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Achtes Kapitel

Mrs. Trefusis fand ihre Eltern so gefühllos in der Angelegenheit ihrer Ehe, daß sie kurz nach ihrem Besuch in Lyvern ihr Haus verließ und bei einer gastlichen Freundin eine Wohnung nahm. Da sie aber über das, was immerzu ihre Gedanken erfüllte, nicht schweigen konnte, so besprach sie die Flucht ihres Mannes mit dieser Freundin. Diese sagte einfach, Trefusis' Benehmen sei schändlich und gemein. Henrietta konnte das nicht ertragen und suchte Obdach bei einer Verwandten. Hier kam es zu derselben Unterredung, und die Verwandte sagte:

»Nun, Hetty, wenn ich offen sprechen soll, ich habe Sidney Trefusis schon sehr lange gekannt, und es gibt keinen Menschen, mit dem man leichter auskommen kann. Aber du bist, wie du weißt, manchmal sehr schwer zu behandeln.«

»Also jetzt,« schrie Henrietta und brach in Tränen aus, »nachdem er mich so schändlich behandelt hat, muß ich mir sagen lassen, ich sei selbst an allem schuld.«

Sie verließ am nächsten Tage das Haus und folgte der Einladung einer geschiedenen Frau, die den Gegenstand überhaupt nicht besprechen wollte. Das erwies sich als unerträglich, und Henrietta zog zu ihrem Onkel Daniel Jansenius, einem lustigen und nachgiebigen Mann. Er war der Ansicht, es würde schon alles wieder in Ordnung kommen, sobald beide Teile vernünftiger geworden wären. Und was die Schuldfrage anging, so lautete sein Urteil: zu sechs Teilen trüge die eine Partei die Schuld, zu einem halben Dutzend die andere. Wenn er seine Nichte grübelnd oder weinend fand, dann lachte er und nannte sie eine Strohwitwe. Henrietta fand, daß sie alles auf der Welt eher ertragen könnte, als das. Sie erklärte, die Welt sei abscheulich gegen sie, und mietete eine möblierte Villa in St. Johns Wood, in die sie im Dezember einzog. Da sie aber da sehr an der Einsamkeit litt, schrieb sie bald einen überschwenglichen Brief an Agatha und lud sie ein, die kommenden Weihnachtsferien bei ihr zu verbringen. Sie versprach jeden Luxus und jedes Vergnügen, das unbegrenzte Zuneigung vorschlagen und unbegrenzte Mittel gewähren konnten. Agathas Antwort enthielt einige unerwartete Mitteilungen.

 

Alton-Lyvern, den 14. Dezember.

Teuerste Hetty,

ich glaube nicht, daß ich Deinen Vorschlag ganz annehmen kann, da ich Weihnachten mit Mama in Chiswick verbringen muß. Aber ich brauche erst Weihnachtsabend dorthin zu gehen, und wir brechen hier schon nächste Woche, am 20., auf. Dann fahre ich gleich zu Dir hin und bringe Dich mit zu Mama, wo wir die Feiertage viel besser verbringen werden, als wenn wir uns in einem fremden Hause langweilen. Es ist noch nicht ganz sicher, ob ich dann schon die Schule verlasse. Du mußt mir versprechen, das niemand zu erzählen, ich habe nämlich einen Freund hier – einen Liebhaber. Nicht daß ich in ihn verliebt bin, obgleich ich ihn sehr hoch schätze – du weißt, ich bin keine romantische Närrin. Aber er ist sehr in mich verliebt, und ich wollte, ich könnte das erwidern, wie er es verdient. Die Franzosen sagen, die eine Person hält die Wange hin, und die andere küßt sie. Ganz so weit ist es noch nicht zwischen uns gekommen. In Wahrheit, seit er mir seine Gefühle gestanden hat, hat er kaum ein paar flüchtige Worte mit mir sprechen können, wenn ich Schlittschuh laufen oder spazieren ging. Aber es ist wenigstens jedesmal ein vielsagendes Wort oder ein Blick gewechselt worden.

