Hermann Sinsheimer
Peter Wildangers Sohn
Hermann Sinsheimer

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Konrads Gedanken waren in dieser Nacht ganz bei der Mutter. Nicht in Trauer und Schmerz, sondern in Dankbarkeit, daß ihr Tod zwischen ihm und dem Vater einen Ausgleich geschaffen habe.

Den schweifenden Gedanken des jungen Menschen eröffnete sich ein großer Sinn ihres Todes. Er empfand ihn als eine Tat, als eine Wohltat der Mutter. Denn war nicht durch diesen Tod auch Lisbeth wieder dem Elternhause zugeführt worden? Von neuem fiel ihm ein, daß er Vater und Mutter einmal Leichen genannt habe. Und er fragte sich: »Sind wir nicht alle Leichen, solange wir so leben? So in Feindschaft, Mißgunst und ohne Liebe? Ist nicht auch Karla Birn eine Leiche? Hatte sie ihm nicht große Wahrheiten vorgelesen, ohne sie zu begreifen?«

Nach langem Grübeln, das ihm den Schlaf verwehrte, kam Konrad zu dem Ergebnis: 142

»Nur wer liebt und begreift, der lebt.«

Er mühte sich nun den Tod der Mutter ganz zu begreifen. Und er begriff ihn als Ereignis, das ihn, seinen Vater und seine Schwester anders ins Leben stellen mußte. Er begriff ihn als Erlösung nicht nur für die Mutter, sondern insbesondere auch für die Ueberlebenden. Er begriff ihn als den Bringer eines neuen Sinns für sein eigenes Leben.

So kam es, daß Konrad beim Leichenbegräbnis, während der Vater und Lisbeth weiche Tränen rollen ließen, ein ernstes, aber gelassenes Gesicht zeigte. Was der Pfarrer sagte, lächerte ihn. Der sprach von Engeln, von Tröstern und von Vergebung der Sünden durch Gott.

Den größten Eindruck machte es auf Konrad, als die Schulkinder unter Führung des alten Lehrers, wie es Brauch war, vor und nach der Predigt zwei Verse eines Kirchenliedes sangen. Der alte Lehrer sang seinen Text mit hallender Stimme, wie wenn er Angst hätte, daß ihn Gott vielleicht nicht hören könnte. Neben ihm stand Karla Birn. Sie sang nicht mit. Sie sah mit großen Augen auf Konrad. Er meinte aber auch ihre Stimme zu hören. Sie klang ihm wie Geigenton. Der Text des Liedes, ihm von der Zeit her vertraut, wo er als Schüler 143 selbst mitgesungen hatte, entschwand ihm völlig. Er hörte, ohne sich darüber zu wundern, nur die eine Melodie und den einen Text:

»Alles neu macht der Mai, macht die Seele frisch und frei.«

Die lärmende Stimme des Lehrers störte ihn. Aber mit den Kindern und Karla Birn sang er gleichsam mit, und er fühlte sich wachsen, sich erheben über alle, die um ihn standen, und er fühlte sich durchflossen von Gott, und er hätte zu seinem Vater gehen und zu ihm sagen mögen:

»Herzensfreund!«

Ein Gefühl der Seligkeit kam über ihn, ein Taumel von Seligkeit. Wie mild wärmendes Feuer rann ihm das Blut rascher als sonst durch den Körper, und er entschlug sich aller Dinge und tat sein Selbst von sich ab und gewahrte das höchste Gut, so wie es der heilige Dionysus seinem Jünger geraten hat.

Konrad hätte alle, die das Grab umstanden, umarmen und ihnen sagen mögen, daß er eins mit ihnen sei, daß sie ihm gehörten und er ihnen, und daß keine Schranke sein dürfe, kein Hindernis und kein niedriges Gefühl zwischen allen Menschen.

Der einsame, geschlagene und gedrückte Junge hatte 144 nun den Weg zu sich, zu den Menschen und zu Gott gefunden. Und aus dem Erdloch, in dem der unförmige Leib seiner Mutter lag, schlug ihm die große Seligkeit entgegen, das große Vergessen alles Mißgeschicks und das große Erinnern an alles Glück auf Erden. Ueber dem Grab seiner Mutter, die ein kläglicher, ärmlicher Mensch gewesen war, wölbte sich ihm nun ein beseligender Himmel . . .

