Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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Der Nachbar der Sterne
Eine Burleske.

I.

Ich glaube, es war von Kind auf nicht ganz richtig mit ihm. In den Augen seiner Eltern, deren einziger Sohn er war, galt er für ein Genie und seine Mutter hatte um ihn von Anfang an ein Netz wunderbarer Sagen über seine frühzeitige und unheimliche Intelligenz gesponnen. Ich schweige von den Thaten seiner ersten Kindheit, die in den Augen seiner Eltern mit einer Fülle von geheimnissvollen Genieblitzen durchwoben war, sondern fange dort an, wo meine eigene Kenntniss beginnt. Er war in meinem Alter und als ich ihn zuerst sah, zählten wir beide zwölf Jahre. Mir ist noch genau in Erinnerung die sonderbare Art, mit welcher er sich seitwärts an mich heranschob, indem er dabei eifrig nach meinem Kopfe schielte. Er war es nämlich gewohnt, mit gleichalterigen Knaben fortwährend gemessen und verglichen zu werden und so erklärt sich das merkwürdige Verfahren. Wir wurden zusammen in den Garten geschickt, allein ich vermochte nicht viel mit ihm anzufangen, da er von denjenigen Dingen, welche nach meiner Ansicht für Knaben meines Alters einzig und allein würdig und angemessen waren, gar keine Ahnung zu haben schien. Wenn ich mich stehend schaukelte, dass ich hoch in die Aeste des Lindenbaumes flog, so sah er mir mit offenem Munde und sichtlichem Entsetzen zu, wenn ich in einen allerdings noch sehr grünen Apfel biss, so schauderte seine wohlerzogene Seele, als ich am Teich in einen Baum kletterte und mich auf einem schwanken Aste über dem Wasser wiegte, da war ihm dies wiederum ein grausiges Unternehmen und als ich nun gar auf einem schmalen Baumstamm über den Bach balancierte, da las ich kreideweisses Entsetzen in seinen Zügen. Dies Alles war mir natürlich sehr schmeichelhaft und spornte mich zu ferneren Thaten an, allein sehr missfiel es mir doch, dass er auf alle meine Aufforderungen zur Nacheiferung immer nur antwortete »Das darf ich nicht.« Dies erschien mir äusserst kläglich und unmännlich und zudem unpraktisch, denn wenn man immer nur that, was man durfte, war doch am Ende das Leben seines schönsten Reizes beraubt. Schliesslich empfand ich ein kaum abzuweisendes Bedürfniss ihn durchzuprügeln, unterdrückte jedoch diesen Trieb mehr aus Klugheit als aus Rücksichten der Tugend, denn ich fürchtete eine allzu kräftige Verzinsung des ausgegebenen Kapitals von der starken Hand meines Vaters. Daher begnügte ich mich damit, ihn gelegentlich blos in das Gras zu schubsen, so dass er zwei wunderschöne grüne Knieflecke in seinen schneeweissen Hosen davontrug und über diese Entstellung heulend sich in die sicheren Arme seiner Mutter flüchtete. Ich kam dafür mit einer Maulschelle davon und Emilchen kriegte neue Hosen an. Nun aber drehte sich der Spiess um und als wir beide im Zimmer bei den Eltern uns der Sittsamkeit befleissigen mussten, was ihm sehr leicht wurde, mir aber mit Aufbietung meiner ganzen Verstellungskunst nur mässig gelang, da kam er auf den Gebieten zur Geltung, die ihm geläufig waren, und es stellte sich heraus, dass er besonders in den Künsten glänzte. Vor Kurzem war die Familie in Schwerin gewesen und da hatte das wunderbare soeben vollendete Schloss einen solchen Eindruck auf den begabten Emil gemacht, dass er seitdem bestrebt war, es immer und immer wieder zu zeichnen, so dass die glückliche Mutter schon eine ganze Reihe solcher Entwürfe hatte sammeln können. Es war immer ein mächtiger Salat von Thürmen, Giebeln und ungezählten Fenstern und obwohl keine dieser Zeichnungen eine wirkliche Aehnlichkeit mit ihrem Vorbilde aufwies, so sahen die beseeligten Eltern dennoch die Spuren des Genius darin und in ihrem Söhnlein einen zukünftigen Oberbaurath. Ich dachte im Stillen, ob wohl der künstlerische Emil einen solchen Kaninchenstall bauen könne, wie ich mir zu Hause einen gemacht hatte, ordentlich aus Steinen und Holz mit einer Thür und einem kleinen Glasfenster regendicht und windgeschützt. Oder eine solche Hütte aus Brettern und Weidengeflecht, wie ich sie mir in einem verborgenen Winkel des Gartens errichtet hatte, inwendig mit alten Bastmatten ausgeschlagen und mit einem ordentlichen Herde aus Steinen, auf welchem ein wirkliches Feuer brannte, während ich, der grosse Indianer »Fliegender Büffel«, heimgekehrt von gewaltigen Jagd- und Kriegszügen, auf der Bärenhaut ruhte und mit meinem Stammesgenossen dem Inspektorsohne, welcher den Indianernamen »Toller Hund« führte, eine Friedenspfeife Kartoffelkraut rauchte. Ich fürchtete, er würde Alles dieses nicht können.