Und jetzt, wer glaubst Du, daß es ist? Er sagt, er kennt Dich. Kannst Du es erraten? Er sagt, Du wüßtest alle seine Geheimnisse. Er sagt, er kennt auch sehr gut Deinen Mann. Der hätte Dich sehr schlecht behandelt, und Du verdientest große Teilnahme. Errätst Du es jetzt? Er sagt, er hätte Dich geküßt – schäme Dich, Hetty! Hast Du es nun erraten? Er wollte mir grade noch mehr erzählen, als wir unterbrochen wurden, und ich habe ihn seitdem nur aus der Entfernung gesehen. Er ist der Mann, mit dem Du an jenem Tag davongelaufen bist, was uns alle solche Angst einflößte – Mr. Sidney. Ich war die erste, die seine Verstellung entdeckte, und an jenem selben Morgen hatte ich es ihm vorgeworfen, und er gestand es mir ein. Er sagte damals, er verberge sich vor einer Frau, die in ihn verliebt sei, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn sich das als wahr herausstellte, denn er ist ein prachtvoller Mensch – wirklich, ich kann ihn grade deswegen so gut leiden, weil er bei weitem der tüchtigste Mensch ist, den ich je getroffen habe. Und doch hält er gar nichts von sich selbst. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was er an mir Kostbares bemerkt, obgleich er offenbar durch meine Reize gefesselt ist. Hoffentlich entdeckt er nicht, wie närrisch ich bin. Er nennt mich sein goldenes Idol –

 

Henrietta riß mit einem Schrei der Wut den Brief mitten durch und trat darauf. Als der Anfall nachließ, hob sie die Stücke auf, hielt sie so genau zusammen, wie es ihre zitternden Hände erlaubten, und las weiter.

 

– aber er ist nicht lauter Honig und kann Dir die ernstesten Dinge sagen, wenn er glaubt, er müßte es tun. Er hat mich wegen meiner Unwissenheit so beschämt, daß ich entschlossen bin, hier noch ein Semester zu bleiben und so eifrig zu lernen, wie ich kann. Ich habe bisher noch nicht damit angefangen, weil es sich am Ende des Semesters doch nicht lohnt, aber wenn ich im Januar zurückkomme, gehe ich ernsthaft an die Arbeit. Daran kannst Du sehen, welchen guten Einfluß er auf mich ausübt. Wenn wir uns treffen, werde ich Dir alles über ihn erzählen, denn ich habe jetzt keine Zeit dazu, weil die Mädchen mich drängen, mit zum Schlittschuhlaufen zu kommen. Er gibt sich für einen Arbeiter aus und zieht uns die Schlittschuhe an, und Jane Carpenter glaubt, er sei in sie verliebt. Jane ist außerordentlich gutherzig, aber sie hat ein unbändiges Talent, sich selbst lächerlich zu machen. Das Eis ist fein und das Wetter freundlich; aus der Kälte machen wir uns gar nichts. Sie drohen mir, ohne mich zu gehen – adieu!

Deine Dich treu liebende
Agatha

 

Henrietta sah sich nach einem scharfen Gegenstand um. Sie griff wütend nach einer Schere und stach damit in die Luft. Dann wurde sie sich ihres mörderischen Anfalls bewußt und erschauerte darüber, aber schon einen Augenblick später ergriff sie von neuem ihre Eifersucht. Wie erstickend schrie sie: »Es ist mir gleich, ich möchte sie töten!« Doch sie nahm die Schere nicht wieder auf.

Schließlich klingelte sie heftig und verlangte einen Eisenbahnfahrplan. Als sie hörte, daß keiner im Hause war, zankte sie das Mädchen so unvernünftig aus, daß es einfach sagte, wenn es in einer solchen Weise angeredet würde, dann möchte es lieber am Ende des Monats gehen. Diese Zurechtweisung brachte Henrietta zur Besinnung. Sie ging die Treppe hinauf und nahm den ersten Mantel, den sie fand. Es war glücklicherweise ein schwerer Pelzmantel. Dann nahm sie ihre Geldtasche, setzte den Hut auf und verließ das Haus. Die erste Droschke, die vorbeifuhr, rief sie an und ließ sich nach St. Pancrasstation fahren.

Als die Nacht hereinbrach, war die Luft in Lyvern in der schneidenden Kälte wie scharfes Eisen. Die Bäume und der Wind schienen so fest gefroren, wie es das Wasser war, und Schweigen, Stille und Sternenlicht lagen eisig über der Landschaft. Smilasch saß in seiner Schweizerhütte und hielt unbekümmert um den Preis der Kohlen ein prasselndes Feuer im Gang, das durch die vorhanglosen Fenster glühte und die Vorübergehenden quälte, die nicht wie die Viehhirten in der Nachbarschaft wußten, daß sie ruhig hereinkommen und sich wärmen konnten, ohne daß sie von dem Bewohner eine abschlägige Antwort erhielten. Smilasch war in guter Stimmung. Er hatte sich zu einem tüchtigen Schlittschuhläufer entwickelt, und Frostwetter galt ihm jetzt als Luxus. Es gab ihm Spannkraft und verjagte seine trüben Stimmungen. Es steigerte aber auch sein Mitgefühl für die Armen zu einem grimmen Humor, wenn er dachte, daß sie kein Feuer und kein Schlittschuhlaufen hatten und sich in dem ungesunden Dunst erwärmten, den eng zusammengedrängte Menschen zu jeder Jahreszeit entwickeln.