Langsam schritt Konrad mit der übrigen Trauergemeinde zum Friedhof hinaus und dem Dorfe zu. Er hörte gedämpfte Stimmen um sich. In ihm aber war der frohe, ungedämpfte Schall der Weltfreude. Er wunderte sich nicht, als er plötzlich Karla Birn an seiner Seite sah. Das schwarze Kleid und das blonde Haar erinnerten ihn an schöne Engelbildnisse und an Heiligenbilder, die ihm einst tot und dumm erschienen waren und ihm jetzt den Gipfel alles Lebens und aller Vernunft bedeuteten.

Karla Birn begann zaghaft.

»Ein schwerer Schlag, Herr Wildanger.«

Da wandte er sich ihr ganz zu:

»Eine« – und er suchte einige Sekunden nach dem Wort – »eine Erweckung! Und Sie haben teil daran. Denn Sie haben mir die schönen Worte vorgelesen, in denen alles enthalten ist von dem, nach 145 dem ich suchte, was mir fehlte. Jetzt habe ich's. Jetzt bin ich glücklich. Ich danke Ihnen. Ich werde Sie dafür immer lieben.«

Karla Birn verstand kein Wort und hielt Konrad für krank und wirr. Sie sah vor sich auf den Boden. Konrad fühlte sich tief berührt von dieser ihrer Verlegenheit. Es fehlte nicht viel und er wäre ihr um den Hals gefallen.

Sie trennte sich bald von ihm. Es war ihr wehmütig um ihr kleines verkümmertes Mädchenherz und sie gestand sich in romantischem Schmerz, daß sie den Mann eben doch noch nicht verstehe.

Sie verstand ihn wirklich nicht.

Im Hause Wildanger standen die Trauergäste – einige Verwandte und Bekannte, darunter auch Lisbeths Dienstherr – im Hof herum. Peter Wildanger zeigte ihnen sein ansehnliches Hauswesen.

Lisbeth erschien nach einiger Zeit und lud zu Kaffee und Kuchen ein. Sie hatte vom Weinen und von der Arbeit in der Küche einen überroten Kopf. Ihr schwarzes Kleid war so eng, daß es über ihrem drallen Leib auseinanderzuspringen drohte.

Michel Steinert, der in einer Ecke lehnte, wurde rot, als sie ihn ansah. Denn sie gefiel ihm. Als die Gäste ins Haus getreten waren, ging sie zu ihm hin, 146 nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit ins Wohnzimmer.

Als hier Peter Wildanger mit seinen Gästen dem Kaffee und Kuchen zusprach, sah er zu seiner Ueberraschung seinen neuen Knecht neben seiner Tochter Lisbeth sitzen. Er starrte ihn an und wollte ihm etwas Unschönes sagen. Da schlug Lisbeths Dienstherr an seine Tasse und erhob sich zu einer Rede.

Das alte Männchen war nämlich mit einem bestimmten Vorsatz zur Beerdigung gekommen. Er hatte sein Vorhaben lang und breit mit seiner Frau besprochen und gedachte es nun auszuführen.

Seine Rede, die er leise hinsprach, aber doch nicht ohne starke Betonungen, lautete etwa so:

In dieses Haus sei der Tod eingezogen. Mit ihm aber auch Friede und Liebe. Gott, der Herr, habe es so gefügt, daß Vater und Tochter nun wieder zueinander gekommen seien und sich in Friede und Liebe gefunden hätten. Die Tote schaue nun auf beide herab und der Segen der Mutter habe sich an ihnen erfüllt. Nun sei auch die Tote ganz glücklich, daß Vater und Sohn und Tochter so einträchtig an einem Tisch sitzen und sich aneinander freuen.

Die Rede schloß so:

»Laßt uns also, liebe Brüder, in stiller Andacht für 147 das Glück und die Eintracht dieser Familie beten.« Der alte Mann hatte die schönen Phrasen der Rede aus seinen Erinnerungen an die frommen Bücher, die er, der Presbyter, zu lesen pflegte, mühsam zusammengesucht. Der Schweiß stand ihm auf der Stirne, als er, am ganzen Körper von der rednerischen Anstrengung zitternd, sich setzte.

Lisbeth hatte ihm erstaunt zugehört und freute sich unbändig über das, was er sagte. Sie sah Michel Steinert mit strahlenden Augen an. Dieser kannte den Zusammenhang nicht und verstand darum auch die Rede nicht. Er stopfte viel Kuchen in sich hinein und erwiderte glücklich ihr Lachen.

