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2. Physiologische Spiegelungen.

Es ist eine allgemein verbreitete, ja eine allgemein anerkannte Ansicht, daß die Prostitution den tiefsten Stand darstellt, auf den ein Weib zu sinken vermag. Es wäre schön, wenn das ethische Empfinden der Menschheit dieses Urteil diktierte. Man sieht die Erniedrigung der Prostituierten in der Ausschließlichkeit, mit der Geld ihre Gunst zu verschaffen vermag. Aber das gleiche Moment läßt sich doch auch gegen das Verhalten des Mannes anführen, und es ist noch sehr zweifelhaft, ob es bei einer ethischen Bewertung des Liebeslebens minderwertiger ist, Liebe zu kaufen als zu verkaufen.

Ein zweiter Grund für die Ächtung der Dirne wird in dem Mangel aller psychischen Bande gesucht, der sich in der Wahllosigkeit ihres Geschlechtsverkehrs offenbart. Auch hier müßte den die Prostituierte benutzenden Mann die gleiche Mißachtung treffen. In Wirklichkeit sind all diese Momente, die Verquickung mit ökonomischen Vorteilen und das Fehlen aller psychischen Beziehungen nur sekundärer Art; es lassen sich Kombinationen denken, bei denen die gleichen Prinzipien der Käuflichkeit und Wahllosigkeit zutreffen, ohne daß das Mädchen von der gesellschaftlichen Ächtung betroffen wird. Die Stellung der Dirne im sexuellen Leben, die Verachtung, die sie trifft, läßt sich wahrscheinlich restlos nur als ein Urteil auf erotischer Basis erklären, das, sagen wir ruhig instinktiv, von der Empfindung ausgeht, daß der Geschlechtsverkehr mit der Dirne vom Standpunkte der Erotik aus das absolute Null bedeutet, wohlgemerkt das absolute Null für die Dirne selbst, nicht aber für den Mann. Schon weil der die Dirne benutzende Mann durchaus nicht von der Abneigung der Öffentlichkeit betroffen wird, scheinen nicht ethische Prinzipien wirksam zu sein, sondern rein sexuelle, die ihre Basis in der Verschiedenheit der Geschlechtsempfindungen von Mann und Weib besitzen. Ich möchte auf diesen Punkt auf das nachdrücklichste hinweisen, obwohl es eine sehr gefährliche Sache ist, die Ansicht zu vertreten, daß Männer und Frauen verschieden sind, das heißt verschieden auch in dem, was nicht ihre absolute Physis ist. Die Frauen, die in der Wahrung ihrer Interessen seit einigen 20 Jahren ungeheuer eifrig sind, sehen schon in dieser Betonung der Verschiedenheit der Geschlechter sofort die beleidigende Behauptung, sie seien von der Natur mit geringeren geistigen Kräften ausgestattet als ihr männliches Widerspiel. Die unlogische Fragestellung, die wir noch an anderen Orten bewundern werden, ist auch hier der Grund zur Verwirrung. Die individuelle, außerordentlich große Variationsbreite der geistigen Veranlagung reicht weit, das kann man nicht bezweifeln, über die den einzelnen Geschlechtern gegebene Variationsbreite hinaus. Nun könnte man am besten mit der Methode der arithmetischen Mittel aus dem geistigen Niveau der Männer und Frauen den »Durchschnitt« ziehen, was wiederum der Grund zum endlosen Parteihader werden würde, da man sich rechts und links niemals einigen könnte, wieviel Straßenkehrer auf einen Professor gehen und wieviel Dienstmädchen auf eine Suffragette oder umgekehrt Was für die Sexualität das Entscheidende ist, dürfte doch höchstens das eine sein, ob das mit der Physis engverknüpfte Seelenleben oder das kalt rechnende Denkvermögen, das wir Geist zu nennen pflegen, dominierten.

Man hat bekanntlich die Frage der geistigen Veranlagung durch allerhand komplizierte Hirnwägungen zu klären versucht und ist dabei zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, daß sich auf diesem Wege prinzipielle Unterschiede nicht feststellen lassen. Ein Unternehmen, das schon dadurch lächerlich war, weil man nur den Beweis für eine Tatsache suchte, die in den Verhältnissen gegeben war. Nach dem ganzen Verlauf der Geschichte haben die Männer auf geistigem Gebiet ein Plus an Leistungen aufzuweisen, und wenn trotz dieser Tatsache die geistige Überlegenheit der Männer in Zweifel gezogen wird, so soll zunächst einmal nachgewiesen werden, wie sie zu diesen Mehrleistungen gekommen sind.

