Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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II. Das Abenteuer im Nobiskrug.

In dem hellerleuchteten Gastzimmer des Nobiskruges stand ein grosser, runder Tisch, bedeckt mit den Resten einer reichlichen Abendmahlzeit, und um diesen Tisch herum sass eine höchst sonderbare Gesellschaft von elf Personen, zu welchen als die zwölfte sich jener alte Herr gesellte, welcher Christian hier eingeführt hatte. Diese zwölf Männer waren in die allerverschiedensten Trachten gekleidet, welche man sich nur denken kann, von der leichtesten Sommergewandung bis zum schwersten Winterpelz, so dass man hätte denken können, hier sei eine etwas verfrühte Karnevalsgesellschaft beisammen. Sie beachteten Christian gar nicht, welcher sich still hinter den grossen, glasierten Kachelofen drückte, sondern wandten ihre Aufmerksamkeit dem mächtigen Gefäss mit Punsch zu, welches der Wirth stöhnend auf den Tisch setzte. Der alte Herr mit dem grossen, weissen Barte füllte bedächtig die Gläser, welche von Hand zu Hand wanderten, bis ein jeglicher versehen war. Darnach entstand eine tiefe Stille, alle erhoben bedächtig die Gläser und thaten einen nachdenklichen Zug. Sodann verklärten sich alle Angesichter und Laute des Beifalls und des Entzückens liessen sich vernehmen. Der eine erhob Daumen und Zeigefinger der Linken, als prüfe er die Güte des Getränks zwischen den Fingerspitzen, und flüsterte: »Köstlich!« Der andere lehnte sich in den Stuhl zurück, erhob die Augen gen Himmel und schmunzelte: »Deliziös!« Ein dritter wieder schlug, von Begeisterung ergriffen, auf den Tisch, dass Gläser und Geschirr klirrten, und schrie: »Donnerwetter!« Ein vierter aber rief: »Ja, der Alte versteht es, das muss man sagen!« und hielt dem weissbärtigen Herrn sein Glas entgegen, und nun stiessen alle an mit diesem, dessen gutmüthiges, rothes Gesicht vor Vergnügen glänzte, während der behäbige Wirth, die Hände über dem Bäuchlein gefaltet, schmunzelnd daneben stand und bald den einen, bald den andern anblickte. Darnach erhielt dieser den Auftrag, den Tisch abzuräumen und dem fremden Gaste die Reste der Mahlzeit vorzusetzen. Hei, das kam dem hungrigen Christian gelegen und er fing an, tüchtig einzuhauen. Zwischendurch betrachtete er immer wieder mit Verwunderung die sonderbare Gesellschaft, welche an dem grossen Tische lustig pokulierte. Er bemerkte nun, dass jeglicher von ihnen ein schön gearbeitetes Musikinstrument neben sich lehnen oder an seinem Stuhlpfosten hängen hatte. Sollten es wandernde Musikanten sein? Aber einige von ihnen waren so leicht bekleidet, dass sie auf der Stelle draussen in der scharfen Winterkälte hätten erfrieren müssen.

Als Christian sich satt fühlte, war die Gesellschaft bereits in eine behagliche mittheilsame Stimmung gerathen und man forderte ihn auf, sich an den grossen runden Tisch neben den Herrn mit dem weissen Bart zu setzen. Als er dort bescheiden Platz genommen hatte und ihm ein Glas von dem köstlichen Punsch vorgesetzt worden war, fragte der Nachbar, indem er ihn wohlwollend anblickte: »Nun, Fremder, war't Ihr mit dem letzten Jahre zufrieden?«

Christian antwortete: »Das Jahr war schon gut; wenn es mir dennoch schlecht ergangen ist, so trug ich wohl selbst die Schuld.«

»Wir hören gerne etwas Neues,« sagte darauf der Alte, »wenn Ihr mögt, so lasst uns Eure Geschichte hören.«

