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4. Liebe und Koitus.

Der Koitus, den bereits die jesuitische Geschlechtsmoral mit paulinischer Nachsicht betrachtete, ist auch für die moderne medizinische Sexualwissenschaft das Nonplusultra, die ideale Form allen Geschlechtsverkehrs oder die normale Form, was ziemlich dasselbe ist, geworden. Alfred Kind hat bereits auf diesen Zusammenhang moderner medizinischer Sexualforschung mit jesuitischer Geschlechtsmoral hingewiesen. Es ist bekannt, daß die jesuitische Moral nur eine Form für den »Gebrauch eines Weibes« zuließ, bei der der Mann auf dem Weibe als der Sukkuba den hastigen Inkubus vornimmt oder, wie das Volk sagt, den »Fünfminutenbrenner«. Jede andere Form geschlechtlicher Betätigung ist Sünde. Es haben sich ja noch in manchen kirchlichen Kreisen diese Vorstellungen bis auf den heutigen Tag erhalten, daß man nur ja nicht nach einer Erhöhung des geschlechtlichen Reizes streben darf oder zum mindesten, »Schweinereien« könne man mit seinem Verhältnis machen, aber nicht mit der Ehefrau.

Die moderne medizinische Sexualwissenschaft hat den Begriff der Sünde formal allerdings ausgeschaltet; sie hat aber dasselbe Ding, das früher theologisch geprägt war, ins Medizinische umgeprägt und durch die Bezeichnung: pervers ersetzt. Pervers ist nach ihr im letzten Grunde alles, was nicht Koitus ist. Es lohnt sich nicht, die Psychologie nachzuprüfen, wie diese gelehrte Richtung zu unlogischen Vorstellungen gekommen ist. Die Sympathie mit der Vergangenheit war jedenfalls auch bei den Medizinern sehr stark, trotzdem man sich selbst immer als Begründer von etwas Neuem hinzustellen beliebte. Es ist sehr bequem, die jesuitischen Lehren einfach zu übernehmen und nur neu zu färben. Die Wissensgöttin, die »in voller Rüstung aus dem Haupte des Zeus entsprang«, ist nichts als eine geschminkte Großmutter. Hinzu kommt, daß die Begründer der Sexualwissenschaft Männer waren, und zwar Männer, denen intensives erotisches Erleben sehr wenig zu liegen scheint und die darum eben in allen Versuchen der erotischen Nomenklatur einfach einen unglücklichen Griff hatten. Wir werden das noch später genauer sehen.

Hinzu kommt aber noch eine andere Erscheinung. Auch Frauen fingen bekanntlich an, die »Wissenschaft, die noch in den Kinderschuhen steckte«, zu fördern und sie mehr und mehr in das Gebiet einer vorbereitenden Sexualreform zu lenken; eine Umbiegung, die sich heute, wie ich schon in der Einleitung betonte, verwirklicht hat; heute sucht man nicht mehr das Sexualleben zu erforschen, wahrscheinlich kennt man es, und man weiß sogar, daß es verwahrlost ist, man will das Sexualleben sanieren. Die Forscherfrauen empfanden die sexuelle Lage der Gegenwart als morbid, ja geradezu als Krise. Aus welchem Grunde, bleibe uns erspart zu sagen. Diese Frauen stellen nun, da der Mann ihnen sexuelle Befriedigung nicht verschafft hatte, das Sexualleben unter den Gesichtspunkt der Kinderzeugung. Es begann das Jahrhundert des Kindes in der Sexualität, die Frau suchte sich durch das Gebären und die mit ihm verbundenen sexuellen Reize für die mangelnde erotische Erregung beim Manne schadlos zu halten. Damit rückte in den Mittelpunkt des sexuellen Problems das Mutterschaftsproblem; die Mutterschaft wurde der hauptsächlichste erotische Reiz der Frau, und damit war auch der Koitus als Zentrum im Sexualleben der Frau gegeben. Der Geburtsakt kann aber nur ein Surrogat sexueller Detumeszenz im Verhältnis zu der allgemeinen Detumeszenz im Geschlechtsverkehr mit dem Manne sein.

Die völlige Entspannung kann nur eintreten, wenn auch die Berührung mit dem Manne eine Detumeszenz bedeutet. Die Entspannung kann aber für das Weib nur eintreten bei einem Koitus, dem die Umwerbung des Mannes vorangegangen ist, die dem Weibe Vorlust erzeugt und bei einer entsprechenden Reizung der Klitoris, die nota bene auch nur im Koitus möglich ist. Magnus Hirschfeld trifft sicherlich nicht den Nagel, geschweige denn den Kopf des Nagels, wenn er von der heterosexuellen Liebe spricht: »Die unkomplizierte Liebe zwischen Mann und Weib« – d. h. also der »Fünfminutenbrenner« – »ist der breite fruchtbare Strom, die Hauptschlagader für das Leben und dementsprechend auch für die Sexualwissenschaft.« Die Erkenntnis davon, daß dieser brutale Koitus nur dem Manne Detumeszenz zu verschaffen vermag, nicht aber dem Weibe, zwingt mit logischer Konsequenz zu der Auffassung, daß er nicht die alleinseligmachende Form des Geschlechtsverkehrs sein kann, daß er vielmehr nur »eine von vielen gleichwertigen, die Detumeszenz herbeiführenden Lusthandlungen ist«, wie Alfred Kind seine Definition geprägt hat.

Die Abneigung gegen die Spielarten beruht ja auch einfach nur darauf, daß der Koitus diejenige Form geschlechtlicher Detumeszenz ist, die allein die Brücke zwischen Geschlechtsgenuß und Zeugung schlägt. Als man begann, den ganzen Geschlechtsverkehr unter dem Gesichtspunkte des Erzielens von Nachkommenschaft zu sehen, hat man damit, psychologisch betrachtet, eine dem Geschlechtsverkehr fremde Vorstellung in die Sexualpsychologie hineingetragen, und man hat den persönlichen Wert des geschlechtlichen Verkehrs vernachlässigt. Man hat darüber vergessen, daß mit ihm das Gefühl der Erhöhung des Lebens, der Lebenskraft verbunden ist. Die Theorie, daß das Ziel des Geschlechtsverkehrs darauf tendieren müsse, daß man mit jeder Detumeszenz nach Möglichkeit eine Garantie von Nachkommenschaft verbindet, oder daß man für die Detumeszenz eine Form suchen soll, die mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit das Eintreten von Schwangerschaft begünstigt, läßt sich biologisch sehr einfach ad absurdum führen.

Es herrscht bekanntlich in der Sexualität aller Lebewesen eine ungeheure Keimverschwendung. Ich erinnere an die zahllosen Blüten der Bäume, von denen nur wenige zur Fortpflanzung kommen, ich erinnere für den Menschen daran, daß im weiblichen Eierstock Tausende von ovula angelegt sind, daß sich alle Monate ein ovulum ablöst und daß eine ungleich größere Zahl monatlich zugrunde geht. Die sexuellen Apparate aller auf geschlechtlicher Fortpflanzung aufgebauten Lebewesen setzen eine ganz maßlose Verschwendung in ihrem sexuellen Leben voraus.

Die Zahl der für das einzelne Individuum notwendigen Detumeszenzen ist individuell außerordentlich verschieden. Sie variiert etwa zwischen dreimal täglich und zweimal monatlich. Man kann also schlechterdings nicht einmal dem Mann den Versuch zumuten wollen, daß mit jeder Schwangerschaft eine Detumeszenz verbunden wird. Es geht also nicht recht, die Schmähungen gegen die »Perversionen« biologisch zu begründen, denn die Natur ist lange nicht so konservativ wie ihre Anbeter. So ist all dies Kampfgeschrei nichts besonders Eindrucksvolles, nur eine fade Verkennung der ungeheuren psychischen Werte der Sexualität. Die Verschwendung der Keimprodukte in der gesamten, auf Fortpflanzung aufgebauten Welt schließt einen biologischen Einwand gegen die Spielarten der Liebe aus. Da aber der brutale, der unkomplizierte Koitus, psychologisch betrachtet, den Sinn der Liebe nicht erfüllt, ist die grundlegende Bedeutung der Spielarten der Liebe für die gesamte Sexualität gegeben.