Es ist mir zunächst nicht recht erfindlich, warum man ausgerechnet an diesen sekundären Geschlechtsmerkmalen die Rätsel der Sexualität lösen wollte, und es ist kein Wunder, daß der etwas kleinere Schädel über psychische Unterschiede ebensowenig Aufschlüsse gewährt wie das breitere Becken. Aufschlüsse gewährt dagegen die ganz einfache Untersuchung der Geschlechtswerkzeuge und der primitiven Geschlechtsunterschiede des Menschen.

Es ist charakteristisch für die Oberflächlichkeit der medizinischen Betrachtungsweise, daß man, ohne einen Beweis für nötig zu halten, die Zentren sexueller Wollustempfindungen in dem männlichen Gliede und in der weiblichen Scheide zu sehen glaubt. Wir werden sehen, daß diese Ansicht durchaus falsch ist.

Man sagt gewöhnlich, daß die männliche Libido, im Bilde der Kurve gesprochen, schneller ansteige als die weibliche Libido. Die Ansicht hat etwas Richtiges, bedarf jedoch einer gewissen Einschränkung, weil die Geschlechtsempfindung der Frau viel komplizierter ist als die des Mannes. Der Mann besitzt, solange er physisch intakt ist, die Möglichkeit der sexuellen Erregbarkeit immer. Durch die bloße Reizung der feinen Krauseschen Nervenendkörperchen des Gliedes ist der Mann in der Lage, sich spontan und immer durch die bloße Reizung dieser Körperchen zu befriedigen. Für den Mann bedeutet das Erklimmen der höchsten Reizung der Nerven des Gliedes, die von der Ejakulation begleitet sind, den Genußgipfel, auf den die Entspannung folgt. Die Folklore zeigt, daß in den Erzählungen aller Völker die Befriedigung des Mannes durch die bloße physische Reizung, die zur Ejakulation führt, als Detumeszenzerscheinung gekannt wird. Dem südslawischen Bauer, der zur Detumeszenz gelangen will, ist es ziemlich egal, ob er dazu ein Loch in der Zaunplanke, die Nüstern eines Ochsen, den Anus eines Jünglings oder ein Weib benutzt. Der Schnellverkehr durch die Prostitution stellt für den Mann unserer Tage, dem das Loch in der Zaunplanke nicht ästhetisch genug ist, die völlig befriedigende und bequemste Detumeszenz dar. Das Glied ist also derjenige Körperteil, in dem alle Möglichkeiten sexueller Reizungen und Erregungen sich vereinigen – natürlich nicht erschöpfen; dann auch Hände, Fußsohlen, Rückgrat, Mund, Anus usw. sind, wenn auch erst in zweiter Linie, erotogene Zonen. Nun ist es jedoch sehr fraglich, ob die Reizung dieser Stellen an sich eine zum Orgasmus und zur Detumeszenz führende Erregung hervorzurufen imstande ist oder ob in Fällen, wo es äußerlich so scheint, erst begleitende, aus dem Zentralnervensystem hervorgehende Phantasievorstellungen den Orgasmus und die Befriedigung hervorrufen. Ich will diese Frage hier nur aufwerfen und werde bei der Behandlung des Faszinationsbedürfnisses des Mannes durch das Weib noch darauf zurückkommen.

Ganz anders vollzieht sich die sexuelle Reizung beim Weibe. Es ist eine alte Erfahrung aller Liebeskünstler und Erotiker gewesen, daß das Weib nicht bei einer sofortigen Vereinigung mit dem Manne, den sie eben erst kennen lernte, ihren Lustgipfel zu erreichen imstande ist. Das Weib will verführt werden, will vom Manne umworben und in Stimmung gebracht werden, bevor der Akt sich vollzieht. Alfred Kind hat in einem Werke über die Weiberherrschaft für die Tatsache die Formulierung gefunden, daß der Lust ein Vorluststadium vorgelagert ist; die physischen Wurzeln dieser Erscheinung sind jedoch bis jetzt noch nicht aufgedeckt. Ich sprach vorhin von dem, was man über die Lustempfindung des Weibes in der Vagina bisher gesagt hat. Man behauptet, daß die Reizung der Vagina wesentlich langsamer vor sich ginge als die Reizung des männlichen Gliedes. Man spricht ferner von einer mangelnden Reizbarkeit bei 40 % der Frauen, und will damit sagen, daß diese vielen Frauen niemals denjenigen Lustgipfel zu erklimmen in der Lage seien, den der Mann bei der erotischen Befriedigung erreicht. Die Erfindung dieses neuen Mankos auf seiten der Weiber paßt gut in das Herrschaftssystem des Mannes. Die Anatomie der Geschlechtsorgane redet jedoch eine andere Sprache.

