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6. Die Weiberherrschaft.

Ich folge in diesem Kapitel der Darstellung Alfred Kinds. Alle kriegerischen Völker gehorchten dem Weibe, sagt Aristoteles. Und Bachofen bemerkt dazu: »Die Betrachtung späterer Zeitalter lehrt das gleiche: der Gefahr trotzen, jegliches Abenteuer suchen und der Schönheit dienen, ist ungebrochener Jugendfülle stets vereinigte Tugend. Dichtung, ja Dichtung wird dies alles im Licht der heutigen Zustände. Aber die höchste Dichtung, schwungreicher und erschütternder als alle Phantasie, ist die Wirklichkeit der Geschichte. Größere Schicksale sind über das Menschengeschlecht dahingegangen, als unsere Einbildungskraft zu ersinnen vermag. Das gynäkokratische Weltalter mit seinen Gestalten, Taten, Erschütterungen ist der Dichtung gebildeter, aber schwächlicher Zeiten unerreichbar. Die Erhebung des Weibes über den Mann erregt dadurch vorzüglich unser Staunen, daß sie dem physischen Kraftverhältnis der Geschlechter widerspricht. Dem Stärkeren überliefert das Gesetz der Natur das Zepter der Macht. Wird es ihm von schwächeren Händen entrissen, so müssen andere Seiten der menschlichen Natur gewesen sein, tiefere Gewalten ihren Einfluß geltend gemacht haben. Dann würden endlich auch die wirtschaftlichen Zusammenhänge und Eigentumsverhältnisse für die Stellung der Frau bedeutungslos gewesen sein. Und das hieße alles auf den Kopf stellen, was wir vom Mutterrecht wissen.

In seinen klarsten Typen zeigt aber das Mutterrecht die Frau als alleinige Eigentümerin. Sie besitzt Haus und Herd, sie verteilt die Nahrung, ihr gehorchen die Kinder, denn sie hat sie geboren; und sie hinterläßt ihr Besitztum ihren Töchtern. Sie wählt sich den Mann zum Gatten, der für die Lust, die ihm gewährt wird, das Haus zu schützen, zu erhalten und zu verproviantieren hat. Aber der Mann erwirbt sich dadurch keinerlei Eigentumsrechte. Er ist Chambregarnist, er wird exmittiert, wenn er sich mißliebig macht. Er darf auch von selber gehen, wenn das Verhältnis sich trübt, und sich nach einem anderen Logis umsehen. Die Kinder sind Mutterkinder, als solche legitim und bleiben bei der Mutter. Die Ungewißheit der Vaterschaft ist ebenso selbstverständlich wie die Gewißheit der Mutterschaft.«

Das ist der klarste Typus des Mutterrechts. Aber das Wort Mutterrecht, das Bachofen aufgebracht hat, ist dafür weniger passend, als die alte Bezeichnung Gynäkokratie (Weiberherrschaft). Bei einem »Recht« ist man versucht, an eine »gerechte« Verteilung von Pflichten und Lasten zu denken. Hier handelt es sich indessen um eine ausgesprochene Oberherrschaft der Frauen, weil sie die wirtschaftliche Macht allein besitzen. Theoretisch betrachtet wäre die Wagschale beinahe ausbalanciert, wenn die wirtschaftliche Macht im Durchschnitt irgendwie auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt wäre. Dann könnte das freie Spiel der natürlich gegebenen Machtmittel unbeeinflußt walten: auf der einen Seite Intelligenz und Stärke, auf der anderen die erotische Faszination. Dann gäbe es nur einen Kampf und die endliche Vereinigung im Lustgewinn. Aus dem gestörten Gleichgewicht jedoch entspringt der Kampf mit dem Ziel des Niederringens der anderen Partei um jeden Preis. Alle Macht strebt psychologisch zur Übermacht, alles Recht zum Vorrecht, weil Übermacht und Vorrecht Lustreize enthalten.

