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Sechzehntes Kapitel

An einem sonnigen Vormittag saß Agatha auf der Türschwelle vor dem Treibhaus und las. Der Schatten ihres seidenen Sonnenschirmes wurde plötzlich dunkler, und als sie aufblickte, sah sie Trefusis vor sich stehen.

»Oh!«

Sie bot ihm sonst keinen Gruß an, denn sie war mit ihm übereingekommen, soviel als möglich alle Begrüßungen und Förmlichkeiten zu vermeiden. Er schien es nicht eilig zu haben, etwas zu sagen, und so begann sie nach einer Pause: »Sir Charles –«

»Ist in die Stadt gegangen,« sagte er. »Erskine ist mit dem Zweirad aus. Lady Brandon und Miß Lindsay sind in dem Wagen ins Dorf gefahren, und Sie sind hier herausgekommen, um die Sommersonne zu genießen und um braun zu werden. Ich weiß schon alle Ihre Neuigkeiten.«

»Sie sind sehr klug und irren sich, wie gewöhnlich. Sir Charles ist nicht in die Stadt gegangen. Er ist nur wegen einiger Papiere zur Eisenbahnstation gegangen und wird vor dem Essen zurück sein. Woher wissen Sie das alles, was hier vorgeht?«

»Ich war mit meinem Feldstecher auf dem Dache meines Hauses. Ich sah Sie herauskommen und hier Platz nehmen. Dann kam Sir Charles vorbei. Dann Erskine. Dann Lady Brandon, die mit großer Energie losfuhr und einen bemerkbaren Gegensatz zu der hochmütigen Ruhe Gertrudes bot.«

»Gertrude! Mir gefällt Ihre Dreistigkeit.«

»Sie wollen sagen, Ihnen mißfällt meine Anmaßung.«

»Nein, ich halte Dreistigkeit für ein bezeichnenderes Wort als Anmaßung, und ich will sagen, daß sie mir gefällt – daß sie mich amüsiert.«

»Wirklich! Was lesen Sie jetzt?«

»Ich lese, was Sie jetzt grade sagten, nämlich Unsinn. Einen Roman.«

»Also eine erlogene Geschichte von zwei Menschen, die niemals gelebt haben, und die ganz anders handeln würden, wenn sie lebten.«

»Das ist richtig.«

»Könnten Sie sich nicht etwas ebenso Amüsantes aus sich selbst erdenken?«

»Vielleicht, aber es würde mir zu viele Mühe machen. Übrigens benimmt einem das Kochen den Appetit zum Essen. Ich würde keinen Geschmack an Geschichten haben, die ich selbst geschrieben habe.«

»Bei welchem Band sind Sie jetzt.«

»Beim dritten.«

»Dann sind wohl der Held und die Heldin grade dabei, sich zu vereinigen?«

»Ich weiß es wirklich nicht. Es ist einer von diesen geistreichen Romanen. Ich wollte, die Personen würden nicht soviel reden.«

»Das ist Nebensache. Zwei von ihnen sind doch ineinander verliebt?«

»Ja. Sonst würde es doch kein Roman sein.«

»Glauben Sie in Ihrem geheimsten Innern, Agatha – ich nehme mir die Freiheit, Sie beim Vornamen zu nennen, weil ich sehr ernst sein will – glauben Sie wirklich, daß schon einmal zwei menschliche Wesen selbstlos genug gewesen sind, sich in der Art der Romane zu lieben?«

»Natürlich. Wenigstens vermute ich es. Ich habe nie viel darüber nachgedacht.«

»Ich bezweifle es. Meine Ansicht geht dahin, daß heutzutage kein Mann mehr an die Tiefe und Dauer seiner Zuneigung zu seiner Gefährtin glaubt. Trotzdem zweifelt er nicht an der Aufrichtigkeit ihrer Geständnisse, und er verbirgt die Unredlichkeit seiner eigenen vor ihr, zum Teil, weil er sich schämt, zum Teil auch, weil er mit ihr Mitleid hat. Und sie auf der andern Seite spielt genau dieselbe Komödie.«

»Ich glaube, daß die Männer das tun, aber nicht die Frauen.«

»Wirklich! Bitte, erinnern Sie sich, wie Sie einst vorgaben, Sie seien sehr in mich verliebt, als –«

Agatha errötete und stützte ihre Hand auf die Türschwelle, wie um aufzuspringen. Aber sie blieb ruhig und sagte: »Halt, Mr. Trefusis. Wenn Sie darüber sprechen, werde ich gehen. Ich wundere mich über Sie! Haben Sie kein Taktgefühl?«

»Gar keins. Und ich, der beleidigte Teil war an jenem – halt, gehn Sie nicht fort. Ich will nicht wieder darauf anspielen. Ich fürchte mich immer mehr vor Ihnen. Sonst pflegten Sie vor mir Angst zu haben.«

»Ja, und Sie pflegten mich einzuschüchtern. Sie haben die Gewohnheit, Frauen einzuschüchtern, die schwach genug sind, sich vor Ihnen zu fürchten. Sie sind viel klüger als ich und wissen wohl auch mehr, aber ich fürchte Sie nicht im mindesten.«

»Dazu haben Sie auch keinen Grund, ebensowenig wie Sie früher einen hatten. Wenn Henrietta am Leben wäre, sie könnte es bezeugen, daß der einzige Mangel in meinen Beziehungen zu Frauen der ist, daß ich zu übertrieben liebenswürdig bin. Ich könnte einer Frau keinen Herzenswunsch verweigern, außer wenn sie meine Hand zur Ehe haben wollte. Solange Ihr Geschlecht davor halt macht, kann es mit mir tun, was es will.«

»Wie grausam! Ich dachte, Sie wären sozusagen verlobt mit Gertrude.«

»Die gewöhnliche Deutung einer Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau! Ich habe nie an so etwas gedacht, und ich bin sicher, daß sie es auch nie getan hat. Wir sind nicht halb so vertraut miteinander wie Sie und Sir Charles.«

»Oh, Sir Charles ist verheiratet. Und ich rate Ihnen, sich zu verheiraten, wenn Sie nicht durch Ihre Freundschaften Mißverständnisse schaffen wollen.«

Trefusis war betroffen. Anstatt zu antworten, stand er da, nachdem er ihr einen überraschten Blick zugeworfen hatte, und starrte unbeweglich auf den Knöchel seines Zeigefingers.

