Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Historischer Teil


1. Das Sexualleben der Antike.

Prüfen wir die Erscheinungen, die sich in der Sittengeschichte der Völker, psychologisch betrachtet, als Prostitution ansprechen lassen, so finden wir den psychischen Kern zum ersten Male vereinigt mit dem juristischen und wirtschaftlichen Beiwerk, das heute zu dem engeren Begriff der Prostitution führte, in dem klassischen Altertum.

Griechenland hat die Prostitution in allen ihren wesentlichen Erscheinungsformen zuerst hervorgebracht, es hat ihr die rechtliche Basis durch die Sexualreform des Solon gegeben. Die griechische Gesellschaft prägte auch den sozialen Bannspruch gegenüber der staatlich geregelten Institution, der sich bis auf den heutigen Tag erhalten und verschärft hat, trotz der völlig veränderten Lebensauffassungen. Der über die Dirne verhängte gesellschaftliche Bann, dessen Wurzeln bis in die tiefsten ökonomischen und politischen Zusammenhänge reichen, erschien äußerlich als ein moralisches Urteil – und zwar im Altertum ebenso wie in der christlichen Zeit. Allerdings regelte die antike Moral das Verhältnis von Person zu Person in ganz anderer Weise als die christliche, die teils kasuistisch einzelne Lebensbetätigungen untersagt, teils auf dem System des Schutzes der Schwachen gegenüber einer Ausbeutung durch den Starken beruht. Für sie kommt es nicht auf die einzelnen Handlungen an, nicht auf den Schutz des Schwachen, sondern gerade auf die Erhaltung der Unterschiede von Stark und Schwach. Sie will Stark und Schwach auseinanderhalten, indem sie die Gesetze des Handelns Freien und Sklaven gegenüber scheidet. Eine Tat ist nicht selbstisch und selbstlos, sondern standesgemäß oder nicht standesgemäß. Man sieht, wie das moralische Phänomen wesentlich auf Milieuwirkung beruht. Im modernen Staat mit der rechtlichen Freiheit des Arbeiters sieht man das Problem darin, die Stände zu verschmelzen, im alten Staate darin, sie auseinanderzuhalten, um die Freien gegen den Ansturm eines zahlenmäßig weit überlegenen Sklaven-Proletariats zu schützen.

Das moralische System wird in beiden Fällen auf die sexuelle Moral übertragen. Das Christentum schützt auch hier die erotisch Schwachen. Erotisch schwach sind aber die Männer, denen das erotische Talent fehlt, die das Umwerben einer Frau ermüdet. Und im Interesse dieser Männer ächtet das Christentum die Spielarten des Liebesverkehrs, die eine starke Erotik voraussetzen. Wenn ich über die Umbildungen spreche, die das Christentum geschaffen, werde ich über den logischen Zusammenhang der christlichen Sexualethik mit dem Gesamtkomplex der christlichen Weltauffassung sprechen.

Die Alten beurteilten dagegen alles Handeln und Dulden danach, ob es standesgemäß oder nicht standesgemäß war, d. h. ob es dem Sklaven oder dem Freien ziemt. Die Stellung zweier Personen wird also beurteilt nach der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen. Der freie Mann darf mit der Sklavin verkehren; solange sie für ihn nur ein Objekt der Befriedigung ist, bleibt für ihn dieser Verkehr moralisch. Die Prostituierte selbst wird von der gesellschaftlichen Mißachtung getroffen, weil sie eine Sklavin ist. Und sie ist eine Sklavin, weil sich die griechische Prostitution ursprünglich aus den vom Orient eingeführten Sklavinnen zusammensetzt und weil der streng vaterrechtlichen Kultur die Sklaverei der Dirne sehr erstrebenswert erschien. Also nicht das sogenannte unzüchtige Gewerbe als solches bedingt die soziale Ächtung der antiken Prostituierten, sondern die Tatsache, daß sie eine Sklavin ist.

Ich habe in dem ersten Teile darauf hingewiesen, daß die Ansichten der jesuitischen Sexualpädagogik in den Kreis der medizinischen Sexualreformer sich hinübergerettet hatten. Nur die Namen wurden anders: statt sündhaft heißt es jetzt pathologisch. Das antike Geschlechtsleben wußte nicht was sündhaft und pathologisch ist. Man dachte über die Liebe ganz anders. Die psychologischen Gesetze, unter denen der Geschlechtsverkehr stand, beruhten auf der sozialen Bewertung und der Abneigung gegen den romantisch leidenschaftlichen Zug. Da man noch nicht die verhängnisvolle Trennung von Leib und Seele kannte, so war man fern von einer Ächtung des sinnlichen Elementes in der Liebe, wie die Sinnlichkeit überhaupt eine naive, aus dem natürlichen Menschen mit Notwendigkeit hervorgehende gewesen ist. Das geschlechtliche Element lag eben noch jenseits von Gut und Böse und stand unter dem Gesetz des Genusses.