Wildanger saß bei der Rede wie versteinert da. So wollte man ihm also kommen – mit süßen, frommen Reden! Da komme man bei ihm an den Falschen. Er pfeife auf Gott und die Kirche. Was zwischen der Lisbeth und ihm vorgehe, das gehe keinen Gott und keine Kirche und überhaupt keinen Dritten etwas an. Er bedanke sich dafür, er verbitte sich so etwas. Er sei Peter Wildanger und Herr in seinem Hause.

So etwa sprach Peter Wildanger zu sich selbst und gewann dadurch seine Fassung und seinen Gleichmut wieder. Als der fremde Mann, wie er Lisbeths 148 Dienstherrn bei sich nannte, zu Ende war mit seiner Rede, sah Wildanger im Kreise herum und sah lauter verlegene Gesichter. Da konnte er sich eines leisen Lächelns nicht erwehren.

Konrad saß aufgeregt und gespannt da. Ihm gingen die sanften Worte der Rede ein wie ein leichter, dünner Wein. Daß Lisbeth dasaß und daß sein Vater dies duldete, war ihm als großes göttliches Schicksal bewußt. Hätte er vor Tagen versucht, wie er Lisbeths Dienstherrn versprochen hatte, den Vater an seine Pflicht gegen Lisbeth zu mahnen, so wäre er sich jetzt lächerlich vorgekommen. Das alles, sagte er sich, besorgt Gott und sein Geist, der über die Menschen kommt, die sich ihm öffnen.

Er sagte zu einer alten schwerhörigen Tante, die neben ihm saß und nun gerührt Krümeln des Leichenkuchens zusammenhäufte:

»Ja, ja, es ist schön, daß Lisbeth nun wieder da ist, wo sie hingehört.«

Die Tante, die ihn nicht verstand, fragte:

»Wie heißt der Mann, der so schön gesprochen hat?«

Konrad erwiderte verwirrt:

»Daniel Reinbold. Lisbeth steht bei ihm in Dienst.«

Die Tante sagte laut: 149

»Ich sage es immer: es gibt so viele gute Menschen. Und die Lisbeth ist die Schlechteste auch nicht.«

Da stand Lisbeth auf und ging hinaus.

Konrad erschrak. Auch sein Vater stand auf. Konrad fühlte plötzlich, daß Daniel Reinbold mit seiner Rede nichts Gutes gestiftet habe. Auch Michel Steinert schob geräuschlos seinen Stuhl zurück und schlich hinaus. Konrad sah ihm nach und freute sich förmlich über sein steifes Bein. So müsse eigentlich jeder Mensch, dachte er, ein steifes Bein haben, der nicht ganz in Gott lebe.

Die Gäste erhoben sich und verabschiedeten sich rasch. Reinbold nahm Wildangers Hand in seine beiden Hände und schickte sich an, ihm etwas recht Herzliches zu sagen. Er fand aber keine Worte und ging, von Konrad geleitet, gerührt hinaus.

Als die Gäste fort waren, schien das Haus still wie ein Friedhof.

Wildanger saß im Wohnzimmer und rechnete. Konrad stand am Fenster seines Zimmers und sah in den leise und farblos hindunkelnden Tag.

Lisbeth arbeitete mit Michel im Stall. Die Mägde waren in der Küche. Zwischen Lisbeth und Michel war ein freudiges, stilles Einvernehmen. Sie 150 arbeiteten emsig und fanden Gelegenheit zu häufiger Berührung und zu ermunternden Blicken. Als Michel nach beendigter Arbeit sich anschickte, den Stall zu verlassen, hängte sich Lisbeth an seinen Hals und küßte ihn schwer. Da blieb er und erfüllte ihr ihren längst offenbaren Willen.

Zu gleicher Zeit hüstelte Wildanger über Zahlen, Urkunden und Briefen. Seine Finger wühlten in den Papieren. Ein großer weißer Bogen lag vor ihm, den füllte er mit Rubriken von Zahlen. Und immer von neuem suchte er nach Belegen und Quittungen und Bestätigungen.