»Haben Sie Mitleid mit unserm armen Geschlecht,« sagte Agatha boshaft. »Sie sind so reich und so klug und sehen wirklich so hübsch aus, daß Sie sich mit jemand verheiraten müßten. Gertrude würde nur zu glücklich sein.«

Trefusis lächelte und schüttelte langsam, aber bestimmt den Kopf.

»Ich glaube, ich würde keine Aussicht haben,« fuhr Agatha pathetisch fort.

»Ich würde natürlich entzückt sein,« entgegnete er mit gespielter Verwirrung, aber mit einem lauernden Aufleuchten seiner Augen, das sie vielleicht zurückgeschreckt hätte, wenn sie es bemerkt hätte.

»Heiraten Sie mich, Mr. Trefusis,« flehte sie und faltete ihre Hände in übermütigem Spott. »Bitte, tun Sie es.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Trefusis entschlossen. »Ich will es tun.«

»Ich bin ganz sicher, daß Sie es nicht tun,« sagte Agatha, nachdem sie einen Augenblick ungläubig geschwiegen hatte. Dann sprang sie auf und faßte ihren Rock an, als wollte sie davonlaufen. »Sie glauben doch nicht etwa, es sei mir ernst gewesen?«

»Ohne Zweifel tu ich das. Und ich bin im Ernst.«

Agatha zauderte und wußte nicht, ob er nicht vielleicht mit ihr spielte, grade so wie sie vorhin mit ihm gespielt hatte. »Nehmen Sie sich in acht,« sagte sie. »Ich könnte meine Ansicht ändern und auch im Ernst sein. Und wie würde es Ihnen dann zumute sein, Mr. Trefusis?«

»Ich denke, unter den veränderten Beziehungen sollten Sie mich lieber Sidney nennen.«

»Und ich denke, wir sollten lieber mit dem Scherz aufhören. Es war sehr geschmacklos von mir, und ich hätte es vielleicht nicht tun sollen.«

»Es wäre ein schändlicher Scherz, und darum habe ich gar nicht die Absicht, ihn als solchen zu betrachten. Ich werde Sie beim Wort halten, Agatha. Sind Sie in mich verliebt?«

»Durchaus nicht. Nicht im allergeringsten. Ich weiß auf der ganzen Welt niemand, in den ich weniger verliebt wäre oder in den ich mich weniger verlieben könnte.«

»Dann müssen Sie mich heiraten. Wenn Sie in mich verliebt wären, würde ich davonlaufen. Meine verstorbene Henrietta betete mich an und ich erwies mich ihrer Anbetung unwürdig – obgleich sie mir unendlich schmeichelte.«

»Ja, gewiß. Die Art, wie Sie Ihre erste Frau behandelt haben, müßte genügen, um jedes Mädchen zu warnen, Ihre zweite zu werden.«

»Jedes Mädchen, das mich liebt, wollen Sie sagen. Aber Sie lieben mich ja nicht, und wenn ich davonlaufe, dann haben Sie das Vergnügen, mich los zu sein. Unser Heiratsvertrag kann so eingerichtet werden, daß er Ihnen für diesen Fall mein halbes Vermögen zusichert.«

»Sie werden nie die Möglichkeit haben, von mir davonzulaufen.«

»Ich werde es auch nicht wünschen. Ich bin nicht mehr so eigen, wie ich früher war. Ich glaube nicht, daß ich von Ihnen davonlaufen werde.«

»Ich glaube es auch nicht.«

»Gut, und wann wollen wir uns heiraten?«

»Niemals,« sagte Agatha und wollte weglaufen. Aber bevor sie einen Schritt getan hatte, erfaßte er sie.

»Tun Sie es nicht,« sagte sie atemlos. »Nehmen Sie Ihren Arm weg. Wie können Sie es wagen?«

Er ließ sie frei und schloß die Türe zu dem Gewächshaus. »Wenn Sie jetzt davonlaufen wollen, dann müssen Sie ins Freie laufen.«

»Sie sind sehr unverschämt. Lassen Sie mich sofort gehen.«

»Wollen Sie, daß ich Sie um Ihre Hand bitte, nachdem Sie mir Ihre Zustimmung aus freien Stücken gegeben haben?«

»Aber ich scherzte doch nur. Ich mache mir gar nichts aus Ihnen,« sagte sie und sah sich nach einem Ausweg um.

»Agatha,« sagte er mit grimmiger Geduld, »vor einer halben Stunde hatte ich nicht mehr die Absicht, Sie zu heiraten, als eine Reise nach dem Mond zu machen. Aber, als Sie mir den Vorschlag machten, da fühlte ich mit einem Male alle Gewalt, die darin liegt, und jetzt kann mich nichts auf der Welt zufrieden stellen, als Sie beim Wort zu halten. Von allen Frauen, die ich kenne, sind Sie die einzige, die nicht ganz ein Narr ist.«

»Ich würde ein großer Narr sein, wenn –«

»Wenn Sie mich heirateten, wollen Sie sagen. Aber ich bin nicht Ihrer Meinung. Ich bin der einzige Mann von Ihrer Bekanntschaft, der nicht ganz ein Esel ist. Ich kenne meinen und Ihren Wert. Und ich liebte Sie schon lange, als ich noch kein Recht dazu hatte.«

Agatha zog ihre Brauen zusammen. »Nein,« sagte sie. »Es hat keinen Zweck, noch weiter hierüber zu reden. Die Sache ist ganz außer Frage.«

»Aber seien Sie doch nicht rachsüchtig. Ich war aufrichtiger, als Sie es waren. Sie haben unsere wieder angeknüpfte Bekanntschaft dazu benutzt, sich gegen mich zu verteidigen, mir Vorwürfe zu machen, mich zu hänseln und zu verlocken. Seien Sie einmal großmütig, und sagen Sie gutwillig ja.«

»Oh, ich habe Sie nie verlockt,« schrie Agatha. »Ich tat es nicht. Das ist nicht wahr.« Er antwortete nichts, sondern bot ihr die Hand dar. »Nein, gehen Sie fort. Ich will nicht.« Er blieb unbewegt und sie fühlte plötzlich, wie die Kraft ihres Widerstandes verschwand. Voller Schrecken sagte sie hastig: »Es hat durchaus keinen Zweck, mich zu quälen. Ich werde Ihnen heute keine Antwort geben.«

»Versprechen Sie mir bei Ihrer Ehre, daß Sie morgen ja sagen werden, und ich will Sie bis dahin in Frieden lassen.«

»Ich will nicht.«

»Der Kuckuck hole Ihr Geschlecht,« sagte er klagend. »Sie kennen jetzt meinen Entschluß, und ich muß hier stehen und mit Ihnen kokettieren, weil Sie selbst Ihren eigenen nicht kennen. Wenn ich auf meine Bequemlichkeit Wert legte, würde ich Junggeselle bleiben.«