Als man das Geschlechtsleben moralisch zu kodifizieren wünschte, sprach man bekanntlich von einer geschlechtlichen Korruption und betonte, daß Ausschweifung und Laster im Altertum weiter verbreitet war als bei uns. Vielleicht mutet uns das Geschlechtsleben der Alten jedoch nur deshalb als ein gesteigertes an, weil ihm die Ächtung sexueller Empfindungen durchaus fern lag, weil man gar nicht auf den Gedanken kam, etwas zu verbergen, während bei uns der intensive Liebesgenuß sich unter der Oberfläche abspielt. Zugleich mit der gesteigerten Expansionskraft rühmt man den antiken Menschen das Fehlen der individuellen Liebesbeziehungen nach. Der antike Mann soll das Fasziniertsein von einem Weibe, für das er sich ganz und gar hinzugeben bestrebt, überhaupt nicht gekannt haben; ihm soll mithin das Element der Liebe gefehlt haben, das ich als das ovidische gekennzeichnet habe. Ein grober Fehlschuß, der sich massenhaft nicht nur aus der griechischen und lateinischen Lyrik widerlegen läßt.

Man ist eben immer noch am Werke, die individuelle Liebe mit der romantischen Liebe zu verwechseln. Und diese unpsychologische Verwechslung hat die Veritas novantiqua gezüchtet, dem Altertum sei die individuelle Liebe unbekannt geblieben. Man treibt mit dem Worte: individuelle Liebe groben Mißbrauch, wenn man darunter jene moderne Liebe versteht, die ein individuell mehr geistig als sinnlich betontes Geschlechtsverhältnis zwischen Mann und Weib als zwei freien, selbständigen Persönlichkeiten darstellt. Wollte ich Kategorien schaffen, so könnte ich diese Sorte Liebe »romantisch« nennen. Individuelle Liebe ist Wahlliebe, und in ihr ist nicht die Rede von dem Überwuchern des geistigen Moments oder des sinnlichen. Geistigkeit und Sinnlichkeit lösen sich bis zu einem gewissen Grade auf, wie ich das bereits in dem ersten Teil betont habe. Die romantische Liebe, die meist in den Zeiten einer absteigenden Kultur an Bedeutung gewinnt, fand sich im Altertum in der Zeit des zusammenbrechenden Römerreichs. Dagegen die individuelle Liebe, das Fasziniertsein eines Mannes von einer Frau, ist ein ursprünglicher Sexual-Charakter und findet sich zu allen Zeiten in jedem starken erotischen Verhältnis. Nun sollen, nach der Ansicht der gleichen Forscher, die Griechen in dieser individuellen Leidenschaft, in diesem tiefen seelischen Erleben eine viel größere Gefahr für die »Kalokagathia« gesehen haben als in einem ausschweifenden Verkehr. »Stets empfanden die Griechen«, sagt Erwin Rhode, »eine stürmisch übermächtige Gewalt der Liebe wie ein demütigendes Unheil, ein Pathos zwar, aber nicht ein erotisch aktives, sondern ein rein passives, das den sicheren Willen verwirrte, dem Verstande das lenkende Steuer aus der Hand schlug und den Menschen, wenn es ihn in einen Abgrund leidenschaftlicher Verwirrung hinabriß, nicht aus dem Untergange erhob wie die heroischen Freveltaten der tragischen Helden, sondern ihn trübselig niederdrückte und vernichtete.«

Ich kann diese Ausführungen gelten lassen, denn im Kern enthalten sie einen durchaus richtigen Gedanken, Diese Bewertung der individuellen Liebe des Mannes ist mir nur ein Symptom dafür, daß die Alten am Manne die Liebe tadelten, die ihn zum Sklaven des Weibes macht, jene Liebe, die eine erotische Herrschaft des Weibes begründete und in dem Individualfall jenen alten Zustand der Umwerbung des Mannes wiederherstellte, den unsere vaterrechtliche Kultur als Gesamterscheinung beseitigte. So zeigt auch die Einzelbetrachtung des Altertums und der Gegenwart die Liebe des Mannes zum Weib als ein ewiges zeitloses Phänomen.