Die Mediziner wurden bei ihrer Polemik gegen die Spielarten der Liebe dem psychologischen Kerne durchaus nicht gerecht. Es ist vielleicht einfach, die Bedeutung des verliebten Spieles zu ignorieren und sich darüber hinwegzusetzen, daß die Detumeszenz und nicht die »perverse Handlung« an sich das Ziel zu sein braucht. Man will das Liebesleben reicher, mannigfaltiger gestalten, das ist das Wesentliche, allen Fällen Gemeinsame.

Der Versuch einer wissenschaftlichen Durchsetzung der Variationen des Liebeslebens wurde zuerst von Krafft-Ebing versucht. Aber es kamen nur einige Wortungeheuer heraus. Psychopathia sexualis wurde der Sammelbegriff für die verschiedenen Sorten von Perversitäten, den Sadismus, Masochismus, Fetischismus usw.

Daß Sadismus und Masochismus die Freude am Quälen oder am Gequältwerden bezeichnet, ist sattsam bekannt. Thoynot hat den Begriff des Sadismus im Sinne Krafft-Ebings noch etwas erweitert und hat ihn folgendermaßen definiert: Sadismus ist die Perversion des Sexuallebens, bei der der Betreffende sexuellen Genuß darin findet, Schmerzen von sehr verschiedenen Graden einem andern zuzufügen, sei es, daß er selbst sie zufügt oder zufügen läßt, oder, ohne Urheber derselben zu sein, dabei zuschaut. Die leidende Person muß aber immer ein menschliches Wesen sein.

Thoynot und später von Schrenck-Notzing haben jedoch die Begriffe von Sadismus und Masochismus noch in anderer Weise sehr wesentlich erweitert, indem sie zum ersten Male auf die Zusammenhänge hinwiesen, die innerlich zwischen Sadismus und Masochismus bestehen und eine gleiche Empfindungsweise bei beiden Teilen erkennen lassen; Thoynot und von Schrenck-Notzing stimmen darin überein, daß die Verbindung von Grausamkeit und Wollust der höhere Begriff ist, dem die andern untergeordnet werden müssen, daß also der Masochismus nicht etwas Besonderes neben dem Sadismus darstellt, sondern wie dieser eine Form der Algolagnie ist. Eulenburg betont demgegenüber, daß die Algolagnie, die er durch die Ausdrücke: Lagnänomanie (Sadismus) und Machlänomanie (Masochismus) ersetzt, sehr viele Ab- und Unterarten umfaßt, und er betont, daß sich dasselbe Individuum abwechselnd aktiv und passiv verhalte und aus beidem geschlechtliche Erregung und Befriedigung schöpfen kann. Ferner erinnert Eulenburg an die Mittelform, bei der das Individuum zur geschlechtlichen Erregung weder selbst gewaltsame Handlungen vornimmt noch erduldet, aber durch den bloßen Anblick in die gewünschte Befriedigung versetzt wird.

Ich glaube, daß in summa hier zwar viel behauptet, aber wenig geklärt ist und daß durchaus nicht in allen Fällen das Quälen durch den Wunsch des Mitleidenwollens hervorgerufen zu werden braucht, weil man die Grausamkeit nicht restlos in ein Mitleidenwollen auflösen kann. Die gedankliche Spekulation setzt sich zu sehr in Gegensatz zu den sichtbaren Formen der Brutalitäten. Ehe ich zu einer Darlegung meiner Ansicht über den masochistischen Komplex übergehe, möchte ich auch meinerseits das klinische Bild des Masochismus zeichnen, ich werde aber nicht die Mediziner zu Worte kommen lassen, sondern einmal einen Dichter. Es ist ein altes erotisches Motiv von der schönen grausamen Frau, von der das Spiel also geht:

»Es lebte eine Frau, die war so schön, daß die Männer von weither kamen und ihre Gunst suchten. Die Frau war jungen Leibes, aber es wohnten in ihr die Alter aller Zeiten. Und die Männer standen im Hofe ihres Hauses und warteten, bis an jeden die Reihe kam. Denn es kam an jeden die Reihe, daß er eine Nacht dieser schönen Frau zur Seite liegen konnte, eine ganze Nacht vom Abend bis zum Morgen. Wenn der Abend kam und der nächste in das Gemach geführt wurde, da stand die Frau in einem reichen, mächtigen Gewand inmitten des Raumes und sah mit halbgeschlossenen Augen zu, wie maskierte Dienerinnen den Geliebten der Nacht entkleideten und ihm Hände und Füße fest an das Bett banden, daß er sich nicht rühren konnte. Und da dies geschehen und die beiden allein miteinander waren, da tat die Frau ihr schweres, starrendes Kleid ab und trug darunter ein anderes aus seidengestickten Früchten. Und sie setzte sich zu dem Gebundenen und sprach: »Erzähle, was tätest du mit mir, wenn du nicht gebunden wärest, erzähle.« Und der Gefesselte sprach und wand sich in den festen Bändern. Da er schwieg, stand die Frau auf, tat ihr Kleid ab, das aus seidengestickten Früchten war und hatte darunter ein anderes, das war aus saphrangelber Seide. Und legte sich wieder neben den Gefesselten und sprach: »Erzähle, was tätest du mit mir, wenn du nicht gebunden wärest, erzähle.« Der Mann stöhnte, und seine Worte taumelten wie Betrunkene. Und da ihm die Stimme erstickte, erhob sich die Frau und tat das saphrangelbe Kleid ab, und darunter trug sie nichts mehr auf ihrem nackten Leibe, als ein sonderbares Geschmeide. Und legte sich neben den Mann und sprach: »Erzähle …«, und dem Gefangenen drängten sich sinnlose Worte aus Flüchen und Verzückungen durch den Schaum, der ihm am Munde stand. An jedem Morgen banden die verschleierten Dienerinnen einen Toten vom Bette los, und der Hof wurde nie leer von Wartenden, und auf den Treppen drängten sich die Männer.«

Es ist eine Erzählung, die Rätsel gibt wie ein Stück Leben. Das Weib tötet den Mann, weil es ihn liebt. Will sie mit dem Manne leiden, ist sie also eine »Masochistin« oder ist sie nur eine Grausame, die an dem Quälen des Mannes Lust empfindet, eine »Sadistin«? Aus der Äußerlichkeit des Vorganges läßt sich diese Frage nie entscheiden. Das Weib quält den Mann oder der Mann quält das Weib; was sagt das im Grunde für die Psychologie? Die Äußerlichkeit des Vorgangs bedingt gar keinen Unterschied, nur der psychologische Kern berechtigt zu der Scheidung, ob hier der Wunsch vorherrscht, Schmerz zu empfinden oder der Wunsch, selbst kalt, unberührt zu bleiben, während der andere leidet. Und wenn Krafft-Ebing sehr rasch und sehr sicher seinen Masochismus und Sadismus scheidet, müssen wir zuerst tiefer dringen, um auf psychischer Basis sondieren zu können und Algolagnie (Schmerzsehnsucht) von Grausamkeit zu scheiden. Nicht notwendig ist, daß bei einem sadistischen und masochistischen Komplex das psychologische Moment bei Spiel und Widerspiel desgleichen ist. Qual kann ebenso als Lust perzipiert werden, gleichgültig, ob sie aus Grausamkeit oder Sehnsucht nach eigener Qual bereitet wird. Das Wesen der sadistisch-masochistischen Akte läßt sich also richtig erfassen nur bei einer psychologischen Gliederung, die sich unabhängig macht von den Äußerlichkeiten des Vorgangs.