»Ich rate Ihnen, das zu tun,« sagte sie, und stahl sich rückwärts nach der Türe hin. »Sie sind ein sehr interessanter Witwer. Eine Frau würde Ihnen diesen Vorzug nehmen. Und dann bedenken Sie die Unannehmlichkeiten des Haushalts.«

»Ich liebe Unannehmlichkeiten. Sie machen stark – aha!« Sie hatte nach dem Türknopf gegriffen, und er legte schnell seine Hand auf die ihrige und hielt sie zurück. »Noch nicht, wenn ich bitten darf. Können Sie denn nicht wie eine Frau reden – wie ein Mann, meine ich? Sie mögen Max einen Knochen vorenthalten, bis er sich auf den Hinterfüßen aufrichtet und schön macht, aber mich sollten Sie nicht wie einen Hund behandeln. Sagen Sie offen ja, und lassen Sie mich nicht länger bitten.«

»Warum in aller Welt, wollen Sie mich denn heiraten?«

»Weil ich so veranlagt bin, einen Haushalt auf den Schultern zu tragen, und weil ich es tun will. Ich will das tun, was für mich das Beste ist, und ich werde nie wieder eine so gute Wahl haben. Und dann kann ich auch gar nicht anders, ich weiß nicht warum. Das ist die volle Wahrheit in der Sache. Sie wollen doch eines Tages jemand heiraten.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Gewiß werden Sie das tun. Warum wollen Sie mich nicht heiraten?«

Agatha biß auf ihre Unterlippe, blickte kläglich über den Rasen und sagte nach einer langen Pause widerstrebend: »Nun gut. Aber bedenken Sie, daß Sie sehr töricht handeln, und wenn Sie nachher enttäuscht sind, müssen Sie mir keine Vorwürfe machen.«

»Ich übernehme die Verantwortung für mein Handeln,« sagte er und ließ ihre Hand frei. Dann zog er sein Taschenbuch heraus und lehnte es gegen die Türe. »Sie brauchen sie für Ihr Handeln nicht zu übernehmen, und ich hoffe, daß Sie nicht das schlechtere Los von uns beiden ziehen. Wir haben heute den siebzehnten Juni. Welcher Tag vor dem vierundzwanzigsten Juli wird Ihnen passen?«

»Sie meinen doch den vierundzwanzigsten Juli nächsten Jahres?«

»Nein, ich meine dieses Jahr. Ich muß an diesem Tage, verheiratet oder nicht, ins Ausland gehen und einer Konferenz in Genf beiwohnen, und ich möchte Sie mitnehmen. Ich will Ihnen eine Menge Plätze und Dinge zeigen, dir Sie nie vorher gesehen haben. Es ist Ihr Recht, den Tag zu bestimmen, aber Sie haben keine ernsthaften Besorgungen und ich habe sie.«

»Aber Sie wissen ja gar nicht, was ich alles besorgen müßte. Sie warten besser, bis Sie vom Festlande zurück sind.«

»Sie brauchen für gar nichts außer der Wohnung und Ihrer Aussteuer zu sorgen. Die Aussteuer, das ist alles Unsinn, und Jansenius kennt mich, wie schnell ich eine Wohnung einrichte. Ich war in sechs Wochen verheiratet.«

»Ja,« sagte Agatha scharf, »aber ich bin nicht Henrietta.«

»Nein, Gott sei Dank, nicht,« stimmte er ruhig zu.

Agatha fühlte Gewissensbisse. »Es war häßlich von mir, das zu sagen,« bemerkte sie. »Und von Ihnen auch!«

»Was wahr ist, soll man sagen, ob es häßlich ist oder nicht. Wollen Sie am vierundzwanzigsten mit nach Genf kommen?«

»Aber – Ich dachte wirklich nicht, als ich – Ich wollte nicht sagen, ich würde – Ich –«

»Ich weiß es. Sie wollen mitkommen, wenn wir verheiratet sind.«

»Ja. Wenn wir verheiratet sind.«

»Wir werden verheiratet sein. Schreiben Sie nicht, weder an Ihre Mutter noch an Jansenius, bis ich Sie darum bitte.«

»Ich habe gar nicht die Absicht. Ich wüßte nicht, was ich darüber schreiben sollte.«

»Sie Schelm! Und seien Sie nicht eifersüchtig, wenn Sie mich dabei ertappen, wie ich Lady Brandon den Hof mache. Ich tue das immer, sie erwartet es von mir.«

»Sie mögen den Hof machen, wem Sie wollen. Das geht mich nichts an.«

»Hier kommt der Wagen mit Lady Brandon und Ger– und Miß Lindsay. Ich darf sie jetzt nur noch Gertrude nennen, wenn Sie nicht dabei sind. Bevor die andern uns unterbrechen, darf ich Sie wohl noch einmal an drei Punkte erinnern, über die wir uns einig sind. Ich liebe Sie. Sie lieben mich nicht. Wir heiraten vor dem Vierundzwanzigsten nächsten Monats. Jetzt muß ich eilen und der gnädigen Frau beim Aussteigen behilflich sein.«

Er lief zur Haustüre, vor der der Wagen grade gehalten hatte. Agatha war verwirrt und schämte sich, ihren Freundinnen gegenüberzutreten. Sie ging durch das Gewächshaus in ihr Zimmer und schloß sich ein.

Trefusis ging mit Gertrude in die Bibliothek, während sich Lady Brandon noch im Hausflur aufhielt, um ihre Handschuhe auszuziehen und an die Hausmädchen einige Fragen zu stellen. Als sie dann folgte, fand sie die beiden nebeneinander am Fenster stehen. Gertrude hörte ihm mit dem geduldigen Ausdruck zu, den sie jetzt oft zeigte, wenn er sprach. Er lächelte, aber es fiel Jane doch auf, daß er etwas unruhig war.