Hat nun die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft einst wirklich mit Mutterrecht und Weiberherrschaft begonnen? Das ist fast gar nicht zu beweisen. Die lieben Theorienzimmerer, die so gern eine »Linie« oder gar ein »Gesetz« der Entwicklung entdecken, behaupten das ja, weil es sich sehr schön macht, wenn man sagen kann: Am Anfang regiert das Weib, und am Ende regiert der Mann. Aber was ist denn »Anfang«? Den Anfang der Welt hat man immer weiter hinausschieben müssen, den Anfang des Menschen und den der Gesellschaft gleichfalls. Es ist eine bloße Willkür, da Zahlen zu nennen. Fest steht nur, was man für den Anfang hielt, war immer bereits Fortsetzung. Also läßt sich nur fragen: gab es in früheren Perioden der Menschheit allgemeine Weiberherrschaft? Auch dies ist nicht vollgültig zu beweisen, aber mancherlei Umstände sprechen dafür. Erstens, rein psychologisch: die Zusammenhänge von Umwerbung, Liebesspiel, Vorlust und Gattenwahl, die dem Weiblichen ohne weiteres eine gewisse Vormacht einräumt. Eine Prostitution im Sinne der neueren Zeit kann es in der Urzeit kaum gegeben haben; es sei denn als integrierenden Bestandteil von Sklaverei. Folglich waren die Männer immer darauf angewiesen, die Weibchen sich erst durch Umbuhlung geneigt zu machen, sie erst in Vorlust zu versetzen. Der Einwand, daß die »Wilden« des »barbarischen« Zeitalters (oder wie man sie sonst betitelt hat) eines komplizierten und verinnerlichten Liebesspiels unfähig waren, da dies erst eine Blüte der »Kultur« darstelle, widerlegt sich ohne weiteres aus den Proben aus der Tierwelt und dem Leben der Primitiven. Die Barbarei ist hier ganz auf seiten der »Kultur«.

Damit kommen wir zum zweiten Umstand. Privateigentum, ein erworbenes, muß immer gewesen sein. Der Mensch kommt nackt und bloß zur Welt. Er muß die Blöße decken, muß Futter suchen, muß sich auch gegen Seinesgleichen oder Tiere wehren. Kleidung, Geräte und Waffen (mögen sie auch noch so dürftig sein) und ein Nahrungsvorrat für die schlechte Saison gehören eigentümlich zu den betreffenden Menschen, die die Geräte hergestellt und die Nahrung gesammelt haben. Ich sehe hier nicht die geringste Schwierigkeit für die Entstehung des Eigentumsbegriffs. Ob das Eigentum individuell oder kollektiv ist, tut wenig zur Sache. Etwas anderes ist es mit dem Begriff der Vererbung. Dieser ist schwieriger und setzt erst voraus, daß ein Ding herrenlos wird. Man hat indessen jetzt Skelette der Eiszeit ausgegraben, um die im Kranz jene armseligen Feuersteinschaber gelegt waren, die damals das einzige Gerät-Inventar des mitteleuropäischen Menschen ausmachten. Also das Gerät blieb Eigentum des Toten. Vielleicht wurde auch sein Fellkleid und sein kleiner Futtervorrat mitbestattet; von denen mußte natürlich jede Spur vergehen. Worauf ich hinaus will, ist dies: es braucht in der Urzeit kein Grundeigentum dagewesen zu sein, und wenn die Frauen im Besitz von Sachen waren, so hatten sie damit sofort eine gesellschaftliche Übermacht.

Nun hat Ed. Hahn durch seine Forschungen über das Alter der wirtschaftlichen Kultur nachgewiesen, daß dem Ackerbau oder der Pflugkultur eine Periode des Hackbaus vorangegangen sein muß, der ausschließlich von den Frauen betrieben wurde, während die Männer Fleischnahrung durch Jagd und Fischfang zu erlangen suchten. Der Hackbau wird mittels eines Steckens oder Grabstocks besorgt und bezog sieh vorzüglich auf knollenartige Gewächse. Die verheiratete Frau in Queensland führt heute noch diesen Stock als Zeichen ihrer Würde mit sich, auch bei den Tänzen. Vielleicht haben wir hier die älteste Form des Szepters vor uns. Auch das Bereiten schwieriger Pflanzenstoffe durch Gärung in Erdgruben muß Frauenarbeit gewesen sein. Jedenfalls darf man also annehmen, daß lange Zeit hindurch der wichtigste Teil des Nahrungsvorrats erworbenes Kollektiv-Eigentum der Frauen gewesen ist, die den Männern daran Anteil gaben. Dieser ganze Zusammenhang ist ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel, um das Vorherrschen des Mutterrechts in jener früheren Epoche der Menschheit begreiflich zu finden. Mit dem Auftreten der Pflugkulter, dem damit verknüpften Festwerden des Grundeigentums und seiner Vererbung auf die männliche Arbeitskraft müssen dann durchgreifende Änderungen im Sinne des Patriarchats zustande gekommen sein; obwohl gerade das Beispiel von Ägypten zeigt, daß Ackerbau und Weiberherrschaft vereinbar waren. Drittens kommen wir nun zu den direkten Beispielen für mutterrechtliche Weiberherrschaft. Sie haben in jedem einzelnen Falle für sich Beweiskraft genug; allgemein und für die Vorzeit gelten sie indes nur, wenn wir der Annahme folgen, daß die primitiven Völker der neueren Zeit noch immer auf der uralten, vorzeitlichen Kulturstufe stehen.