Obgleich nun Christian meinte, diese Geschichte sei gar nicht ergötzlich und mehr trübselig als lustig zu berichten, so musste er doch erzählen. Als er nun zum Schluss von seiner heutigen Reise sprach und den schönen, wenn auch kalten Dezembertag lobte und von der herrlichen Abendröthe sprach, in welche er hineinmarschiert sei, gute Hoffnungen für die Zukunft aus ihr schöpfend, da schmunzelte der alte weissbärtige Nachbar wohlgefällig und die andern sahen sich bedeutungsvoll an, als ob sie es in der Macht hätten, solche Hoffnungen zu erfüllen. Als er nun fertig war, entstand eine kleine Stille. Sodann räusperte sich Christians anderer Nachbar sehr laut und kräftig, so dass unser guter Reisender fast erschrak und ihn verwundert ansah. Es war ein grosser stattlicher Herr in kurzem weissem Wams mit schneeweissem Pelz besetzt, ja, alles war weiss an ihm, bis auf das rosige, von Gesundheit leuchtende Antlitz, den hellblonden Schnurrbart und die gleichfarbigen Haare. Seine Beine steckten in enganschliessenden Hosen, und bis über die Kniee waren Stiefel gezogen von weichem Leder, oben mit Pelz besetzt. An dem einen seiner Stuhlpfosten hing eine weisse Pelzmütze, und an dem andern eine glänzende silberne Posaune. Als dieser Herr sich nun ausgeräuspert hatte, sprach er mit einer Stimme, die dem Hallen glich welches in kalten Wintern durch die Eisfläche grosser Seen dahindonnert: »Nun, guter Freund, Ihr habt da eben so nette Sachen über den Dezember gesagt, was haltet Ihr von dem Januar?«

»O,« sagte Christian, »der Januar ist ein frischer Monat, den hab' ich schon lieb. Herrlich ist er, wenn er die klingende Kälte bringt, dass die Seen wie ein Spiegel glänzen und die Bäume im Schmuck des glitzernden Reifes dastehen, wie silberne Korallen. Wenn man da auf dem Schlittschuh über die blanke Fläche dahinfliegt, giesst sein frischer, nordischer Hauch Kraft, Muth und Feuer durch die Adern, wie es sonst nur der sonnenreichste südliche Wein vermag. Herrlich sind auch seine klaren sternfunkelnden Nächte, wenn das Nordlicht seine schwankenden Strahlen über den Himmel schiesst und in die feste Decke mächtiger Seen unaufhörlich mit langhindonnerndem Krachen die Spalten springen; das ist die echte Wintermusik!«

Das Gesicht des weissgekleideten Mannes war bei diesen Worten immer strahlender geworden, und als Christian geendet hatte, schlug jener mit der Faust auf den Tisch, dass es donnerte, und rief: »Famos gesagt, das lass' ich mir gefallen!« Sodann stiess er mit Christian an und leerte sein ungeheures Glas Punsch auf einen Zug.

Nun beugte sich hinter diesem Kraftmenschen ein zweiter der zwölf Gesellen hervor; der war nur ziemlich klein und der behendeste von allen. Er war auch weiss gekleidet, aber in die faltigen und bauschigen Gewänder eines Pierrots und nur die kugelförmigen Knöpfe seines Wamses waren roth und so gross wie Apfelsinen. Sein rabenschwarzes Haar war kurz geschoren gleich dem Sammet und trat mit einer kleinen Schneppe in die niedrige Stirn des weissgepuderten Gesichtes. Indes er mit den Fingern leise auf einer Schellentrommel trillerte, die vor ihm auf dem Tische lag, blickte er Christian mit den schwarzen, glänzenden Augen pfiffig an und fragte: »Nun, und was wisst Ihr vom Narrenmonat Februar zu sagen?«

»Ja, da habt Ihr recht,« sagte Christian, »ein lustiger Monat ist's. Man hat ihn auch darum zum kürzesten gemacht, weil die Leute so viel Spasshaftigkeit sonst gar nicht zu ertragen vermöchten. Alle Welt macht er zu Narren, die ehrbarsten Leute verführt er zum Possenreissen und die feierlichsten Esel zum Hintenausschlagen; diesen Monat hab' ich immer gern gehabt, denn ein herzhafter Spass ist Goldes werth!«

Solche Antwort musste dem kleinen Manne wohl besonders gefallen, denn plötzlich war er auf dem Tisch und ging dort, jedenfalls weil er sein Vergnügen nicht anders zu bändigen wusste, unter dem Beifall aller Anwesenden auf den Händen herum. Sodann stand er wieder vor seinem Platze, überschlug sich in der Luft, dass er hinter seinen Stuhl zu stehen kam, grätschte mit einem mächtigen Satze über die Lehne und sass plötzlich wieder so ruhig da, als sei er es gar nicht gewesen. Ein solches verwunderliches Benehmen erzeugte bei Christian die Vermuthung, dass er unter eine Gesellschaft von Seilspringern und Kunststückmachern gerathen sei.