»Ich begann grade,« sagte er, »Miß Lindsay von dem außerordentlichen Ereignis zu erzählen, das in Ihrer Abwesenheit vorgekommen ist.«

»Ich weiß schon,« rief Jane mit plötzlicher Überzeugtheit aus. »Die Heizvorrichtung im Gewächshaus ist gesprungen.«

»Möglich,« sagte Trefusis. »Aber wenn es der Fall ist, ich habe nichts davon gehört.«

»Wenn sie nicht gesprungen ist, wird sie noch springen,« sagte Jane verdrießlich. Dann zwang sie sich mit einiger Mühe, für Trefusis' Neuigkeiten Interesse zu zeigen, und fügte hinzu: »Nun, was hat sich ereignet?«

»Ich plauderte vorhin mit Miß Wylie, und da fiel uns eine merkwürdige Idee ein. Wir besprachen sie eine Zeitlang, und das Ergebnis ist, wir werden uns vor Ende des nächsten Monats verheiraten.«

Jane errötete und starrte ihn an, und er blickte scharf nach ihr zurück. Gertrude wechselte, obgleich sie unbeobachtet war, ihre ruhige, glückliche Miene keine Sekunde, aber eine grünlichweiße Farbe erschien auf ihrem Gesicht und machte nur langsam ihrem gewöhnlichen Teint Platz.

»Wollen Sie sagen. Sie verheiraten sich mit Agatha?« fragte nach einer Pause Lady Brandon ungläubig.

»Ja. Ich hatte diese Absicht noch nicht, als ich Sie das letztemal sah, sonst hätte ich es Ihnen gesagt.«

»So was habe ich in meinem Leben noch nicht gehört? Sie haben sich also innerhalb fünf Minuten ineinander verliebt?«

»Lieber Himmel, nein! Wir sind nicht ineinander verliebt. Glauben Sie, ich würde mich aus solch einem leichtfertigen Grunde verheiraten? Nein. Die Idee kam ganz plötzlich, und die Vorteile einer Heirat zwischen uns drängten sich mir gewaltsam auf. Ich war glücklich genug, sie zu meiner Ansicht zu bekehren.«

»Gewiß, es wird ein starker Druck bei ihr nötig gewesen sein. Freilich!« sagte Jane und warf Gertrude, die ausdruckslos lächelte, einen Blick zu.

»Wie Sie durchblicken lassen,« bemerkte Trefusis kühl, »mag ihr Widerstreben nur Verstellung gewesen sein. Sie war vielleicht nur zu glücklich, einen solchen reizenden Gatten zu bekommen. Aber in diesem Falle hat sie das sehr gut zu verbergen gewußt.«

Gertrude nahm ihren Hut ab und verließ, ohne etwas zu sagen, das Zimmer.

»Das ist meine Rache, weil Sie Brandon geheiratet haben,« sagte er dann und näherte sich Jane.

»O ja,« entgegnete sie ironisch. »Ich glaube Ihnen das natürlich alles.«

»Sie haben für seine Wahrheit denselben Beweis wie für all die törichten Dinge, die ich Ihnen gestehe. Hier!« Er zeigte auf einen Spiegel, der Janes Figur in voller Größe zurückwarf.

»Ich sehe nichts, was daran zu bewundern ist,« sagte Jane und sah sich mit großem Wohlgefallen an. »Höchstens meine Größe, wenn Sie die bewundern.«

»Es ist unmöglich, von einer guten Sache zuviel zu haben. Aber ich darf Sie jetzt nicht mehr ansehen. Wenn auch Agatha sagt, sie liebt mich nicht, so weiß ich doch nicht sicher, ob es ihr angenehm ist, wenn ich jemand anderm einen Liebesblick zuwerfe.«

»Sie sagt, sie liebt Sie nicht! Glauben Sie ihr das nicht. Sie hat sich Mühe genug gegeben, Sie zu fangen.«

»Sie schmeicheln mir. Sie selbst haben mich doch ohne Mühe gefangen, und doch würden Sie mich nicht haben wollen.«

»Es gehört sich, daß ein Mädchen wartet, bis sie gefragt wird. Ich glaube, Sie haben an Gertrude schändlich gehandelt – hoffentlich sind Sie nicht beleidigt, weil ich Ihnen das sage. Ich tadele Agatha am meisten. Sie ist ein schrecklich falsches Geschöpf.«

»Wieso?« fragte Trefusis erstaunt. »Was hat Miß Lindsay damit zu tun?«

»Das wissen Sie sehr gut.«

»Ich versichere Ihnen, daß ich es nicht weiß. Wenn Sie von sich selbst sprächen, könnte ich es verstehen.«

»Oh, Sie verstehen sich schlau herauszuwinden, wie alle Männer. Aber mich können Sie nicht täuschen. Sie hätten nicht tun sollen, als ob Sie Gertrude liebten, wenn Sie wirklich ein Band mit Agatha anknüpfen wollten. Und sie, die so tut, als wollte sie mit Sir Charles flirten – als ob er sich auch nur so viel aus ihr machte!«

Trefusis schien etwas verwirrt. »Ich hoffe, Miß Lindsay hat nicht solche – aber das konnte sie ja auch nicht.«

»So, konnte sie das nicht? Sie werden das ja bald sehen.«

»Sie haben uns falsch beurteilt, Lady Brandon. Miß Lindsay weiß es besser. Und dann bedenken Sie, daß mein Antrag gar nicht vorher beschlossen war. Heute morgen hatte ich durchaus keine zärtlichen Gedanken an irgend jemand – ausgenommen an eine, die ich jetzt nicht nennen kann.«

»Oh, das sind alles Redensarten. Es hat jetzt keinen Zweck mehr.«

»Ich will nichts mehr sagen. Ich muß zum Dorfe fahren, um an meinen Anwalt zu telegraphieren. Wenn ich Erskine treffe, will ich ihm die gute Nachricht mitteilen.«

»Er wird entzückt sein. Er, wie wir alle, dachte, Sie wollten ihn bei Gertrude ausstechen.«

Trefusis lächelte, schüttelte seinen Kopf und ging mit einem Blick bewundernder Huldigung für Janes Reize hinaus. Jane betrachtete sich im Spiegel, bis ein Dienstmädchen sie bat, zu Master Charles und Miß Fanny zu kommen. Sie eilte die Treppe hinauf in die Kinderstube, wo ihr Sohn und ihre Tochter sich um das Vorrecht balgten, das Baby zu quälen. Sie waren durch Janes Eintritt etwas erschreckt, aber durchaus nicht besänftigt. Sie schalt, schmeichelte, drohte, gab gute Worte, zitierte Dr. Watts, flehte das Kindermädchen an und beschimpfte es dann, fragte die Kinder, ob sie einander liebten, ob sie Mama liebten, und ob sie eine gehörige Tracht Prügel haben wollten. Schließlich geriet sie außer sich, weil sie nicht imstande war, Ordnung zu schaffen. Sie nahm das Baby, das ununterbrochen laut geschrien hatte, und sagte, es täte das mit Absicht, und sie wollte ihm einen wirklichen Grund zum Schreien geben. Sie gab ihm einen gehörigen Schlag und befahl den andern beiden, zu Bett zu gehen. Der Knabe war entsetzt über das Schicksal seines kleinen Bruders und machte den Vermittlungsvorschlag, er wollte brav sein, wenn Miß Wylie käme und mit ihm spielte, worauf ihm seine eifersüchtige Mutter eine Ohrfeige verabreichte, daß er heulend in seine Ecke flog. Dann verließ sie das Zimmer, nachdem sie in der Türe sich noch einmal umgewandt und erklärt hatte, wenn sie heute noch einen Laut hörte, dann könnte man von ihr das Schlimmste erwarten. Als sie erhitzt und ärgerlich in das Gesellschaftszimmer herabkam, fand sie Agatha dort allein. Sie blickte mit einem Ausdruck zum Fenster hinaus, als ob die Landschaft etwas besonders Unbefriedigendes böte.

