Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Landparthie mit Leberecht Hühnchen.

1. Frau Schüddebold.

Ich hatte es ja am Ende sehr gut bei Frau Schüddebold, aber zuletzt ging es doch nicht mehr und zwar aus mancherlei Gründen. Diese meine brave Hauswirthin sorgte mütterlich und musterhaft für mich, und meine beiden kleinen Zimmer glänzten von Sauberkeit und Ordnung; ja von letzterem Artikel war sogar nach meinem Geschmack meistens etwas zu viel vorhanden, denn ich muss nur offen gestehen, dass ich zu den Naturen gehöre, welche sich am wohlsten fühlen, wenn sie ein wenig in ihrem eigenen Müll sitzen, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich wohnte an einem friedlichen Eckchen Berlins, und aus dem Fenster sah man auf einen kleinen Platz mit Grün und Blumen ; es war eine jener stillen Buchten, an welchen der Strom des grossstädtischen Lebens fern vorbeirauscht; man kannte schliesslich alle von Ansehen, die in diesem abgelegenen Winkel ein- und ausgingen, man erzählte sich Geschichten von den einzelnen Bewohnern der Häuser, kurz, es wehte dort so ein angenehmer Hauch von kleinstädtischer Luft, der etwas ganz Behagliches und Heimliches hatte, zumal man jederzeit mit ein Paar Schritten wieder mitten in dem Treiben eines riesig fluthenden Lebens sein konnte. Es war also ganz hübsch dort und ich hatte es recht gut, doch sollte ich solches Glück nicht ungetrübt geniessen in Folge zweier Eigenschaften von Frau Schüddebold, die auf die Dauer schwer für mich zu ertragen waren. Zuvörderst hatte sie nämlich eine unüberwindliche Abneigung gegen Thiere und ich habe früher schon einmal erzählt, wie dieser Antipathie jenes dürftige stellenlose Hündchen zum Opfer fiel, das sich in der Hoffnung, endlich wieder in Lohn und Brod zu kommen, mir so vertrauensvoll anschloss. Ich war nun aber an Thiere gewöhnt von Kindheit an und wenn es auch nur Zwergmäuse oder ein Rothkehlchen gewesen, irgend dergleichen hatte ich immer um mich gehabt. An so etwas durfte ich aber garnicht zu denken wagen, denn hier hatte die Güte der Frau Schüddebold ein Loch, welches mit harter Verständnisslosigkeit ausgefüllt war. Vögel waren ihr gleichbedeutend mit Schmutz, für welchen es in ihrer Wohnung keinen Platz gab und nun gar für Mäuse, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Wiesel, Ringelnattern, Laubfrösche, Eidechsen und dergleichen Ungeziefer erst recht nicht. Deshalb musste ich schon dem häuslichen Frieden dies schwere Opfer bringen und fand nur einen geringen Ersatz darin, mir Terrarien und Zimmervolieren von wahrhaft wundervoller Einrichtung und märchenhafter Pracht im Geiste auszumalen und mit den seltensten und zierlichsten Thieren zu bevölkern.

Zweitens aber, und das fiel schwerer in's Gewicht, stellte es sich im Laufe der Zeit mit fast untrüglicher Gewissheit heraus, dass Frau Schüddebold mit der Absicht umging, mich zu heirathen. Ich hatte kein Recht, ihr das zu verdenken und wusste das Schmeichelhafte, welches in dieser Wahl der ansehnlichen und nicht unvermögenden Frau lag, sehr wohl zu schätzen, allein ich hatte aus einer schwärmerischen Jugend doch noch einige ideale Vorstellungen von demjenigen Wesen gerettet, welches ich mir einmal als meine Frau dachte und diese entsprachen sehr wenig dem Bilde der Frau Schüddebold. Vor allen Dingen hatte ich mir die Holde, die ich einmal zum Altar führen würde, immer mehr als eine rosige Apfelblüthe denn als reifen Borsdorfer vorgestellt, und hier liess sich doch nicht leugnen, Frau Schüddebold war recht reif, so rosig sie auch einmal geblüht haben mochte.

