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6. Die galante Zeit.

Die wirtschaftliche Umbildung zum Kapitalismus, die mit der Renaissance begonnen hatte, bedingt zu ihrer vollkommenen Ausbildung die staatliche Umbildung zum fürstlichen Absolutismus. Als die Kaufleute in das überseeische Amerika gingen, mußten sie eine staatliche Garantierung ihrer ständig wachsenden Profitrate besitzen, diese konnte ihnen aber damals nur der absolute Staat mit seiner starken Zentralgewalt und seinem schlagfertigen Heere zusichern. Begünstigt wurde die Entwicklung des fürstlichen Absolutismus durch die Entwicklung zum Nationalstaat und die dadurch bedingte internationale Spannung, in einer Steigerung, die der politischen Konstellation früherer Zeiten unbekannt war. Da aber die wirtschaftliche Ausnutzung der staatlichen Machtmittel das Privileg einzelner Klassen war, so waren diesen die gesteigerten Genußwerte vorbehalten. Das Proletariat, Bauern und Bürger waren nichts als Kreaturen, und der Mensch fing eigentlich erst beim Baron an. Es wurde, sozial betrachtet, das Verhängnis, des Absolutismus, daß er diese wenigen zu genießenden Schmarotzern machte, während die emsig arbeitenden Klassen immer mehr expropriiert und von den Glückswerten ausgeschlossen wurden.

Es sind dies die Symptome derjenigen Erscheinung, die ich als Steigerung des sozialen Gradients bezeichnet habe. Damit einige wenige Menschen in der Monarchie in verschwenderischer Weise genießen konnten, mußten 95 Prozent der Bevölkerung verhungern oder in steter Not und Sorge leben. Daher der plötzliche Untergang des alten Regimes und die kluge Moralideologie, mit der die herrschenden Klassen der neuen Gesellschaftsordnung ihre Suprematie stützen. Die Franzosen hingen bekanntlich noch mit abgöttischer Liebe an diesen genießenden Parasiten mit dem König an der Spitze, als sie schon am Hungertuche nagten, aber der leere Magen besiegt auch am Ende sogar, was man den patriotischen Idealismus nennt; was sehr viel bedeutet, handelt es sich hier doch um jene triebmäßige Freude des Untertanen an seiner Ohnmächtigkeit gegenüber dem Herrschenden, welche die sexuelle Basis ziemlich jeder staatlichen Organisation bildet.

Der Herrschende der Zeit war der Herrenmensch, der ganz kalte reine Verstandesmensch, der alle Ausschweifungen mit der sublimen Ruhe des Wissenden genoß. Die Selbstsicherheit und Formvollendung sind jene Geste, mit der der »kultivierte« Mensch das tut, was er nicht weiß. Die Galanterie war jener liebenswürdige Schleier, den man über ein Spiel breitete, in dem der Sieg entschieden war.

Durch den nur sehr dünnen Anstrich der Konvention brach sich die innere Brutalität oft genug Bahn. Die Herzogin von Orleans erzählt eine von den Heldentaten des Prinzen Conti, der sich auf diesem Gebiete vielleicht das meiste leistete: »Der Prinz von Conti wird alle Tage toller und närrischer. Auf einem von den letzten Bällen hier im Opernsaale nahm er mit Gewalt ein arm Mädgen, so aus der Provinz kommen war, ganz jung, reißt es mit Gewalt von ihrer Mutter weg, setzt sie zwischen seine Beine, hält sie mit einem Arme, gibt ihr hundert Nasenstüber und Maulschellen, daß ihr Mund und Nase bluteten. Das arme Mensch weinte bitterlich, er aber lachte und rief: ›Ne sais-je pas bien donner des chiquenaudes?‹ Es hat alle Menschen gejammert, so es gesehen. Das Mensch hat ihm in seinem Leben nichts zuleide getan, er kannte sie nicht, man hat dem armen Mädgen nicht helfen wollen, denn niemand mag mit dem Narren zu tun haben.«

In Frankreich wurde im 18. Jahrhundert mit der Staatsform der Absolutismus, jene Form des Sexuallebens in Reinkultur gezüchtet, die wir als galante Zeit bezeichnen. Auch in der galanten Zeit führte nur ein kleiner sehr soziabler Kreis ein Genußleben, aber gerade dieser bestimmt die Psychologie des sexuellen Lebens, weil die großen Herren die Idealtypen der zu einer ekelhaften Verpoverung verurteilten breiten Masse waren, jener Ausgestoßenen, die nicht durch den Puder hindurchsehen konnten. Es war in Wirklichkeit ein sehr herzloses Theaterstück, was man im Ancien Régime Liebe nannte. Der Esprit, die rasche und temperamentvolle Sprache, das Gefallen an der Form täuschen nur darüber hinweg.

Zwei Bücher, die erst erschienen, als der scharfschneidige Vorhang der Revolution schon niederging, waren damals die Deuter der jüngsten Vergangenheit. Das eine erkennt sie und lebt darum für alle Zeiten als das Werk eines großen Dichters, die Liaisons dangereuses des Choderlos de Laclos, das andere läßt noch einmal alles, was sich die alte Gesellschaft angeschminkt hatte, in rosigster Beleuchtung sehen, die »Abenteuer des Faublas« von Louvet de Convray, das erste Buch entsetzte die Zeitgenossen mit seiner Wahrheit, die sie nicht verstanden, das zweite charmierte sie mit seiner Lüge, in der sie sich gefielen, Laclos zeigte den inneren Mechanismus dieser paar tausend Menschen, welche die Gesellschaft des Ancien Régime sind, Louvet zeigt die Geste, die Grimasse, die Konvention, weniger wie man lebte, als wie man zu leben am elegantesten und angenehmsten finden wollte oder wie zu leben man sich wünschte; denn das wirkliche Leben entsprach so wenig der Heiterkeit dieser Abenteuer als etwa heute das wirkliche Leben in Paris den Romanen und Theaterstücken der Boulevardiers entspricht. Ein paar Snobs modeln sich danach, heute wie damals. Wem das Jahrhundert liebenswürdig galant erscheint, den täuscht der Schein von ein paar gesellschaftlichen Formen, in welche diese ganz kalten Menschen sich um so mehr begeben mußten, als sie Bestien in ihrem inneren Wesen sind, wobei nicht nur an die Guillotine der Revolution zu denken ist, sondern an das Egoistische, Verstandesstolze und unerbittlich Zerlegende dieser letzten Ausläufer eines Persönlichkeitskultus, wie ihn die Renaissance erst aufgestellt hatte. Der Dämon des Bösen verbarg sich nur hinter dem süßen Lächeln, welches das Leben der Zeit wie eine Folge von kleinen Sentiments und kleinen Sinnlichkeiten erscheinen ließ, so wie der Roman des Louvet es schildert. Die Gesellschaft wollte so scheinen, wie Louvet sie malte. Sie glaubte ihr Leben so formen zu können, wenigstens auf seiner Oberfläche, so daß sie darüber die Tiefe vergaß oder verlor oder aus Wohlerzogenheit verbarg. Die nicht große Gesellschaft war in ihren Gründen gewiß nicht so, lebte doch da ein Richelieu. Aber sie war sicherlich bemüht, nach Möglichkeit dem Bilde zu entsprechen, das ihre Autoren von ihr malten. Einer niedergehenden Gesellschaft fällt der Dandysm nicht schwer, noch weniger, wenn diese dekadente Gesellschaft so soziabel ist, wie es die französische des 18. Jahrhunderts war, so eng miteinander verbunden durch den Adel, den Parasitismus, die Untätigkeit, die leise Angst und den Klatsch.