Smilasch pflegte sich jeden Abend um halb zehn einen heißen Trank aus Hafermehl und Wasser zu machen und dann um zehn zu Bett zu gehen. Er öffnete die Türe, um etwas Wasser auszugießen, das noch vom letzten Abwaschen im Kochtopf geblieben war. Es gefror, sowie es auf den Boden fiel. Er blickte in die Nacht und schüttelte sich, um das bedrückende Gefühl loszuwerben, in dieser eisigen Umklammerung der Luft verloren zu sein. Denn das Thermometer war unter den gewohnten Stand frischer und zerspringender Kälte gesunken und zeigte eine Temperatur, in der die erstarrte Luft zu einer schwarzen Masse zu gefrieren schien. Nichts rührte sich.

»Beim Henker!« sagte er, »das ist eine Nacht, an die man als reicher Mann gar nicht denken darf!«

Er schloß die Türe und eilte zu seinem Feuer zurück. Dort machte er sich an seinen warmen Trank, den er mit einer Sorgfalt beobachtete und umrührte, die einen Berufskoch zum Lächeln gebracht hätte. Als die Brühe fertig war, goß er sie in einen großen Krug, in dem sie verlockend dampfte. Mit einem Löffel schöpfte er etwas heraus und blies es, um es abzukühlen. Plötzlich klopfte es ein paarmal an die Türe.

»Eine hübsche Nacht für einen Spaziergang,« sagte er und legte den Löffel bin. Dann rief er: »Herein!«

Die Klinke erhob sich unsicher, und Henrietta, mit gefrorenen Tränen auf den Wangen und einem unbestimmten Ausdruck von Elend und Zorn, trat herein. Einen Augenblick sah er sie erstaunt an. Dann sprang er nach ihr hin, nahm sie in seine Arme, und sie sank gegen ihren Willen mit stummem Widerstreben an sein Herz.

»Du bist zu Tod erfroren,« rief er und trug sie ans Feuer. »Diese Pelzjacke ist wie eine Umhüllung von Eis. Und dein Gesicht erst!« sagte er und küßte es. »Was ist denn geschehen? Warum sträubst du dich so?«

»Laß mich gehen,« keuchte sie heftig. »Ich – ich hasse dich.«

»Mein armes Lieb, du bist zu kalt, um jemand zu hassen – selbst deinen Mann. Ich muß dir diese schrecklichen französischen Schuhe ausziehen. Deine Füße müssen ja vollkommen tot sein.«

Ihre Stimme und ihre Tränen tauten jetzt in der Wärme der Hütte und in der Glut seiner Zärtlichkeiten auf. »Du sollst sie nicht ausziehen,« sagte sie und weinte vor Frost und Kummer. »Laß mich in Ruhe. Rühr mich nicht an. Ich geh fort – ich gehe wieder zurück. Ich will nicht mit dir sprechen oder meine Sachen ablegen, ich rühre hier im Hause nichts an.«

»Nein, mein Lieb,« sagte er und setzte sie in einen geräumigen, hölzernen Armstuhl. Dann knöpfte er ihr schnell die Schuhe auf. »Du sollst auch nichts tun, was du nicht willst. Deine Füße sind wie Stein. Ja, mein Schatz, ich bin ein Lump und nicht wert, daß ich lebe. Ich weiß es.«

»Laß mich in Ruhe,« sagte sie kläglich. »Ich will deine Aufmerksamkeiten nicht. Ich bin mit dir für immer fertig.«

»Komm, du mußt etwas von diesem abscheulichen Zeug trinken. Du mußt dich stärken, damit du deinem Mann all die unangenehmen Sachen sagen kannst, mit denen du geladen bist. Nimm wenigstens einen Schluck.«

Sie wandte ihr Gesicht ab und wollte nicht antworten. Er brachte noch einen Stuhl her und setzte sich neben sie. »Mein armes, verlorenes, verratenes Lieb –«

»Das bin ich,« schluchzte sie. »Du meinst es gar nicht so, aber ich bin es doch.«

»Du bist auch meine Liebste und die beste von allen Frauen. Wenn du mich je geliebt hast, Hetty, tu es ein einziges Mal um meinetwillen und trinke, ehe es kalt wird.«

Sie schmollte, seufzte und ergab sich schließlich seinem zärtlichen Drängen, wie ein Kind sich halb überreden, halb zwingen läßt, eine Medizin einzunehmen.