Schwieriger liegt es mit der Beurteilung der Liebe von Mann zu Mann in der Antike, die in dem öffentlichen Leben jedenfalls eine mit der Gegenwart nicht vergleichbare Rolle spielte. Man hat darum von einer sexuellen Labilität der antiken Männer gesprochen und hat diese, was meist ziemlich leicht ist, auch physiologisch begründet.

Die Vagina der Italienerinnen und Spanierinnen ist so außerordentlich »geräumig«, daß sich eine Friktion fast nur per anum erzielen läßt, und da nun anus anus ist, überträgt man diese figura veneris auch auf die männlichen Mitbürger. Mir scheint diese Erklärung denn doch etwas zu mathematisch, auch wenn man sie durch die neuen folkloristischen Erhebungen stützt.

Man führt als Parallelerscheinung für die Gegenwart besonders die Südslaven an, und es ist richtig, daß hier die Übertragung vom Weib auf den Mann ohne weiteres vorgenommen wird. Die Burschen versuchten den Koitus in dieser Form an dem Mädchen rein aus Mutwillen, und es ist ein geläufiges Sprichwort bei ihnen: »Der Anus ist das Modell des Penis.«

Entgegen stehen dieser Auffassung jedoch die gewichtigsten psychologischen Momente. Die antike Knabenliebe ist diejenige Sexualempfindung, die sich im Altertum am stärksten dissoziert hat, weil an sie bereits das Problem herantrat, das uns heute noch die heterosexuelle Liebe zu lösen aufgibt: die Vereinigung der sinnlichen und geistigen Elemente. In ihr spielte der Trieb zur Vollendung der eigenen Persönlichkeit eine starke Rolle, die Ehrfurcht, mit der der Jüngling zu dem reifen Mann heraufblickte und in ihm sein Ideal sah, und die Freude des reifen Mannes am Knaben, in dem er die Anlagen zu all dem, was er selbst besaß, noch reicher und stärker spürte: dieses erziehliche Moment gab der antiken Knabenliebe ihren besonderen Charakter und begründet die Wertschätzung der alten Philosophen. Das Ursprüngliche ist jedoch sicherlich auch hier das rein Physische gewesen, besonders da, wo durch die Freude am Kampf und Krieg sich ein rein männliches Schönheitsideal herausbildete, war die Freude des Mannes am Manne ein ursprüngliches und als wertvoll anerkanntes Gefühl. Diese Auffassung finden wir besonders bei den Doriern. Mit der zunehmenden Vergeistigung der Lebensformen vergeistigt sich auch die Knabenliebe und wird zu dem, was man als Individualliebe bezeichnen kann. Keinesfalls ist die Entwicklung umgekehrt, daß die physische Liebe erst eine Entartung der ursprünglich geistigen darstellt. Es ist die physische Liebe trotz der zunehmenden Vergeistigung stets ein integrierender Bestandteil des Liebeslebens geblieben, wenn sie sich auch wesentlich komplizierte, wie die schöne Rede des Alcibiades in Platos Symposion beweist. Die Blütezeit der Knabenliebe war das 6. und 5. vorchristliche Jahrhundert bis zur Zeit der Perserkriege. Von da an beginnt der Niedergang. Wie im öffentlichen Leben mehr und mehr die Hetäre an Wertschätzung gewinnt, so tritt auch gegenüber der individuellen Knabenliebe mehr die männliche Prostitution hervor. Und in der spätrömischen Zeit haben die sexuellen Verhältnisse zwischen Männern ausschließlich den Reiz der Ausschweifung. Sie haben vollkommen den sittlichen und erziehlichen Charakter verloren, der ihre Stärke ausgemacht hat.