Die erotogene Zone ist beim Weibe in viel höherem Maße als beim Manne über den ganzen Körper ausgebreitet. Der weibliche Körper ist in viel höherem Maße sexuell empfindlich als der männliche, und gerade in diesem Sinne wird die Notwendigkeit der Vorlust verständlich. Es müssen bei der Frau zunächst die peripheren Gegenden der erotogenen Zone gereizt werden, die Reizung der Hände, der Arme, der Beine, vornehmlich der Brustdrüsen dient dazu, dem Weibe denjenigen Grad sexueller Erregung zu schaffen, den ich als Vorlust bezeichnet habe. Die Vorlust des Weibes steigt aber langsam an. Sie ist begleitet von dem psychischen Hinausgleiten aus der Alltäglichkeit, sie hat die Aufgabe, das Weib erst in denjenigen Zustand zu versetzen, in dem die zentralen erotischen Reizungen Genuß zu verschaffen in der Lage sind. Diese sind aber durch die Geschlechtsorgane bedingt. Es zeugt zunächst schon von einem bedenklichen Grade Unlogik, wenn dieselben Forscher, die phylogenetisch die Gleichheit des männlichen Gliedes mit der weiblichen Klitoris betonen, gleichzeitig stillschweigend von der Voraussetzung ausgehen, daß das »Reizorgan« des Mannes das Glied, das »Reizorgan« des Weibes die Scheide sei. Adler hat in seinen Untersuchungen über die Frigidität des Weibes schon offen zugegeben, daß die glans clitoridis die Hauptreizstelle für das Weib darstellt, daß sie aber infolgedessen zur Detumeszenz notwendig gereizt werden muß, dieser ganz einfache Schluß ist ihm entgangen. Er steht geradezu wie gebannt auf dem Standpunkte, weil der Koitus das Ziel des Geschlechtsverkehres sei, müsse auch die Vagina die hauptsächlich erotogene Zone sein. Dabei ist die organische Gleichheit von Klitoris und Glied gegeben. Bei beiden steigt die Libido zum Lustgipfel mit rasender Schnelligkeit an und vermag ebenso schnell wieder abzufallen. Hier ist eine mit so feinen Krauseschen Nervenendkörperchen ausgerüstete Stelle des weiblichen Genitalapparates, daß sie automatisch wie bei der Reizung des männlichen Gliedes zu einer Steigerung der Libido und zu einem Eintritt in den Orgasmus führt.

Ganz anders liegt es mit der Erregbarkeit der Vagina. Schon die Schleimschicht, mit der die Scheide des Weibes bedeckt ist, schließt eine so subtile Reizbarkeit wie die der Klitoris aus, und tatsächlich ist die Bedeutung der Reizung der Vagina für das Sexualleben des Weibes eine ganz andere. Eine bloße Reizung der Scheide genügt nicht, um beim Weibe Orgasmus eintreten zu lassen. Das Weib kommt höchstens in Vorlust, wie bei der Reizung an der Peripherie der erotogenen Zone; und dies ist der Grund, weshalb die langandauernde Reizung der Vagina von den Frauen gewünscht wird. Nach der rasend schnell zum Orgasmus eilenden Reizung braucht das Weib zur Entspannung, zur völligen Befriedigung die Friktion der Scheide. Sie erst bringt das Weib aus der fieberhaften Erregung in das ruhige Gefühl der Erhöhung des Lebensgefühls, die den Sinn des Geschlechtslebens bildet. Der Lustgipfel ist durch die Reizung der Klitoris erreicht, und das langsam anhaltende Reizen der Vagina bedeutet ein langsames Abschwellen der erotischen Erregung.