Wie und wann ich allmälig dahinter kam, weiss ich nicht mehr, mir ist nur erinnerlich, dass ich zuerst lange keinen Verdacht schöpfte, so wohlwollend auch die Blicke der braven Frau auf mir ruhten und so oft sie mir auch erzählte, wie kurze Zeit sie nur das Glück genossen hätte, mit ihrem Seligen vereint zu sein, und wie sonderbar sie auch seufzte, wenn sie das Zimmer verliess. Auch als sie mir den grossen Beweis des Vertrauens gab, mich in Vermögensangelegenheiten um Rath zu fragen und ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, dass sie über mehr als zwölftausend Thaler in Hypotheken und sicheren Staatspapieren verfügte, merkte ich nicht den Köder, denn in solchen Dingen war ich eigentlich immer ziemlich dumm. Dann aber stellten sich bei dieser Frau literarische Neigungen ein, und solches erfreute mich anfangs sehr als ein Zeichen spät erwachenden Bildungsdranges. Wenn ich nach Hause kam, fand ich oft aufgeschlagene Bücher aus meiner kleinen Bibliothek auf dem Tische und durfte vermuthen, dass Frau Schüddebold in meiner Abwesenheit darin gelesen hatte. Zuletzt aber fiel es mir doch auf, dass an solchen Stellen immer nur von Liebe die Rede war, dass die Bücher immer mit einer gewissen Absichtlichkeit an einem Orte lagen, wo sie mir in's Auge fallen mussten, und dass dies ganze Verfahren durchaus nicht mit der sonst so peinlichen Ordnungsliebe dieser Frau in Harmonie stand. Da ich mich zur Erholung von meinen Berufsgeschäften vorzugsweise gern mit den Werken älterer und neuer Dichter beschäftigte und zuweilen selber wohl einen kleinen Jagdausflug auf den Helikon unternahm, so fand sich zu solchen seltsamen Thaten meiner Wirthin Gelegenheit genug. Trotzdem dauerte es lange Zeit bis ich die eigentliche Bedeutung dieser Sache begriff, denn anfangs hatte ich dies nur für ein dem weiblichen Geschlechte innenwohnendes allgemeines theoretisches Interesse für die Angelegenheiten der Liebe gehalten, welches ja selbst Urgrossmütter nicht ganz verlieren sollen. Aber eines Tages, als ich Mörikes Gedichte aufgeschlagen fand bei der Stelle:

»Fragst du mich, woher die bange
Liebe mir zum Herzen kam, . . . .«

da erleuchtete sich plötzlich Alles elektrisch und ich sah mit einem Male klar. Von nun an schien mir mein Heil nur in der äussersten Würde und Gemessenheit zu liegen, aber die kühle Gleichgültigkeit, welche ich jetzt im Verkehre mit Frau Schüddebold entfaltete, hatte das Gegentheil der gewünschten Wirkung. Ihr Wesen wurde immer elegischer, ihre Seufzer holte sie aus immer grösseren Tiefen der Seele, und ein Ausdruck hinschmachtender unerwiderter Liebe wich nicht mehr aus ihrem Antlitz. Der Teufel plagte mich eines Tages zu prüfen, wie weit wohl ihre Aufopferung bei dieser merkwürdigen Gemüthslage gehen würde, und da ich vor Kurzem ein Pärchen Bartmeisen in einer Vogelhandlung gesehen hatte, das mit dem brennenden Wunsche es zu besitzen mein Herz verwundet hatte, so fragte ich nach einer diplomatischen Einleitung vorsichtig an, was wohl Frau Schüddebold sagen würde, wenn ich mir diese reizenden allerliebsten Thiere anschaffen würde. Und was geschah? Mit einer Miene unendlicher demuthsvoller Hingebung erwiderte sie: »«Wenn Sie es wünschen, lieber Herr, gern!«

Ueber diese Antwort, so viel Verlockendes auch für mich darin lag, war ich heftig erschrocken. Ich sah es nun klar, der Wurm der Liebe nagte schon an den Grundfesten ihres Charakters, denn ich fand sie bereits entschlossen, Prinzipien zu opfern.