»Wir kennen doch auch diese Neigungen,« sagt Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, »die von der halbreifen Jugend zu den bewunderten Genossen empor-, von den Erwachsenen zu der knospenden Menschenblüte hinabgehen. Je höher wir sie einschätzen, desto sündhafter erscheint die Profanierung. Und doch ist nun einmal der Mensch ein fleischliches Wesen, und in der Reifezeit wirkt das Leibliche auf die Seele am stärksten. Liegt nicht ein gewaltiger Fortschritt darin, wenn Aphrodite nicht mehr allein zwei Menschen bindet, sondern ihr Sohn hinzutritt: denn zu Eros gehört Psyche. Sinnlichkeit ist es gewiß, wenn Pindar als Greis gesteht, daß er beim Anblicke jugendschöner Knabenleiber schmelze wie Wachs an der Flamme. Aber der Greis, der also redet, hat ein langes Leben hindurch der Jugend die höchsten Pflichten der Mannesehre eingeschärft. Der Mensch hat viel erreicht, wenn seine Seele liebesbedürftig geworden ist und das Gedeihen einer geliebten Seele zu seinem Glück gehört. Gewiß, über die Sünde wider die Natur darf man nicht milder urteilen als Euripides und Platon, aber eben Platon lehrt: Herr werden über die Sinnenlust, aber die Sinnesfreude frei bekennen, die in jener Liebe wurzelt, die eigene Sehnsucht befriedigt, wenn sie einer schönen Seele den Weg zum Höchsten weist. So hat Sappho geliebt, sinnlich glühend, aber unbewußt durch das reine Gefühl des Weibes beschützt, so dann Sokrates, der Mann des Verstandes, der weiß und will und kann, was er soll. Diese Liebe zu Dion hat der Greis Platon in leidenschaftlicher Trauer erkannt. Was solche Früchte getragen hat, das darf man nicht verdammen, mag auch der Nomos die Natur vergewaltigt haben.«

Die Eigenschaften des Mannes, sein Heldentum, seine Arete werden durch die Liebe irgendwie auf die geliebten Knaben fortgepflanzt. Deshalb hielt die antike Gesellschaft, ja drängte der antike Staat darauf, daß tüchtige Männer Knaben lieben, deshalb boten sich Knaben den Helden an: deshalb teilten Erastes und Eromenos Ruhm und Schmach, deshalb wird Eras für die Feigheit seines Geliebten verantwortlich gemacht, deshalb ist er auch der legitime Vertreter seines Knaben neben dessen Blutsverwandten, deshalb sieht der Mann vor allem auf die tüchtigen Anlagen des Knaben, den er sich erwählt, und noch schärfer wird die Seele des Mannes geprüft, ob sie der Übertragung wert sei. Deshalb war's Schande für den Knaben, keinen Liebhaber zu finden, und anderseits eine – in Kreta öffentlich und von der Familie gefeierte – Ehre für den Knaben, einen ehrenwerten Liebhaber gefunden zu haben und ihm feierlich verbunden worden zu sein. Daher der Ehrentitel für die Knaben, die der Liebe eines Mannes teilhaftig geworden waren, daher ihr Ehrenkleid, ihre Ehrung bei jeder öffentlichen Gelegenheit, nicht einmalige, sondern dauernde, denn diese Knaben sind durch die Liebe in den Besitz der Güter gekommen, denen die Auszeichnungen zustehen.

Wie tief eingewurzelt dieser Glaube an die Veredelung des Knaben durch die Mannesliebe und wie allgemein er verbreitet war, zeigt deutlich Plato. Läßt er doch im Symposion den Aristophanes aussprechen: »Nur diejenigen wurden tüchtige Männer im Staate, die als Knaben eines Mannes Liebe erfahren haben.«

*

Ich beginne die eigentliche Geschichte der Prostitution mit der Darstellung der griechischen Verhältnisse, weil hier zum ersten Male in historisch greifbarer Form das auf vaterrechtlicher Basis aufgebaute Geschlechtsleben mit seinen Nebenerscheinungen, Prostitution, Bevormundung der Frau und Frauenemanzipation geschichtliche Tatsache wird. Wie sich die doppelte Moral im antiken Geschlechtsleben darstellt, werde ich bei der Behandlung der Einzelverhältnisse klar darlegen, weil hier wesentliche Unterschiede entstehen. Wenn sich auch durch das gesamte Altertum eine gewisse Tendenz zur Emanzipation der Frauen bemerken läßt, so bleibt es doch Tatsache, daß die Frauen im wesentlichen innerhalb des Hauses ein abgeschlossenes, unfreies Dasein führten, daß sie dem Willen der Männer unterworfen waren und von der Betätigung am öffentlichen Leben und der Gesellschaft der Männer fern gehalten wurden. Die bekannten Worte des Demosthenes: Wir haben Dirnen zu unserem Vergnügen, Konkubinen für den täglichen Gebrauch, aber Eheweiber, um uns legitime Kinder zu schaffen und das Innere des Hauses zu überwachen, zeigen, wie sich der antike Mann zu den drei unproblematischen Erscheinungsformen des Problems »Weib« gestellt hat.