Es ist immer sehr schwer, zwischen den Erscheinungsformen einer Gesellschaft und ihrem Wesen zu unterscheiden, und sehr leicht verführt die zierliche Landschaft beschnittener Bäume und beschnittener Empfindungen, die in der amourösen Logik der Romane sich spiegelt, zu dem Glauben, daß der innerste Kern des Lebens nun wirklich ebenso gewesen ist. Aber die Romane sind meist nur der künstlerische Ausdruck der Gesellschaftsformen, nur der Ausdruck ihrer charmanten Gesten, nicht aber ihrer tiefen Psychologie.

Dieses Moment der Form ist im Liebesleben durchaus nicht zu unterschätzen. Die Form, wie der Warencharakter unserer Zeit das Weib prostituiert, ist abschreckend und gemein, die Art, wie die galante Zeit sie prostituierte, ist bestrickend. Das Gefallen an der Form ist es ja, was in unserer Zeit die außerordentliche Sympathie für die Werke dieser Zeit geschaffen hat.

Die Bedeutung der Form ist dadurch so überragend, weil durch sie die Stellung der Frau zu dieser Prostituierung bestimmt wird. Die Frau im alten Regime bietet alle ihre Lebensenergien auf, um dem Manne zu gefallen, um dem Manne einen restlosen Genuß zu liefern, während die Frau unserer Zeit sich von dem durch die Prostituierung empfundenen Druck befreien will, indem sie sich emanzipiert. Der Erfolg im gesellschaftlichen Leben ist ein durchaus verschiedener. Im 18. Jahrhundert dominiert die Frau, d. h. sie beherrschte eben das gesellschaftliche Leben, die innere Herrschaft über den Mann fehlte ihr auch damals. Darin liegt ja das verworrene, so schwer zu lösende Problem in dem Liebesleben dieser Zeit, daß die Diskrepanz besteht zwischen Form und Psychologie, weil aber beide ineinander übergehen, so ist die innere Herrschaft des Mannes von der Untertänigkeit unter den Willen der Frau, die im gesellschaftlichen Leben formuliert wird, so schwer zu scheiden.

In der Gesellschaft spiegelt sich die Umwerbung des Mannes um die Frau wie eine Belebung des alten Ritterdienstes. Der Mann tritt für die Frau ein; er opfert sich für sie, mit seinem Degen deckt er ihre Ehre. Er setzt tatsächlich alle Lebensgüter ein um einer Frau willen, und doch – es ist nur Talmi-Leidenschaft. Im Grunde ist das Ganze nur eine Komödie vor der Welt. Dem Mann muß die Beute zufallen, die ganze Umwerbung ist nur ein Spiel, ein Sichselbertäuschen, sie ist im Grunde gar nicht nötig, sie ist nur eine papierene Wand, die man sich selber aufrichtet, um die eigene seelische Hohlheit zu verbergen. Denn darin liegt vielleicht das Geheimnis dieser Zeit, daß sie keine Seele hatte, sie hatte nur Geist, nur Verstand, aber das letzte Geheimnis des Empfindens fehlte ihr, darum moralisierte sie so gern, darum erhob sie den Kult der Liebe zum Gipfel der Lebensformen, weil sie hier etwas zur Erfüllung dieses Hohlraumes fand.

Darauf kommt das Ganze hinaus, was ich als das Liebesspiel der Zeit bezeichnet habe, alles Untertanentum, alle Treue und Hingebung ist nur Komödie. Die sublimierte Kultur der Zeit hatte das Wesen der echten Liebe erfaßt und fing an, es zu spielen. Im Salon markierte man die Umwerbung der Frau. Jedenfalls verstanden es die Frauen damals, mit den Männern fertig zu werden und sich in der Erotik auf ihre Art einen Platz an der Sonne zu sichern. Auf dem Königsthron regierten die Prie, die Mailly, die Châteauroux, die Pompadour und die du Barry, in den Salons regierten die du Deffand, Necker, Lespinasse, Geoffrin, Epinay. Die reichen Frauen schufen sich in den »petite maisons« ihre Privatbordelle, die Damen der höchsten Aristokratie frequentierten Absteigequartiere, in denen auch Dirnen verkehrten.

Der Liebeskonsum der Zeit war aber so groß, daß selbst die Dirnen trotz dieses Entgegenkommens der Frauen noch außerordentlich zahlreich waren. Die Zahl der Bordelle in Paris war damals viel größer als jemals sonst. Berlin hatte damals viermal so viel Prostituierte, als heute eingeschrieben sind. Ein großer Teil der Prostitution war in Bordellen kaserniert; es gab Bordelle der verschiedensten Preislagen, und auch die höchste Aristokratie verschmähte nicht, die teuren Lokale zu besuchen.

Das 18. Jahrhundert war durchaus kein Jahrhundert der rechtlich normierten Frauenmacht. In den für das erotische Leben bestimmenden Kreisen des französischen Hofadels gab die Frau nur in den Äußerlichkeiten der Lebensführung den Ton an. Die Frau hatte keinerlei persönliche Rechte, und wenn es ihr gelang, einen Hahnrei zu betrügen, so war dies ihr spezielles persönliches Verdienst. Sie hatte durchaus keinen gesellschaftlichen Anspruch darauf, und oft genug mag es ihr schlecht bekommen sein, doch das verschweigen die Annalen der Venus mit Vorbedacht, weil sie in der Regel von den unglücklichen Liebhabern geschrieben wurden. Die Männer und die moralischen Damen sind sich darüber einig: die »Kuttentollheit«, das »Wüten der Mütter« war in keinem Jahrhundert so stark wie in dem galanten, eben weil das Weib bei dem prostitutionellen Schnellverkehr nicht detumeszieren konnte, war sie »unter dem Gürtel immer hungrig«. Darum gipfelt auch die Sexualphilosophie der Zeit in der unbedingten Empfehlung der Ehe. Man kann sich gar nicht früh genug verheiraten. Viele jungen Männer heiraten mit sechzehn Jahren, Mädchen zwischen zwölf und vierzehn. Die Pubertät erscheint als das idealste Alter für den Geschlechtsverkehr. So schildert der »Faublas« die Liebesabenteuer eines fünfzehnjährigen Jungen, der bereits mit sechzehn Jahren als junger Ehemann und Vater eines Kindes seinem Freunde schreiben kann: »… Sagen sie sich, daß es für glühende und mit lebhaftem Gefühl begabte Menschen, die in ihrer Jugend den Stürmen der Leidenschaft preisgegeben waren, nie mehr ein vollkommenes Glück auf Erden gibt.«

Mit der Empfehlung der Ehe hatte es nur einen Haken. Durch die Verarmung der breitesten Kreise des Volkes war sie zu einem schwer lösbaren Problem geworden, besonders da die Frau noch damals ausschließlich ein Luxusgegenstand war und als Erwerbskraft nicht in Betracht kam. So war die Schwierigkeit der Eheschließung verbunden mit der Entvölkerung des Landes und dem Zug in die Stadt, ein weiteres Moment, das die Prostitution ausbreitete. Der große Prozentsatz der unglücklichen Ehen tat ein übriges. Es war damals fast die Norm, daß der Mann seine Frau verließ, sowie ihm die Kostendeckung für den Haushalt zu mühsam wurde, und da eine gesetzliche Handhabe gegen ihn nicht bestand, so war das Schicksal von Frau und Kind entschieden.