»Selbstsüchtige, kleine Bestien!« rief Jane und erregte mit ihren Röcken einen kleinen Wirbelwind, als sie hereinkam. »Charlie ist direkt ein kleiner Teufel. Er verbringt alle seine Zeit damit, nachzudenken, wie er mich quälen kann. Ach ja! Er ist genau wie sein Vater.«

»Danke sehr, mein Schatz,« sagte Sir Charles vom Eingang her.

Jane lachte. »Ich wußte, daß du da warst,« sagte sie. »Wo ist Gertrude?«

»Sie ist ausgegangen,« sagte Sir Charles.

»Unsinn! Sie ist soeben erst mit mir von der Ausfahrt zurückgekommen.«

»Ich weiß nicht, was du mit dem Wort Unsinn willst,« sagte Sir Charles gereizt. »Ich sah sie, wie sie den Riverside Road entlang ging. Ich war auf der Dorfstraße, und sie sah mich nicht. Sie schien in Eile zu sein.«

»Ich traf sie auf der Treppe und sprach sie an,« sagte Agatha. »Aber sie hörte mich nicht.«

»Hoffentlich ist sie nicht fortgegangen, um sich im Fluß zu ertränken,« sagte Jane. Dann wandte sie sich zu ihrem Manne und fragte ihn: »Hast du schon die Neuigkeit gehört?«

»Die einzige Neuigkeit, die ich gehört habe, ist aus dieser Zeitung,« sagte Sir Charles und zog ein Blatt heraus, das er auf den Tisch schleuderte. »Hier wird in einem Artikel gesagt, ich hätte mich einer höllischen sozialistischen Verbindung angeschlossen, und dann habe ich auch gehört, daß in der ›Times‹ ein Aufsatz über die Ausbreitung des Sozialismus steht, in dem mein Name genannt ist. Das verdanke ich alles Trefusis, und ich glaube, er hat mir einen ganz schändlichen Streich gespielt. Das werde ich ihm auch sagen, sobald ich ihn treffe.«

»Du solltest dir lieber in Agathas Gegenwart überlegen, was du über ihn sagst,« bemerkte Jane. »Oh, du brauchst nicht aufgeregt zu werden, Agatha. Ich weiß schon alles. Er hat es uns in der Bibliothek erzählt. Wir fuhren diesen Morgen aus – Gertrude und ich – und als wir zurückkamen, fanden wir Mr. Trefusis und Agatha am Eingang zum Gewächshaus in sehr vertrautem Gespräch. Sie hatten sich grade verlobt.«

»Wirklich!« sagte Sir Charles verwirrt und mißvergnügt und versuchte zu lächeln. »Dann darf ich Ihnen also gratulieren, Miß Wylie?«

»Sie brauchen das nicht,« sagte Agatha und bewahrte ihre Fassung, so gut sie es konnte. »Es war nur ein Scherz. Wenigstens kamen wir im Scherz dazu. Er hat kein Recht, zu sagen, wir seien verlobt.«

»Unsinn! Dummes Zeug!« sagte Jane. »Das geht nicht, Agatha. Er ist fortgegangen, um an seinen Sachwalter zu telegraphieren. Es ist ihm vollständig Ernst.«

»Ich bin ein großer Narr,« sagte Agatha. Sie setzte sich hin und rang ratlos die Hände »Ich glaube, ich habe irgend etwas gesagt, aber ich habe mir wirklich nichts dabei gedacht. Er brachte mich zum Sprechen, bevor ich wußte, was ich sagte. Ich habe mir da eine schöne Suppe eingebrockt!«

»Es freut mich, daß du endlich einmal übertölpelt worden bist,« sagte Jane mit schadenfrohem Lachen. »Du hast nie mit mir das geringste Mitleid gehabt, wenn ich im Augenblick nicht die richtigen Worte finden konnte.«

Agatha ließ die Stichelei unbeachtet. Ihr Blick wanderte umher und blieb zuletzt stehend auf Sir Charles haften. »Was soll ich tun?« fragte sie ihn.

»Nun, Miß Wylie,« antwortete er ernst, »wenn Sie keine Lust hatten, ihn zu heiraten, dann hätten Sie es ihm nicht versprechen sollen. Ich möchte mich nicht gleichgültig verhalten, und ich weiß, daß es sehr schwer ist, Trefusis los zu werden, wenn er auf etwas Absicht hat, aber noch –«

»Laß sie in Ruhe,« unterbrach ihn Jane. »Sie will ihn ebenso ernsthaft haben, wie er sie haben will. Du würdest ja ganz unglücklich sein, wenn er davonliefe, trotz allem deinem interessanten Sprödetun.«

»Es ist wirklich nicht so,« sagte Agatha ernst. »Ich wollte, ich hätte mir Zeit ausbedungen, um darüber nachzudenken. Jetzt hat er es wohl schon aller Welt erzählt.«

»Dann können wir die Sache wohl als entschieden betrachten?« fragte Sir Charles.

»Natürlich kannst du das,« antwortete Jane verächtlich.