Für Manchen hätten wohl die Annehmlichkeiten, welche eine solche Verbindung mit sich führte, viel Verlockendes gehabt. Einfacher konnte ich garnicht zu einer wohl eingerichteten Häuslichkeit kommen, nicht einmal auszuziehen brauchte ich. Zwar fünf Jahre älter war Frau Schüddebold als ich, jedoch eine saubere, stattliche und wohl erhaltene Frau. Ich hatte schon andere Dinge erlebt. Einer meiner Freunde hatte eine Dame geheiratet, welche ihn im Alter um acht Jahre übertraf und es war eine glückliche Ehe geworden. Allerdings war sein Beweggrund Liebe und nicht Bequemlichkeit gewesen. Dass ich jedoch diesen gefährlichen Spekulationen nicht zu lange nachhing, habe ich dem Barbier Kräutlein zu danken. Herr Kräutlein war, wie fast alle Barbiere, von etwas ausschweifender zur Romantik geneigter Gesinnung und feurigen Gemüthes. Die mannigfachen Vorzüge der wohlhabenden stattlichen Wittwe hatten sein Herz entzündet und seit einiger Zeit verfolgte er sie mit glühenden Werbungen. Es ist möglich, dass diese, bevor durch den Gott der Liebe ihr Sinn auf mich gewendet worden war, den schmeichlerischen Worten des Barbiers mehr Gehör geschenkt hatte, jetzt aber war sie eitel Grausamkeit und Härte gegen Herrn Kräutlein. Solches aber entflammte nur immer höher die Gluth dieses Märtyrers der Liebe und sehr bemerkenswerth war es zu sehen, wie wohl sich die alternde Frau in dem Abglanz dieser schmeichelhaften Flammen gefiel, denn durch all den Zorn über die zudringlichen Werbungen dieses Hasenfusses leuchtete doch immer die stille Befriedigung, vor den Augen des geliebten Miethers so heiss begehrt zu werden. Ueberaus komisch war eine Scene, die sich fast täglich ereignete. Wenn der Barbier meinen Freund Oppermann, welcher drei Treppen hoch wohnte, des Morgens wie gewöhnlich rasiert hatte und wieder herunter kam, dann zog er regelmässig die Thürglocke, um Frau Schüddebold herbeizulocken. Wenn sie dann kam und vorsichtig zuerst durch das Guckloch in der Thür hinauslugte, girrte er ihr, die natürlich nicht öffnete, durch dieses kleine Loch die heissesten Schwüre und Liebesbetheuerungen zu, während sie als Gegengabe die härtesten Schmähungen auf seine wohlgekräuselten Barbierlocken häufte. Hatte er dann fruchtlos dort einige Zeit geseufzt und deklamiert, verliess er gekränkt den Ort seiner Schmach, ermannte sich aber vor der Hausthüre wieder, steckte die Hand in den Busen, warf noch einige grossartig flammende Blicke auf die Fenster des Hauses und begab sich erhobenen Hauptes und wogenden Ganges davon. Einmal aber, als er gerade die Treppe hinabkam und Frau Schüddebold in demselben Augenblicke dem Briefträger geöffnet hatte, war er in geschickter strategischer Benutzung dieses günstigen Momentes eingedrungen, hatte auf dem schmalen halbdunklen Korridor zuerst einen grossartigen Fussfall im Opernstil gethan und war dann so feurig geworden, dass sich Frau Schüddebold seiner mit einer Feuerzange erwehren musste, ihn auch nach mehreren tapferen Angriffen endlich in die Flucht trieb. Nun aber war ihre Geduld am Ende und das nächste Mal versuchte sie ein anderes Mittel zur Abkühlung dieser gewaltigen Liebesflammen. Als nun Herr Kräutlein schon am anderen Tage wieder unabgeschreckt seine gewohnten Liebesbetheuerungen durch das Guckloch girrte, da war sie doppelt hart gegen ihn und behandelte ihn so schrecklich, dass er früher als gewöhnlich abliess und sich davonschob. Im nächsten Augenblicke sah ich Frau Schüddebold in grosser Eile durch mein Wohnzimmer in die Schlafkammer rennen und ward durch ein seltsam furienhaftes Leuchten ihrer Augen erschreckt. Ich folgte ihr und sah sie am offnen Fenster stehen, wie sie lauernden Blickes ein grosses Gefäss mit Wasser in den Händen hielt. In diesem Augenblick trat der Barbier aus dem Hause, und als er eben nach seiner Gewohnheit den grossartig flammenden Blick auf die Fenster des Hauses senden wollte, da – klatsch – traf ihn ein wohlgezielter Wasserguss von den grausamen Händen der Geliebten und durchnässte ihn von oben bis unten. Wenn diese aber geglaubt hatte, durch dieses Verfahren eine zerknirschende Wirkung auf Herrn Kräutlein auszuüben, da fand sie sich schwer getäuscht, denn nun erst fühlte sich dieser ganz auf der Höhe seines Märtyrerthumes und heiss durchströmte ihn das stolze Bewusstsein, für seine erhabene Liebe ungerecht zu leiden. Seine Augen flammten, seine Brust weitete sich, und hocherhobenen Hauptes stolze Blicke um sich sendend, ging er, obwohl nass wie eine gebadete Katze, fast eine viertel Stunde vor dem Hause auf und ab, nicht achtend der spöttischen Zurufe und der lächelnden Blicke, welche ihm aus den Fenstern der Umwohnenden reichlich zu Theil wurden.