Während also für den Mann die bloße, zur Ejakulation führende Reizung in der Regel zum Orgasmus und zur Detumeszenz genügt, ist für die Frau ein viel komplizierterer Prozeß nötig. Die durch den Koitus erzielte Reizung der Vagina versetzt sie höchstens in Vorlust. Vorangehen muß zuerst das langsame Anschwellen der erotischen Erregung, hervorgerufen durch die Umwerbung des Mannes durch das Liebesspiel und durch die Reizung der peripheren Organe, die eine erotische Individualspannung zu akkumulieren fähig sind. Vorangehen muß ferner die zum Orgasmus führende Reizung der Klitoris, und erst dann ist für die Reizung der Vagina nach der Bestimmung der weiblichen Sexualität der Platz gegeben, dann bedeutet sie die vollkommene Detumeszenz, das vibrierende Abschwingen der sexuellen Reizung.

Das sexuelle Empfinden des Weibes ist über die Umwerbung des Mannes und den Begattungsakt weiter ausgedehnt, es schließt die Mutterschaft und die Laktation ein. Ich glaube nachweisen zu können, daß bei dem Weibe auch über die Begattung mit dem Manne hinaus ein Trieb nach dem Kinde besteht oder wenigstens bestehen kann. Es ist ferner bekannt, daß Frauen, denen im Begattungsakt die sexuelle Erregung fehlte, bei der Laktation ihre heftigsten sexuellen Reizempfindungen verspürten. Ich möchte hier die sexuellen Reizungen der Mutterschaft nicht eingehender besprechen, weil sie für das Gebiet der Prostitution von nur negativer Bedeutung sind. Ich möchte jedoch noch ausdrücklich darauf hinweisen, wie völlig verkehrt es ist, Geschlechtstrieb mit Fortpflanzungstrieb zu verwechseln. Wenn man bei der Frau nur sehr bedingt von einem Triebe zur Mutterschaft sprechen kann, so wäre es völlig falsch, auch beim Manne einen Trieb zur Vaterschaft anzunehmen, als ob damit irgendwelche sexuellen Reize verbunden wären. Von der Vaterschaft merkt man unter Umständen herzlich wenig, und sie soll auch gar nicht immer beabsichtigt werden. Es ist aber durchaus falsch, Geschlechtstrieb mit Fortpflanzungstrieb zu identifizieren. Es gibt zwar einen Geschlechtstrieb, aber nur einen Fortpflanzungszweck.

Der Soziologe spricht natürlich mit emphatischer Ausschließlichkeit vom Fortpflanzungstriebe, und unter seiner Feder wird die Liebe ein ganz absonderliches Monstrum. Havelock Ellis sagt in der »Soziologie des Geschlechtslebens«: »Die Liebeskunst umfaßt allerdings auch so elementare Dinge wie die sexuelle Hygiene, aber sie erstreckt sich auch auf die ganze erotische Taktik in der Ehe, darin liegt ihre große Bedeutung für das Wohlbefinden und Glück des Individuums, für die Dauerhaftigkeit der Formen geschlechtlichen Zusammenlebens und für die Erhaltung der Rasse, denn die Liebeskunst ist am Ende die Kunst, die richtigen Bedingungen der Fortpflanzung zu finden.« Es sind platonische Ideen über Menschenzüchtung, die der Verfasser hier entwickelt, und es scheint mir beinahe, daß die Liebe bei allen, die eine derartige rassenmäßige Auslese propagieren, auch platonisch bleiben dürfte. –