Es ist zu allen Zeiten die Entwicklungstendenz der Prostitution gewesen, ihr wirtschaftliches und gesellschaftliches Niveau zu heben und gleichzeitig immer breitere Kreise zu ergreifen. Es liegt das Bestreben vor, die Mauer, die Prostituierte und Dame trennt, zu durchbrechen. Immer neue Übergangsformen machen die Unterschiede fluktuierend, wie im Altertum, so auch in der Neuzeit von der Renaissance an. Im 18. Jahrhundert, wo die Liebe das Zahlungsmittel in gemeinem Maß wurde, gingen naturgemäß die Grenzen von Prostitution und Maitressentum ineinander über. Ja, die Liebe als Gesamtphänomen nimmt einen prostitutionellen Charakter an. Sie ist der Haupthandelsartikel geworden. Es war selbstverständlich, daß der Mann sich seine Maitresse etwas kosten ließ, und in dem Maitressentum kulminiert sozusagen das Dasein. In höchster Potenz findet sich der Maitressenkult natürlich bei dem Königtum, wo die Geliebte des Königs der Stern des ganzen Hofes geworden ist, neben der die Gemahlin des Königs verblaßt. Die Königin als erotische Figur vertrug sich schlecht mit der Etikette; und wenn der Gemahl ihr Bett bestieg, geschah es gewiß nur zu Zuchtzwecken. Es besagt vielleicht etwas über die moralische Tiefe des Beurteilers, gewiß aber nichts über die Erscheinung, ob ein Historiker die Maitresse zur Prostituierten rechnet oder in ihr die illegitime Ehefrau sieht. Gewiß, die Ehefrau ist im »ancien régime« mindestens ebenso untreu wie die Maitresse. Aber was bei jener nichts ist als ein genialischer Leichtsinn, bricht der anderen das Rückgrat und führt sie auf den Weg, der bei der Straßendirne endet.«

Das Leben der kleinen Justine im »Faublas« ist solch eine typische Maitressenkarriere. Erst ist sie das Zöfchen der vornehmen Marquise von B. und verleitet notorisch die Liebhaber ihrer schönen Herrin zu den grandiosesten Untreuen: sie tröstet den unglücklichen Liebhaber, der schleunigst aus dem Hause muß, weil der Wagen des Herrn Marquis unerwartet in den Hof rollt; sie tröstet ihn auf den Stufen einer geheimen Treppe beinahe besser, als die Frau Marquise vermocht hätte. Doch der mit dem Tausch nicht unzufriedene Kavalier erlebt, vor dem grimmigen Ehemann in eine Wagenremise eingeschlossen, in dem ohnehin nicht anheimelnden Milieu eine arge Enttäuschung, weil die niedliche Trösterin sich hier, ohne die Anwesenheit des Chevaliers zu ahnen, in der eleganten Galakutsche des Hauses ein Rendezvous mit dem Stallknecht gibt. Der Chevalier sitzt hinten auf dem Wagenkasten und ist der peinliche Zeuge der sehr unangenehmen Tatsache, daß er das Vergnügen mit einem gemeinen Lakaien teilen muß. Denn das taktmäßige Rütteln des Wagenkastens läßt ihm durchaus keinen Zweifel, welcher Beschäftigung sich die Herrschaften im Innern hingaben … Noch ist die kleine Justine nicht zur Prostitution zu zählen, aber sie ist auf dem sichersten Weg. Und wirklich trifft sie der Chevalier wenige Monate später als die »femme entrenue« in der »petite maison« des Chevaliers von Valbrun. Der lange Lakai von damals ist jetzt ihr Bedienter. In einem leichten Gazekleide, wollüstig wie eine große Dame und nicht minder delikat in ihren Genüssen, läßt sie die Läden schließen, bevor sie dem Chevalier die gewünschten Zärtlichkeiten gestattet. Der Chevalier hätte ihr nie Geld geschenkt, als sie noch die Zofe der Marquise gewesen, aber jetzt, wo sie eine große Dame ist, wo ein Mann der Gesellschaft es unternommen hat, einen Preis für sie festzusetzen, würde er als Chevalier es nicht fertigbringen, ihre Liebe ohne Gegengeschenk zu genießen. Sein Kavalierinstinkt klassifiziert sie psychologisch vollkommen richtig.

Die große Kokotte spielte damals schon im gesellschaftlichen Leben in Paris ganz dieselbe Rolle wie heute. Auf dem großen Korso in Longchamps überstrahlte die Kokotte nicht selten die reichste Dame der Gesellschaft. Aber auch damals waren die vornehmen Hetären dünn gesät, weil man die Männer mit der Lupe suchen muß, die sie bezahlen, und weil es kaum einige gibt, die sie bezahlen können. Die Mehrzahl der Männer ging ins Bordell oder half einer soliden Bürgerfrau das Familienbudget zu finanzieren. Der Chevalier von Faublas, obwohl tadelloser Kavalier und sehr empfindlich in dem Punkt der Ehre, scheut sich nicht, ein sehr ordinäres Haus zu besuchen, das er genau genug beschreibt. Es ist das Bordell der Gourdan in der Rue des Deux Portes. »Etwas angeheitert stiegen wir in Rosamberts Wagen«, erzählt er ziemlich am Anfang seiner Abenteuer, »und fuhren zu einem vornehmen Hause. Aber die ungenierten Manieren der Hausfrau, der lässige Ton, den der Graf ihr gegenüber annahm, der nicht minder ungezwungene Empfang, mit dem sie mich beehrte, all dies ließ mich vermuten, daß ich mich in einem öffentlichen Hause befand. Dies wurde zur Gewißheit, als die wackere Dame des Hauses, die, wie sie sich reizend ausdrückte, mich entjungfern wollte, mir alle Merkwürdigkeiten ihres Hauses gezeigt hatte. Herr Rosambert nahm sich die Mühe, mir alles selbst zu erklären. ›Hier sehen Sie‹, sagte er zu mir, das Badekabinett. Hier waschen und parfümieren sich die reizenden Rekruten, welche aus der Stadt und vom Land täglich zu der tätigen Vermittlerin kommen. In dem Schrank da sind mehrere Flaschen mit dem höchst wunderbaren Wasser, das die Fähigkeit besitzt, alle Breschen an dem, was die Jungfrauen ihre Tugend nennen, wieder auszubessern. Viele hochgeborenen Fräuleins nehmen heimlich dazu ihre Zuflucht und bieten sodann in der Hochzeitsnacht dem Glücklichen, der sie heiratet, eine funkelnagelneue jungfräuliche Ehre. Daneben sehen Sie die Essenz für die unüberwindlichen Engpässe. Sie wirkt gerade entgegengesetzt, daher benutzt man sie nie. Ach, die Zeit der Miniaturen ist vorbei. Ich wette, man findet in ganz Paris keine Dame mehr, die dieses Wasser gebrauchen könnte. Wenn dagegen das, was Sie in diesen größeren Flaschen sehen, seinem Rufe entspricht, so wird es bald in ungeheuren Mengen konsumiert werden. Alles wird dann zu dem Doktor Guilbert de Préval laufen, Advokatenschreiber, hohe Gerichtsbeamte, eine Menge großer Herren, unsere Offiziere und fast alle unsere Abbés. Es ist das famose Spezifikum.