Unterdes war der Dritte in der Runde unruhig geworden, ein gesetzter Herr, der einem Pächter ähnlich sah und einen Brummbass neben sich lehnen hatte. Er sprach dann: »Und wie denkt Ihr über den März?«

»Ueber den März lässt sich viel Gutes sagen,« antwortete Christian. »Das ist ein wichtiger Monat für den Landmann, dem er die Felder befreit und den Frost aus der Erde thaut. O, so köstliche, sanfte Frühlingstage hat er schon, wo die Lerchen über der grünen Saat tirelieren und die Drosseln im knospenden Walde flöten, wo man meint, nun müsse der Frühling gleich über die Berge schauen und rufen: »Ja, ich komme schon!« In den Gärten duftet mit kräftigem Erdgeruch das gegrabene Ackerland, und um das unsägliche Grün der Stachelbeerbüsche, die mit lauter zarten braunen Glöcklein behängt sind, summen die Bienen. Aus der schwarzen Erde steigen nun liebliche Wunder empor, zarte Schneeglöckchen, schimmernde Krokus und leuchtende Narzissen und gegen Ende gar, da bannt ein holdes Duften deinen Schritt und siehe: die Veilchen blühen. Ja, der März, den lass' ich schon gelten.«

Dies schien dem Manne in dem Pächteranzuge sehr zu gefallen, er bekam vor heimlicher und unterdrückter Freude ordentliche rothe Ringe um die Augen und sagte fast abwehrend: »Na, na, nur nicht so poetisch, das kann ich ja gar nicht verlangen!«

Das Spiel mit den Monaten sagte den zwölf Leuten scheinbar ungemein zu, sie waren sehr aufmerksam, wenn Christian sprach, und gaben ihre Zustimmung durch Nicken und beifälliges Gemurmel kund. Nun meldete sich auch schon wieder der Nächste in der Runde, ein sehr sonderbar und narrenhaft gekleideter junger Mann. Die rechte Hälfte seines ausgezackten, mit Schellen besetzten Wamses war blau, die linke orangegelb, ebenso war es mit den Beinen bestellt und mit seiner Mütze, nur dass hier die Farben in umgekehrter Reihenfolge angebracht waren, und wenn man dem Manne genau in sein ewig bewegliches Gesicht sah, bemerkte man, dass es auch hier an Abwechselung nicht fehlte, denn eines seiner Augen war blau, das andere braun.

»Ich möchte nun vom April ein wenig hören!« sagte dieser.

»Die Leute,« antwortete Christian, »schelten den April einen unbeständigen Monat, aber das ist ja gerade das Hübsche an ihm. Es ist wie im Theater, immer giebt es etwas Neues zu sehen. Oder ist es nicht herrlich, wenn die Sonne durch den Regen lacht, dass es von den grüngoldenen Bäumen rinnt wie Perlen und Edelgestein und am Abend hoch über dem Sammetgrau abziehenden Gewölkes der leuchtende Regenbogen steht? Oder wenn der Sturm dahinbraust durch den knospenden Wald und dennoch plötzlich ein Sonnenstrahl hervorbricht aus finsterem Gewölk und in der Ferne ein leuchtendes Saatengrün oder eine schimmernde Wasserfläche hervorhebt wie eine selige Verheissung? Er versteht sich auf das Durcheinander, Lachen ist nicht schwer und Weinen ist nicht schwer, aber Lachen und Weinen zugleich, das ist die Kunst!«