Ein »Masochist« quält in der Regel nur Masochisten; er quält vor allem gerade die Menschen, die er liebt. Ein Freund erzählte mir aus seinen pädagogischen Erfahrungen sein Gespräch mit einem Schüler, der ihn sehr gern hatte, über das Züchtigen. »Wenn ich Ihr Lehrer wäre,« sagte der Junge von dreizehn Jahren, »würde ich Sie am meisten schlagen, denn Sie wären doch dann mein Lieblingsschüler.«

Der Masochist will, wenn er quält, mitleiden, und er schlägt darum gerade die Menschen, die ihm am liebsten sind. Das Kennzeichen des Grausamen ist die allgemeine Brutalität. Es spielt aber in den Masochismus noch ein anderer Komplex hinein, an dem Krafft-Ebing sich den Hals gebrochen hat und der bisher überhaupt noch nicht scharf von Masochismus getrennt worden ist. Der Urheber der Verwirrung ist Krafft-Ebing, der hier Untertänigkeit und Leiden identifizierte. Das ist aber durchaus falsch, Leiden und Unterworfensein zu identifizieren. Handelt es sich doch nicht um das rein passive Leiden, sondern um das Schmerzempfinden beim Leiden. Hieraus resultiert die Verwirrung der Verhältnisse, in die Krafft-Ebing durch seine Theorie vom Sadismus und Masochismus getrieben ist. Er trennt die Komplexe der Algolagnie, der Grausamkeit, des Herrschens und Untertänigseins in willkürlicher Scheidung in die Begriffe des Sadismus und Masochismus. Das Gesetz des Nachtastens der Empfindungen, das im Liebesverkehr herrscht, einigt auch die extremen Begriffe zu einer psychologischen Einheit, geradeso wie das, was Krafft-Ebing als Sadismus und Masochismus erschien, sich zu dem unteilbaren Begriff der Algolagnie zusammenschloß. Der Untertan tastet die Empfindungen des Herrschers nach und empfindet aus diesem Nachtasten eine Erhöhung seiner eigenen Persönlichkeit. So lösen sich auch hier die Extreme auf, bestehen bleibt als konstante Scheidung eigentlich nur die Scheidung der sexuellen Motive, das horazische Motiv des »Herrenmenschen« und das ovidische des »Liebeskünstlers«. Befriedigung kann auch der Herrenmensch in der Gestalt des Untertanen empfangen, weil er durch das Nachtasten der Empfindungen des anderen das Gefühl der Erhöhung seiner eigenen Persönlichkeit erfährt. So lösen sich auch die Komplexe von Herrschen und Untertänigsein in einen Komplex auf.

Die Algolagnie und das Untertanentum sind allerdings so eng verknüpft, daß es oft sehr schwer ist, hier zu sondieren. Des Menschen Seele ist keine Maschine und läßt sich ihre Bewegung nicht diktieren. Es sei darauf hingewiesen, daß der »Masochist« nicht schlechthin geschlagen werden will, um daraus Lust zu perzipieren. Eine Frau, der man nachsagt, daß sie Schläge braucht, will zunächst nur, daß der Mann ihr in allem befiehlt; aber sie will auch, daß er dabei gerecht ist. Ein ungerechter Befehl, und er hat seine Autorität verloren. Ferner soll der Mann energisch und rücksichtslos auf die Durchführung seiner Befehle halten, und wenn sie ungehorsam ist, aber auch nur dann, muß er sie schlagen. Es handelt sich hier nun keinesfalls nur um Spiel, sondern um bitteren Ernst, und die Frau übertritt nicht etwa die Gebote, bloß um geschlagen zu werden. Der Anlässe aber gibt es viele. Im Zentrum alles Herrschens steht natürlich die Eifersucht; der Mann befiehlt der Frau, sie darf keinen anderen Mann ansehen, und jede Übertretung rächt er durch bittere Strafen. Ein Mann, der hier nicht seine äußerste Energie einsetzt, um der Frau Schmerz zu bereiten, beleidigt sie, und die Qualen, mit denen er seine Eifersucht rächt, sind für sie die Lösung einer überwältigenden Spannung, erst nachdem er ihr Anteil gegeben an den Leiden, die er selbst erlitten, ist er wieder ganz ihr Herr und zugleich ganz ihr eigen.

Man sieht, die Verhältnisse sind so kompliziert, daß sie jeder Klassifizierung spotten. Was ist hier Algolagnie, was ist Untertanentum und was Herrschergelüste? Ist nicht der Mann der, der sich selber peinigt, der vielleicht den eigenen Schmerz der Eifersucht ersehnt, um nachher ihr und sich selber Schmerz bereiten zu können? Ist nicht seine scheinbar so eifersüchtig behauptete Herrschaft nichts anderes als eine Folge davon, daß er ganz ihr Sklave ist und, weil er sich ihr ganz zu eigen gegeben hat, auch von ihr die ganze Treue beansprucht? Ist vielleicht sie die Herrscherin, die ihn durch seine Eifersucht quält und ihn nur nachher durch eine scheinbare Unterordnung zu versöhnen sucht? Daß sie sich schlagen läßt, ist vielleicht nur ein Akt der Gnade, der, weil sie ihn freiwillig erträgt, ihr Herrschertum nur erhöht. Vielleicht hat sie auch das Empfinden, daß, indem er sie schlägt, es ihm klar wird, daß er sich dadurch selbst erniedrigt. Sie, die von ihm die dreistesten Herrscherworte hören will, spottet vielleicht im Innern seiner, weil sie weiß, daß diese Herrschaft nur eine Scheinherrschaft ist, daß er durch seine Herrschergelüste zum Sklaven wird, denn er ist ja von ihr abhängig, weil er unglücklich wäre, wenn sein Wille nicht erfüllt würde, so wird der Sklave zum Herrscher und der Herrscher zum Sklaven.

Ich habe bei »masochistischen« Frauen vielmehr als bei anderen die Erfahrung gemacht, daß sie eifersüchtig auf die Treue ihrer Geliebten halten. Das stützt in sehr hohem Maße den Gedanken der Umwertung von Herrschertum und Untertanentum und bestätigt jedenfalls in hohem Maße, daß auch hier eigentlich ein einziger Gefühlskomplex waltet, daß jeder zugleich Herrscher und zugleich Untertan ist. Darin liegt ja bis zu einem gewissen Grade überhaupt das Wesen der Liebe. Es ist nicht richtig, wenn Alfred Kind behauptet, daß der Mann dem Weibe gegenüber der Untertan ist, und daß dem Weibe Untertanentum und Masochismus, die er unter die eine Erscheinung des Masochismus subsummiert, durchaus nicht gelegen sind. Ich habe die Lebensbeschreibungen vieler Frauen in der Hand, und ich besitze die eigenen psychologischen Erfahrungen, über die mich philosophische Betrachtungen nicht hinwegbringen. Und weil ich diese genau kenne, kam ich zu der Ansicht, daß sich auch die Begriffe des Herrschers und Untertanen vielleicht zu einem einzigen auflösen. Ich sagte vielleicht, denn hauptsächlich liegt mir daran, zu zeigen, daß es unmöglich ist, die Menschen in diese oder jene Rubrik einzuordnen, in jedem Menschen liegen alle Triebe, und es ist nur die Frage, ob sie geweckt werden. Dieser Mann scheint eine Herrennatur zu sein, er ist der Herrscher über alle Frauen, die mit ihm zusammenkommen, seine starke Sexualität scheint jede Willensmöglichkeit der Frauen, die mit ihm zusammen sind, auszuschließen. Und dann kommt er schließlich an eine Frau, deren Sklave er zu sein scheint. Scheint, denn vielleicht betätigt sich auch hier nur sein Herrscherwille, vielleicht empfindet er diese freie Unterordnung unter eine Frau als das höchste Moment des Herrschens, vielleicht genießt er in viel höherem Maße die illusorische Form der Herrscherfreude, die seine Geliebte in dem Gefühl genießen muß, daß sie, die schwache Frau, über diesen starken Mann herrscht, dessen Herrin noch keine gewesen ist. Es stellt diese Herrschaft eine Potenz der Herrscherfreude dar, die ihm, dem alle Herrschaft in den Schoß fällt, an sich selbst zu genießen unmöglich wäre. Aber er genießt sie an ihr, indem er sie liebt. Man sieht, die Probleme gehen hier so tief, daß alle Lösungen in letztem nur gefragt sind und keine behauptet, man kann sie so ansehen, und man kann sie so ansehen, recht haben vielleicht beide Teile, denn meiner Ansicht nach handelt es sich in der höchsten Liebe, der Idee der Liebe um einen Genuß aller Liebesdifferenzierungen in einem, also auch zugleich des Herrschertums und des Untertanentums.