Was ein Toilettenkabinett ist, wissen Sie, Faublas, gehen wir also weiter.

Nun kommen wir in den Ballsaal. Da tanzt man nicht, man maskiert sich bloß. Sie halten dies für einen Wandschrank? Es ist eine Verbindungstür; sie führt in ein Haus, das seinen Eingang in einer anderen Straße hat. Wenn eine Dame von Stand plötzlich diskrete Bedürfnisse spürt, so tritt sie da ein, verkleidet sich als Magd, zeigt ihre Reize unter einem groben Wolltuch und empfängt die kräftige Umarmung eines dicken Bauernlümmels.

Jetzt wollen wir in die Siechenstube gehen. Öffnen Sie, wenn Sie Lust haben, diese wollüstigen Bücher, betrachten Sie diese obszönen Bilder; sie sollen die Phantasie jener alten Debaucheure entflammen, die der Tod schon an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen hat, und mit dem kleinen parfümierten Ginsterbüschlein, sucht man sie wieder ins Leben zu rufen. Sie begreifen, daß dies Mittel für das schönere Geschlecht zu gewaltsam wäre, man hat für sie diese Pastillen. Sie sind so aufregend, daß eine Frau augenblicklich in einen Zustand von – sagen wir – Liebesraserei verfällt.

Dies letzte Zimmer da heißt der Salon des Vulkans. Nichts Merkwürdiges ist darin als dieser höllische Lehnstuhl. Eine Unglückliche, die man hineinwirft, wird augenblicklich auf den Rücken gelegt. Ihre Arme bleiben offen. Ihre Beine gehen sanft auseinander; man nimmt sie, ohne daß sie den mindesten Widerstand leisten kann. Wenn wir früher gekommen, wären, hätte man uns zwei artige kleine Bürgerfrauen verabreicht, aber in Ermangelung eines Besseren wollen wir uns im Serail umsehen.‹

So nannte er den Saal, wo viele Nymphen versammelt waren. Die zogen an uns vorbei und bewarben sich alle um die Ehre des Schnupftuchs. Rosambert nahm die hübscheste. Ich hatte die absonderliche Laune, die häßlichste zu wählen.

Von Natur neugierig, bekam ich Lust, die Nymphe meiner Wahl ein wenig im Detail zu untersuchen. Es schien mir wichtig, den Unterschied zwischen einer schönen Marquise und einer häßlichen Kurtisane festzustellen. Der Gegenstand war meiner Studien würdig. Die Forschung reizte mich anfangs nur wegen dieses Vergleichens. Ohne eigentlich zu wollen, kam ich ins Feuer, und ganz mechanisch faßte ich den Entschluß, die Prüfung so weit zu treiben wie es ging. Die Nymphe bemerkte meine glücklichen Anlagen, und ohne mir Zeit zur Überlegung zu lassen, forderte sie meinen Angriff heraus und setzte sich in Bereitschaft, ihm tapfer zu begegnen. Aber plötzlich, ohne daß ich meine friedlichen Absichten zu erklären brauchte, merkte die erfahrene Kriegerin, daß es zwischen uns nicht einmal zu den leichtesten Scharmützeln kommen würde. Sie stand nachlässig auf und betrachtete mich aufmerksam: ›Um so besser, es wäre schade gewesen!‹

Ich kann nicht schildern, wie bestürzt ich über den höchst klaren Sinn dieser Worte war. Ich dachte nicht mehr an Rosambert und floh aus diesem infamen Hause und schwor mir, nie im Leben wieder dorthin zu gehen.«

Es gab noch mehr Bordelle, die mit allem Komfort aufwarten konnten, Justine Parsi und das Hôtel du Roule gaben keinem etwas nach. Die Abbés hatten sogar ein Haus, in dem sie unter sich waren, das Bordell der Mme. Richard, das sogenannte« »Missionshaus«. Besonderer Beachtung bedarf auch das Negerbordell des Fräuleins Isabeau in der Rue Neuve de Montmorency, in dem sich Negerinnen und Mulattinnen befanden.

Hinzu kam eine sehr umfangreiche Straßenprostitution. Das Palais Royal und die ganze Gegend des Louvre sollen damals mit Dirnen überschwemmt gewesen sein. In dem Palais selbst entwickelte sich vor und nach der Revolution ein reges Leben, und diese Gegend wurde mehr und mehr zum Zentrum des Nachtlebens. Bei den nächtlichen Promenaden fand man hier die galanten Abenteuer, die man suchte. Berühmt war die Allée des Soupirs, die Promenade der schönsten und verführerischsten Frauen und Mädchen, vornehmer Damen, der Theaterwelt und der Demimonde. Das Dorado der niederen Prostitution war die Allée de la Foi. Hier waren auch zahlreiche Variétés, Spielhäuser, Kneipen und Verkaufsläden.

Die abolitionistischen Ideen sind übrigens selbst der galantesten aller Zeiten nicht fremd geblieben. Die Reaktion gegen die allgemeine Sittenlosigkeit ging vom Kleinbürgertum aus, dem die Vorbedingungen für den freien Geschlechtsverkehr und das Genußleben der Besitzenden nicht gegeben waren. Hier wandte man sich auch in erster Linie an die Dirne. Man bekämpfte sie theoretisch in einer Sorte von Literatur, die ungefähr unserem Onanieschrecken zu vergleichen ist und die hauptsächlich vor der Ansteckungsgefahr und vor der Ausbeutung durch die Dirnen warnen sollte. Praktisch suchte man die Prostitution einzuschränken durch die Errichtung von Magdalenenhäusern, die Einlieferung kranker Dirnen ins Spital, zeitweise auch durch die Einsperrung der Prostituierten ins Gefängnis. Der Chevalier von Faublas, dem alles passiert ist, erlebte natürlich auch das: Als er als Dirne verkleidet vor der Polizei floh, wurde er von der Sittenkommission festgenommen und sollte nach Saint-Martin gebracht werden. Sein glücklicher Stern rettete ihn.