»Bitte, Jane, laß Miß Wylie für sich selber sprechen. Ich gestehe, ich weiß nicht, warum Sie noch im Zweifel sind – wenn Sie ihm wirklich Ihre Zusage gegeben haben.«

»Ich glaube, ich habe mich einverstanden erklärt,« sagte Agatha. »Mir ist es, als ob ich noch ein schlimmes Bedenken gehabt hätte, aber ich weiß nicht mehr, was es war. Ich wollte, ich hätte ihn nie gesehen.«

Sir Charles war verwirrt. »Ich verstehe das Benehmen der Damen in solchen Dingen nicht,« sagte er. »Da es indessen nicht mehr zweifelhaft scheint, daß Sie und Trefusis verlobt sind, so werde ich ihm natürlich nichts sagen, was ihm seine Besuche hier unangenehm macht. Aber ich muß doch bemerken, daß er – um mich gelinde auszudrücken – mir gegenüber leichtfertig gehandelt hat. Ich unterzeichnete in seinem Hause ein Schriftstück unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß es streng privat sei. Und jetzt hat er es in die ganze Welt ausposaunt und öffentlich meinen Namen nicht nur mit seinem zusammengebracht, sondern auch mit dem von Personen, von denen ich nur weiß, daß ich nichts mit ihnen zu tun haben möchte.«

»Was macht es?« fragte Jane. »Niemand legt den geringsten Wert darauf.«

»Ich lege Wert darauf,« sagte Sir Charles ärgerlich. »Kein vernünftiger Mensch kann mir vorwerfen, ich überschätzte meine eigene Bedeutung, wenn ich dagegen protestiere, daß mein Name öffentlich zur Unterstützung von Bestrebungen benutzt wird, die ich nicht billige.«

»Vielleicht hatte Mr. Trefusis nichts damit zu tun,« sagte Agatha. »Die Zeitungen veröffentlichen doch, was sie wollen.«

»So ist's recht!« fiel Jane boshaft ein. »Laß niemand etwas Böses über ihn sprechen.«

»Ich spreche nichts Böses über ihn,« sagte Sir Charles, bevor Agatha erwidern konnte. »Es ist nur eine Vermutung, und ich würde sie gar nicht erwähnt haben, wenn ich die veränderten Beziehungen zwischen ihm und Miß Wylie gekannt hätte.«

»Bitte, sprechen Sie nicht davon,« sagte Agatha. »Am liebsten würde ich mit dem nächsten Zug davonfahren.«

Inzwischen kehrte Erskine von seinem Morgenausflug zurück und traf im Dorf Trefusis, an dem er mit einem Kopfnicken vorbeizukommen suchte. Aber Trefusis rief ihn an, zu halten, und er stieg widerstrebend ab.

»Ich möchte nur sagen, daß ich mich verheirate,« sagte Trefusis.

»Mit –?« Erskine konnte Gertrudes Namen nicht herausbringen.

»Mit einer Ihrer Freundinnen auf Beeches. Raten Sie, mit welcher.«

»Mit Miß Lindsay vermutlich.«

»Wer zum Teufel hat Ihnen allen in den Kopf gesetzt, Miß Lindsay und ich seien besonders miteinander befreundet?« rief Trefusis aus. » Sie sind mir immer als der richtige Mann für Miß Lindsay erschienen. Ich werde mich mit Miß Wylie verheiraten.«

»Wirklich!« rief Erskine mit einem Gefühl, als ob plötzlich nach einem strengen Frost Tauwetter eingetreten sei.

»Natürlich. Und jetzt, Erskine, haben Sie den Vorteil, ein armer Mann zu sein. Lassen Sie das prächtige Mädchen nicht für Geld heiraten. Wenn Sie wie bisher weiter zögern, dann machen Sie sich selbst und sie auch unglücklich.« Er nickte ihm zu und ging weiter. Der andere stand da und starrte ihm nach.

»Wenn er sie hintergangen hat, ist er ein Schuft,« sagte Erskine. »Es tut mir leid, daß ich ihm das nicht gesagt habe.«

Er bestieg wieder sein Rad und fuhr langsam den Riverside Road hinunter. Er vermutete zuerst, Trefusis habe ihn getäuscht, aber dann kam er doch dazu, ihm zu glauben, und beschloß auf jeden Fall, seinem Rat in bezug auf Gertrude zu folgen. Die Unterhaltung, die er in der Allee belauscht hatte, machte ihn noch unsicher. Er konnte sie nicht übereinbringen mit Trefusis' Geständnis, daß er keine Absichten auf Gertrude habe.

Sein Rad trug ihn geräuschlos auf den Gummireifen zu der Stelle, an der der Schierling wuchs, und hier sah er Gertrude auf dem niedrigen Erdwall sitzen, der das Feld von dem Wege schied. Ihr Strohkorb, mit der Schere darin, lag neben ihr. Sie hatte ihre Finger gekreuzt und ließ ihre Hände auf den Knien ruhen. Ihr Gesichtsausdruck war ganz leer und verriet so wenig ernsthafte Bewegung, daß Erskine lachte, als er dicht neben ihr absprang.

»Sind Sie müde?« fragte er.

»Nein,« entgegnete sie ganz ohne Überraschung, und sie lächelte mechanisch, was eine ungewöhnliche Herablassung von ihrer Seite war.

»In Träume versunken?«

»Nein.« Sie setzte sich etwas zur Seite und bedeckte den Korb mit ihrem Kleid.

Er fing an zu fürchten, daß etwas nicht in Ordnung sei. »Ist es möglich, daß Sie sich wieder unter diese vergifteten Pflanzen gewagt haben?« fragte er. »Sind Sie krank?«

»Durchaus nicht,« antwortete sie und richtete sich etwas auf. »Ihre Besorgnis ist ganz weggeworfen. Ich fühle mich vollkommen wohl.«

»Ich bitte Sie um Verzeihung,« sagte er gekränkt. »Ich dachte – halten Sie es nicht für gefährlich, auf diesem feuchten Erdwall zu sitzen?«

»Er ist nicht feucht. Er zerfällt vor Trockenheit in Staub.« Ein unnatürliches Lachen, mit dem sie schloß, verstärkte den Eindruck ihrer inneren Ruhelosigkeit.

Er begann einen Satz und hielt wieder inne, und um Zeit zu gewinnen, stellte er sein Rad in den gegenüberliegenden Graben. Sie sah ihm ungeduldig zu, als sie seine Absicht, hier zu bleiben und zu sprechen, erkannte. Sie war aber die erste, die etwas sagte, und sie tat es mit einer so stumpfen Gleichgültigkeit, daß er erschrak.