Aber auch der Dichtkunst fröhnte er und hatte schon in seinem sechsten Jahre folgendes Epigramm angefertigt:

        »Unsere Scheune hat ein Dach,
Hinter'm Garten fliesst der Bach,«

durch welche Leistung den beglückten Eltern klar ward, dass auch der Kuss der Muse die Stirne ihres Emil berührt hatte. Seitdem war von ihm bereits ein ganzes Heft vollpoetisirt worden, welches die Aufschrift trug: »Gedichte von Emil Rautenkranz, erster Band«, und der beglückte Vater konnte nicht umhin, einige Perlen aus dieser Sammlung zum Besten zu geben, während der jugendliche Autor ziemlich geschwollen daneben sass. Ich ward davon nicht sehr ergriffen, denn dichten konnte ich auch, hütete mich jedoch sehr, damit heraus zu kommen, weil sich meine Verse vorzugsweise im satyrischen Genre bewegten und ich mich vor dem wohlverdienten Honorar fürchtete, was mir sicher war, wenn zum Beispiel folgende, halb lateinischen, halb plattdeutschen Verse auf meinen Klassenlehrer Herrn Hamann, der aus Hessen stammte und eine ziemlich gelbe Gesichtsfarbe zur Schau trug, an's Licht gedrungen wären:

»Unus, duo, tres,
Herr Hamann is'n Hess!
Semel, bis, ter, quater,
Gäl is he as'n Tater!«

Im ernsthaften Genre war ich allerdings nicht über einen Anfang hinausgekommen, welcher lautete:

»Gefolgt von zweien Mohrenknaben
Begab sich Omar auf die Jagd . . . .«

Weiter gedieh das Gedicht niemals, da mir durchaus nichts mehr einfallen wollte.

Die grösste Prüfung stand mir aber noch bevor, denn Emil war auch musikalisch und zwar war dies seine Glanzseite. Er wurde demnach an's Klavier beordert und fingerte eine Sonate von Clementi mit einer mir unbegreiflichen Fixigkeit herunter, während die glücklichen Eltern dabei sassen und strahlten wie Alpengipfel bei'm Sonnenaufgang. Dies war nun etwas, das ich wirklich anerkennen musste, obwohl es mir ganz ungewöhnlich sauer wurde, denn wenn auch schon Lateinisch nicht schön und Griechisch gar ein Gräuel war, so war das allergrösste Schreckniss doch die Klavierstunde und das dazu gehörige Ueben. Meine Mutter ergriff natürlich die Gelegenheit, mir den talentvollen fleissigen Emil als ein glänzendes Muster vorzuhalten, wodurch sich meine Abneigung gegen diesen nur noch vermehrte, indem ich weiter nichts empfand als eine nagende Reue, ihn vorhin, als die Gelegenheit so günstig war, nicht doch durchgeprügelt zu haben. Dies Musterbeispiel hat auch bei mir keine Früchte getragen und trotz achtjährigem Klavierunterricht bin ich musikalisch rein geblieben. Mein einziger Ersatz für diese langjährige Qual ist das erhebende Bewusstsein drei Klavierlehrer bis an den Rand des Grabes geärgert zu haben, indem es mir gelang in jeglicher Stunde bei jedem den brennenden Wunsch zu erwecken, an den Wänden in die Höhe zu laufen, und solche Stimmung bei ihm zu erzeugen, dass er den Tag verfluchte, an welchem er geboren war. Wer will mich darum schelten? Das Recht des Angegriffenen ist die Nothwehr und ich habe mich dieses Rechtes bedient, so gut ich konnte.