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Die von mir entwickelte Theorie von der Verschiedenheit der physischen Grundlagen des sexuellen Empfindens findet in den im Liebesleben gegebenen Tatsachen vollkommen ihre Bestätigung. Der Berliner Sexualforscher Alfred Kind stellte in seinem Werke »Die Weiberherrschaft« alles Material zusammen, das zu einer Herrschaft des Weibes über den Mann führt auf der Grundlage des erotischen Empfindens. Er gelangt bei seinen Arbeiten u. a. zu dem Ergebnis, auf Grund rein psychologischen Beobachtungsmaterials und ohne die physischen Grundlagen der Erscheinung aufzudecken, daß das Weib die Umwerbung des Mannes, die ihr Vorlust verschafft, braucht, um den Lustgipfel zu erklimmen. Auch er zieht in diesen Gedankenkreis bereits die Erscheinungen der geschlechtlichen Unersättlichkeit und der Frigidität des Weibes. Während die Unersättlichkeit in den Motiven des Folklore dominiert, ist in unserer Zeit die Frigidität auf die Tagesordnung gerückt. Diese beiden Erscheinungen lassen sich restlos auf Grund der von mir aufgestellten Theorie über die Psychologie des weiblichen Geschlechtslebens erklären. Sie beruhen auf der mißbräuchlichen Benutzung des Weibes, auf einer Benutzung des Weibes, die nur auf eigne Detumeszenz des Mannes gerichtet ist, nicht aber auf eine Detumeszenz der Frau. Das Weib gerät bei einer bloßen Reizung der Vagina, also beim Koitus ohne Umwerbung und ohne Reizung der Klitoris, nur in Vorlust, sie »kommt nicht zu Ende«. Weil sie aber in Vorlust gerät, will sie weiter. Sie will mit ihrer erotischen Spannung »fertig werden«, und da sich ihr erotisches Leben auf den Koitus beschränkt, sie aber durch den bloßen Koitus nicht fertig werden kann, strebt sie nach einer außerordentlichen Steigerung der erotischen Reizungen. Es ist ja ein bekanntes, in allen Gegenden der Welt wiederkehrendes Bauernsprichwort, das die Deutschen des 17. Jahrhunderts in die prägnante Fassung gebracht haben, daß dreierlei unersättlich sei: die Pfaffen, die Landsknechte und der Frauen Bauch.

Die angebliche Frigidität oder Geschlechtskälte der Frauen ist aber auch nichts anderes als die Folge eines Verkehrs, der sie selbst nicht zur Detumeszenz kommen läßt. Es ist nur die moderne Fassung der gleichen Erscheinung nach der Art eines psychologischen Romans. Die natürliche Frau, die mit dem Koitus noch nicht abreagierte, will immer weiter koitiert werden, weil sie endlich auf eine Erfüllung hofft, auch das kommt ja noch unter den modernen Großstadtfrauen vor. Die neurasthenische Frau der Gegenwart empfindet Ekel vor dem Koitus, der ihr doch nicht die gewünschte Entspannung zu verschaffen vermag; sie entwickelt nicht immer größeres Feuer, um die Entspannung sozusagen zu erzwingen, sondern sie erschlafft. Die Geschichte hat viele Beispiele, daß eine Schuld auf das Konto der Frauen verbucht wird, die auf das der Männer gehört. Der Mann versteht die Frau nicht zu erregen, er kann sie erotisch nicht fesseln, er setzt bei ihr eine Form des erotischen Empfindens voraus, die sie tatsächlich nicht besitzt, und er verlangt einfach, daß sie mitmacht, sie kann aber nicht, weil sie ganz anders organisiert ist, weil ganz andere Momente dazu gehören, um ihre Sexualität zu reizen; anstatt nun aber zu erklären, daß der Mann ein Unfähiger ist, der sie nicht zu befriedigen versteht, wird argumentiert, daß die Frau eben keine Geschlechtsempfindung habe, daß sie frigide sei.

Die geschlechtliche Überreizung und Überempfindlichkeit in den Wechseljahren wurde ja vor einigen Jahren durch einen großen Bucherfolg unter der Bezeichnung des »gefährlichen Alters« aktuell. Die Stellungnahme der Öffentlichkeit war seinerzeit sehr geteilt, es scheint mir jedoch ein bedeutsameres Symptom zu sein, daß das Buch gekauft wurde, als daß man es verurteilte. Die Erscheinung, daß eine Frau in den Wechseljahren eine gesteigerte Gier für sexuelle Erregungen zeigt, fügt sich restlos in das System der sexuellen Empfindungen ein. In jenen Jahren erlischt bekanntlich die Fähigkeit, in der sexuellen Erregung den Orgasmus zu erklimmen, und es ist durchaus verständlich, wenn die Frau durch eine gesteigerte Sexualität jenen Gipfel erlangen zu können glaubt, der ihr früher die seelische Entspannung gebracht hat. Einfach, weil die Reizung nachgelassen hat, besteht die gesteigerte Gier nach sexueller Erregung, nach dem Erklimmen des Lustgipfels. Aus der Verschiedenheit der physiologischen Reizbarkeit der Genitalsphäre bei Mann und Weib lassen sich die gewichtigsten psychologischen Unterschiede im Liebesleben ohne weiteres folgern.


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