Sobald meinem Freunde Oppermann dieses Abenteuer bekannt wurde, schaffte er Herrn Kräutlein ab, denn er fürchtete es, sich ferner dem Messer eines vom Wahnsinn der Liebe ergriffenen Barbiers anzuvertrauen: »De Kierl snitt mi jo womäglich den Hals af!« sagte er in seinem heimischen Idiom, und solchem Beispiel folgten noch einige andere Kunden in der Gegend, so dass der unglückselige Mann ausser jener tiefen Herzenskränkung auch in seiner bürgerlichen Nahrung arg geschädigt wurde. Er musste mich wohl hinter seiner geliebten Feindin haben stehen sehen, als er so grausame und verächtliche Behandlung von ihr erfuhr, denn von nun ab schien er mich mit Groll und Argwohn zu betrachten, warf aus rollenden Augen furchtbare Othelloblicke auf mich, wenn er mir begegnete, und murmelte Unverständliches zwischen den Zähnen. In dieser Zeit erhielt ich folgende Zeilen von Hühnchen:

»Liebster Freund!

Am ersten Juli zieht der Major aus, um zu heirathen. Als ich nun gestern mit Lore darüber sprach, da schoss wie ein glänzendes Meteor ein herrlicher Gedanke durch die Nacht meines Hirnes. Theuerster Freund, die Wohnung ist ja gerade wie für dich geschaffen! Nachdem ich diese geniale Idee geäussert hatte, verbreitete sich Sonnenschein durch das ganze Haus, Lore strahlte, die Kinder sprangen und ich musste mir so lange die Hände reiben, dass ich sieben Mal die Stube damit auf und ab kam. Dadurch angeregt liess unser neuer Canarienvogel, der auch wieder Hänschen heisst, seinen ungeheueren Triller los, der so lang wie die Friedrichstrasse ist, wahrhaftig wie ein Fusssteig in die Ewigkeit. Mit einem Wort, das Haus Hühnchen jauchzte. Da wir gerade zu Tische gehen wollten, holte ich zur Feier dieser glücklichen Stunde eine Flasche Sauren herauf und so wurden wir noch lustiger und liessen unseren zukünftigen Hausgenossen leben. Denn dass du diese Gelegenheit bei'm Zipfel ergreifen wirst, erscheint mir ausser aller Frage. Ueber Frau Schüddebolds Strenge und ihren unvernünftigen Hass gegen Alles was da fleucht und kreucht hast du dich oft beklagt. Sieh mal, bei mir soll der Stab Sanft über dich geschwungen werden, bei mir kannst du dir meinetwegen eine ganze Menagerie anlegen und dir die ungebräuchlichsten Thiere anschaffen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Giraffe? Zwar muss es schon eine Klapp-Giraffe sein, damit sie in unseren Salons Platz fände, oder es wird auf andere Weise Rath geschafft. In unserem Südzimmer kann sie wunderschön stehen in heimischem Klima und damit sie in ihrer räumlichen Entwicklung nicht behindert wird, machen wir in dein Zimmer hinein ein Loch in die Decke, wodurch sie den Hals und den Kopf steckt. So kannst du den besseren Theil des anmuthigen Thieres stets um dich haben, kannst es streicheln, tränken und füttern und ihm Gedichte vorlesen, während wir zugleich unten uns seiner Lieblichkeit erfreuen. Mit einem Wort, bei uns kannst du machen was du willst und wenn es dein Herz gelüstet das Bombardon zu spielen oder um das Abendroth auf einer Posaune zu blasen, so wird dir Niemand darin hinderlich sein, denn Nerven hat in diesem ganzen Hause kein Mensch.