Der närrische Mann, als wollte er zeigen, dass er dieser Fertigkeit mächtig sei, fing gewaltig an zu lachen, während ihm die Thränen sowohl aus dem blauen als dem braunen Auge liefen. Sodann sprang er ganz begeistert auf, hing die Pauke um, welche neben ihm stand und tanzte, während er sie tüchtig mit dem Schlegel bearbeitete und dazu die Becken fleissig tönen liess, eine Weile im Zimmer herum. Unterdes stimmte der junge Mann, welcher nun zunächst am Tische sass, ein wenig an seiner kunstreich mit Blumen und Vögeln eingelegten Mandoline und klimperte dann erwartungsvoll darauf. Diesen Jüngling hatte Christian schon immer mit Bewunderung angesehen, denn er war über die Massen schön. In dem seidenweichen, etwas gewellten Goldhaar trug er einen Kranz von Maiblumen und aus seinem rosigen Antlitz schauten sonnenhaft und siegreich zwei leuchtende blaue Augen. Bekleidet war er mit einem kurzärmligen, griechischen Gewande, das um den Leib durch einen goldenen Gürtel zusammengefasst wurde und auf weissem Grunde köstliches Blumenwerk eingewebt zeigte, in dessen farbigen Ranken schimmernde Vögel und glänzende Schmetterlinge sich wiegten; an den Füssen jedoch trug er Sandalen mit übers Kreuz geschnürten Bändern. Dieser schöne Jüngling griff auf seiner Mandoline ein paar Accorde und sang dann mit angenehmer Stimme:

»Nun, lieber Fremder sagt mir frei,
Wag haltet Ihr vom Monat Mai?«

»Ich möchte wohl,« erwiderte Christian, »dass ich verstünde wie Ihr die Mandoline zu schlagen, und dass mir Gott eine so schöne Stimme verliehen hätte, dann wollte ich Euch singen von diesem Monat, wie er es wohl verdient, denn er ist ein Zauberer, der für alle Sinne das Lieblichste bietet. Dem Auge schmeichelt er durch das zarteste Grün und die schönsten Farben, er betäubt fast das Ohr durch die Fülle wechselnden Gesanges, er lässt den weichen Westwind dahingehen über blühende Gefilde, dass er sich mit Düften erfülle, und sendet ihn dann, uns zärtlich die Wangen zu streicheln; er treibt aus den geheimnissvollen Tiefen der Erde köstliche Kräuter und leckere Schossen hervor, dass auch die Zunge nicht leer ausgehe, ja, der Mai ist ein Monat, der so recht aus dem Vollen seine Schätze ausstreut, und leicht ist es, sein Lob zu singen.«

Der schöne Jüngling verneigte sich, dass ihm die goldenen Haare vornüber fielen, winkte dann Christian wohlwollend mit der weissen, schlanken Hand, griff auf seiner Mandoline einige Accorde und liess ihnen eine liebliche Musik folgen, welche klang wie Quellengeriesel und Flüstern des Frühlingswindes in blühenden Zweigen. Sein Nachbar, ein junger Mann in studentischer Tracht, der eine Rose im Knopfloch trug und aus leuchtenden Augen gar munter in die Welt blickte, nahm mit seiner Geige die Melodie auf und beide musizierten eine kurze Weile gar anmuthig. Dann fragte er sofort: »Und nun der Juni, wie steht es mit dem?«

Christian antwortete: »Vom Frühling und vom Sommer vereinigt er das Schönste. Er bringt die Rosen und die Erdbeeren, thaufrische glänzende Morgen, glühende Mittage, stille sonnige Abende und helle, träumerische Nächte. Die Sonne und das Jahr sind auf der Höhe angelangt, am Feldrand blühen die wilden Rosen und ihr Duften mischt sich mit dem köstlichen Geruch frischgemähter Wiesen. Wohl dem, der nun wandern kann in die herrliche Welt hinaus, dass er all diese Schönheit sein eigen nennen darf!«

»Das will ich meinen!« rief der studentisch gekleidete Jüngling und trank Christian ein ganzes Glas zu. Ehe nun der Folgende, ein etwas träumerisch aussehender junger Mann in leichter Hirtentracht, der mit einer Flöte und einem Schäferstabe ausgerüstet war, den Mund öffnen konnte, sagte Christian:

»Ich weiss es schon, Ihr wollt nun vom Juli etwas wissen. Das ist der wahre Sommermonat, der das Korn reift und einen Segen von köstlichem Gemüse ausschüttet. Da ist es schön um die Mittagszeit in den weiten Kornfeldern, wenn die Glut der Sonne über all dem reichen Segen brütet und nur zuweilen leise wie im Traum das weite Meer der Aehren sich flüsternd regt. Alle Vögel sind verstummt; einzig die Ammern spinnen unermüdlich den dünnen Faden ihres Gesanges, aber zwischen den Halmen und an den Rainen schwirrt und wetzt und zirpt und summt und brummt es von unsäglichem Insektenvolk; Schwebefliegen und Libellen stehen in der Luft und schiessen dann plötzlich davon, während die Schmetterlinge wie trunken von Duft und Gluth dahintaumeln. Aber auch gewaltig kann dieser Monat sein. Das schimmernde Gebirge von Wolken dort hinter dem Walde thürmt immer höher sich empor und verdichtet sich zu einem finsteren Graublau, das nur noch an den Bändern mit Silber gesäumt ist. Zuweilen tönt es von ferne wie ein dumpfes Gemurmel grollender Stimmen durch die stille Luft. Nun steigt es schneller empor und verschlingt die Sonne und dann jagt es heran mit Sturm und Regen über die wogenden Felder und ineinander schlingt sich unter dem Zucken der Blitze die endlose Kette rollender Donner und knatternder Schläge bei dem unendlichen Strömen des Regens. Aber weiter saust das Unwetter und vergrollt in der Ferne. Am Himmel wird ein schimmerndes Thor aufgethan und hervor tritt auf leuchtendem Blau die siegreiche Sonne in ihrer alten Pracht; ja, schön und gewaltig ist der Juli!«

Besonders dass Christian diesen Monat gewaltig nannte, schien dem Hirtenjüngling zu gefallen, denn er winkte wohlgefällig bei diesem Worte und blickte triumphierend um sich. Dann legte er die Hand aufs Herz, verbeugte sich und warf dem Gaste eine Kusshand zu.

Der nun kam, war wie ein Schnitter anzusehen; er trug einen Kranz von Aehren, Mohn und Kornblumen im Haar, war gebräunt von der Sonne und vor ihm lag eine Klarinette. Er sagte weiter nichts als: »Nun weiter!«

Christian sprach: »So wie der Mai und der Juni ein wenig zusammengehören, so auch der Juli und der August. In dem einen wird die Ernte begonnen, in dem anderen vollendet. Der August ist aber der richtige Erntemonat, und es ist eine lustige Sache, trotz harter Thätigkeit nur fröhliche Gesichter zu sehen und Menschen, die zur Arbeit sich schmücken mit hellen Gewändern und bunten Farben. Wenn nun all der Segen eingebracht ist und der letzte schwer beladene Erntewagen, dunkel sich abhebend gegen den goldenen Abendhimmel, unter Jauchzen und Gesang in die Scheune gebracht ist, wenn das Wetzen der Sensen am Tage und das Dengeln am Abend verstummte, da hebt sich bald ein anderes Tönen an von Fidel, Klarinette, Horn und Brummbass, die Röcke fliegen und die Juchzer schallen – ja lustig ist der Erntemonat!«

Der braune Schnitter stiess einen Juhschrei aus, dass die Fenster klirrten, man hörte, dass er die Sache verstand, und merkte wohl, dass ihm Christians Rede gut gefallen hatte. Dieser fuhr nun fort indem er sich an den Nächsten wendete, einen Mann mit behäbigen apfelrothen Backen, der einem Gärtner gleichsah:

»Nun kommt der September und schüttet seine Früchte vor uns aus, köstliche Pflaumen von zartem Hauch bereift, thaufrische Aepfel, deren einer schon das ganze Haus mit Duft erfüllt, und Birnen, die fast von süssem Safte überquellen. Du rührst den Nussbusch nur an, und ein Segen von sauberen Nüssen prasselt hernieder, am Gartenzaun liegen die Kürbisse, gross wie Schweine, und am Geländer schwillt und röthet sich die Traube, süsser Verheissung voll, o, ein köstlicher Monat, ich liebe ihn!« schloss Christian ganz in Erinnerung und Anschauung vertieft.

Der Gärtner rieb sich behaglich die Hände und sah vergnügt um sich. Dann nickte er ein paarmal schnell mit dem Kopfe und lehnte sich befriedigt in seinen Stuhl zurück.

