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5. Die Homosexuellen.

Wenn sich in der Entwicklung des Verhältnisses von Mann und Weib ein Kampf der Geschlechter herausgebildet hat, der in der Verschiedenheit der Genitalkraft seine psychologischen und physiologischen Ursachen hatte, und der durch die physische und geistige Überlegenheit des Mannes zur Knechtung des Weibes auf der ganzen Linie der Entwicklung führte, so erhebt sich das Problem, wie sich die sexuellen Verhältnisse von Mann zu Mann und von Weib zu Weib stellen.

Die homosexuellen Empfindungen waren bekanntlich der Ausgangspunkt der sexualwissenschaftlichen Forschung. Man stellte die verschiedensten Theorien über die Möglichkeit und die Genesis der gleichgeschlechtlichen Empfindungen auf, und Verherrlichung und Beschimpfung gaben ein recht disharmonisches Konzert. Mit gleicher Bestimmtheit trat die Theorie auf, daß die Homosexualität angeboren sei, neben der anderen Behauptung, daß sie ein ausschweifendes Laster oder ein Laster der Ausschweifung sei, bis dann schließlich jene geistreiche dritte Richtung kam, die beides vereinigen wollte und zwischen der angeborenen und der erworbenen Homosexualität unterschied. Die Sache wäre ja schön einfach gewesen, wenn man auf der einen Seite Homosexuelle hätte und auf der anderen Seite Heterosexuelle, und die homosexuellen Männer – man kannte in der ersten Epoche der sexualwissenschaftlichen Forschung nur homosexuelle Männer, von den homosexuellen Frauen erfuhr man erst später – wenn also die homosexuellen Männer so vernünftig gewesen wären, sich nur um Männer zu kümmern, und wenn die angeblich heterosexuellen Männer sich nur um Weiber gekümmert hätten. Sie waren es aber nicht. Doch die auf luftigen Pfeilern stehende Sexualwissenschaft wußte sich sehr leicht zu helfen, indem sie die sexuellen Zwischenstufen konstruierte, Männer, die ihrem Geschlechtsempfinden nach zu soundsoviel Prozent Männer und soundsoviel Prozent Weiber waren und nun mit dem X-Prozent männlichen Empfindens nach dem Weibe tendierten und mit dem Y-Prozent weiblichen Empfindens zu den Männern tendierten. Der große Fehler dieses Beweisversuches beruht zunächst darin, daß man in dem homosexuellen Empfinden a priori etwas dem weiblichen Analoges sah, während in Wirklichkeit die homosexuelle Empfindung einen ziemlich anderen Empfindungskomplex darstellt als die heterosexuelle Liebe, einen Empfindungskomplex, der auf einer ähnlichen psychologischen Basis ruht, wie der masochistische Komplex und das Problem von Herrschen und Untertänigsein. Es ist durchaus nicht notwendig, daß der homosexuelle Mann ähnlich wie ein Weib empfindet, oder das homosexuelle Weib wie ein Mann empfindet. Es ist auch nicht richtig, daß in dem homosexuellen Verkehr notgedrungen das eine Wesen das männliche Geschlecht, das andere das weibliche symbolisiert.

Man kann wohl annehmen, daß die Mehrzahl der Menschen mit einer bisexuellen Empfindungsweise ausgestattet ist. Besonders, wenn man den Begriff des Sexuellen nicht zu eng fast. Es ist ja neuerdings Mode geworden, in der Liebe zu einem Weibe nichts anderes zu sehen, als den Koitus und den Wert eines gewissen distanzhaltenden Anbetens, behebt man völlig zu verkennen. Im Grunde sind vielleicht alle Beziehungen zwischen Menschen sexueller Art; auch die Freundschaft hat eine sexuelle Wurzel; sie ist aufgebaut auf einer persönlichen Sympathie, nicht aber auf einer Interessengemeinschaft. Das Zusammensein von zwei Menschen, gleichgültig welchen Geschlechtes, löst eben Spannungen aus, die wir als erotisch anzusprechen haben. Nebenbei bemerkt sei hier, daß schließlich auch die individuelle Spannung des Lebensgefühls, die der Mensch empfindet, wenn er allein ist, nicht viel anderes darstellt, als Erotik. Doch möchte ich die Probleme der Autoerotik hier nicht in die Darstellung einbeziehen.

Man muß sich, um das innere Widerstreben gegen die Gleichordnung aller Liebesempfindungen zu überwinden, vor allem das eine vor Augen halten, daß diese Auffassung durchaus nicht »gegen die guten Sitten« verstößt. Das sexuelle Moment im Leben des Menschen ist nicht ein rein physisches, es braucht sich nicht in irgendwelchen »beischlafähnlichen Handlungen« zu entladen. Sexualität liegt auch in der rein geistigen Gemeinschaft von Mann und Mann, deren Wert für die geistige Produktion der Menschheit ein außergewöhnlich hoher war.