Drum lieber Freund entschliesse Dich und beglücke uns möglichst bald mit Deiner Zusage. Die Arme der Familie Hühnchen sind geöffnet, Du brauchst Dich nur hineinzustürzen. Wir wollen Dein Wohnzimmer neu tapezieren lassen; Lore hat kürzlich neue Tapeten gesehen mit Blumen, Vögeln und Schmetterlingen, sie sagt märchenhaft wie aus Tausendundeinernacht. Der Wein ist nun schon so hoch emporgerankt, dass Dir die Trauben in's Fenster hängen werden, und dann die Aussicht auf den Garten, auf den Napoleonsbutterbirnbaum und den Grafensteiner und im Hintergrunde die Laube mit dem Springbrunnen davor. Lockt Dich das nicht? Hurrah! ich freue mich furchtbar auf Deine Zusage! Alle grüssen Dich herzlich! Dein

Hühnchen.«

Dieser Brief kam mir wie eine Erlösung. Ja, so war es am Besten, so entging ich gleichzeitig der Liebe und dem Hass. Denn auf die Dauer war Frau Schüddebolds Zuneigung doch nicht gut zu ertragen und sehr wenig erheiternd war die Vorstellung, einen Feind in steter Nähe zu wissen von phantastischer und excentrischer Gemüthsart, der unausgesetzt einige haarscharfgeschliffene Rasirmesser bei sich führte.

Schrecklich war der Augenblick, als ich Frau Schüddebold kündigte. Sie stand da bleich und starr wie eine Bildsäule mit der Unterschrift: »Der stille Vorwurf.« Dann traf mich ein Blick, in dem mit Riesenbuchstaben geschrieben stand: »Habe ich das um dich verdient?« und ohne eine Wort zu sagen entfernte sie sich mit dem qualvollen Seufzer einer tief gekränkten Seele. Man vergönne mir zu schweigen über diese letzten Tage, wo Frau Schüddebold bei mir aus- und einging wie eine stumme Anklage, still aber gross in ihrem Schmerz. Nur einmal noch fand ich Mörike's Gedichte wieder aufgeschlagen an einem Platze liegend, wo sie mir sofort in die Augen fallen mussten. Die Verse, welche ich lesen sollte, lauteten:

»Lebe wohl« – Du fühlest nicht
Was es heisst dies Wort der Schmerzen;
Mit getrostem Angesicht
Sagtest Du's und leichtem Herzen.

Lebe wohl! – Ach tausendmal
Hab' ich mir es vorgesprochen,
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen!

Ich kann aber zum Troste für alle zartfühlenden Seelen hier berichten, dass die Frau sich recht bald in ihr trauriges Schicksal gefunden hat. Indem sie sich zuletzt wohl überlegte, dass ein wenn auch ein wenig verrückter, so doch einer ungewöhnlichen Liebesgluth fähiger Lebensgefährte immerhin besser sei als gar keiner, hat sie zuletzt geschmeichelt und gerührt von der unwandelbaren Beharrlichkeit, mit welcher dieser Mann ihr sein Herz entgegentrug, dem Barbier Gehör gegeben und ihn auf kurze Zeit zum Glücklichsten der Sterblichen gemacht. Denn nach der Hochzeit ist es bald anders geworden, und Herr Kräutlein schmachtet in furchtbarer Tyrannei. Sie hat das unglückselige Gewächs an den Stab ihrer Strenge gebunden und sich mit ganzer Kraft bemüht alle seine vergnüglichen Auswüchse wieder gerade zu ziehen. Seiner leichtbeflügelten phantasiereichen Barbierseele hat sie eine Feder nach der anderen ausgerupft und in dem Leben dieses unglückseligen Opfers der Liebe ist jetzt nicht mehr Romantik als in einem hohlen Hirsekorn Platz hat. Armer Kräutlein!

 

 


 << zurück weiter >>