Die polizeiliche Handhabung war damals sehr radikal. Die stadtfremden Dirnen wurden ausgewiesen, die einheimischen kamen in eine Art Arbeitshaus.

Am drakonischsten ging man in Wien gegen die Unzucht vor. Unter der Regierung der Maria Theresia machte sich eine Keuschheitskommission breit, die eine justinianische Kur anzuwenden versuchte. Den Dirnen wurden, wenn man sie ertappte, die Haare abgeschnitten, sie wurden zur Straßenreinigung, zum Karrenschieben und dergleichen Beschäftigungen verurteilt, die man entehrend nannte. Schlimmer war das Schicksal der Männer, die sich mit den Prostituierten einließen. Wer ledig war, wurde noch am selben Tage mit der Dirne getraut, eine Strafe, die zweifelsohne von einem Ehemann erdacht war.

Die geheime Prostitution mußte diesen Gefahren vorbeugen. Die Prostituierte nannte sich Dienstmädchen oder Haushälterin – die Spezies der Empfangsdame war damals noch nicht erfunden – und der Mann war vor der Ehe sicher.

Die Gesetzgebung der keuschen Kaiserin ist in der galanten Zeit ein Zwischenfall ohne Folgen gewesen; wie immer nahm die Polizei die Interessen ihrer Auftraggeber wahr. Die Interessen der Auftraggeber gipfelten aber in einer schrankenlosen Auslösung aller Genußmöglichkeiten. Ein Feind erstand im allgemeinen dem schrankenlosen Liebesverkehr nicht in der Polizei, sondern in der entsetzlichen Durchseuchung mit venerischen Krankheiten. Damals wie immer war die öffentliche Dirne die Hauptträgerin der Ansteckungsmöglichkeit. Aus den Memoiren Casanovas hat Dr. Meißner den Nachweis geliefert, daß Casanova sich jedesmal angesteckt hat, wenn er mit einer öffentlichen Dirne verkehrte. Da nun aber alle Klassen mit Dirnen verkehrten, kamen die Krankheitskeime durch tausend Kanäle in die Kreise der Regierenden und ins Volk. Die Männer, die sich an der Dirne angesteckt hatten, gaben das »galante Geschenk« an ihre Geliebten und Ehegattinnen weiter, die Kinder waren mit hereditärer Syphilis belastet, und eine allgemeine Degeneration wurde drohend. Die venerischen Krankheiten drangen bis in die Kreise des Hofes: Ludwig XIV., sein Bruder, dessen Gattin, Philipp von Orléans, der spätere Regent, Ludwig XV. usw. waren sämtlich infiziert. Die Tänzerinnen und Schauspielerinnen, die vornehmlich die Geliebten des Hofadels waren, hatten fast alle Syphilis, an der berühmten Camargo und der Guimard sollen sich viele Herzöge und Prinzen angesteckt haben. Der Prinz Friedrich Karl von Württemberg holte sich in Paris ein Geschenk, an dem er bald darauf gestorben ist. Vorher unterließ er es aber nicht, seinem berühmten Harem der »Blaubeschuhten« ein Erbteil zu hinterlassen.

Verheiratete Frauen ließen nur in der Dunkelloge der Theater etwas mit sich machen. Diese famosen Dunkellogen waren entweder hinter Gittern und Verzierungen so versteckt, daß man von ihnen zwar alles sehen konnte, aber vom Zuschauerraum und der Bühne nicht beobachtet werden konnte oder sie hatten sogar Vorhänge, die in geeigneten Augenblicken heruntergelassen werden konnten. Doch fanden sie nicht die gewünschte Verwendung, denn der Reiz lag gerade in der Öffentlichkeit. Die Theatergeschichte nicht nur von Frankreich berichtet von den »Orgien«, die dort vor den Augen des ganzen Theaters gefeiert wurden, feudale Vergnügungen, die sich in Deutschland natürlich nur Fürsten und Herzöge leisten konnten.

Die bürgerliche Überzeugung von der Sündhaftigkeit der Schaubühne war gar nicht so verfehlt, denn am Theater war eigentlich alles Prostitution: Zettelverkäuferinnen, Orangenmädchen, Logenschließerinnen, Statistinnen, Garderobenfrauen und Balletteusen entschädigten ohne langwierige Verführung die Männer, die unbeweibt kamen. Das Theatermädchen war eine Prostituierte in gebesserter Wirtschaftsform. Oper und Theater waren das öffentliche Haus für das zahlungsfähige Publikum, gerade wie das Ballett der Harem des Fürsten war.

Durch die erotische Vorliebe für die Pubertätszeit gewann im Ancien régime die Kinderprostitution einen ungewöhnlichen Umfang. Man hatte wenig dagegen einzuwenden; denn das Jahrhundert des Kindes dämmerte noch nicht. Jedes bessere Bordell hatte Mädchen von 12 bis 14 Jahren, und gerade diese wurden von der Kuppelmutter auf die Promenade geführt, man hielt diese Reklame für wirkungsvoller als das Verteilen von gedruckten Karten; denn es kam auf der Nachmittagspromenade oft genug zu lautem Skandal, und die Polizei mußte einschreiten, natürlich die beste Gratisreklame. In der Kirche machten die Dirnen damals mit Vorliebe Bekanntschaften; dem Grundsatz, daß ein Mädchen im Gewande der Züchtigen die besten Geschäfte macht, hat erst die Revolution wiederum ein Ende gemacht.

Die primitive Reklame des Zettelverteilens kannte man natürlich damals auch, nur war man in dem Warenkatalog genauer und begnügte sich nicht mit der angeblichen Heimat der Damen. Auf einem solchen »Handzettel« heißt es: Mademoiselle Rosette ist von mittlerer Größe und brünett. Einer ihrer obersten Vorzüge ist eine Hand, die sehr viel Vergnügen zu machen und dadurch das bei ihr zu erwartende Vergnügen aufs beste einzuleiten versteht. Ihre Brüste, die weder zu klein noch zu groß sind, sind weiß und fest, und ihre Elastizität erweist, daß sie nicht von Marmor sind. Ihre Glieder sind von seltenem Ebenmaß, ihre Schenkel von jener Fülle, der die Wollust noch immer den ersten Preis zuerkannte. Mademoiselle Rosette bereitet ihren Freunden jenes Vergnügen in der Liebe, das man sonst nur bei der vollkommenen Unschuld zu finden das Glück hat. Doch sind ihre Launen, das Vergnügen zu vergrößern, das sie auch selbst und niemals weniger empfindet, unerschöpflich. Ihre Küsse und ihre zärtlichen Blicke in den Augenblicken des Genießens vermögen selbst das Alter zu entflammen. Aber sie gibt doch jenen Männern den Vorzug, die von der Liebe eine große Mahlzeit verlangen.«

Die ungeheure Durchseuchung mit der Syphilis wurde vielleicht ein bißchen gehemmt durch die Erfindung des Kondoms, der bald das professionelle Schutzmittel der Biderben ebenso wie der Galanten wurde. Die »artes amandi« der Zeit empfehlen ihn als Sarg der Gefahr, Panzer der Ehrbarkeit und besten Freund aller Heimlichliebenden. Ein großer Liebeskünstler wie Casanova goutierte ihn natürlich nicht allzusehr, und nur die schöne Nonne Maria Magdalena aus dem Kloster Marona brachte ihn dazu, sich zu panzern, denn das war die Bedingung ihrer Gunst.