Das Wesen der Algolagnie war es, daß Schmerz als Lust perzipiert wird, daß in der Glut erotischer Erregung Unlust zu Lust wird. Das ist ja das wesentliche in der Psychologie dieses ganzen Vorgangs, daß es sich gar nicht darum handelt, daß Liebe in anderer Weise genossen wird, daß es sich nicht um eine andere Form des Liebesgenusses handelt, sondern daß es möglich ist, den ganzen Komplex, den Krafft-Ebing unter der Bezeichnung Sadismus und Masochismus zu brandmarken versuchte, als einen gesteigerten Grad des erotischen Empfindens zu verstehen. Die erotische Erregung ist so groß, daß die Grenzen des Empfindens, die dem Menschen gesetzt zu sein scheinen, ausgelöscht werden. Das Liebesleben, die Verklärung der Erdenexistenz, das Glück schlechthin löst die Grenzen von Lust und Unlust aus, so daß Unlust zu Lust wird und die Freude an der Perzeption der Unlust ist einfach aus dieser hohen Steigerung des erotischen Glücksgefühls zu erklären. Man beweist sich selbst, daß der Transzustand alle Unlustgefühle hinwegfegt. Man beweist es sich, indem man die landläufigen psychologischen Werte in eine höhere Einheit überführt. So wird Unlust zu Lust, beides löst sich auf in einem Empfindungskomplex; wie Herrschen und Untertänigsein identisch wird. Und was dem Mediziner als eine irrsinnige Perversität erschien, ist nichts anderes, als die Kulmination erotischer Spannung, oder geben wir ihm ruhig recht: es ist der Punkt, wo Liebe Irrsinn wird.

Die Formen der Perzeption von Unlust als Lust sind mannigfaltig. Als eine Form der Algolagnie und gleichzeitig als eine Form des Systems von Herrschen und Untertänigsein lassen sich die Erscheinungen der Urolagnie und der Koprolagnie verstehen, oder wie ich sie zusammenfassen möchte: die Erscheinungen der Pica. Schon Alfred Kind hat darauf hingewiesen, daß die Alten die Lust an dem Verzehren der Exkremente Pica genannt haben. Ich bitte den Leser, sich diese Erscheinung im Gedankenkreis meiner Ausführungen über den Komplex des Masochismus und Sadismus einmal durchzudenken. Er wird erkennen, daß auch hier die Prinzipien der Auslöschung der Grenzen von Lust und Unlust, von Herrschen und Untertänigsein wirksam sind, und er möge sein ästhetisches Empfinden damit beruhigen, daß Erotik eben auch über Ästhetik geht.

Auch die Erscheinungen des sogenannten Fetischismus und des Verkleidungstriebes lassen sich als zwei auf die Detumeszenz gerichtete Lusthandlungen in das System der Differenzierung des Liebeslebens sehr wohl einfügen. Ich folge bei der Darstellung der mustergültigen Auseinandersetzung dieser Erscheinungen, die Alfred Kind in seiner »Weiberherrschaft« gegeben hat. Der Begriff des erotischen Fetischismus ist der große Plunderkasten, in den die Liebeswissenschaftler alle Gegenstände hineinwerfen, die ein Abfall vom Persönlichen sind, angefangen von den Fußnägeln bis hinauf zur Nachtmütze. Von dem Begriff des Fetisch, wie ihn die Negervölker kennen, bleibt beim erotischen Fetischismus eigentlich gar nichts übrig. Die Dichtung des Geschlechtstriebes, oder besser die erotische Reaktionenfähigkeit, unterliegt von Natur einer außerordentlichen Variabilität. Konstant ist das Faszinationenbedürfnis des Mannes durch das Weib. Er reagiert auf Emanationen, die vom Weibe ausstrahlen. Emanationen gehen von allem aus, was dem Weibe zugehört, also auch von einzelnen Körperteilen und Kleidungsstücken. Der angebliche pathologische Fetischismus, der sich ganz allgemein auf das andere Geschlecht bezieht, ist im Gegenteil der ursprüngliche, und der Fetisch selber ist ein Genuszeichen. Während der sogenannte psychologische Fetisch, der einer bestimmten Person zugehört, entwicklungsgeschichtlich erst sekundärer Natur ist und ein Individualzeichen darstellt. Die Freude an diesen Emanationselementen des Weibes ist es selbstverständlich auch, die zu dem Verkleidungstriebe im Menschen führen. Der Frauenkleidung und der Männerkleidung haftet ein erotischer Reiz an, weil darin ein männliches Prinzip oder ein weibliches Prinzip gesehen werden, der Trieb zur Verkleidung, wie man ihn gerade bei Jugendlichen findet, und überhaupt dort, wo eine Detumeszenz nicht stattfindet, ist also auch eine Form des Suchens nach erotischer Spannung.

In den masochistischen Komplex gehört ferner die Flagellation, die ich an letzter Stelle nenne, weil sie nicht nur eine psychologische Reizung voraussetzt. Die Flagellationsmedien sind der verschiedensten Art. Die Hauptrolle spielen der Stock, die Rute und die Bürste, besonders die Rute, weil das Schlagen mit ihr den adstringierenden Reiz erzeugt, der eine erotische Spannung verursacht. Zu allen Zeiten war eine bekannte Flagellationsmethode das Schlagen mit Brennessel, die sogenannte Urtikatio, die schon Petronius erwähnt. Die Urtikatio wird im Mittelalter von den Ärzten gegen die Impotenz erwähnt. Aus französischen Departements wird überliefert, daß die Mädchen sich mit Brennessel an den Geschlechtsteilen so lange reiben, bis das Blut fließt. Auch verschiedene Arten von Juckpulver sollen den flagellantorischen Reiz hervorbringen. Der Reiz durch die Bürste ist dem Brennesselreiz sehr ähnlich, und auch er wird vielfach als Mittel gegen Impotenz empfohlen. Edward Tracy wurde von seiner Geliebten, als er nicht weiter konnte, an den Bettpfosten gebunden und erst mit der Rute und dann mit der Bürste bearbeitet. Das in der »Lascivous Gems« sehr detailliert beschriebene Verfahren entzieht sich seiner außerordentlichen Gründlichkeit wegen hier einer eingehenderen Berichterstattung.

