Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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III. Um die Sommersonnenwende.

Von nun ab hatten wir kein Kind mehr, sondern ein junges Mädchen im Hause. Nichts ist sonderbarer als die Schnelligkeit, mit welcher ein solches Wesen in einem gewissen Alter plötzlich erwachsen ist. Gestern noch im kurzen Kleide hüpfte es ausgelassen und kindlich umher, heute trägt es ein langes, wandelt mit sittigen Schritten und ist ein ganz anderes Geschöpf geworden, Alles durch ein paar Zoll Wollenstoff. Aber auch sonst hatte sich Manches verändert, zuerst langsam und unmerklich und dann fühlbarer. Als Frieda noch das sorglose Kind war, kam sie des Abends bei'm Gute-Nachtsagen, schlang die Arme um meinen Hals und küsste mich mit den reinen unbewussten Kinderlippen. Die Sitte, sich also von dem lieben Onkel und Hausgenossen zu verabschieden, blieb auch als sie grösser wurde und ich weiss nicht mehr genau, wann ich zum ersten Male empfand, dass nicht mehr der Mund eines Kindes, sondern der eines jungen Weibes den meinen berührte. Dann kam einmal ein schöner langhindämmernder Juniabend. Wir hatten alle in der Laube gesessen und anfangs den Fliegenschnäppern zugesehen, wie sie von den Stäben der hochstämmigen Rosen aus in die von der sinkenden Sonne durchschimmerte Luft tauchten, um spielende Mücken zu fangen, hatten sodann dort unsere Abendmahlzeit eingenommen, während das Gelärm spielender Kinder aus der Ferne schallte und einzelne Sterne heimlich am blassen Himmel zu blinken begannen. Dann hatten wir den Fledermäusen zugeschaut wie sie schwankenden Fluges den Nachtschmetterlingen und Käfern nachstellten, die mit summendem Ton durch die weichen Abendlüfte irrten und allmählig war unser Gespräch ganz eingeschlafen. Dann war Hühnchen fortgegangen um das Haus zu schliessen, Frau Lore um noch Einiges in der Wirthschaft zu besorgen und Hans, der noch einmal in seine Schulaufgaben blicken wollte, so dass ich allein in der Laube sass, während die schimmernde Gestalt Friedas in dem dämmernden Garten sichtbar war, wie sie zuweilen zu den jungaufgeblühten Rosen sich niederbeugte um aus ihnen den Duft des Sommerabends einzuathmen. Plötzlich stand sie vor mir um mir gute Nacht zu sagen. Sie trug ein helles Kleid, das mit zarten kleinen Blümchen überstreut war und hob sich schimmernd ab von dem dunklen Hintergrunde des Buschwerkes. War es nun der Hauch holder Weiblichkeit, der von ihr ausging, war es die Stimmung dieses sanften träumerischen Abends, mich überkam der Zauber dieser Stunden, unwillkürlich erhob ich mich, schlang sanft meinen Arm um die zärtliche Gestalt und küsste sie auf den holden hingebenden Mund, den noch ein Hauch der jungen Rosendüfte zu umschweben schien. Sie löste sich sanft erröthend aus meinem Arme, sah eine Weile wie verwirrt und verwundert vor sich hin und ging dann schnell und leise fort; bei dem ungewissen Dämmerlichte schien es, als entschwebe sie mir. Seit diesem Abend küssten wir uns nicht wieder.

Ich bin zwar fest überzeugt, dass ich gleich meinem Freunde Leberecht Hühnchen innerlich niemals ganz alt werden und immer ein Stückchen Kind bleiben werde und diese, vielen Menschen, die niemals jung waren, verächtlich erscheinende Eigenschaft, machte einen grossen Theil meines Glückes aus, aber ich konnte mir doch nicht verhehlen, dass ich achtunddreissig Jahre alt war und es nicht mehr nöthig hatte, mir einen Scheitel zu kämmen. Aber ich glaube auch, dass uns in solchem Alter der Hauch holder weiblicher Jugend am lieblichsten anweht und mit allen Kräften suchte ich Gedanken zu unterdrücken, welche berauschend auf mich einstürmten und mich verlockten in ein schönes Reich, wie sehnsüchtige Waldhornklänge rufen zu grüner sonniger Waldeinsamkeit. Nein, das Reich der Jugend war zugeschlossen und der Schlüssel auf ewig versenkt in das Meer der Vergessenheit. Jedoch als wir an einem der nächsten Morgen bei'm Kaffee sassen machte Hühnchen einen seltsamen Angriff auf mich. Dies war immer eine behagliche Stunde; bevor wir zusammen in die Stadt fuhren, sassen wir einander gegenüber und hatten unser Vergnügen an Hänschen dem Kanarienvogel, der um diese Stunde aus seinem Käfig gelassen wurde und mit bewundernswürdiger Zahmheit sich bei uns herumtrieb. Er hatte sich gewöhnt in dieser Zeit auf einer unserer bis zum Hinterkopf fortgeschrittenen Stirnen zu sitzen, und dadurch zu diesem Thema fühlbar angeregt, war es ein ständiger Lieblingsscherz von Hühnchen, die Frage zu erörtern, auf welche der drei gebräuchlichsten Arten uns beiden wohl die Zierde unseres Hauptes verloren gegangen sei, ob wir sie uns abgedacht, abgeärgert oder abamüsiert hätten, oder wodurch sonst wohl die Zeit, dieser grausame Indianer, bewogen worden sei, uns so vorzeitig zu skalpieren. Während solcher anmuthiger Gespräche ward Hänschen durch zeitweiliges Vorneigen des Kopfes bewogen immer von einem Scheitel zum andern zu fliegen, so dass wir gleichsam eine Art Billard mit ihm spielten, ein Anblick, an welchen die Familie Hühnchen gewöhnt war, der jeden Fremden aber mit der höchsten Verwunderung erfüllte.