Da fiel ihm ein verschlossener Briefumschlag in die Hände. Was war das? Das kannte er nicht. Das war etwas Fremdes. Er wurde blaß. Seine Finger zitterten. Er las die Aufschrift: »Mein letzter Wille«. Es war die ungefüge Schrift seiner Frau. Die Buchstaben tanzten ihm vor den Augen. Ihr letzter Wille? Sie hatte also einen eigenen Willen gehabt, seine Frau?

Wildanger griff sich ins dünne Haar. Er legte seine Hand hart auf den Kopf, wie um zu verhüten, daß er zerspringe.

Nach langem Zögern riß er den Umschlag auf und las: 151

»Mein letzter Wille.

Alles mein Hab und Gut soll nach meinem Tode meinen lieben Kindern gehören, nicht meinem lieben Mann. Und das Haus vermache ich der Lisbeth. Onkel Christof soll dafür sorgen, daß alles so geschieht.«

Diese Worte waren mühsam und sauber niedergeschrieben und mit Datum und Unterschrift versehen. Wildanger überlas es zehnmal, ehe er zu sich selbst kam. Er keuchte wie ein Tier. Seine Augen stierten auf den Platz, auf dem seine Frau zu sitzen pflegte, und sie erschien ihm, stumm, leblos, fett – wie aus Stein oder Erz.

Er dachte daran, wie sie jetzt, ganz so wie sie gelebt habe, im Grabe liege – stumm, leblos, fett – und doch lebendig, lebendiger als je!

Und er lebte in Sekunden seine ganze Ehe mit ihr nochmals durch. Als er, ein kleiner, emsiger Knecht, ins Haus kam, war ihr Vater gerade gestorben und ihre Mutter auf den Tod erkrankt. Er hatte sich erst nützlich und beliebt, dann unentbehrlich gemacht. Als die Mutter starb, übernahm er für die Tochter das Regiment im Haus. Bald war die Tochter seine Frau. Er besann sich angestrengt, wie das damals gekommen sei. Er erinnerte sich, daß er einmal mit 152 ihr zur Besorgung von Geschäften in die Stadt gefahren war und daß sie ihm auf dem Heimweg sagte, er dürfe Du zu ihr sagen, und ihm die Hand gab. Das war wohl ihre Verlobung. Von da an arbeitete er noch mehr als vorher. Einige Wochen später sagte sie ihm, sie müßten wegen des Geredes der Leute heiraten. Es war aber in der Zwischenzeit nicht das Geringste zwischen ihnen vorgefallen. Damals besaß er zweihundert Mark erspartes Geld. Als wichtigstes Ereignis während der Ehe erschien ihm die Uebergabe der Schlüssel und Papiere. Sie geschah erst kurz vor der Geburt Lisbeths. Von da an saß seine Frau hinter dem Tisch und arbeitete nichts mehr und störte ihn nicht mehr. Als nach einigen Jahren Konrad zur Welt kam, sagte ihm seine Frau, während sie noch im Wochenbett lag, nun sei es genug mit den Kindern. Er war es zufrieden.

Das war seine Ehe. Jedes Jahr erwarb er neues Feld, tat Geld auf die Bank oder lieh es aus, und in all den Jahren hatte er, soviel auch an Frost, Hagel oder sonstigen Schäden über das Dorf gekommen war, kein Mißjahr zu verzeichnen. Ja, er hatte Glück in allem, was er unternahm, gehabt! Und jetzt?

Und jetzt war er enterbt. 153

Es wurde ganz still in ihm vor Verzweiflung. Er sah die tote Frau, die ihm das angetan hatte, vor sich sitzen und starrte sie verständnislos an. Er erkannte sie nicht mehr als seine Frau, nicht mehr als Menschen; er suchte, wie wenn ihm das helfen könnte, nach einem Wort, nach einem Namen für sie.

Er nannte sie eine teuflische Person. So vergalt sie ihm alle Arbeit, all seinen Schweiß. Sie hatte gesessen und genossen, um schließlich noch über ihren Tod hinaus das an sich zu reißen, was ihr nach dem Gesetz gehörte. Aber es gehörte ihr ja wirklich, sagte er sich, und es wurde ihm heiß dabei! Hatte er ein Recht, ihren Besitz an sich zu ziehen?

Er wollte die Frage schon bejahen, der Frau, die immer noch vor ihm zu sitzen schien, diese sie anklagende Antwort ins Gesicht schreien. Da entschwand sie ihm plötzlich und sein Kopf sank schwer auf den Tisch.