Den klaren mutterrechtlichen Typus, von dem ich eben sprach, belegt der Missionar Wright von einem Irokesen-Stamm:

»Gewöhnlich beherrschte der weibliche Teil das Haus, die Vorräte waren gemeinsam; wehe aber dem unglücklichen Ehemann oder Liebhaber, der zu träge oder ungeschickt war, seinen Teil zum gemeinsamen Vorrat beizutragen. Einerlei, wieviel Kinder oder wieviel Eigenbesitz er im Hause hat, jeden Augenblick konnte er des Befehls gewärtig sein, sein Bündel zu schnüren und sich zu trollen. Und er durfte nicht versuchen, dem zu widerstehen, das Haus wurde ihm so heißgemacht, und es blieb ihm nichts, als zu seinem eigenen Klan zurückzukehren oder aber, was meist der Fall war, eine neue Ehe in einem andern Klan aufzusuchen. Die Weiber waren die große Macht in den Klans und auch sonst überall. Gelegentlich kam es ihnen nicht darauf an, einen Häuptling, abzusetzen und zum gemeinen Krieger zu degradieren.

In der Himalaya-Gegend ist die Polyandrie am meisten verbreitet. In Lada heiraten sämtliche Brüder einer Familie zusammen eine Frau. Diesen Brüdern gegenüber scheint sie eheliche »Pflichten« zu haben. Denn sie darf sich außerdem noch einen fünften oder sechsten Gatten nach eigenem Geschmack wählen. Die Brüder sind offenbar zufrieden, ohne daß sie sich psychologisch bemüht.

Bei den alten Arabern existierte eine Form der ehelichen Gemeinschaft zwischen einer Frau und einer größeren Anzahl von Männern. Die Frau deutete ihre Wünsche dadurch an, daß sie eine Flagge vor ihre Türe hing. Bei der Geburt eines Kindes wurden die Männer bei ihr versammelt, Sachverständige untersuchten die Kennzeichen der Ähnlichkeiten und ernannten einen der Männer zum Vater, welche Ehrenpflicht dieser ohne Widerstand hinnehmen mußte. Leider wissen wir recht wenig davon, wie sich die inneren Beziehungen solcher polyandrischen Ehen gestalteten.

Um noch einen Augenblick bei Afrika zu bleiben, erwähne ich, daß bereits Diodor von den mutterrechtlichen Verhältnissen dieses Erdteils zu erzählen weiß. Er hat seine Kenntnis wohl aus alten ägyptischen Quellen gehabt, denn er sagt, daß »die Dinge schon in der Vorzeit so gewesen seien. Die Weiber verwalten alle obrigkeitlichen und öffentlichen Ämter. Die Männer dagegen besorgten, so wie bei uns Griechen die Hausfrauen, das Hauswesen und lebten dem Willen ihrer Gattinnen gemäß. Sie wurden weder zum Kriegsdienst, noch zur Regierung, noch zu sonst einem öffentlichen Amt zugelassen, dessen Gewicht ihnen höheren Mut eingeflößt hätte, sich den Weibern zu widersetzen. Die Kinder wurden gleich bei ihrer Geburt den Männern übergeben, die sie mit Milch und sonstiger Nahrung je nach dem Alter aufziehen mußten.«

Mitten in der heutigen vaterrechtlichen Kultur finden wir allenthalben eingesprengte Enklaven des Mutterrechts, sogenannte Weiberdörfer. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß diese scharf lokal abgegrenzten Ausnahmen direkte Reste eines seit Jahrtausenden nicht mehr vorhandenen gegensätzlichen Allgemeinzustandes sein sollen. Vielmehr werden merkwürdige, lokal bedingte Wirtschaftsformen den Ausschlag für das Entstehen einer Weiberherrschaft gegeben haben, zu deren Ausgestaltung ja die menschliche Psyche immer wieder von neuem fähig ist. Beispiele dafür stammen aus Japan, Nigeria, Frankreich und England und könnten beliebig vermehrt werden.