Zur Zeit des Euripides setzte jedoch bereits eine Bewegung zur Emanzipation der Frauen ein, die jedoch als praktisches Phänomen ohne Konsequenzen blieb. Sie wirkte wesentlich nur auf die Theorien der Philosophen, wie es möglicherweise letzten Endes auch mit der modernen Frauenbewegung sein wird. Den Philosophen ist diese Nahrung aber wenig bekömmlich, da sie schon seit Platos Zeiten die Basis der geschlechtlichen Dinge verkannten. Plato identifiziert in seiner Politeia den Geschlechtstrieb, mit dem Fortpflanzungszweck, und die Philosophen der späteren Zeit sind in ihren politischen Theorien durchaus von dem Grundsatze ausgegangen, daß die geistige Veranlagung von Mann und Weib die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter verlangt. So Plato in seinem Staat.

Ich habe in dem ersten Teile die Ansicht verfochten, daß die geistige Veranlagung von Mann und Weib eine durchaus verschiedene ist, daß der stärkeren produktiv geistigen Veranlagung des Mannes eine bedeutendere seelische und sinnliche Einstellung der Frau gegenübersteht. Den Frauenrechtlerinnen zum Trost. Man kann auch aus dieser Anschauung heraus zu dem Ergebnis gelangen, daß den Frauen die rechtliche Gleichstellung zu gewähren ist, weil die Verschiedenheit der Veranlagung das Verhältnis der Geschlechter im Staate von sich aus in der richtigen Weise beeinflußt.

Die Auffassungen des Plato wurden von Xenophon und besonders von Aristoteles bekämpft. Platos großer Schüler suchte die Verschiedenheit der Geschlechter auf metaphysische Prinzipien zu gründen, indem er das Weib als bloßen Stoff, als Materie, als unvollendete Wirklichkeit, dem Manne als Träger des geistigen Fortschritts gegenüberstellt. Die konstante Einstellung, mit welcher sexuelle Verhältnisse durch eine metaphysische Brille gesehen wurden, hat in der antiken Literatur die beiden Richtungen der Frauenemanzipation und Misogynie geschaffen. Die Frauenemanzipation setzte bereits bei der Bekämpfung der Prostitution ein, und sie hat Werke geschaffen, die an die moderneren abolitionistischen Ideen der Gegenwart erinnern. In welcher Weise sich dagegen die misogyne Richtung der Philosophie im Christentume durchsetzte, werde ich zusammen mit dem Untergang des römischen Weltreichs behandeln.

Die Beziehungen zwischen Religion und Sexualität treten in der griechischen Mythologie sinnfällig entgegen. Besonders in den phallischen Kulten, in denen man für die zeugenden Naturkräfte in den Genitalien ein Symbol suchte. Der Phallus war das materielle Symbol der Gottheiten, in denen man sich die Zeugungskraft der Natur verkörpert dachte. Es handelte sich um eine naive Verehrung der geschlechtlichen Prinzipien und als eine ebenso naive sexuelle Betätigung zu Ehren dieser Gottheiten setzte sich hier im Namen der Gottheit das männliche Prinzip im Geschlechtsverkehr durch. Sogar die verschiedenen Akte der sexuellen Betätigung hatten ihre Einzelgottheiten, denen sie heilig waren; später bürgerten sich die Kulte von drei weiblichen Sexualgottheiten ein; der griechischen Aphrodite, der ägyptischen Isis und der phrygischen Kybele. Über die Formen des Aphroditekultus spreche ich noch eingehender bei der Behandlung der griechischen Verhältnisse.

Einen weiteren Unterschied gegenüber den modernen Verhältnissen ist das unbefangene Hervortreten der Sexualität im gesellschaftlichen Leben. Man kannte im Altertum viele spezifisch unzüchtige Gebärden, so das Hervorstrecken des Mittelfingers, mit dem man auf Homosexuelle deutete, sowie das Hindurchstecken des Daumens zwischen Mittel- und Zeigefinger, eine noch uns bekannte Gebärde, die damals Feige, lateinisch Fica, griechisch Sykon (συκόν) genannt wurde, und ein Symbol des Koitus war. Aber man konnte diese Gebärden überall, ohne Anstoß zu erregen, zeigen.