Die Beschreibung ist übrigens an sich ein Stück Erotik, wie überhaupt die Pornographie in Literatur und Kitsch unter den »Detumeszenzmitteln« ihren Platz stets behauptet hat. Es ist die Opinio Vulgaris, daß die Lektüre erotischer Bücher eine erotische Stimulanz bedeutet oder als etwas Unzüchtiges verletzt. Verletzend ist jedoch höchstens das, was man als Zote zu bezeichnen pflegt. Zote ist eine Verächtlichmachung, eine Entwürdigung, eine Beschimpfung der Sexualität, am beliebtesten ist sie bei denjenigen Menschen, die blinde Sklaven ihrer Triebe sind. Der volkstümliche Begriff der Zote, sagt Alfred Kind, steht im engsten Zusammenhange mit dem Begriffe von Freiheit und Zwang in der Liebe. Zote bedeutet immer etwas ethisch Minderwertiges, weil es sich dabei um eine geschlechtliche Anspielung handelt, die ohne oder gegen den Willen oder die Zustimmung eines Dritten diesem zu Gehör gebracht wird. Die Erregung sexueller Ideenassoziationen aber in einer fremden Psyche die Störung ihres labilen erotischen Gleichgewichts, ist ein Übergriff in die Freiheit des Individuums, ist eine geistige Notzucht. Wenn auf den Berliner Straßen der gutgekleidete Rowdy, wie es leider immer mehr üblich wird, einer anständigen Dame im Vorbeigehen ein Wort aus der Genitalsphäre zuflüstert, so hat diese die Empfindung einer Zote. Wenn daheim in der Kemenate oder beim Liebesspiel der Ehemann derselben Dame gegenüber dasselbe Wort gebraucht, das sie in dieser Situation aus freiem Willen zu hören begehrt, so hat sie nicht mehr die Empfindung einer Zote, sondern möglicherweise die einer Liebkosung, d. h. eines integrierenden Reizbestandteils im Gesamtbilde aller als annehmlich empfundenen Lustwirkungen. Der juristische Begriff des Unzüchtigen, d. h. des strafbar Unzüchtigen, geht aber bedeutend weiter und bekämpft Werke, die an niemandem diese geistige Notzucht vollziehen werden. An und für sich ist obszön natürlich alles, was geeignet ist, die eingeborene oder erworbene Reaktionsfähigkeit des Menschen physiologisch zu reizen, und zwar von ihren feinsten Nüancierungen der verstärkten Herzaktion bis zu den febrilären und komplexen Muskelzuckungen. Die Juristen, die sich bekanntlich mit ihrer Psychologie beinahe ebenso lächerlich machen, wie die Psychiater, unterscheiden bekanntlich zwischen der subjektiven und der objektiven Unzüchtigkeit, wobei für die Beurteilung der objektiven Unzüchtigkeit für sie der sogenannte Normalmensch maßgebend ist. In Wirklichkeit gibt es natürlich überhaupt keine objektive Unzüchtigkeit, denn zu der physiologischen Reaktion gehören stets zwei Komponenten, das dargebrachte Objekt, von dem die Reizwirkung ausgeht, und die individuelle Veranlagung des Menschen. Nun ist aber diese individuelle Veranlagung gerade in der Erotik in ihrer Verschiedenheit so durchaus kompliziert, daß es gar nicht möglich ist, in dieser Hinsicht von einem Normalmenschen zu sprechen. Hinzu kommt noch, daß gerade die sogenannten pornographischen Darstellungen durchaus nicht besonders stark wirken, wie ja auch gerade auf eine Darstellung des Koitus nicht unfehlbar die Reaktion eintritt. Die immediaten Vorstellungen wirken durchaus nicht mit der gleichen Sicherheit, wie die Vorstellungen, die zu komplizierten Gedankenverbindungen nötigen. Die Theorie vom Normalmensch fällt eben zugleich mit der Krafft-Ebingschen Theorie von der normalen Geschlechtsempfindung und den Perversitäten. Es gibt keinen durchschnittlichen Maßstab. Obszön ist der letzte verhallende Walzertakt, der das Mädchen an die wollüstige Umarmung des geliebten Mannes erinnert. Das Obszöne ist stets subjektiv, und alles kann durch besondere Gedankenverbindungen obszön sein. Man kann wohl ein für allemal sagen: Wer ein Buch oder ein Bild für obszön erklärt, sagt damit über den Gegenstand gar nichts. Aber er verrät sich selbst, er verrät damit, daß seine Psyche auf diesen Gegenstand erotisch reagiert, und er verrät höchstens – sonst würde er vielleicht den Mund halten –, daß er die gleiche Reaktion auch bei anderen voraussetzt. Was nun als Rechtsverletzung empfunden wird, ist ja eben dieses Auftreten einer erotischen Erregung bei einer Mehrheit von Menschen und besonders der Glaube, daß diese erotische Spannung in irgendwie anderer Weise entladen werden müsse. Gerade diese Entladung in anderer Weise sucht der Gesetzgeber ja zu bekämpfen. Trotzdem ist diese Befürchtung völlig unbegründet, denn es ist das Wesen einer erotischen Reaktion, das sie zum Teil in sich detumesziert, sie reizt durchaus nicht immer zu anderweitiger geschlechtlicher Betätigung, sondern die Lektüre des erotischen Werkes, oder das Anschauen der erotischen Darstellung löst als solches eine individuelle, vor der Reizung bestehende Spannung. So haben mir belgische Bordellmädchen erzählt, daß die Erfahrungen mit erotischen Films sehr schlechte gewesen sind, und daß die Besucher keineswegs »lebhafter« wurden. Es ist bekannt, daß die Voyeurs den Anblick der copula carnalis als höchsten erotischen Reiz und Detumeszenz empfinden. Es liegt hier nur eine Steigerung des psychologischen Vorgangs, der in jedem Menschen gleichzeitig mit dem erotischen Reiz eine, wenn auch unvollkommene Detumeszenz eintreten läßt. Ich wundere mich nicht, wenn mir sehr nahestehende Männer, mit deren Psychologie und Lebenswandel ich mir genau vertraut zu sein anmaße und ihnen hier das Zeugnis ausstelle, daß sie in ihrer Verlobungszeit so gelebt haben, wie man es von einem bürgerlichen Bräutigam nur verlangen kann, in dieser Verlobungszeit eine ganz ausgesprochene Vorliebe für die erotische Abteilung meiner Bibliothek gezeigt haben. Sie suchten eben das Obszöne zur Detumeszenz. Von selbst erklärt sich nun die vielfach beobachtete Abneigung gegen das Obszöne bei stark onanierenden Personen, die sogenannte Feinsinnigkeit dieser Herrschaften. Der Zweck des Gesetzgebers ist also durch das Gesetz nicht erfüllt, und es bliebe für die gesetzliche Betätigung allein das Gebiet übrig, auf das sich der Begriff der Zote anwenden läßt.

Worauf es hier ankam, war das eine: zu zeigen, daß auch die Freude an der Lektüre erotischer Bücher zu den Spielarten der Liebe gehört, zu den nicht im Koitus selbst, sondern in den geistigen Assoziationen gesuchten Reaktionen.

Von der Theorie Krafft-Ebing, der in den Spielarten der Liebe die sogenannten Perversionen und Perversitäten Dekadenzerscheinungen sah, ist Iwan Bloch in seinem Gesetz der sexuellen Äquivalente abgewichen. Das inzwischen entdeckte anthropologische Material machte allerdings die Auffassung Krafft-Ebings unmöglich, da sich peinlicherweise herausstellte, daß die Naturvölker viel perverser sind als wir. Bloch erkennt darum als wissenschaftliche Wahrheit an, daß es sich bei der Psychopathia sexualis nicht um ein Degenerationsphänomen handelt, daß der größte Teil der Perversen nicht zu den Entarteten gehört und endlich, daß es andere als rein sexuelle Faktoren sind, welche die Lebenskraft eines Volkes untergraben. Als allgemeine Ursachen für die Perversionen und ihre Verbreitung erkennt Iwan Bloch drei anthropologische Tatsachen an: das sexuelle Variationsbedürfnis des Menschen, die leichte Bestimmbarkeit des Geschlechtstriebes durch äußere Einflüsse, das heißt die assoziative Einbeziehung der sogenannten synästhetischen Reize in das Geschlechtsleben, und das Gesetz der sexuellen Äquivalente. Nach dem Gesetz der sexuellen Äquivalente setzt sich die aktive Energie des Geschlechtstriebes, wenn sie mit Gewalt von der Betätigung zurückgehalten oder eingeschränkt wird, in eine andere meist psychische Form der Sexualität um, in der sie gewissermaßen nur noch protentiell wirkt, die aber ihrerseits schließlich dem Bedürfnis einer Entladung des übermäßigen Dranges entgegenkommt. Diese sexuellen Äquivalente sind dann die einzigen Ventile für den übermäßigen Geschlechtstrieb, dem der Weg zur natürlichen Befriedigung versperrt ist.

