen – die bereits das Kennzeichen der Prostitution tragen – haben zunächst von seiten ihrer Stammesgenossinnen keinerlei Vorwürfe oder Mißachtung zu erleiden. Dieses gesellschaftliche Urteil macht sich erst breit, als die Prostitution, bereits die Gynäkokratie in ein Patriarchat gewandelt hat. Doch nehmen die im Männerhaus wohnenden Frauen sofort insofern eine Art Sonderstellung ein, als sie später nicht zu heiratsfähigen Frauen zurückdürfen. Das ist das erste Abwehrmittel der herrschenden Frauen gegen die Prostitution.

Ganz eigentümlichen Keimformen der Prostitution begegnet man auf den Palauinseln, wo sie zugleich zu einer Lockerung der Ehe führen. Dort begeben sich nicht nur die Mädchen, sondern auch die verheirateten Frauen in die »Bais« der Junggesellen, um dort für längere oder kürzere Zeit zu leben. »Wenn bei uns«, erzählt eine Palauinsulanerin dem Forschungsreisenden Semper, »eine Frau ihrem Manne böse ist, dann läuft sie in das nächste Bai. Dort empfängt sie von den Männern für ihre Gunst Geschenke. Wenn der Mann sie aber aus dem Bai zurückhaben will, so muß er sie loskaufen, indem er dem ›Clöbberzöll‹ (dem Männerverbande) seine Auslagen zurückvergütet. Auch rauben die Clöbberzöll Frauen aus andern Ortschaften und lassen sie zurückkaufen.«

Auf der Insel Jap rauben die Bâwais (Junggesellenhäuser) Mädchen aus andern Bezirken; meistens hat aber vorher bereits eine Verständigung mit dem »Opfer« und dessen Eltern stattgefunden, und eine Kaufsumme ist voraus entrichtet worden. Der Raub stellt nur eine Art pietätvoller Erinnerung an alte Zeiten dar. Die Sabinerinnen bleiben mehrere Jahre Gemeingut aller Männer und kehren dann reich beschenkt ins Dorf zurück, wo sie heiraten.

Auf Melanesien kann man deutlich den Zusammenhang zwischen Männerhaus und Prostitution beobachten. Auf Florida bestimmen die Häuptlinge Frauen von schlechter Aufführung als Hetären (rembi). Auf Malanta müssen Mädchen, welche ohne zu heiraten ein Kind bekommen, Dirnen werden. Auf Ulawa kaufen die Häuptlinge Mädchen, machen sie zu Dirnen und beziehen einen Teil ihres Gewinns. Auf den Neuen Hebriden lassen die Mädchen sich heimlich für Geld kaufen. Auf den Santa Cruz-Inseln leben im Männerhaus stets einige Dirnen, die schon als Kinder gekauft sind. Die übrigen Mädchen halten sich sorgfältig dem Männerhaus fern. Bei dem Indianerstamm der Bororo heiraten die Mädchen, die gewaltsam aus dem Männerhaus entführt werden und Schmucksachen als Bezahlung entgegengenommen haben, nicht mehr. Ihre Einnahmen liefern sie an ihre Brüder oder die Brüder ihrer Mutter ab.

In Afrika sind die Prostituierten Sklavinnen. In Westafrika ist die Prostitution eine ganz geregelte Einrichtung. An der Goldküste wird auf Antrag der jungen Männer eine Sklavin gekauft. Der Käufer der Sklavin erhält einen Teil ihrer Einnahmen abgeliefert. Als Lohn für die Hingabe werden trotz der außerordentlichen Entwertung des Muschelgeldes immer nur drei Kauris nach althergebrachter Sitte gezahlt. An der Anaquaküste wird jede Dirne durch ein feierliches Volksfest eingeführt. Sie darf so viel nehmen, wie sie will; aber sie muß einen Teil ihrer Einnahme den Häuptlingen abliefern. In Dahomeh ist der König der Eigentümer der Dirnen.

Bei den Araberstämmen Nordafrikas, den Ulai-Nail, gehen die Mädchen als Taurerinnen in die größeren Ortschaften, sammeln ein großes Vermögen und kehren in die Heimat zurück, wo sie von den Männern zur Heirat begehrt werden.

Eine merkwürdige Form der Prostitution findet sich bei den Kaffernstämmen. Bei den Ama-Kosa gehen die Mädchen angesehener Familien zuweilen zu dem Häuptling und bleiben dort wochenlang. Sie werden dort verpflegt und erhalten Geschenke. Später werden aus der Hauptstadt junge Leute in die Umgegend geschickt, welche alle unverheirateten Mädchen aufgreifen und gewaltsam mitschleppen sollten, damit sie den am Hofe weilenden Fremden als Konkubinen dienten. Sie wurden nach einigen Tagen entlassen und durch andere Mädchen ersetzt.

Im Ewhelande hatte bei den Priesterinnen des Agbuiordens die Prostitution religiösen Charakter. Die Dirnen erfüllten den ehrwürdigen Beruf der freien Liebe und wurden daher hoch geachtet.

Die Zusammenstellung dieser Tatsachen aus dem Leben der »Naturvölker« zeigt deutlich, daß die Prostitution, ein Befreiungsakt der Männer war, die Befreiung aus der erotischen Herrschaft der Frau.


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