An der vom Großen Ozean bespülten Küste Japans liegt seit mehr als einem Jahrtausend eine Ansiedlung, die schlechthin als einzigartig auf der ganzen Erde bezeichnet werden kann. Es ist ein echtes Weiberdorf, in dem die Männer eine ganz geringfügige Rolle spielen. Die Frauen sind dort nicht nur die Häupter der Familien, sondern sie sorgen auch für deren ganzen Unterhalt. Sie werden von den Japanern selbst »Nymphen« genannt, weil ihr Gewerbe darin besteht, in der Bucht von Schima, an der das Dorf gelegen ist, nach Perlen zu tauchen. Diese Weiber verbringen bis zu zehn Stunden täglich im Wasser, im Winter zwar nicht ganz so lange, aber immerhin zwei bis drei Stunden. Sie sind im Tauchen so geübt, daß sie zwei und manchmal drei Minuten unter Wasser verharren können. Mit dieser mühsamen und angestrengten Arbeit ist ihre Tätigkeit noch nicht zu Ende, sondern wenn sie aus den Fluten ans Ufer gestiegen sind, beginnt ihre Sorge für den Hausstand und die Kinder. Die Männer betreiben dafür den ganzen Tag das angenehme Geschäft des Müßigganges. Ihr einziger Nachteil besteht darin, daß sie nach gerechtem Maß, also sehr wenig geachtet werden. So wird dann auch die Geburt eines Knaben als ein Unglück betrachtet, die eines Mädchens dagegen mit großer Freude begrüßt und gefeiert. Die jungen »Nymphen« werden schon vom vierten Lebensjahr an mit dem nassen Element vertraut gemacht und müssen das Schwimmen und Tauchen eifrig üben, damit sie schon mit dem dreizehnten Jahr in das Geschäft eintreten können. Sie erarbeiten sich dann zunächst ihre Mitgift. Die Männer von Schima sehen daher beim Heiraten weniger auf die Schönheit ihrer Zukünftigen, als auf den Grad ihrer Geschicklichkeit im Tauchen. Die Frauen betreiben das Gewerbe ungefähr bis zum vierzigsten Jahr. Dann sind sie gewöhnlich bereits Großmütter geworden und dürfen sich nun ausschließlich der Kinderpflege widmen. Die Männer werden in dem Hausstand nur als Bediente betrachtet und danach behandelt.

Im Kulturlande Ägypten erreichte die Weiberherrschaft vor fünftausend Jahren den Höhestand juristischer Verklausulierung. Die Frau von Stande schloß komplizierte Eheverträge mit ihrem Gatten. Da werden dem Mann für geringfügige Verstöße die höchsten Konventionalstrafen aufgelegt, da behält die Frau vollstes Verfügungsrecht über Eingebrachtes und Erworbenes. Sie hat die Führung jedweder Geschäfte zugunsten ihres eigenen Vermögens. Sie hat das Recht auf Ehescheidung und auf eigenwilliges Verlassen des häuslichen Herdes. »Wenn ich dahinkomme, dich zu verachten und einen anderen Mann zu lieben, werde ich dich mit einer Summe von … abfinden«, heißt es in einem Ehevertrag. Unterfrauen kamen vor, aber die »große« Gemahlin war klug genug, im Vertrag die Angelegenheit von vornherein so zu regeln, daß die andern bloße Dienstmädchen bleiben würden.

Sie ließ auch Hypotheken auf den Grund des Mannes eintragen und kündigte sie rücksichtslos mit allen verderblichen Folgen damaliger Schuldhaftung, wenn der Mann Miene machte, eine Nebenherrscherin ins Haus zu bringen. Das Weib war in allem die Hauptsache. Isis, die Weibergottheit, war die Herrin der Erde. Inschriften nennen den Namen der Mutter, vom Vater ist nicht die Rede. Diese Gesellschaftsordnung funktionierte bis ins zweite Jahrhundert vor Christus, wo die Geschäftsfähigkeit der Frau im vaterrechtlichen Sinn eingeschränkt wurde. Die Herrlichkeit Ägyptens war damals auch schon hin. Aber vorher? Die langen Jahrtausende glänzender Kulturentwicklung, die kein Volk der Erde gleichwertig danebenzustellen hat? Die Herren von der »Effeminations«-Wissenschaft dürfen mich darüber belehren, daß Ägypten an der Weiberherrschaft zugrunde ging, als sie bei den Römern – – gleichfalls in Blüte stand.


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