Meine musikalischen Neigungen gingen vorzugsweise auf den Instrumentenbau und da war ich fest überzeugt, dass ich mehr leistete als der brave Emil. Ob er wohl Flöten machen konnte aus Weiden oder Rohr, und Schalmeien aus spiralförmig gewickelter Baumrinde, Blasinstrumente aus Kälberkropf und Quietschen aus Kalmus? Ob er wohl auf Kuhhörnern und Giesskannen und Pustrohren blasen konnte wie ich und auf den Fingern pfeifen, dass man es durch's ganze Dorf hörte? Das war es, was ich sehr bezweifelte.

Solcher Art war meine erste Begegnung mit Emil Rautenkranz und seitdem bin ich in der Lage gewesen seinen Lebensgang zu verfolgen. Ich kann wohl sagen, dass er mir jetzt Mitleid einflösst, wenn ich bedenke, wie seine Eltern trotz ihrer Affenliebe mit ihm umkamen. Der Vater, welcher auf einer wohldotierten Landpfarre nicht viel zu thun hatte und zu allerlei Versuchen und spitzfindigen Unternehmungen hinneigte, hatte an seinem einzigen Sohne von frühester Kindheit an alle pädagogischen Systeme ausgeübt, deren er nur habhaft werden konnte, so dass der unglückliche Emil auf alle möglichen Arten erzogen wurde, nur nicht auf eine richtige. Er wurde überhaupt Tag und Nacht immer in einem fort erzogen und zu jeder Zeit ohne Unterlass wurden Anlagen in ihm entwickelt. Zudem musste er alle die gesundheitlichen Schrullen mitmachen, mit welchen der an allerlei wirklichen und eingebildeten Krankheiten leidende Vater an sich herumexperimentierte. Einmal ergaben sie sich der naturgemässen Lebensweise, schliefen auf Stroh, ernährten sich von rohem Fleisch und ungekochten Rüben, wobei sie so herunterkamen, dass sie beide kaum noch einen Schatten werfen konnten, ein andermal verbesserten sie ihre Säfte durch eine fürchterliche Kur, bei welcher sie sich ausschliesslich mit trockenem Weissbrot stopften und ein wenig sauren Moselwein dazu tranken, und wieder ein andermal versuchten sie alle Ungesundheit mit Wasser aus sich herauszuspülen, indem sie ungeheure Mengen dieser reinlichen Flüssigkeit in sich hineinpumpten und jegliche Nacht in einem nassen Umschlage verbrachten. Emil Rautenkranz ist mir überhaupt immer ein glänzendes Beispiel dafür gewesen, was die menschliche Natur Alles aushalten kann, denn trotz aller dieser Kuren und trotz der unglaublichen geistigen Ueberfütterung, welche ihm zu Theil ward, blieb er körperlich doch ganz gesund. Nur sein armer Kopf ist ihm schon auf dem Gymnasium ganz zermürbt worden, denn ausser dem Schulunterricht musste er unablässig von einer Privatstunde in die andere rennen, von der Zeichenstunde in die Klavierstunde, von der italienischen in die spanische. Er lernte Stenographie und Mnemotechnik und schliesslich hatte die Made der Gelehrsamkeit sein bischen Grips ganz verzehrt, so dass nur noch etwas Wurmmehl in seiner verödeten Hirnschale zu finden war. Deshalb gelang es ihm auch nicht, obwohl er endlich durch zähe Ausdauer die Prima ersessen hatte, die Abgangs-Prüfung hinter sich zu bringen, trotzdem er den Versuch dazu zweimal anstellte. Nur in der Musik hatte er es zu einigen wirklichen Kenntnissen und im Klavierspiel zu einer erträglichen Fertigkeit gebracht, was weiter nicht zu verwundern ist, denn wie man täglich sehen kann, erfordert die Ausübung dieser Kunst den geringsten Aufwand von Phantasie, Verstand oder geistiger Klarheit, ja selbst ein halber Idiot kann immer noch ein tüchtiger Geiger oder Klavierspieler sein, und so niedere Geschöpfe wie die Zigeuner treffliche Musik machen. Darum lag es nahe den jungen Mann dieser Kunst zu widmen, weshalb er denn nach langen elterlichen Verhandlungen und nachdem von allen Seiten Rathschläge in Menge eingeholt worden waren, nach Berlin gesendet wurde, um »sich auszubilden«.

 

 


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