Die Öffentlichkeit des sexuellen Lebens, verbunden mit seiner feinen Nuancierung, gab den Griechen die geradezu unglaublich reiche erotische Terminologie, um derentwillen man sie als Franzosen des Altertums bezeichnet hat. Sie hatten allein 60 Ausdrücke für den Koitus, ein halbes Hundert für die verschiedenen erotischen Positionen, zehn sind uns über die verschiedenen Arten des Küssens übermittelt, über fünfzig fallen in das Gebiet von Prostitution und Dirnenlehre, beinahe hundert beziehen sich auf die Päderastie und die homosexuellen Akte. Die sehr drastischen Bezeichnungen stammen größtenteils aus der älteren Zeit, wo man sich noch weniger Schranken auferlegte, als in dem auch nicht gerade prüden 16. Jahrhundert in Frankreich. Später liebte man zu verschleiern.

Von noch wünschenswerterer Deutlichkeit als die griechische, war die ursprüngliche lateinische Sprache. Latine Loqui war vor Damen unmöglich. Mit der Aufnahme der griechischen Kultur wurde das alles ganz anders. Immerhin finden sich noch in den Gedichten von Horaz und Catull recht drastische Ausdrücke: penis und cunnus sind noch die poetischsten. Erst die gesellschaftliche Umbildung, die auf der philosophischen Bildung basierende asketische Richtung der Lebensauffassung hat in dieser Hinsicht Wandel geschaffen. Man wurde prüde. Worte, die nur durch den Gebrauch bei den älteren Dichtern einen gewissen erotischen Beigeschmack bekommen hatten, hielt man in Gesellschaft für unmöglich. Wo die Römer sich gehen lassen konnten, namentlich in den Bordellen und in Gesellschaft der Prostituierten, ließ man sich natürlich keine Fesseln anlegen. Die reichlich erhaltenen obszönen Wandinschriften aus Pompeji zeigen, daß man gewisses Unaussprechliche durchaus nicht vergessen hatte.

Das Vokabularium Erotikum zeigt genau, wie es die Alten trieben. Die sogenannten sexuellen Perversionen waren im Altertum schon in einer Zeit allgemein verbreitet, wo von einer Dekadenz überhaupt nicht die Rede sein kann. Es wäre schlechthin lächerlich, im Altertum von einer sexuellen Psychopathie zu sprechen, es ist dies eben ein Begriff, den man allenfalls modernem Empfinden insinuieren kann, der jedoch der Sinnenfreudigkeit des Altertums widerspricht. Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß der Koitus per anum für die Alten etwas ganz Normales war, offenbar in Anlehnung an die Wertschätzung der Päderastie.

Wie stark auf diesem Gebiete die Nachahmung ist, zeigt die Übernahme der sexuellen Auffassungen der Griechen durch die Römer, die mit der gesamten griechischen Pornographie auch in vollem Umfange die griechische Knabenliebe übernahmen, die sich wenigstens in dem Umfange, den sie auch im späteren Altertum besaß, nur aus spezifisch griechischen Wurzeln verstehen läßt. Für diese starke Verbreitung der Päderastie soll auch die Tatsache von wesentlicher Bedeutung sein, daß die Zahl der männlichen Geburten in Griechenland die der weiblichen in einer sonst in Europa nie beobachteten Weise übertrifft. Eine soziale Ursache sucht schließlich Schmoller in der Furcht vor der Überbevölkerung. Gewiß gibt die Tatsache, daß in Griechenland die Einschränkung der Geburten im nationalen Sinne erwünscht war, während wir nach einem Wachsen des Geburtsüberschusses streben, schon einen sehr wesentlichen Beitrag zu dem Problem, warum die Knabenliebe durchaus keinem gesellschaftlichen Stigma unterlag. Denn der Kern der sozialen Ächtung beruht heute doch wesentlich darin, daß der homosexuelle Verkehr nicht der Bevölkerungsvermehrung, dem staatlich sanktionierten »Zweck« des Geschlechtsverkehrs dient. Diese Ausschließung der Frau aus dem öffentlichen Leben, die in Griechenland aufs radikalste durchgeführt war, gab der Päderastie ein entschiedenes Übergewicht. Das auf gleicher Stufe leben, die völlige Gleichberechtigung, bildet ein saturierendes Moment im Liebesleben, und gleiche Rechte konnten im Altertum nur zwischen Mann und Mann bestehen, da der Knabe und der Mann ästhetisch, geistig und erotisch unendlich höher geschätzt wurden als das Weib.