»Fühlst du dich jetzt besser und gemütlicher?« fragte er.

»Nein,« sagte sie und ärgerte sich, weil sie sich doch so fühlte.

»Dann werde ich noch etwas Kohlen auf das Feuer legen,« sagte er munter, als ob sie ihm in herzlichster Weise zugestimmt hätte. »Und wir werden es so behaglich wie möglich haben. Mich ergreift eine milde Seligkeit, wenn du so neben mir am Feuer sitzt und ich weiß, daß du meine eigene Frau bist.«

»Ich wundere mich, wie du mir ins Gesicht sehen und so etwas sagen kannst,« schrie sie.

»Ich würde mich über mich selbst wundern, wenn ich dir ins Gesicht sähe und etwas anderes sagte. Hafergrütze ist das beste Erfrischungsmittel. Die ganze Energie kommt wieder. So, jetzt sollst du einmal sehen, wie das Feuer brennt.«

»Ich glaubte nie, daß du falsch seist, Sidney, was du sonst auch für Fehler haben magst.«

»Da hast du recht, mein Lieb. Ich verstehe deine Gefühle. Mord, Diebstahl, Unmäßigkeit oder geringere Laster würdest du ertragen haben. Aber Falschheit kannst du nicht ausstehen.«

»Ich will fortgehen,« sagte sie verzweifelt und brach von neuem in Tränen aus. »Ich will nicht verspottet und betrogen werden. Ich will barfuß gehen.« Sie erhob sich und versuchte die Türe zu erreichen. Aber er hielt sie auf und sagte:

»Mein Lieb, da liegt etwas Ernsthaftes vor. Was ist es? Sei nicht böse über mich.«

Er brachte sie zu ihrem Stuhl zurück. Sie nahm Agathas Brief aus der Tasche ihres Pelzmantels und überreichte ihn ihm, indem sie einen schwachen Versuch machte, tragisch zu sein.

»Lies ihn,« sagte sie. »Und sprich nie mehr ein Wort zu mir. Zwischen uns ist alles aus.«

Er nahm ihn neugierig und wandte ihn um, um die Unterschrift zu sehen. »Aha,« sagte er, »mein goldenes Idol hat das Unheil angerichtet.«

»Da haben wir's!« rief Henrietta. »Du hast es mir ins Gesicht gesagt! Du hast dich selbst durch deine eigenen Worte überführt!«

»Warte einen Augenblick, mein Lieb. Ich habe den Brief noch nicht gelesen.«

Er erhob sich und ging, während er las, im Zimmer auf und ab. Sie beobachtete ihn in dem zornigen Bewußtsein, daß er jetzt gleich seine Fassung verlieren würde. Plötzlich ließ er den Kopf sinken, als ob sein Rücken ihn nicht mehr trüge, und in seiner gekrümmten Haltung las er den Rest des Briefes. Als er damit fertig war, warf er ihn auf den Tisch, steckte seine Hände tief in die Taschen und brach in ein schallendes Gelächter aus. Dabei zog er seinen Körper noch mehr zusammen, als ob er sein Vergnügen verstärken wollte, indem er es auf einen möglichst kleinen Raum zusammen drängte. Henrietta war vor Entrüstung sprachlos und konnte ihren Gefühlen nur durch Blicke Ausdruck geben. Schließlich kam er heran und setzte sich neben sie.

»Und da bist du nun,« sagte er, »als du den Brief bekamst, in die Kälte hinausgelaufen und hast die Reise nach Lyvern gemacht. Es scheint mir doch, du mußt mich entweder sehr lieben –«

»O nein. Ich hasse dich.«

»– oder dich selbst sehr lieben.«

»Oh!« klagte sie und begann von neuem zu weinen. »Du bist ein selbstsüchtiges Tier, und du tust, was du willst, ohne dich um jemand anderes zu kümmern. Kein Mensch gibt etwas um mich. Und jetzt willst du dir nicht einmal die Mühe machen, den schändlichen Inhalt dieses Briefes zu leugnen.«

