Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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VII. Romeo und Julia.

Während das Fräulein mit Frau Lore am Klavier beschäftigt war, und Beide zwischen den Noten kramten, sagte der Major zu Hühnchen: »Eine sehr angenehme Dame, die bei jeder neuen Begegnung gewinnt. Man merkt ihr an, dass sie viel in guter Gesellschaft verkehrt hat. Sie führt wohl ein ganz behagliches Leben?« Hühnchen, der recht wohl wusste, worauf der Major hinauswollte, denn dieser hatte schon bei früheren Gelegenheiten über diesen Punkt allerlei versteckte Forschungen angestellt, sagte sehr harmlos: »Ja, das glaube ich wohl, besonders seit sie das Zahnweh los ist, von welchem sie früher ewig geplagt wurde.«

»Zahnweh ist schlimm,« sagte der Major etwas enttäuscht, »und ich kannte Jemanden, der sich glücklich schätzte, als er seinen letzten Zahn an der Uhrkette trug. War ein sehr drolliger Herr, konnte sehr schöne Karten-Kunststücke machen und starb später an der Cholera. Ja.« Dann nahm er plötzlich einen leichten und gesucht gleichgiltigen Ton an und sagte so oben hin: »Das Fräulein ist Rentiere?« Hühnchen verspürte endlich Theilnahme für seine Wissbegierde und sagte: »Sie hat etwas über fünfundzwanzigtausend Mark, bombensicher in Hypotheken angelegt.«

»Hm, hm,« machte der Major sichtlich angenehm überrascht und versank in tiefes Nachdenken. Das Fräulein hatte sich unterdess entschieden, präludirte und sang »Ein Fichtenbaum steht einsam« . . . . Während des Gesanges hatte der Major seine runden, nichtssagenden Augen starr auf die Hinterseite der Dame gerichtet und drehte beide Schnurrbartspitzen mit verzehrendem Eifer. Kaum hatte sie geendet, brach er in ein ungeheures Beifallklatschen aus, begab sich zum Klavier und erschöpfte sich unter Hacken-Zusammenschlagen und vielen Verbeugungen in fein gedrechselten Komplimenten, welche das Fräulein mit grossem Appetit verzehrte und mit huldvollem, aber vorsichtigen Lächeln belohnte. Denn die Natur hatte ihr einen etwas grossen Mund verliehen, und für gewöhnlich gab sie diesem deswegen gern eine Stellung, als wollte sie »Böhnchen« sagen. Dann erblickte der Major zufällig ein Notenblatt, und seine Züge verklärten sich: »O, was sehe ich, gnädiges Fräulein,« rief er, »da haben Sie ja das Duett aus Romeo und Julia. Wie oft habe ich das gesungen in meiner Lieutenantszeit mit Fräulein Esmeralda von Stintenburg aus dem Hause Käselow. O, mir ist noch jede Note geläufig.« Und nun fing er an, mit seinem dünnen Tenörchen erklecklich zu tiriliren, und das Ende davon war, dass sich beide Leutchen über das altmodische Duett von irgend einem verschollenen italienischen Componisten, dessen Namen ich vergessen habe, hermachten. Es war köstlich zu sehen, wie der Major bei den zärtlichen Worten des Textes feurig und siegreich, wie es einem Soldaten zukommt, auf die Dame hinblickte, während diese in jüngferlicher Verschämtheit die Augen niederschlug und sogar ein leidlich gearbeitetes Erröthen zu Stande brachte. Das Pärchen vertiefte sich bald so in das Musikmachen, dass es gar nicht bemerkte, wie Frau Lore sich heimlich entfernte, um an der Schlafstube der Kinder zu horchen, ob ihr gesunder Jugendschlaf der Gewalt dieser Töne gewachsen sei. Dann, nach einer kurzen Weile zog mich Hühnchen geheimnissvoll mit sich fort unter dem Vorwande, mir in seinem kleinen Arbeitszimmer, ich weiss nicht mehr was, zeigen zu wollen, und ich folgte gern, denn diese Art von Musik, welche dort gemacht wurde, konnte durch die Entfernung immer nur gewinnen. Als wir nach einiger Zeit zurückkehrten, war es unterdess still geworden, und als Hühnchen nun leise die Thür öffnete, bot sich uns ein wundervoller Anblick dar. Fichtenbaum und Palme hatten sich gefunden und standen nicht mehr einsam, sondern hielten sich zärtlich umschlungen. Und da die schlanke Palme um Einiges den etwas untersetzten Fichtenbaum überragte, so hatte sie sanft den Wipfel geneigt und wahrhaftig, sie küssten sich. Als sie nun aus einander fuhren, und das Fräulein verschämt ihr Antlitz mit den Händen bedeckte, da zog der Major siegreich und heiter ihren Arm in den seinen, trat wie ein Held einen Schritt vor und sprach, indem er mit der freien Linken den Schnurrbart drehte: »Meine Herren, ich habe die Ehre, Ihnen meine Braut vorzustellen. Ja!«

Das war doch endlich mal eine Pointe und zwar was für eine. Ich glaube, keine bessere kann ich finden als diese, um damit die kleine Geschichte von dem Weihnachtsfeste bei Leberecht Hühnchen zu schliessen. »Ja!«

 

 


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