Blochs Ausführungen wollen plausibel klingen, aber sie beweisen nichts. Und da Blochs Sexualwissenschaft Tendenzzwecken dient, erhebt sich die Frage nach dem Zweck der Übung. Und da hauen er und Krafft-Ebing in eine Kerbe: die Spielarten der Liebe sollen als minderwertig gekennzeichnet werden. Denn wenn sie nur die Ventile sind, durch den der gehemmte Geschlechtstrieb sich Luft macht, so sind sie damit minderwertig gegenüber der erotischen Kraftbetätigung. Bloch erkennt in diesem Zusammenhange vollkommen die Rolle, welche die Spielarten der Liebe als Formen der Umwerbung der Frau spielen. Wenn ein französischer Liebeskünstler gesagt hat, daß man jede Frau verschieden benutzen muß, entsprechend ihren individuellen Schönheiten, so liegt hierin vielleicht die Bedeutung der Spielarten der Liebe viel tiefer begründet, als in der Blochschen Theorie: es ist dem sogenannten Variationsbedürfnis des Menschen eine erotische Basis gegeben, eine Gesetzmäßigkeit. Der Leser wird nicht von mir erwarten, daß ich um Bloch zu bekämpfen mit leidenschaftlicher Begeisterung für die moralische Überlegenheit der Spielarten der Liebe eintrete. Ich bekämpfe auf diesem Gebiete jede Rangordnung, und darum auch Bloch, der sogar Krafft-Ebing sehr nahe steht. Krafft-Ebing betonte, daß die Perversionen Phänomene der Dekandenz sind, und er stand dabei auf dem Standpunkt, daß die Gegenwart die Dekandenz par excellence ist, und daß man bei uns die Perversionen besonders häufig findet. Iwan Bloch verbindet die wissenschaftliche Erkenntnis von dem viel häufigeren Vorkommen der Perversionen bei den Naturvölkern, wie sie besonders die Anthropophyteia geliefert hat, durch eine Umwertung der Kulturtheorie mit der gleichen ethischen Bewertung. Iwan Bloch sieht in der Menschheitsgeschichte eine erbliche Entlastung, er glaubt eine Linie zur Versittlichung wahrzunehmen, in der unsere Zeit einen besonderen Markstein bildet. Infolgedessen kommt ihm die Existenz der Spielarten der Liebe bei Naturvölkern außerordentlich gelegen. Die Entwicklungsrichtung des Liebeslebens stellt sich in des Mediziners Hirn sehr geradlinig dar: Das Problem der Zukunft ist nach Iwan Bloch die bewußte Gestaltung des Liebeslebens auf der Grundlage der Gesellschaftslehre, der Medizin, Hygiene und praktischen Philosophie; – das nennt man eine solide Gründung. Es geht immer etwas gewaltsam her, wenn man das sinnlose Auf und Ab der Weltgeschichte in die Kurve der menschlichen Emporentwicklung zu pressen sucht. Die erotisch starken Individuen, für welche die Liebe ein wirklicher Lebensinhalt war, haben sie zu allen Zeiten differenziert.

Von sehr großer Bedeutung sind die Spielarten der Liebe aber für die Bewertung des Liebeslebens aus einem andern Grunde, weil sie für die geschlechtliche Befriedigung des Weibes infolge des anders gearteten sexuellen Empfindens der Frau eine viel größere Rolle spielen, als im Geschlechtsleben des Mannes.

Ehe ich nun darlege, in welcher Beziehung die sexuellen Spielarten zur Prostitution stehen, noch einige Worte über die Psychologie der Prostituierten.

Das Problem: »Worin liegt die Ursache der Prostitution?« wurde bekanntlich schon von vielen »gelöst«. Man hat die Ursachen ausschließlich in wirtschaftlichen Faktoren gesehen, worin sie zweifellos zum großen Teile liegen; man hat sie schließlich restlos aus der Erscheinung der doppelten Moral zu erklären gesucht, die gar nichts mit den Ursachen der Prostitution zu tun hat. Auf die Psychologie der Geschlechter ist die Prostitution bisher überhaupt noch von keinem ihrer Historiographen zurückgeführt worden.

Die Prostitution fügt sich restlos in das System der Weiberknechtschaft ein, das sich auf der erotischen Vergewaltigung des Weibes durch den Mann aufbaut. Die verschiedene Psychologie des Geschlechtslebens von Mann und Weib hat ihre Begründung in den physischen Unterschieden. Ich habe bereits dargelegt, wie viel komplizierter der sexuelle Reizungsapparat beim Weibe arbeitet. Nun liegt die psychologische Wurzel, der Kern des Problems, was eigentlich Prostitution heißt, eben darin, daß ein Weib auf eigenen erotischen Reiz verzichtet um äußerer Güter willen. Darin, daß der Mann das Weib benutzen kann, ohne daß das Weib selbst erotisch erregt wird, liegen die Vorbedingungen für die Prostitution. Das, was das Kennzeichen des Prostitutionsverkehrs ausmacht, ist der Schnellverkehr, der auf die Umwertung des Weibes verzichtet und auf den bloßen Eintritt des Orgasmus des Mannes hinauszielt. Die Prostitution kommt der horazischen Richtung im männlichen Sexualleben entgegen, sie ist der Sieg des horazischen Elements im Liebesleben und die Niederlage der weiblichen erotischen Instinkte. Sie ist eine legalisierte Notzucht. Dies psychologische Merkmal ist die Conditio sine qua non. Prostitution ist nur da, wo die Erotik des Weibes vergewaltigt wird, wo das Weib darum, daß sie erotisch unterliegt, die Sklavin des Mannes wird. Es decken sich jedoch die Erscheinungen der Prostitution und die der Weiberknechtschaft durchaus nicht. Das Gebiet der Weiberknechtschaft ist wesentlich umfangreicher als das der Prostitution, und es dürfte darum zunächst einmal die Notwendigkeit vorliegen, das Gebiet der Weiberknechtschaft hier zu umgrenzen.

Die zweite Voraussetzung für das System der Weiberknechtschaft, für die Möglichkeit, daß es sich durchsetzen kann, ist die größere Kraft des Mannes, und zwar die größere Kraft des Mannes ebenso auf körperlichem wie geistigem Gebiet. Alle Hinweise auf die Tierwelt, in der das Weibchen neben der Arbeit des Gebärens auch noch imstande ist, die größere wirtschaftliche Arbeit zu leisten, wo das Weibchen in jeder Hinsicht das von Natur bevorzugte Wesen ist, weichen dem schlagenden Beweise der Tatsachen. Die ganze Geschichte der Menschheit zeigt, daß die größeren Anlagen auf körperlichem und geistigem Gebiet auf Seiten des Mannes liegen, bliebe doch erst zu erklären, wie es dem Manne gelungen, sowohl die physische, wie die geistige und ökonomische Überlegenheit an sich zu reißen. Es ist diese Überlegenheit ein Moment, das für die Fundierung des Systems der Weiberknechtschaft unerläßliche Voraussetzung ist. Denn wenn der Mann nichts hat, wodurch er das Weib zwingen kann, so nützt ihm die Möglichkeit der Prostituierung des Weibes herzlich wenig. Es ist die Voraussetzung für die Knechtung des Weibes, die wir aus der Tierwelt nicht überall kennen, daß der Mann zunächst im Besitze der größeren physischen Kraft ist, die er auch in der Liebe zur ultima ratio machen kann. Er besaß das Weibchen vermöge seiner physischen Kraft. Die physische Kraft des Mannes wird jedoch dem Weibe auch zum Zwang, wo sie nicht Gewalt ist.