Die Homosexualität der Frauen nahm offenbar im Altertum einen geringeren Umfang an, als die männliche Homosexualität und hatte ja auch eine geringere Bedeutung für das öffentliche Leben. Das Geheimnis, das heute noch über der homosexuellen Betätigung der Frauen liegt und die gewandtesten Federn auf diesem Gebiete von ihrer literarischen Betätigung fernhält, hat es im Altertum infolge der freieren Auffassungen nicht gegeben. Es findet sich eine größere Reihe von Überlieferungen, die von dem sexuellen Verkehr der Frauen erzählten. Die Sage erzählt, daß Sappho als erstes Weib Frauen geliebt hat, Sappho war eine Künstlerin, und so mag die Sage bedeuten, daß für die Griechen gerade wie bei der Knabenliebe auch bei der weib-weiblichen Liebe das künstlerische Element der Psychologie der Empfindung den glücklichen Gehalt gab. Man symbolisierte ihn in der Anlehnung an die ästhetische und religiöse Kultur. Die Feste der Demeter und Mise in Griechenland und der Bona Dea und der Pudicitia in Rom wurden die Sammelpunkte der lesbisch empfindenden Frauen und bildeten ebenso wie die Bäder wichtige Annäherungspunkte für die Prostitution. Die Tribaden selbst veranstalteten Feste, zu denen nur Frauen, und unter diesen auch lesbische Prostituierte, geladen wurden. Die Variationen der sexuellen Befriedigung der Lesberinnen waren im Altertum mindestens ebenso mannigfaltig wie heute, während heute in diesen Kreisen, wie ich an anderem Orte nachweisen werde, der Cunnilingus die Hauptrolle spielt, vielleicht weil die Reizbarkeit der Scheide nur sehr schwach entwickelt ist. Die Lesbierinnen des Altertums zogen eine gewaltsame Reizung der Scheide vor. Man suchte sie in erster Linie durch eine Nachahmung des männlichen Gliedes zu erzielen, den sogenannten Olisbos oder Baubon, der damals ein festgestopfter Lederphallus gewesen ist. Die Herstellung und die Benutzung dieses Instruments werde ich noch später bei der Darstellung der Einzelverhältnisse besprechen.

Die andere Art der sexuellen Befriedigung suchte man in der Nachahmung des heterosexuellen Koitus, der appressio corporum, die niemals, wie die meisten Autoren fälschlich angeben, als eine immissio clitoridis in vaginam stattfand, das wäre schon anatomisch selbst bei ausnehmend starker Entwicklung der Klitoris unmöglich.

Ich habe nachgewiesen, daß die Vorstellung von Perversionen im Geschlechtsverkehre den Alten gefehlt hat, daß sie in den verschiedenen Formen sexueller Betätigung nur die gleichberechtigten Spielarten der gleichen Sexualkraft sahen, die individuell divergierte. Trotzdem hielten sie doch gewisse Erscheinungen im Liebesleben für krankhaft. Als Psychopathie galt bei ihnen die übermäßig starke Libido des Mannes, die Satyriasis oder der Priapismus, der im Altertum ungefähr dieselbe Rolle spielte, wie die Impotenz in der Gegenwart. Auch die »heilenden« Ärzte waren ein Kaliber.

Sehr schwierig ist die Frage, was die Griechen als die Nousos theleia (νοῦσος ϑηλεῖα) bezeichneten, die auf Befehl der Venus Urania von den Skythen eingeschleppt sein soll. Diese Nousos theleia hat man ungefähr auf alle Komplikationen gedeutet, die im Geschlechtsleben bekannt sind, man hielt sie abwechselnd für Päderastie, Hämorrhoiden, Onanie, Menstruation, Verlust der Hoden, Tripper und Psychose. Nach eingehender Prüfung aller Erwähnungen dieser scheinbar sehr vielgestaltigen Krankheit weist Rosenbaum nach, daß die Griechen unter ihr eine Umgestaltung des Betragens und der Erscheinung des Mannes meinten, die den Mann körperlich und geistig zum Weibe macht. Gerade der Zusammenhang mit den Skythen deutet darauf, daß mit ihr das Unmännliche in der Erscheinung des passiven Päderasten, des Pathikus, gemeint ist, denn viele griechische Lustknaben waren skythischer Herkunft. Jedenfalls ist die Nousos theleia keine Geschlechtskrankheit.