»Warum sollte ich ihn leugnen? Es ist die Wahrheit. Siehst du denn nicht die Ironie in dem Ganzen? Ich mache mir den Spaß, einem Schulmädchen ein paar Komplimente zu sagen, obgleich ich mir nicht mehr daraus mache als aus irgendeinem andern ansprechenden und leidlich hübschen Weibe, das ich treffe. Trotzdem fühle ich manchmal leichte Gewissensbisse, weil ich denke, sie könnte mich ernsthaft lieben, obgleich ich nur mit ihr spiele. Das arme Herz, das ich leichtfertig umstrickt habe, tut mir leid. Und während der ganzen Zeit bemitleidet sie mich aus demselben Grunde! Ihr Gewissen quält sie, weil sie nur das Vergnügen genießt, ›von dem tüchtigsten Mann, den sie je getroffen hat‹, angebetet zu werden, und sie ist grade so frei von Liebe wie ich selbst! Ha, ha! Auf so etwas baut sich die Religion der Liebe auf, deren Hohepriester die Dichter sind. Jeder Verehrer weiß, daß seine Liebe nur eine flüchtige Leidenschaft oder eine Lüge ist, die er nach seinem Lieblingsdichter nachempfunden hat, aber er glaubt getreulich, daß die anderen ihn selbst in echter Weise lieben. Ho, ho! Ist das keine verrückte Welt, mein Schatz?«

»Du hattest kein Recht, Agatha den Hof zu machen. Du hast überhaupt kein Recht, jemand den Hof zu machen außer mir, und ich ließe es mir auch nicht gefallen.«

»Du bist böse, weil Agatha dein Monopol angetastet hat. Stets ein Monopol! Glaubst du törichtes Mädchen wirklich, ich gehörte dir mit Leib und Seele? – ich dürfte nur durch deine Liebe erregt werden oder nur an deine Schönheit denken?«

»Du kannst mich soviel beschimpfen wie du willst, aber du hast kein Recht, Agatha den Hof zu machen.«

»Meine Liebste, ich erinnere mich nicht, dich beschimpft zu haben. Ich glaube aber, du sagtest etwas von einem selbstsüchtigen Tier.«

»Das ist nicht wahr. Aber du nanntest mich ein törichtes Mädchen.«

»Aber, mein Lieb, das bist du doch.«

»Und bei dir hatte ich recht. Du bist durch und durch selbstsüchtig.«

»Das leugne ich nicht. Doch wir wollen zu unserem früheren Gespräch zurückkehren. Warum haben wir doch den Zank angefangen?«

»Ich zanke mich nicht, Sidney. Du tust das.«

»Nun gut, warum habe ich den Zank begonnen?«

»Wegen Agatha Wylie.«

»Oh, verzeih mir, Hetty, ihretwegen fing ich sicher nicht an, mich zu streiten. Ich habe sie sehr gern – viel mehr, als sie, wie es scheint, mich leiden kann. Einen Augenblick, Hetty, ehe du von neuem mit deinen Vorwürfen beginnst. Warum kannst du es nicht leiden, wenn ich Agatha Schmeicheleien sage?«

Henrietta überlegte und sagte: »Weil du kein Recht dazu hast. Du zeigst dadurch, wie wenig du dir aus mir machst.«

»Es hat mit dir gar nichts zu tun. Es zeigt nur, wieviel ich mir aus ihr mache.«

»Ich bleibe nicht hier, um mich beschimpfen zu lassen,« sagte Hetty, und ihr Schmerz überkam sie von neuem. »Ich will nach Hause gehen.«

»Nicht heute abend. Es fährt kein Zug mehr.«

»Dann geh ich zu Fuß.«

»Das ist zu weit.«

»Daraus mach' ich mir nichts. Ich will nicht hierbleiben, und wenn ich vor Kälte am Straßenrand sterbe.«

»Meine Geliebte, ich habe dich absichtlich gequält, weil du mir durch deinen Ärger zeigst, daß du mich noch gern hast. Ich habe wie gewöhnlich unrecht und bin an allem schuld. Agatha weiß nicht, daß wir verheiratet sind.«

»Ich tadle nicht so sehr dich,« sagte Henrietta und ließ ihn seinen Kopf auf ihre Schulter legen. »Aber mit Agatha werde ich nie wieder ein Wort sprechen. Sie hat sich schändlich gegen mich benommen, und ich will es ihr sagen.«

»Sie wird zweifellos glauben, Liebste, du seiest an allem schuld und ich hätte mich bewundernswert benommen, Zwischen euch werde ich dann ohne Tadel dastehen. Aber jetzt, da es zu kalt zum Gehen ist, da es schon spät ist und weit bis Lyvern und noch weiter bis London, so muß ich dir hier etwas Bequemlichkeit herrichten.«

»Aber –«

»Aber da ist nichts zu ändern. Du mußt hierbleiben.«


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