Die erste Spur des Kondoms in der Neuzeit liefert das 16. Jahrhundert, Gabriele Falloppio empfiehlt im 89. Kapitel seines »de morbo gallico liber absolutissimus« ein präpariertes, der Größe des Gliedes entsprechendes Stück Leinewand beim Verkehr über die Eichel zu legen und die Vorhaut wieder nach vorn gleiten zu lassen. Wenn man es mit Speichel oder einer Flüssigkeit befeuchtet, ist es gut, wenn nicht, schadet es auch nicht. Der erste bei dem auf dieses »linteolum« hingewiesen wird, ist Daniel Hunter, der in seiner bekannten »Syphilis, a practical dissertation on the venereal disease« (London 1717) ausdrücklich sagt: »Der Kondom ist das beste Präservativ, so unsere Libertiner bis dato erfunden haben.«

Die Legende, daß es sich hier um eine Bezeichnung nach dem Namen des Erfinders handelt, ist erst im Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommen, und 1801 behauptet Swediaur: »Einer namens Kondom hat vor ungefähr 40 oder 50 Jahren die famosen Hüllen oder Fingerlinge erfunden, die heutzutage in England unter der Bezeichnung Kondom und in Paris unter der Bezeichnung ›redingote anglaise‹ bekannt und sehr verbreitet sind, sie werden aus dem Coecum der Lämmer gemacht. Die Erfindung hat den Erfinder in der öffentlichen Meinung entehrt, so daß er sich genötigt sah, einen anderen Namen anzunehmen.« Bloch hat in keinem der Memoirenschreiber den richtigen Namen des Arztes gefunden, und er hält vielmehr den Namen Kondum für die Akkusativ des Wortes Kondus, das soviel wie Aufbewahrer bedeutet. Dieses Wort findet sich allerdings nicht in der klassischen Latinität. Es kommt aus dem Griechischen und ist eigentlich persischen Ursprungs (Cimdü), ein Gefäß zum Aufbewahren von Getreidesamen. Danach ist es also durchaus möglich, daß ein mittelalterlicher Gelehrter scherzhaft diesen Namen wieder aufgriff, indem er als tertium comparationis diesen Zweck annahm, ein receptaculum seminis zu sein. »Ein Harnisch gegen das Vergnügen und ein Spinngewebe gegen die Gefahr,« sagte schon bald nach der Entdeckung eine sehr geistreiche Frau, und sie beweist damit, daß man schon sehr früh wußte, daß es mit dem Kondom seine zwei Seiten hatte.

La France, die Lehrmeisterin der galanten Zeit wurde in Europa natürlich mit verschiedenem Glücke nachgeahmt. Old merry England war eine von den weniger glücklichen Kulturmelangen und imponiert einem noch am ersten durch die Macht der Zahl. In einem einzigen Londoner Kirchenspiel Marybons zählte man 13 000 Freudenmädchen, die in 1700 Häusern wohnten. Das Hauptprostituiertenviertel war die Drury lane, der bekannte Schlupfwinkel für allerhand seltsame Existenzen, man denke an den Staatskult. Den Anhängern Lombrosos empfehle ich dieses Gebiet zu studieren, sie werden über den Zusammenhang von Prostitution und Verbrechen jedenfalls reiches Material finden. Die Drury Lane war übrigens eins von den wenigen schlechtbeleuchteten Vierteln Londons, dessen vornehme Gegenden und Hauptzentren des Nachtlebens in einem für die damalige Zeit taghellen Glanze erstrahlten. Archenholtz, der allerdings etwas stilisierende englische Sittenschilderer dieser Zeit, weiß über das nächtliche Leben und Treiben auf der Straße eingehend zu berichten: Zu allen Jahreszeiten überschwemmen diese Nymphen, sobald es dunkel wird, wohlgeputzt die vornehmen Straßen und Plätze der Stadt. Viele ziehen auf die Männerjagd in erborgten Kleidern, die sie von Matronen für ein tägliches Mietsgeld erhalten, welche aber dann zu ihrer Sicherheit eine andere Weibsperson besolden, die der Jägerin ständig auf dem Fuße folgt, damit diese nicht in den Kleidungsstücken davonläuft. Geschieht es, so darf die Matrone nicht klagen, sie würde in diesem Falle zwar ihr Eigentum wiederbekommen, aber vorsätzlich verdorben und folglich unbrauchbar; dabei dürfte sie selbst der Strafe als Verführerin und Beförderin der Liederlichkeiten nicht entgehen. Wenn die Mädchen keinen Fang tun und ohne Geld nach Hause kommen, werden sie gemißhandelt und müssen hungern. Diese Unglücklichen reden daher die Vorübergehenden an und tragen ihre Gesellschaft an, entweder zu Hause oder in Tavernen. Man sieht sie in ganzen Gruppen postiert.

Das Nachtleben spielte sich damals noch nicht in den Straßen ab, die heute die Zentren geworden sind, weil damals noch die Bordelle in anderen Gegenden lagen. Das Zentrum der Bagnioprostitution war damals der Covent Garden, in dem die vornehmsten Bordelle gelegen waren, besonders das der Molly King und der Mutter Douglas.

Die eigentlichen Bordelle waren in England erst im Jahre 1750 zugelassen worden, bis dahin kannte man nur die Badeprostitution. Das erste Bordell gehörte der Mrs. Goadby und war ganz nach französischem Muster eingerichtet. Ihrem Beispiel folgte eine durch zahlreiche Liebesabenteuer bekannte Demimondäne Charlotte Hayes, die sich am Kingsplatze ein Haus mietete. Ein sehr eigenartiges Bordell, das aus drei Häusern bestand, wurde später von der Miß Fawkland eröffnet. Die drei vornehmen Häuser in der St. Jamesstreet wurden von ihr Tempel der Aurora, Flora und des Mysteriums genannt. Im Tempel der Aurora hatte sie Mädchen von elf bis sechzehn Jahren. Hier wurde das Noviziat des Vergnügens abgelegt, und die Mädchen wurden in allen Künsten unterrichtet, die einer vornehmen Kurtisane vorteilhaft sein konnten. Die Mädchen blieben Jungfern, allerdings empfingen auch sie schon Herrenbesuch, aber die Besucher mußten über sechzig Jahre alt sein und wurden vorher sorgfältig auf Impotenz untersucht. Die Chronique scandaleuse nennt unter den Bordellplatonikern große Namen: Lord Cornwalles, Lord Buckingham. Im Tempel der Flora lebten die jungen Mädchen, die nach ihrer sorgfältigen Erziehung die äußerste Lebhaftigkeit, Gefälligkeit, Fröhlichkeit und unbeschreibliche Wollust entfalteten. In diesem Tempel lebten immer zwölf Nymphen, von denen sechs aus dem Tempel der Aurora stammten. Hier herrschte eine Art Kommunalwirtschaft. Es ist nicht besonders indiskret, unter den Abonnenten dieses Tempels den Grafen Hamilton und Lord Bolingbroke aufzuzählen. Was sich da abspielte, gehört nicht in ein Buch unserer Zeit.