Mit grosser Spannung hatte ein Mann in der Ausrüstung eines Jägers, dem ein goldenes Waldhorn zur Seite hing, bis dahin gewartet. Nun beugte er sich vor und rief: »Hallo, Fremder, nun der Oktober!«

»Er bringt mit Macht den Herbst,« sagte Christian, »und damit Abwechselung in die Welt. Das wenig unterschiedene Grün des Waldes färbt er um in Gold und Braun und Purpur, zum Zeichen, dass das Feuer des Sommers nun verglüht, und ist überhaupt ein Maler, der die bunten Farben liebt. Und da ihm an Blumen nicht viel zu Gebote steht, so lässt er die seltsamen Teller und Hüte der Pilze aus dem Waldboden hervortauchen und malt sie mit Scharlach, Eiergelb und Sammtbraun. Aus dem goldgelben Laub der Eberesche leuchten die Beeren wie rothe Korallen, und wo der Juni an der Heckenrose blasse Tellerchen aufthat, glüht nun purpurn die Hagebutte. Schön ist es an stillen sonnigen Oktobertagen auf einer einsamen Waldblösse, wenn ringsum die Bäume im Schmuck des Herbstes glühen und die späten Schmetterlinge, der bunte Admiral und der sammtbraune Trauermantel, mit den blauen Pünktchen und dem goldenen Rande sich an den Stämmen sonnen. Silberne Fäden spinnen sich durch die Luft dahin und hoch aus dem Blauen schallt ein Wanderruf von Vögeln, die nach Süden ziehen, indes von Zeit zu Zeit in der Ferne ein Schuss verhallt. Schön ist es auch, wenn zu fröhlicher Jagd die Waidhörner klingen, das Geläut der Meute durch den Wald hallt, die rothröckigen Reiter zwischen den Kieferstämmen dahinjagend in der Ferne verschwinden, und das Geräusch der Jagd leiser und leiser wird, so dass am Ende nur das sanfte Singen der Zweige übrig bleibt, bis dann schliesslich wie aus traumhafter Ferne das Halali herübertönt!«

Wunderbar, klang dieses Jagdsignal nicht wirklich aus der Weite? Nein, der Jäger war es, der ganz heimlich das Horn an den Mund gesetzt hatte und es leise ertönen liess. Kaum war dies beendet, so kam eine Gestalt zum Vorschein, welche Christian bis dahin gar nicht bemerkt hatte, da sie in einem grossen Lehnstuhl mit Ohrenklappen ganz in sich zusammengekrochen neben dem weissbärtigen Nachbar gesessen hatte. Der alte Herr musste wohl Zahnweh haben, denn er trug ein buntes seidenes Tuch um sein graues grämliches Gesicht und darüber hatte er eine Zipfelmütze bis auf die Ohren gezogen. Er war gekleidet in einen Schlafrock von der Farbe des gewelkten Laubes und seine Füsse steckten in ungeheuren Filzschuhen. Indes nur seine mageren Finger mit einer Maultrommel spielten, welche vor ihm auf dem Tische lag, beugte er sich hinter den Ohrenklappen seines alten Lehnstuhls hervor, sah mit seinen gelben Augen Christian starr an und sagte gar nichts.

Dieser kratzte sich ein wenig hinter den Ohren und sagte: »Ja, der November. Die Leute wollen nicht viel von ihm wissen und schelten ihn einen verdriesslichen Monat, aber ich kann das nicht finden. Er hat manchmal so stille graue Regentage, wo die Luft eigentlich nur sehr nass ist und es an jeder Knospe und jedem welken Blatt wie eine dicke Thräne hängt, das ist eine herrliche Zeit zum Träume spinnen und Luftschlösser bauen, wie ja auch die Maler auf dem grauen Grunde der Leinwand ihre farbigen Kunstwerke hervorzaubern. Aber die Stille und Verdrossenheit ist eigentlich gar nicht sein Element, er kann ein sehr gewaltiger Herr sein. Ja, schön ist es zu sehen, wenn er dann auf seinem wilden Ross, dem Nordwind, unter fliegendem Regen dahinsaust, das letzte Laub von den Bäumen reisst und wirbelnd vor sich her jagt, das Wasser zu sprühendem Schaum in die Höhe peitscht und durch die Wipfel des Waldes dahinstürmt, dass sie donnernd brausen!«

Es war merkwürdig zu sehen, wie bei dieser Schilderung der alte grämliche Herr sich veränderte; er richtete sich gerade empor und seine Schultern schienen sich zu verbreitern, seine welken Züge spannten sich und wurden fest wie Eisen, während aus den sonst so matten Augen ein seltsames Leuchten hervorbrach. Als Christian aber geendet hatte, sank der Alte jedoch plötzlich wieder in sich zusammen in seinen Lehnstuhl und murmelte: »Ich bin zufrieden.«

Nun war Christian die Reihe herum, und sein Nachbar mit dem grossen weissen Barte und dem rosigen Antlitz sah ihn lächelnd an. Christian bemerkte nun, dass in dem weitläufigen Pelze des Alten eine Unzahl von Taschen angebracht war, in deren jeder etwas bauschte, ja zuweilen waren sie so angefüllt, dass allerlei Spielwerk oder auch kostbarere Gegenstände oben heraussahen.