»Haben Sie die Neuigkeit gehört?«

»Welche Neuigkeit?«

»Über Mr. Trefusis und Agatha. Sie sind verlobt.«

»Trefusis erzählte es mir. Ich traf ihn im Dorfe. Ich war sehr erfreut, als ich es hörte.«

»Natürlich.«

»Aber ich hatte einen besonderen Grund, erfreut zu sein.«

»Wirklich?«

»Ich hatte eine verzweifelte Furcht, bevor er mir die Wahrheit erzählte, daß er andere Absichten hätte – Absichten, die meinen teuersten Hoffnungen unheilvoll gewesen wären.«

Gertrude runzelte die Stirne, und ihr Stirnrunzeln stachelte ihn auf, sie herauszufordern. Er verlor seine Selbstbeherrschung, die schon durch ihr seltsames Benehmen erschüttert war. »Sie wissen, daß ich Sie liebe. Miß Lindsay,« sagte er. »Es mag vielleicht keine vollkommene Liebe sein, aber, menschlich gesprochen, ist sie eine treue Liebe. Ich war ja ungefähr so weit, Ihnen das zu sagen, als wir an jenem Tage zusammen in dem Billardzimmer waren. Aber an demselben Abend tat ich etwas sehr Unehrenhaftes. Als Sie mit Trefusis in der Allee sprachen, stand ich dicht dabei und belauschte Sie.«

»Dann haben Sie ihn gehört,« schrie Gertrude heftig. »Sie hörten, wie er schwur, es sei ihm ernst.«

»Ja,« sagte Erskine zitternd. »Und ich dachte, er meinte, daß er Sie im Ernst liebte. Sie dürfen mich kaum deswegen tadeln. Ich war selbst verliebt, und die Liebe ist blind und eifersüchtig. Ich gab alle Hoffnung auf, bis er mir erzählte, daß er sich mit Miß Wylie verheiraten würde. Darf ich jetzt mit Ihnen sprechen, da ich weiß, daß ich mich geirrt habe, oder da Sie andern Sinnes geworden sind.«

»Oder da er anderen Sinnes geworden ist,« sagte Gertrude höhnisch.

Erskine, den eine neue Angst um sie befiel, zuckte zusammen. Ihr Stolz war ihm teuer, und er sah, daß ihre Enttäuschung sie gleichgültig dagegen machte. »Sagen Sie mir jetzt nichts, Miß Lindsay, damit Sie nicht –«

»Was habe ich gesagt? Was soll ich sagen?«

»Nichts, außer über meine eigenen Angelegenheiten. Ich liebe Sie von Herzen.«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung, als ob das eine sehr gleichgültige Sache sei.

»Ich hoffe, Sie glauben mir das,« sagte er furchtsam.

Gertrude machte eine Anstrengung, um ihre gewöhnliche Zurückhaltung als Dame wiederzugewinnen, aber ihre Energie ließ nach, bevor sie mehr als ihren Kopf erhoben hatte. Sie sank in ihre Teilnahmlosigkeit zurück und machte eine schwache Bewegung des Widerstrebens.

»Es kann Ihnen doch nicht ganz gleichgültig sein, wenn Sie geliebt werden,« sagte er und wurde ungeduldiger und dringender. »Sie sind mein ganzes Glück. Ich biete Ihnen meine Dienste und meine Verehrung an. Ich bitte Sie um keine Belohnung.« Er sprach jetzt sehr schnell und fast unhörbar. »Sie mögen meine Liebe annehmen, ohne sie zu erwidern. Ich wünsche – ich suche keinen Vorteil zu erlangen. Wenn Sie einen Freund brauchen, so können Sie sich auf mich viel vertrauensvoller verlassen, da Sie wissen, daß ich Sie liebe.«

»Oh, Sie glauben das,« unterbrach ihn Gertrude. »Aber Sie werden darüber hinwegkommen. Ich bin nicht die Art von Frauen, in die sich die Männer verlieben. Sie werden bald Ihre Neigung ändern.«

»Sie sind nicht die Art? Oh, wie wenig wissen Sie!« sagte er und wurde beredt. »Ich hatte übergenug Zeit, anderen Sinnes zu werden, aber ich bin darin so fest wie jemals. Wenn Sie Zweifel haben, dann warten Sie und stellen Sie mich auf die Probe. Aber behandeln Sie mich nicht rauh. Sie quälen mich mehr als Sie denken, wenn Sie heftig oder gleichgültig sind. Ich spreche im Ernst.«

»Ha, ha! Das ist leicht gesagt.«

»Nicht von meiner Seite. Ich wechsele in meinem Urteil über andere Leute je nach meiner Stimmung, aber ich glaube standhaft an Ihre Güte und Schönheit – als ob Sie ein Engel wären. Mir ist meine Liebe zu Ihnen so ernst wie meine Liebe zu meinem eigenen Leben, das ich nur durch Ihre Hilfe und Ihren Einfluß vervollkommnen kann.«

»Sie irren sich sehr, wenn Sie glauben, ich sei ein Engel.«

»Es ist unrecht, daß Sie sich selbst mißtrauen. Aber ich denke an das, was ich Ihnen schuldig bin, nicht an das, was ich von Ihnen erwarte, wenn ich Sie einen Engel nenne. Ich weiß, daß Sie für sich selber kein Engel sind. Aber für mich sind Sie es sicher.«

Sie saß da und verharrte in eigensinnigem Schweigen.

»Ich will Sie jetzt nicht zu einer Antwort drängen. Ich bin zufrieden, daß Sie meine Gefühle jetzt kennen. Wollen wir zusammen zurückkehren?«

Sie sah sich langsam um und blickte nach dem Schierling und von da über den Fluß. Dann nahm sie ihren Korb, erhob sich und wandte sich mit gezwungener Bewegung zum Gehen.

»Wollen Sie noch etwas Schierling?« fragte er. »Ich will Ihnen gerne welchen pflücken.«

»Ich wollte, Sie ließen mich allein,« sagte sie in plötzlichem Ärger. Dann fügte sie, etwas beschämt, hinzu: »Ich habe Kopfschmerzen.«

»Es tut mir sehr leid,« sagte er bestürzt.

»Ich habe nur nicht gerne, wenn man mit mir spricht. Es schmerzt meinen Kopf, wenn ich zuhöre.«

Er nahm demütig sein Rad aus dem Graben und fuhr, ohne weiter ein Wort zu sagen, neben ihr her bis Beeches. Sie gingen durch das Gewächshaus in das Speisezimmer, wo sie voneinander schieden. Bevor sie ihn verließ, sagte sie etwas reuig: »Ich hatte nicht die Absicht, Ihnen weh zu tun, Mr. Erskine.«

Er errötete, murmelte etwas und versuchte, ihre Hand zu küssen. Aber sie riß sie weg und ging schnell hinaus. Diese Zurückweisung kränkte ihn, und er stand da und quälte sich mit den Gedanken daran, bis ihn der Eintritt eines Dienstmädchens aufstörte. Er erfuhr von ihr, daß Sir Charles im Billardzimmer war. Er ging zu ihm und fragte ihn gleichgültig, ob er schon die Neuigkeit gehört habe.