Verschiedene vornehme Damen hatten natürlich auch nach französischem Muster ihre Absteigequartiere. Die Gegend des Piccadilly wurde allgemein bevorzugt. Die stolze Engländerin hätte es jedoch »shocking« gefunden, wie die Pariserin dieselben Hotels zu besuchen wie eine Straßendirne. Die Londoner »petites maisons« blieben dem Adel streng reserviert.

Die Prostitution war in London viel plebejischer. Kein junger Mann von Stand hätte ein Bordell besucht, er hielt sich seinen eigenen Harem, natürlich auch nur ganz im geheimen. In dem sittenstrengen England machte sich Lord Baltimore unmöglich, als sein entzückendes Serail zum Stadtgespräch wurde. Allerdings war der Anlaß auch für Pariser Verhältnisse peinlich. Eine Geliebte hatte ihn verklagt.

Trotzdem ist es einigen Londoner Kurtisanen gelungen, es in diesem England zu einem Ruf zu bringen, der besser als schlecht ist. Eine der vornehmsten Damen des kleinen exklusiven Halbweltkreises war die glänzende Schauspielerin Bellamy, die Schönheit, Witz, Verstand, Talente und vornehme Manieren mit einem guten Herzen vereinigte. Sehr viele der großen Politiker hatten ihre Liebe genossen, sogar der berühmte Fox war ihr gegenüber nicht kühl geblieben. Kitty Fisher wurde sogar von dem Herzog von York, dem Bruder des Königs, besucht und bekam am Morgen 50 Pfund Sterling geschenkt. Kitty Fisher war darüber so beleidigt, daß sie sich alle weiteren Besuche verbat. Auch von der Achtung, die Fanny Murray, die berühmte Schönheit, genoß, wissen die Briefe der Zeit zu erzählen. Die großen Hetären unterschieden sich von den Prostituierten auch durch ihren Geist, sie spielten im öffentlichen Leben damals in London dieselbe Rolle, wie heute die großen Kokotten in Paris.

Die »Posture girls«, die der englischen Vorliebe für kallopygische Reize Rechnung trugen, werden seit 1760 erwähnt. Sie waren wie eigens zu flagellatorischen Genüssen gebaut, und gerade diese Marke wurde in England gebraucht. Man fand sie besonders in einigen Nachtlokalen der Great Rousselstreet. Urbanus weiß davon zu erzählen: »Eine schöne Frau liegt auf dem Boden ausgestreckt und breitet jene Teile den Blicken dar, die sie, wäre sie nicht jeder Scham entblößt, sorgfältig verborgen hätte. Da sie dem Trunke ergeben ist, kommt sie gewöhnlich angeheitert in dies Haus und entblößt sich meistens nach drei Gläsern Madeira in dieser unanständigen Weise vor den Männern. Man verachtet sie, man ist aber entzückt über solche Prostitution einer unvergleichlichen Schönheit.«

Im 18. Jahrhundert bestanden in London auch Knabenbordelle. Aus den Prozeßberichten des Gerichtshofes Old-bailey ergibt sich, daß es Bordelle für Päderasten gab. Über das gemeine Treiben in diesen Bordellen, das sich einem Referat an dieser Stelle entzieht, unterrichtet eine merkwürdige, in Paris gedruckte Schrift: »Free Examination into the Penal Statutes.«

Berlin brauchte sich schon im 18. Jahrhundert seines Nachtlebens durchaus nicht zu schämen, und eine zwar absolutere, aber durchaus nicht moralischere Regierung dachte gar nicht daran, die Freiheiten der Bürger und Fremden irgendwie unterbinden zu wollen. Lord Malhesbury entrüstet sich als keuscher Engländer über die Berliner Unsittlichkeit und schrieb in sein Tagebuch – nach dem Rezept der rothaarigen Kellner –: »Berlin ist eine Stadt, wo es weder einen ehrlichen Mann, noch eine keusche Frau gibt. Völlige Sittenverderbnis beherrscht beide Geschlechter in allen Gesellschaftsklassen. Da überdies das Geld nur sehr beschränkt ist, haben die Männer nur große Mühe, mit ihren beschränkten Mitteln dies ausschweifende Leben zu führen. Die Frauen sind Harpyen, denen Zartgefühl und wahre Liebe unbekannt sind und die sich jedem preisgeben, der sie bezahlt.« Das rein Geschäftsmäßige des Prostitutionsbetriebes, das heute Berlin vor andern Städten auszeichnet, scheint also nicht allerneuesten Datums zu sein. Mit dem Geldmangel muß es übrigens nicht so schlimm gewesen sein; denn Berlin hatte damals Bordelle von Weltruf. Das berühmteste gehörte der Schuwitzin. Hier verkehrte der Adel bis hinauf zum Prinzen, und die hohen Herrschaften hielten es nicht einmal für nötig, in diesem Hause ihr Inkognito zu wahren. Die Schuwitzin gab ihrem Bordell einen besonders vornehmen Anstrich dadurch, daß sie nur gebildete Mädchen aufnahm. Sie war eine sehr gute Gesellschafterin und hatte ihr Haus auf das vornehmste möbliert, vor allem aber sorgte sie dafür, daß jederzeit der Ton gewahrt blieb. Sie duldete überhaupt nur Leute von feiner Lebensart in ihrem Hause; wenn jemand kam, der ihr nicht paßte, so forderte sie so viel, daß er gleich wieder ging. Sie hatte in Berlin selbst eine geachtete gesellschaftliche Stellung, hatte eigenes Fuhrwerk, livrierte Bediente und eine eigene Loge im Theater. Der Magister Lauckhard erzählt, daß man ihm in der Friedrichstraße das Haus der Schuwitzin gezeigt habe, daß man in Berlin sehr stolz auf dieses Haus war und daß man die Worte eines Herzogs kolportierte, er habe es nirgends in London so schön gefunden wie bei der Schuwitzin. Keiner kam mit ihr mit, nicht einmal die Lindemann.