Der Abend dämmerte ins Zimmer und nahm dem ratlosen Wildanger mit der Helle auch das Vertrauen zu sich.

Wildanger fühlte Lisbeth und Konrad neben sich stehen. Es wurde ihm weiß vor den Augen, und er sah durch den einfallenden Abend, in einem Bilde 154 festgehalten, was er an den beiden Kindern getan hatte.

Langsam hob er den Kopf. Seine Augen standen weit auf und er sah wieder seine Frau vor sich sitzen.

Nun nannte er sie sein Schicksal, seine Richterin. Und er wurde in sich ganz klein und ohnmächtig und es überkam ihn eine große Furcht vor ihr.

Leise, wie aus Angst, es könnte ihn jemand belauschen, verschloß er die Papiere und legte das Testament ganz zu unterst.

Von ferne reifte in ihm der Entschluß, dieses Stück Papier zu verheimlichen. Er wagte nicht es zu zerreißen, obwohl sich seine Finger, während er es in eine Schublade legte, sich darum krallten, als wollten sie es in tausend Stückchen zerfetzen. Aber der Mut fehlte ihm dazu und die Ueberzeugung, daß ihm dies helfen könne.

Er zündete Licht an und rief nach Lisbeth. Sie kam aber nicht. Er setzte sich wieder und aß von den Kuchenresten, die auf dem Tisch standen.

Inzwischen war es zwischen Lisbeth und Michel Steinert zu einer langen Aussprache gekommen, bei der Lisbeth das Wort führte und den armen Michel mit Fragen überhäufte, auf die er, wie wenn 155 er einem Vorgesetzten gegenüberstünde, knapp und sachlich Antwort gab.

Schließlich sagte Lisbeth, das alles passe ihr und er passe ihr auch und ob er nicht ihr Mann werden wolle; aber sie habe vier Kinder und die müsse er halten und gern haben wie seine eigenen und von ihr aus könnte sie von ihm noch zehn oder mehr dazu bekommen. Denn sie bekomme nun einmal gern Kinder und sei auch daran gewöhnt.

Michel lachte über Lisbeths ernste Reden wie ein verliebtes Mädchen und sagte, daß auch ihm alles recht sei, auch Lisbeths vier Kinder und die andern, die sie noch haben wolle, er werde schon für alles sorgen und ein guter Ehemann und Vater sein. Er sei zwar arm, aber ehrlich.

Da ging Lisbeth hinein zu ihrem Vater, der gerade den Mund voll Kuchen hatte, und sagte ihm, sie habe sich mit Michel Steinert, einem armen, aber ehrlichen Menschen, verlobt und werde ihn so bald wie möglich heiraten und der Vater solle ihr recht schnell ihr mütterliches Vermögen auszahlen.

Wildanger schluckte sehr, sehr lange an dem Bissen Kuchen und fand, als sein Mund leer war, immer noch keine Worte. 156

Aber aus Lisbeths Mund hüpften die Worte wie junge Böcklein ihm ins Ohr:

»Ich war nun lange genug bei fremden Menschen und jetzt will ich mein Haus und meinen Hof und meinen Stall haben. Und meine Kinder sollen sehen, was ein Vater ist. Und wir werden beide schaffen und uns vor keiner Arbeit und Sorge fürchten.«

Das leuchtete dem Alten ein und er sagte seiner Tochter zu, daß sie ehestens das bekommen werde, was ihr zustehe. Er sei nicht gegen ihr Glück und Wohlergehen, nur sein eigenes Haus – bei diesem Worte stockte er – wolle er rein und ehrbar halten. Da ging Lisbeth zum Tisch, stellte sich fest und groß vor ihren Vater, schlug auf die Tischplatte und schrie: »Den will ich sehen, der sagt, ich sei nicht ehrbar. Ich habe mich und meine Kinder ernährt. Etwas anderes tun die Verheirateten auch nicht, die meisten sogar weniger. Ich will nun sehen, was ich aus Mutters Vermögen zu bekommen habe, und ich will alles bis auf den letzten Heller haben.«

Wildanger bekam es nun schrecklich mit der Angst und wurde klein und fügsam. Er ging hinaus und ließ Lisbeth als Siegerin im Zimmer zurück. Draußen machte er sich mit Michel ans Füttern des Viehs und tat, als ob er von nichts wisse. 157

 


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