Oskar Wilde sagt in seiner Verteidigungsrede über dieses geistige Moment in den homosexuellen Beziehungen: »Die Liebe, die in unserem Jahrhundert ihren Namen nicht nennen darf, die Zuneigung eines älteren Mannes zu einem jüngeren, wie sie zwischen David und Jonathan bestand, wie sie Plato zur Grundlage seiner Philosophie machte, und wie wir sie in den Sonetten Michelangelos und Shakespeares finden – jene tiefe geistige Neigung, die eben so rein wie vollkommen ist und die größten Künstler zu ihren bedeutendsten Werken begeistert hat – jene Liebe wird in unserem Jahrhundert so mißverstanden, daß sie mich vor die Schranken des Gerichts geführt hat. Aber dennoch ist sie schön und hoheitsvoll, die edelste Form jedweder Zuneigung. Sie ist nur geistig, und sie besteht allein zwischen einem älteren Mann und einem jüngeren, wenn der ältere geistvoll ist und der jüngere noch seine unberührte, frische Hoffnungs- und Lebensfreudigkeit besitzt. Daß es so sein muß, will die Welt nicht verstehen. Sie höhnt und stellt bisweilen den an den Pranger, der sie ausübt.«

Weil die Empfindungen des Mannes dem Manne gegenüber ganz anderer Art sind, als die gegen das Weib – auch dann, wenn sich die Detumeszensbegierde einmischt – halte ich es nicht für besonders glücklich, wenn Magnus Hirschfeld von einem geistigen Zwittertum spricht und »dessen biologische Möglichkeit aus der ausgesprochenen Gleichgeschlechtlichkeit der meisten Pflanzen und der niederen Tiere« zu »beweisen« sucht. Bietet die komplizierte Psychologie des Menschen nicht einmal die Möglichkeit, sexuelle Parallelen zu den Empfindungen der höheren Tiere zu ziehen, so hat ein Vergleich mit den Pflanzen gar nichts Beweiskräftiges, besonders da es sich ja in dem einen Falle um die pflanzliche Struktur, in dem anderen um die kompliziertesten Zusammensetzungen der menschlichen Psyche handelt, deren Probleme sich mit der Biologie nicht lösen lassen.

Die Detumeszenzakte, die bei gleichgeschlechtlicher Liebesbetätigung möglich sind, können wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Hierher gehören neben der mutuellen Onanie mit allen ihren Variationen und außer den Berührungen der beiden Phalli vornehmlich die Koitus per anum et per os, die ja auch im heterosexuellen Verkehr eine Rolle spielen.

Diese beiden beischlafähnlichen Handlungen werden nach dem deutschen Strafgesetz, sowie nach dem Strafgesetz verschiedener anderer germanischer Länder mit Zuchthausstrafe bedroht. Besonders die Form der Paedikatio, des Koitus per anum ist im Verkehr der Homosexuellen eine häufige Detumeszenzform. Hierin hat vielleicht die laienhafte Trennung der Homosexuellen in virile und feminine ihren Anlaß. Man meinte, das männliche Individuum, das die Pädicatio vornimmt, der Pädicator, vertrete die Rolle des Mannes, während der andere Mann, der die Pädicatio erduldet, der Pathicus, die Rolle des Weibes vertritt. Beide, der Pädikator und der Pathikus, empfinden bei der Pädikatio sexuelle Befriedigung, und auch bei dem Pathikus tritt beim Eintritt der sexuellen Befriedigung Ejacultatio cum voluptate ein. Auf diesen physischen Voraussetzungen entwickelt sich eine männliche Prostitution als eine genaue Parallele zu der heterosexuellen. Bei dem männlichen Prostituierten, der das Irrumare an sich vornehmen läßt, tritt kein Orgasmus ein.

Wie der Orgasmus bei dem liebenden Pathikus überhaupt möglich ist, bleibt allerdings sehr rätselhaft. Rohleder erklärt dies in recht willkürlicher Weise damit, daß der Pathikus die Penisnerven am After habe. Ich kann das nicht widerlegen, aber Herr Rohleder kann es auch nicht beweisen. Alfred Kind gibt im Kommentar zum »Hermaphroditus« des Panormita eine sehr wahrscheinliche Erklärung, wenn er behauptet, daß der Pathikus auf masochistischer Basis detumesziert. Die Libido macht also einen Umweg über das Rückenmark oder das Gehirn und die Detumeszenz tritt durch die Idee ein, daß er dem anderen zur Befriedigung dient.

Die effeminierte Persönlichkeit des Pathikus ist im Großstadtbilde eine der lächerlichsten Erscheinungen. Schon die alten Schriftsteller entwarfen häufig satirische Schilderungen des Pathikus, die auch auf den modernen Typus des femininen Homosexuellen genau zutreffen. Man hat heute bekanntlich für diese Menschensorte die Bezeichnung Tante, aber jedenfalls werden die Tanten von den virilen Homosexuellen mindestens ebenso verspottet, wie von den Heterosexuellen. Es ist ja auch richtig, daß diese quabbligen weinerlichen Träger männlicher Geschlechtsorgane einem Andersgearteten auf die Nerven fallen. Es wäre jedoch ganz falsch, mit diesen Tanten die Gesamtheit der Homosexuellen zu identifizieren. Der komplizierte nervöse Apparat, der im sexuellen Leben in Mitleidenschaft gezogen wird, stört bei ihnen das nervöse Allgemeinbefinden.