Eduard Fuchs weist in seiner »Sittengeschichte« darauf hin, daß die Rolle der Dirne im öffentlichen und privaten Leben der galanten Zeit nicht beschränkter war als früher, sondern im Gegenteil umfangreicher, nur in verschiedenen Richtungen wesentlich anders als in der Renaissance. Über die absolute Zahl der Dirnen wissen wir aus dieser Zeit gar nichts, und die ungefähren Schätzungen Berufener sagen ebensowenig wie die Unberufener. So schätzte man in Wien, und zwar in der Zeit der Herrschaft der mitleidlosen Keuschheitskommission Maria Theresias, wo jede ertappte Dirne mit barbarischen Strafen belegt wurde, die Zahl der gewöhnlichen Dirnen auf rund zehntausend, die der besseren auf etwa viertausend. In Paris sprechen zeitgenössische Angaben von zwischen dreißig- bis vierzigtausend, und in London soll es um 1780 ungefähr fünfzigtausend gegeben haben. Berlin hatte im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ungefähr hundert tolerierte Bordelle, die nicht unter sieben bis neun Mädchen beherbergten. Das bedeutet, daß das damalige Berlin im Verhältnis vier- bis fünfmal mehr reglementierte Dirnen aufwies als heute. Die registrierten bilden natürlich immer nur einen kleinen Bruchteil.

Die kleineren Städte, denen das handwerkliche Kleinbürgertum das Gepräge gab, und vor allem die Dörfer haben allmählich eine ganz andere Physiognomie angenommen. Das offizielle Frauenhaus, das im 15. und 16. Jahrhundert nirgends fehlte, verschwand. Natürlich blieb die Dirne, aber sie führte ein heimliches Dasein und durfte sich nicht mehr von der übrigen Bevölkerung abheben. Ehedem mußte sie das infamierende Zeichen ihres Dirnengewerbes tragen, sowie sie über die Straße ging, um so für alle Welt kenntlich zu sein – jetzt war in den kleinen Städten geradezu Bedingung, daß sie sich in das Gewand der strengsten Ehrbarkeit kleidete und sich offiziell auch »ehrlich und reinlich« von ihrer Hände Arbeit als Näherin, Stickerin, Plätterin usw. ernährte. Dieser äußere Schein der Ehrbarkeit hinderte natürlich nicht, daß sie unter der ortsansässigen Männerwelt sehr vielen gut bekannt war und daß ebensoviele ihre Wohnung wußten und auch die Stunde, in der sie sicher zu treffen war. Und wie die Existenz der Dirnen in den kleinsten Städten eine heimliche war, so war auch der Verkehr mit ihr mit größter Heimlichkeit umkleidet. Auf Umwegen kamen und gingen die meisten Besucher. Dagegen waren gerade hier sehr häufig ihre Dienste um so begehrter, und vielleicht war überhaupt die Dirne nirgends wie in den Provinzstädten in solchem Maße Geschlechtsapparat. Es gab hier Dirnen, die jahraus, jahrein Abend für Abend zehn, zwölf und mehr Männern zu Willen waren. Diese massenhafte Inanspruchnahme der einzelnen Dirnen in der Provinz erklärt sich vollkommen daraus, daß hier auch die vagierende Dirne fehlte. Die kleinstädtische Prüderie ließ diese ebensowenig aufkommen wie das Bordell. Über die Straßen durfte offiziell nur die Ehrbarkeit gehen.

Völlig verschieden hiervon war die Rolle der Dirnen in den damaligen Großstädten. So untergeordnet und verschleiert das Dasein der Dirne in den Provinzstädten sich erfüllte, so aufdringlich trat es in den Großstädten in Aktion. Die Dirne war zwar auch hier nicht mehr in der Weise die anerkannte Verschönerin des Lebens und der Feste wie in der Renaissance, aber es gab für die Erwachsenen doch kein Vergnügen ohne sie. Die vagierende Dirne überschwemmte Straßen und Plätze und bildete stets eine auffallende Figur im Leben und Treiben der Straße. In zahlreichen Städten, wie London, Paris, Rom, Berlin und Wien – das waren die Hauptstädte des damaligen öffentlichen Lebens – begegnete man zu bestimmten Stunden, manchmal auch den ganzen Tag, den Dirnen, besonders natürlich auf den schönsten und an sich beliebtesten Promenaden der Stadt, wie die Linden in Berlin, das Palais Royal in Paris und der Graben in Wien. In dem 1788 erschienenen »Schattenriß von Berlin« heißt es: »Zur Sommerzeit wird der so angenehme Spaziergang Unter den Linden durch diese Geschöpfe fast gänzlich gehemmt.« Über London, wo es vor allem der St. James-Park war, in dem seit dem 17. Jahrhundert der belebteste Hurenkorso stattfand, heißt es in der »Atlantis« der Mrs. Manley: »Ich wundere mich, daß noch ehrliche Leute dahin gehen mögen, weil es fast ein öffentlicher Markt ist, allwo sich eine unzählige Menge junger Weibsbilder auf einen Tag oder eine Stunde, nachdem sie bezahlet werden, verkaufen. Die vagierenden Dirnen frequentierten jedoch nicht nur diese Orte, sondern sie waren in manchen Städten überhaupt auf allen irgendwie begangenen Straßen zu finden. In den Briefen über die »Galanterien von Berlin« heißt es: »Sobald der Abend anbricht, fliegen diese Vögelchen aus ihren Käfigen und wandern durch die Straßen der ganzen Stadt, durch die Linden, im Lustgarten, auf dem Schloßgarten, im Tiergarten, kurz überall herum.«

In London begegnete man der vagierenden Dirne des Abends ursprünglich nur in der City; denn nur hier waren die Straßen so weit beleuchtet, daß der Abschluß eines Handels möglich war. Nach Einführung der Gasbeleuchtung verbreitete sich der Strich über die ganze Stadt; denn nun bot sich überall die Möglichkeit, sich anzubieten, den Kauflustigen auf seine Zahlungsweise zu taxieren und vor allem die von diesem geforderte Ware gleich an Ort und Stelle auf ihre Qualität prüfen zu lassen.

Die Zahl dieser vagierenden Dirnen war nach allen Berichten ganz ungeheuer, so daß es als keine Übertreibung erscheint, wenn von verschiedenen Chronisten von einer förmlichen Hemmung des Verkehrs gesprochen wird, daß man sich oft nur mit Mühe zwischen den einzelnen Gruppen durchzuwinden vermöge und jeder einzelne Mann einem steten Kreuzfeuer von Angeboten und galanten Attacken mehr oder minder grober Art ausgesetzt sei. Archenholtz schreibt über London:

»Diese Unglücklichen reden daher die Vorübergehenden an und tragen ihre Gesellschaft an, entweder zu Hause oder in Tavernen. Man sieht sie in ganzen Gruppen postiert. Die bessere Gattung dieser Jägerinnen, die für sich unabhängig lebt, begnügt sich, ihren Weg fortzusetzen, bis man sie anredet. Sogar viele verheiratete Weiber, die in entfernten Quartieren der Stadt wohnen, kommen auf die Westminster Seite, wo sie unbekannt sind und treiben hier dieses Gewerbe, entweder aus Lüderlichkeit oder Not. Ich habe mit Erstaunen Kinder von acht bis neun Jahren gesehen, die ihre Gesellschaft, wenigstens soweit sie tauglich war, angeboten haben.«


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