»Nun fehlt nur noch der Dezember,« sprach Christian. »Von dem brauche ich nur ein Wort zu sagen, dass er in vollem Glanze strahlt: Er ist der Weihnachtsmann und fürwahr, wenn ich Euch so ansehe, so muss ich sagen, dass ich mir denke, er muss gerade so aussehen wie Ihr.«

»Das habt Ihr getroffen,« erwiderte der Alte, »und ich meine, Ihr müsst doch wohl schon gemerkt haben, in welcher Gesellschaft Ihr Euch heute Abend befindet, oder solltet Ihr noch nicht wissen, dass es die Monate sind, mit welchen Ihr hier an einem Tische sitzet?«

»Gedacht habe ich es mir zuletzt schon halb und halb,« sagte Christian, »aber ich konnte doch kaum glauben, dass so grosse Herren so freundlich mit mir sein würden.«

»Wir wollen allen guten Leuten wohl,« sagte der Dezember, »und zudem habt Ihr so hübsche Dinge über uns geäussert, dass wir damit zufrieden sind. Selten giebt es in heutiger Zeit so sonnige Gemüther, wie Eures, das überall nur das Gute und Schöne hervorhebt und von allen das Beste denkt. Darum glaube ich der Zustimmung meiner Genossen sicher zu sein, wenn ich zum Dank für Eure freundlichen Worte Euch eine Gabe mittheile, welche wohl geeignet ist, die Noth, in welche Euch Eure Herzensgüte versetzt hat, zu heben und Euch fernerhin glückliche Tage zu verschaffen.« Damit grub und wühlte er sich in eine seiner tiefsten Taschen ein, während die anderen Monate durch Geberden und Worte ihre freudige Zustimmung bekundeten. Endlich zog der Dezember ein sehr schönes viereckiges Kästchen hervor, an dessen Seiten die zwölf Monate in eingelegter Arbeit dargestellt waren, während auf den Deckel die vier Jahreszeiten in ewigem Reigentanze sich drehten, reichte es Christian dar und sprach weiter:

»Wenn Ihr einen Wunsch heget, so öffnet nur dieses Kästchen, es wird alles darin sein, was Ihr begehrt. Wir wünschen, dass es Euch eitel Segen und Glück bringen möge. Aber eines dürft Ihr nicht vergessen. Nur auf ein Jahr können wir diese köstliche Gabe Euch verleihen, darum nutzet die Zeit, solange das Kästchen Euch zu Gebote steht. Am nächsten Sylvesterabend um dieselbe Zeit wird es plötzlich aus Eurem Besitze verschwinden, ob Ihr es auch in sieben eisernen Kisten verschlossen hieltet.«

Als nun Christian seinen freudigen Dank aussprechen wollte, wehrte der Dezember dies ab und klopfte stark auf den Tisch. Infolge dieses Zeichens verstummte rings die Unterhaltung, alle Monate nahmen ihre Instrumente zur Hand, auch der September öffnete einen Kasten, der vor ihm stand, und holte eine Zither hervor, während der Dezember aus einer seiner unerschöpflichen Taschen allerlei Kinderinstrumente nahm, wie Kuckucksflöte, Wasserpfeife und dergleichen. Sodann begannen sie eine liebliche Musik, welche das Walten und Weben der Jahreszeiten darstellte, und zu seinem grossen Staunen erkannte Christian in diesen Tönen alles wieder, was er vorhin in Worten ausgedrückt hatte. Aber während sich die Musik in die Länge zog, überkam unseren Wandersmann infolge der späten Nachtzeit, des angestrengten Marsches vorher und des jetzt so reichlich genossenen Punsches die Müdigkeit, er sank in den Stuhl zurück und entschlief süss und sanft.

 

 


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