Mit meiner Erklärung der Pädikatio und der Befriedigung der Pathikus ist aber die psychologische Möglichkeit der Prostitution für Homosexuelle gegeben. Der Mann kann sich dem Manne hingeben, indem er an sich die Pädikatio vornehmen läßt, ohne daß er dabei das auf masochistischer Basis beruhende Lustgefühl empfindet, und darin beruht das Wesen der männlichen Prostitution.

Diese vom Strafgesetze verbotenen »beischlafähnlichen Handlungen« werden übrigens von der homosexuellen Literatur der letzten Zeit abgelehnt. Hans Blüher gibt in seinem, trotz einer Unzahl von Irrtümern beachtenswerten Werke über »Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft« eine neue Theorie der männlichen Homosexuellen, oder wie er sich ausdrückt, des Typus inversus. In der Umschreibung dieses Typus geht aber Blüher zweifellos zu weit, indem er die Inversen als die Mittelpunkte der männlichen Gesellschaft bezeichnet. Die natürliche Befriedigung der Inversen ist nach Blüher die gegenseitige Berührung der Phalli. Die Befriedigung per os et per anum bezeichnet Blüher im Sinne Freuds als Infantilismus und sieht in ihnen den Typus inversus neuroticus. Die mutuelle Manusturbation lehnt Blüher ab, dagegen ist die Onanie im Gedanken an eine ideale Person nach ihm eine der höchsten Formen geschlechtlicher Betätigung. Blüher selbst beweist in seinem Buche gar nichts, er trägt seine Meinung vor und sucht dafür Stimmung zu machen. Neben einer Reihe guter Beobachtungen verblüfft die völlige Unbekanntheit mit den wichtigsten Quellen seines eigenen Forschungsgebietes, etwa der Anthropophyteia.

Es ist in der letzten Zeit Mode geworden, von der Homosexualität schlechthin zu sprechen und die homosexuelle Liebe beim Manne und beim Weibe zu identifizieren. Diese Identifizierung ist aber grundfalsch, und die Homosexualität nimmt in der Psychologie der Frauen eine durchaus andere Rolle ein, als in der Psychologie der Männer. Die sexuellen Betätigungen der weiblichen Homosexuellen sind viererlei Art: 1. Der Cunnilingus, 2. die irritatio cum digito, 3. die irritatio per machinamentum vel olisbum, 4. appressio corporum. Daß eine immissio clitoridis in vaginam möglich ist, bestreite ich, und mir ist auch von allen mir bekannten Lesbierinnen meine Ansicht bestätigt worden. Ich glaube jedoch, daß die Appressio leicht zu der falschen Vorstellung führen kann, als fände eine derartige Klitoriskohabitation statt.

Es ist bekannt, daß das »Humanitäre Komitee« den § 175 des StGB, als ungerecht bezeichnet, weil er die Frauen straflos läßt, dagegen die homosexuellen Männer unter gewissen Voraussetzungen bestraft. Ich möchte jedoch feststellen, daß diese Anschauung durchaus den Vorstellungen der Allgemeinheit entspricht, und daß im allgemeinen kein öffentlicher Abscheu gegen die sogenannten »schwulen Weiber« besteht, wie gegen die homosexuellen Männer. Zweifellos ist hier die Regierung ein Ende klüger als die Vereine, wenn sie auch selbst nicht weiß warum. Aber wer herrscht, hat oft Instinkt. Es ist sehr schwer zu sagen, worauf dieser Unterschied der öffentlichen Beurteilung beruht, aber soviel läßt sich klar nachweisen, daß es sich bei der weiblichen homosexuellen Befriedigung um etwas ganz anderes handelt, als bei der männlichen. Die männliche Homosexualität strebt nach einer restlosen Auslösung der Libido, die weibliche dagegen beansprucht nur einen Teil des weiblichen Sexuallebens; sie bringt lediglich die Kitzler- und die Vorlustkurve zur Kulminierung, und sie läßt die Scheidenkurve unberührt. Es handelt sich also bei weiblicher homosexueller Befriedigung um etwas anderes, als bei weiblichem heterosexuellen Verkehr, und dies ist allerdings ein sehr wesentlicher Faktor für die Beurteilung der weiblichen Homosexualität. Ein weiteres wichtiges Moment für die Beurteilung des Problems ist das Fehlen der Prostitution für die Frauen. Der Mann kann in Ermangelung der Liebe die Prostitution benutzen, die Frauen sind auf sich angewiesen. Schon diese Momente machen die hervorragende Bedeutung der Tribadie für den vorehelichen Verkehr einleuchtend. An anderer Stelle werde ich das umfangreiche Material veröffentlichen, das ich über die lesbische Liebe besitze.


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