Das Problem, welche Geschlechtskrankheiten es im Altertum gab und welche die antiken Mediziner kannten, ist für die Auffassung des sexuellen Allgemeinempfindens und für die Beurteilung der Prostitution sehr wichtig. Es ist bekannt, daß den antiken Ärzten die Kenntnis von spezifischen Krankheiten gefehlt hat, die im Geschlechtsverkehr erworben und im Geschlechtsverkehr übertragen werden. Die Geschlechtskrankheiten werden durch die äußerliche Ähnlichkeit des Krankheitsbildes mit anderen Leiden zusammengeworfen, und es ist wohl darauf zurückzuführen, daß die sonst so hochstehende medizinische Wissenschaft des Altertums es nicht zu einer Erkenntnis dieser Tatsachen gebracht hat. Besonders die Unkenntnis der Griechen über die Syphilis hat immer wieder zu der Auffassung geführt, daß im Altertum überhaupt keine Syphilis existierte, und daß diese Krankheit, da sie doch irgendwo herkommen mußte, Ende des 15. Jahrhunderts aus Amerika importiert sei. Wenn ich die griechischen und römischen Verhältnisse gesondert darstelle, werde ich auch nachweisen, daß nur eine sehr willkürliche Deutung der Überlieferung die Theorie von der amerikanischen Einschleppung stützen kann, daß sich verschiedene Stellen aus alten Schriftstellern dagegen logisch und leicht deuten lassen, wenn man die Existenz der Syphilis im Altertum annimmt. Ferner werde ich bei der Darstellung der Verhältnisse im ausgehenden Mittelalter zeigen, daß das plötzliche Geschrei von der Lustseuche nicht auf eine damals stattfindende Einschleppung zurückgeführt werden kann, sondern einfach darauf beruht, daß damals die Syphilis durch die ersten Quecksilberbehandlungen zum ersten Male von der Lepra geschieden worden ist, und damit nun plötzlich als spezifische Sexualkrankheit das ungeheure Geschrei verursacht hat, weil man bis dahin von der Ansteckungsgefahr im Koitus noch keine Ahnung hatte. Die Erkenntnis der Syphilis führt ja erst später zur Erkenntnis der anderen Geschlechtskrankheiten.

Im Altertum kannte man die Syphilis noch nicht, weil sie mit dem Aussatz identifiziert wurde, und weil das dreiwöchige Inkubationsstadium sowie das anfänglich schwer diagnostizierbare Krankheitsbild an und für sich die Erkenntnis der Ansteckung erschwerten. Ähnliche Gründe hinderten die Entdeckung des Trippers, der mit Pollutionen am nicht erigierten Gliede und mit dem eigentlichen Priapismus, d. h. der Erektion ohne Samenfluß, für einunddasselbe Leiden gehalten wurde.

Die Existenz des Trippers und des weichen Schankers sind für das Altertum nie bestritten worden, obwohl sie medizinisch ganz unzweideutig nie beschrieben sind. Die wichtigsten Stellen, aus denen man ihre Existenz gefolgert hat, werde ich noch später behandeln. Die Frage, ob es im Altertum Syphilis gab oder nicht, soll erst später auf Grund von Quellenmaterial entschieden werden. Für die Psychologie des antiken Geschlechtslebens kommt es auch nur darauf an, daß man die Lustseuche nicht kannte. Der Kampf, der heute gegen die Prostitution geführt wird, stellt sich ja hauptsächlich als ein Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten dar, und die Furcht vor der Ansteckung im Koitus beeinflußt, wie ich noch nachweisen werde, die sexuelle Betätigung unserer Zeit in sehr wesentlichem Umfange. Die Unkenntnis der Ansteckungsgefahr bedeutet den Triumph des männlichen Geschlechtsempfindens und beraubt die Prostituierung des Weibes aller Hemmungen. Die Kenntnis der Geschlechtskrankheiten gibt der auf Umwerbung beruhenden Liebe ein wenig von der Überlegenheit über die Prostituierung des Weibes zurück, wenn auch die psychologische Wurzel nicht die edelste ist; insofern ist es eine sehr kluge instinktive Erkenntnis, wenn Sexualreform und Frauenbewegung beide bei der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten einsetzen, weil hier die Stelle sitzt, wo der Mann sterblich ist. Wenn man seit dem Beginn der Neuzeit, der Zeit der Entdeckung der Geschlechtskrankheiten, wenn auch nur in geringerem Umfange eine Befreiung der Frauen feststellen kann, so ist diese Entwicklung gewiß auch mit der zunehmenden Kenntnis der Ansteckungsmöglichkeiten verknüpft, die ein Höherwerten der sich nur aus Liebe hingebenden Genitalkraft des Weibes nach sich zieht.


 << zurück weiter >>