»Über Miß Wylie?« fragte Sir Charles. »Ja, ich dächte. Ich glaube, die ganze Gegend weiß es schon, obgleich sie noch keine drei Stunden verlobt sind. Haben Sie dieses hier gesehen?« Und er legte ein paar Zeitungen auf den Tisch.

Erskine mußte sich ein paarmal zusammennehmen, bevor er lesen konnte. »Sie waren ein Narr, daß Sie dieses Schriftstück unterzeichnet haben,« sagte er. »Ich habe es Ihnen damals schon gesagt.«

»Ich verließ mich darauf, daß der Bursche ein Gentleman sei,« sagte Sir Charles erregt. »Ich sehe nicht ein, daß ich ein Narr war. Ich sehe nur, daß er ein ungehobelter Patron ist, und wegen der Sache mit Miß Wylie möchte ich ihm meine Meinung sagen. Ich will Ihnen nur sagen, Chester, daß er mit Miß Lindsay ein falsches Spiel gespielt hat. Oben ist der Teufel los. Sie hat grade Jane erzählt, daß sie sofort nach Hause fahren muß. Miß Wylie erklärt, sie wolle nichts mit Trefusis zu tun haben, wenn Miß Lindsay ein früheres Anrecht an ihn habe, und Jane ist entrüstet, weil er alle Welt bewundert, nur sie nicht. Es geschieht mir recht. Mein Instinkt warnte mich von Anfang an vor diesem Kerl.«

Grade jetzt wurde das Essen angekündigt. Gertrude kam nicht herunter. Agatha war schweigsam und verdrießlich. Jane versuchte von Erskine einen Bericht über sein Zusammentreffen mit Gertrude zu bekommen, aber er enttäuschte ihre Neugierde, indem er aus seiner Beschreibung alles ausließ, was über alltägliche Redensarten ging.

»Ich finde ihr Benehmen sehr seltsam,« sagte Jane. »Sie besteht darauf, mit dem Vieruhrzug abzufahren. Ich betrachte das als eine Unhöflichkeit gegen mich, besonders da sie immer so viel auf ihr feines Benehmen gegeben hat. So etwas ist mir noch nicht vorgekommen!«

Nach Tisch gingen sie zusammen in das Gesellschaftszimmer und waren kaum dort angelangt, als Trefusis gemeldet wurde. Er war auch schon im Zimmer, ehe sie die Bestürzung verbergen konnten, die sein Name auf ihren Gesichtern hervorrief.

»Ich komme, um mich zu verabschieden,« sagte er. »Ich finde, daß ich mit dem Vieruhrzug zur Stadt fahren muß, um meine Angelegenheiten persönlich in Ordnung zu bringen. Die Telegramme, die ich erhalten habe, reden nur von Aufschub. Haben Sie die ›Times‹ gelesen?«

»Gewiß habe ich das,« sagte Sir Charles nachdrücklich.

»Sie stehen auch schon in einigen anderen Zeitungen und werden im Laufe der nächsten vierzehn Tage noch in ein weiteres halbes Dutzend hineinkommen. Leute, die sich zu einer Ansicht bekannt haben, haben immer Ärger mit den Zeitungen, einige, weil sie nicht hineinkommen können, andere, weil man sie nicht draus läßt. Wenn Sie ein donnerndes revolutionäres Manifest erlassen hätten, keine Tageszeitung würde es wagen, darauf anzuspielen. Es gibt doch keine Feigheit, wie die Feigheit vor der Fleetstreet! Ich muß forteilen. Ich habe noch viel zu tun, bevor ich abreise, und es geht auf drei Uhr an. Adieu, Lady Brandon, und die andern.«

Er schüttelte Jane die Hand, nickte den andern einzeln zu, wobei er zu Agathas Gunsten keine Ausnahme machte, und eilte hinaus. Sie starrten ihm einen Augenblick nach, und dann rannte Erskine hinaus und die Treppe hinunter, indem er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Trotzdem mußte er bis zur Allee laufen, bis er seinen Mann einholte.

»Trefusis,« sagte er atemlos, »Sie dürfen nicht mit dem Vieruhrzug fahren.«

»Warum nicht?«

»Miß Lindsay fährt mit demselben Zug zur Stadt.«

»Um so besser, mein lieber Junge, um so besser. Sie sind doch jetzt nicht mehr eifersüchtig auf mich?«

»Sehen Sie, Trefusis. Ich weiß nicht und frage auch nicht, was zwischen Ihnen und Miß Lindsay vor sich gegangen ist. Aber Ihre Verlobung hat sie ganz aus der Fassung gebracht, und sie flieht nur deswegen nach London. Wenn Sie hört, daß Sie mit demselben Zug fahren, wird sie bis morgen warten, und ich glaube, der Aufschub würde ihr sehr unangenehm sein. Wollen Sie ihr auch diese Pein noch zufügen?«

Trefusis war augenscheinlich verwirrt und sah Erskine zweifelnd an, indem er einen Augenblick überlegte. »Ich glaube, Sie sind in dieser Sache auf einer falschen Fährte,« sagte er. »Meine Beziehungen zu Miß Lindsay hatten nichts mit Gefühlen zu tun. Haben Sie ihr etwas gesagt – ich meine, in Ihrer eigenen Sache?«

»Ich habe über beide Angelegenheiten mit ihr gesprochen und weiß aus ihrem eigenen Munde, daß ich recht habe.«

Trefusis stieß einen leisen Pfiff aus.

»Es ist nicht das erstemal, daß ich in dieser Sache einen klaren Einblick gewann,« sagte Erskine bezeichnend. »Bitte, behandeln Sie die Sache ernsthaft, Trefusis. Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen offen sage, daß nur Ihr gänzlicher Mangel an Gefühl Sie wegen der Art, wie Sie gegen sie gehandelt haben, entschuldigt.«

Trefusis lächelte. »Verzeihen Sie mir dafür meine Neugierde,« sagte er. »Was antwortete sie Ihnen auf Ihren Antrag?«

Erskine zauderte und zeigte durch sein Benehmen, daß Trefusis nach seiner Ansicht kein Recht zu dieser Frage hatte. »Sie sagte gar nichts,« antwortete er.

»Hm!« sagte Trefusis. »Gut, was den Zug angeht, so können Sie sich auf mich verlassen. Hier ist meine Hand darauf.«

»Ich danke Ihnen,« sagte Erskine mit Wärme. Sie schüttelten sich die Hände und schieden voneinander. Trefusis ging mit einem Grinsen davon, das alles andere als Vertrauen erweckte.


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