Vermöge der überlegenen physischen Kraft ist die Möglichkeit gegeben, daß das Weib sich dem Manne hingibt, um von ihm Schutz zu erlangen. Wo sich der eine Mensch dem anderen in die Sklaverei gab, um von ihm den Schutz seines Lebens durchzusetzen, da begibt sich auch das Weib in die Knechtschaft des Mannes, um von ihm den Schutz seines Lebens garantiert zu bekommen. Immerhin bleibt diese Randglosse eine psychologische Kombination. Durch irgendwelches historisches Material ist sie nicht belegt.

Die überlegene Kraft des Mannes bringt ihm später bei der Ausgestaltung des Wirtschaftslebens den ausschließlichen Besitz der wirtschaftlichen Mittel, und er bekommt dadurch die Möglichkeit, dem Weibe für seine Hingabe wirtschaftliche Werte zu bieten und sie so in seine Knechtschaft zu bringen.

In das System der Weiberknechtschaft gehören alle Formen des sexuellen Verkehrs zwischen Mann und Weib, bei denen das Weib auf ihr natürliches Vorrecht verzichtet, dem Manne Lust zu geben, auf freiester Wahl. Die natürlichen erotischen Anlagen des Menschen scheinen mit logischer Notwendigkeit zu einer Herrschaft des Weibes zu führen, zu Weiberherrschaft auf erotischer Basis, weil das Weib die Macht hat, dem Manne Lust zu geben und Lust zu versagen und vermöge dieser Eigenschaft die Macht über den Mann ausübt. Und tatsächlich ist die Entwicklung des Liebeslebens in der Geschichte nicht eine allmählich fortschreitende Emanzipation des Weibes, sondern eine Emanzipation des Mannes. Der Mann hat sich vom Weibe emanzipiert, indem er durch den Besitz der überlegenen physischen Kraft und durch den Besitz der ökonomischen Mittel die Erotik des Weibes vergewaltigt. Dieser Vorgang wird Gegenstand der historischen Darstellung sein. Die Knechtung des Weibes in den verschiedensten gesellschaftlich zugelassenen Formen ist im Grunde nichts anderes als eine legale Notzucht, eine Notzucht, die nur dem Scheine nach eine freie Hingabe des Weibes ist, die daher in Wirklichkeit eine Vergewaltigung zwar nicht durch die brutale Kraft, wohl aber durch die ökonomische Überlegenheit ist, eben eine Vergewaltigung von jener verfeinerten modernen Form, die von Gesellschaft und Recht ignoriert wird.

Die von der Gesellschaft zugelassenen Formen des Geschlechtsverkehrs involvieren sämtlich die Möglichkeit einer Knechtschaft des Weibes. Das System der Ehe hat es im Grunde darauf abgesehen, dem Weibe seine erotische Macht zu entreißen; der Mann hat nach dem obersten ehelichen Prinzip das Recht, den Geschlechtsakt an seiner Gattin zu vollziehen. Dieses Recht wird ihm eingeräumt auf Grund einer allgemeinen gegenseitigen Bindung. Dieses Geschäft bedeutet aber im erotischen Sinne die Knechtung des Weibes, es ist im System einer psychologischen Betrachtung durchaus der gleiche Vorgang, wie er bei der Prostitution vorliegt, daß der Mann vom Weibe das Recht auf den Vollzug des Geschlechtsaktes erwirbt und daß nicht mehr die sexuelle Reizung entscheidet. Der Geschlechtsakt, den das Weib nur zum Genuß ausüben soll, wird Gewohnheit und Arbeit. Man hat gesagt, daß die Prostitution die Liebe im Stücklohn darstellt, die Ehe die Verakkordierung im ganzen.

Ein wesentlicher Unterschied darf über diesen Vergleichen nie vergessen werden. In der Ehe ist die Möglichkeit für eine Herrschaft des Weibes, für eine freie Liebeswahl nicht ausgeschlossen. Die rein erotische Wahl, die gegenseitige Wahl kann auch in der Ehe das Ausschlaggebende sein. Die Ehe ist eben nur als rechtliche Institution ein geschlossener Begriff; psychologisch betrachtet ist sie nicht faßbar, kann sie sowohl in das System der Weiberknechtschaft, wie in das der Weiberherrschaft gehören; in derselben Weise, wie in der Ehe Unterordnung des Weibes unter die Sexualinstinkte des Mannes zur Tatsache werden kann, genau so ist auch die Möglichkeit gegeben, daß in ihr die völlige Unterordnung des Mannes unter das Weib erzielt wird. Der Mann bindet sich ganz an das Weib, er erklärt gleichsam mit der Ehe, daß dies Weib ihn faszinierte, daß er nie mehr von ihr lassen will. Sehen wir das tägliche Leben an, so finden wir allerdings, daß der Bestand der Ehe ein derartiges Verhältnis ermöglicht, ja begünstigt. Ich erinnere an das Pantoffelheldentum, von dem ich schon in der Darlegung der ovidischen Sexualempfindung gesprochen habe und das, erotisch betrachtet, hohe Wertmomente einschließt.

Ist das Weib in der Ehe die Sklavin, so bleibt die Ehe eine mildere Form erotischer Sklaverei, weil in ihr das mütterliche Prinzip die Auslösung sexueller Reize gestattet. Gebären und Stillen sind, wie ich bereits hervorgehoben habe, ein integrierender Faktor in dem Sexualleben des Weibes, und weil die Ehe ihrem Prinzipe nach die Mutterschaft einschließt, läßt sie sich auch, soweit sie in dem System der Weiberknechtschaft wurzelt, nicht restlos in diese einreihen, denn sie schaltet nicht grundsätzlich die sexuellen Reize aus, wie es bei der ihrem System nach unfruchtbaren Prostitution der Fall ist. In den verschiedenen Formen des außerehelichen Geschlechtsverkehrs ist dem Manne oft die Möglichkeit der Knechtung des Weibes durch die ökonomische Überlegenheit gegeben; die Herrschaft des Weibes auf Grund ihrer erotischen Macht ist immer nur in dem individuellen Fall gewahrt.

Die Herrschaft des Weibes auf Grund ihrer erotischen Macht als Grundlage für die Staats- und Gesellschaftsordnung besteht als öffentliche Institution nicht mehr. Sie besteht nur noch in dem Einzelfalle, wo der eine Mann von dem einen Weibe fasziniert ist und wo das Gefallen auf beiden Seiten zur Vereinigung drängt, wo das Weib in der sich leidenschaftlich steigernden Umwertung ihre Vorlust genießt und sich zur Krönung des Genusses dem Manne hingibt. Das ovidische Element in dem Liebesleben des Mannes ist selbstverständlich nicht erstorben. Es ist ein zeitloses Motiv, letzten Endes die Wunschvorstellung des Weibes, wie sie sich in der Wunschsymbolik des Hampelmannes in extremster Form ausgebildet hat, dem Hampelmanne, einer Allegorie auf die Macht des Weibes, die den Mann an ihrer »Strippe tanzen läßt«.

Am restlosesten verwirklicht sich das System der Weiberherrschaft vielleicht noch in der freien Liebe, der auf rein erotischer Basis ruhenden Hingabe des Weibes, auch nur einem Einzelfalle in der Fülle der freien Verhältnisse. Es dominiert aber die Knechtung des Weibes in jeder Form geschlechtlichen Zusammenlebens. Sie dominiert in dem Verhältnisse und in ihrer extremsten Verkörperung, die Prostitution.

Das Wesentliche in der Genesis der Prostituierten ist das eine, daß sie sich damit abfindet, sich vom Manne benutzen zu lassen, ohne auf die eigene Befriedigung zu sehen; sicherlich ist auch hier nicht die ursprüngliche Veranlagung des Weibes das Entscheidende. Gewiß werden die erotischen Erlebnisse der Jugend sehr wichtig für die Entscheidung sein, welche von den beiden Richtungen der Veranlagung, ob der erotische Instinkt oder der ökonomische Instinkt, durchdringen. Ich glaube daher, daß diese psychologischen Momente für die Genesis der Prostituierten das Entscheidende sind. Die Auffassung, daß die Prostituierte ein gegebener Typus ist, dürfte wohl eine Überspannung dieser Ansicht sein. Es ist nicht angängig, aus dem Leben eines Menschen seine ursprüngliche Charakterveranlagung trocken zu destillieren, diese post festum gelieferten Analysen bedeuten meist herzlich wenig. So ist auch die Theorie Lombrosos von der geborenen Prostituierten etwas nichts recht Faßbares für die Zange der Kritik. Es ist eben in dieser Fassung eine Übertreibung, die auf einer vielleicht intuitiven Erfassung eines richtigen Kernes beruht, der jedoch nicht zu gedanklicher Klarheit entwickelt wurde. Sicherlich sind auch wirtschaftliche Not, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsklasse, kurz: das ganze Milieu für die sexuellen Vorstellungen eines Mädchens von besonderer Bedeutung.

Blaschko sucht die Lombrososche Theorie folgendermaßen logisch zu widerlegen: Wäre die Lombrososche Lehre richtig, so müßten unter den Prostituierten alle Schichten der weiblichen Bevölkerung in dem gleichen Mischungsverhältnis vertreten sein, wie in der gesamten weiblichen Bevölkerung. Ist das, wie wir sahen, nicht der Fall, so ist damit der Beweis für das Irrtümliche der Lehre Lombrosos gegeben und zugleich der Beweis, daß die äußeren Lebensbedingungen irgendeiner Bevölkerungsschicht diese eher geneigt dazu machen, zur Prostitution überzugehen, als andere Schichten. Die Bemerkungen Blaschkos haben nur einen Haken, sie setzen als selbstverständlich voraus, daß die sexuelle Veranlagung eines Menschen durchaus nichts zu tun hat mit seiner Berufswahl. Ich werde an anderm Ort den Nachweis liefern, wie eng die Beziehungen der Berufswahl zur Sexualität sind.

Eine ähnliche abgebrauchte Redensart ist im Bund für Mutterschutz gebräuchlich: das verführte Mädchen wird durch die Mißachtung der Gesellschaft zur Prostituierten gemacht. Man übersieht dabei einen sehr wesentlichen psychologischen Faktor, nämlich den, daß diese Verführung in der Regel, psychologisch betrachtet, bereits eine Prostituierung war. Der Mann nimmt das Mädchen, weil er sehr billig und sehr bequem zum Geschlechtsverkehr durch sie kommt und läßt sie nachher fallen; das ist aber psychologisch betrachtet: Prostituierung, und die Wiederholung der Einzelfälle dieses Verkehrs ist eben der sicherste Weg zur Prostitution; auch wenn das Weib zunächst selbst geliebt hat, gerät sie unter die Macht der Desillusion.

Es gehört zu dem Charakter des Prostitutionsverkehrs, daß er auf seiten des Weibes einen erotischen Genuß ausschließt. Das Weib, das sich prostituiert, das sich dem Manne als Befriedigungswerkzeug hingibt, detumesziert bei diesem Verkehr selber nicht; sie hat neben dem Prostitutionsverkehr noch einen andern Verkehr, einen Liebesverkehr – mit dem Zuhälter. Von der grenzenlosen Liebe der Prostituierten zu ihrem Zuhälter sind genug Beispiele gegeben. Es ist durch Prozesse, die im Milieu der Prostitution spielen, sattsam bekannt geworden, daß die Prostituierte sich für ihren Zuhälter aufopfert. Es besteht unter den Mädchen geradezu ein Wettbewerb, ihren Geliebten so viel abzuliefern, wie jede nur kann. Es ist grundfalsch, in dem Zuhälter nur den Beschützer der Dirne zu sehen, den sie bezahlt, weil er ihr Schutz gewährt. Dieses Schutzgewähren ist erst der zweite, durchaus nicht notwendige Faktor des Verkehres. Das Wesentliche ist, daß das Verhältnis zum Zuhälter die Liebe für die Dirne ist, und dies ist ein neuer Beweis für meine Theorie von der Liebe und der Prostituierung. Selbst die Dirne vermag mit ihrem schrankenlosen Geschlechtsverkehr nicht zu detumeszieren, weil er eben nicht erotische Werte auflöst. Darum ist die Erklärung der Prostitution falsch, die W. Hammer versucht hat: Die Prostitution wird von den Mädchen gesucht, um sich schrankenlos auszuleben. – Prostitutionsverkehr ist für den Mann ein Ausleben, niemals für die Frau.

In der Psyche des Zuhälters stoßen die Gegensätze aufeinander. Einerseits ist er der Mann, der teils durch die schrankenlose Liebe seiner Frau gefesselt wird, und für den das Weib auf der anderen Seite Ausbeutungsmittel darstellt. Der Zuhälter ist der Geliebte einer Prostituierten, er ist unter Umständen ihr Beschützer und verschafft ihr die Liebesfreuden, die sie in der Monotonie ihres Handwerks sonst entbehren müßte. Dem Zuhälter ist die Dirne dagegen nichts weiter als ein Wertobjekt, aus dem er möglichst viel herausschlagen will. In den seltensten Fällen liebt er sie wirklich. Das beweist der Verkehr der beiden am besten. Der Zuhälter hat unbedingte Macht über sie. »Bei der geringsten Kleinigkeit,« meint Usinger, »vor allem, wenn sie nicht genügend Geld bringt, wird sie unbarmherzig geschlagen, getreten und in einer viehisch brutalen Weise mißhandelt, die einfach jeder Beschreibung spottet. Die Dirne zuckt zwar zusammen, aber sie erträgt in den meisten Fällen diese Behandlung willig, denn – merkwürdig genug – so will sie ihren Geliebten haben. Kaum daß eine halbe Stunde verflossen, so ist auch die Schlägerei und das Zerwürfnis schon wieder vergessen.« – In der Liebe ist vieles »merkwürdig«.

Es wird beide Teile nicht beleidigen, wenn ich auf den grundsätzlichen psychologischen Unterschied zwischen dem Zuhälter und dem Kunden der Dirne hinweise. Der Schnellverkehr mit der Prostitution befriedigt hauptsächlich diejenigen Instinkte, die ich als die horazischen Sexualinstinkte im männlichen Liebesleben bezeichnet habe. Der Mann, dem die Liebe nur liegt, wenn er das Weib umwerben kann, wird in dem Schnellverkehr mit der Prostitution keine Befriedigung finden. Befriedigt wird eben nur der horazische Instinkt, und darum wird die Prostitution in den Zeiten eine besondere Rolle spielen, in denen der horazische Instinkt in dem Liebesleben des Mannes dominiert. Zweifellos gibt es Zeiten, in denen das Liebesleben mehr auf die innere Harmonie von Mann und Weib gestimmt ist, in denen im herrschenden männlichen Typus der Verkehr mit der Prostitution sehr wenig liegt. Und ebenso gibt es andere Zeiten, in denen die rein männliche Form der Detumeszenz, der Schnellverkehr und der Warencharakter der Liebe die herrschenden sind, in diesen Zeiten dominiert dann die Knechtung des Weibes in allen Schattierungen. Welche Momente das Vorherrschen der einen oder anderen Strömung im Zeitbilde veranlassen, bleibt zunächst noch unaufgeklärt. Es wird die Aufgabe der historischen Darstellung sein, die Wellenlinie der Erotik zu deuten und die einzelnen Komponenten aufzudecken, aus denen sich die Wellenlinie der Erotik als Resultierende ergibt.


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