Als wir nun also einmal wieder am Sonntag Morgen, behaglich, weil keine Pflicht uns rief, also beim Kaffee sassen und Hänschen mit uns von Mond zu Mond spielte, da sagte Hühnchen mitten aus dem tiefsten Nachdenken heraus, während er dem Kanarienvogel einen kleinen Schubs gab, dass er flatternd zu mir sich herüberwendete: »Sage mal Freund, willst du dich eigentlich nie verheirathen?«

»Nein, verehrter Leberecht!« erwiderte ich, Hänschen veranlassend auf das gegenüberliegende Hochplateau wieder zurückzukehren.

»Uns natürlich«, sagte Hühnchen, »kann das nur angenehm sein. Wir behalten dich gern bei uns bis an das Ende aller Dinge, aber wir denken an dich. Du bist nun achtunddreissig Jahr alt, da wird es hohe Zeit. Denke daran, was der alte Daniel Siebenstern damals zu dir sagte, als er dir seinen Sarg zeigte und sich darüber ausliess wie traurig es ist, wenn unser Blut verrinnt gleich dem Quell im Sande der Wüste. Lore und ich haben gestern Abend wohl eine Stunde darüber gesprochen und meinen beide, dass es gut ist. Wir wissen auch Jemand für dich!«

Ich ward aufmerksam auf ein Geräusch, das von Frieda ausging, die am Fenster sass und nähte. Als ich aufblickte fand ich sie jedoch tief über ihre Arbeit gebeugt, als achte sie auf weiter nichts in dieser Welt als die Stiche ihrer Nähnadel. Ich muss gestehen, dies Gespräch erregte mich ein wenig, allein ich sagte so gleichgültig wie möglich: »Nun, wen habt ihr mir denn bestimmt?«

»O«, sagte Hühnchen, »ein sehr nettes Mädchen, nicht zu jung für dich, aber noch sehr hübsch und ansehnlich. Sie hat auch ein wenig Vermögen und nimmt dich auf der Stelle, darauf will Lore einen Schwur leisten. Ich glaube du ahnst es schon?«

»Ich ahne garnichts«, sagte ich, obwohl mir bereits aus dem Nebel der Ungewissheit die Gestalt einer Dame hervordämmerte, welche man mir immer und überall als Tischnachbarin zu geben pflegte. Mir war das stets sehr angenehm gewesen, weil sie die Kunst der Unterhaltung verstand und mir, der ich in dem Fache des gesellschaftlichen Geschwätzes über Nichts und Alles wohl stets ein Laie bleiben werde, desshalb sehr bequem war.

»Fräulein Dorette Langenberg!« sagte Hühnchen meinen Verdacht bestätigend. Ich schwieg eine Weile und es war ganz still im Zimmer. Dann sagte ich: »Lieber Freund Hühnchen, ich erkenne eure Liebe und Theilnahme wohl an, aber ich bitte euch mich nicht ferner zum Gegenstand solcher wohlgemeinter Pläne zu machen. Ich habe mir die Sache begeben, wie man bei mir zu Lande sagt. Ich bin gesonnen in Ruhe und Frieden ein guter alter Onkel zu werden und bitte mich in diesem Vorhaben nicht zu stören. Fräulein Dorette Langenberg hat zwar eine wunderschöne Hand, aber sie mag einen andern damit beglücken. Ich habe die Zeit verpasst und den Anschluss versäumt, lieber Freund und nun ist es zu spät. Für die Apfelblüthen bin ich zu alt und die reifen Borsdorfer mag ich nicht. Das ist es, was ich in dieser Angelegenheit zu sagen habe.«

Obgleich ich es vermeiden wollte, veranlasste mich doch eine seltsame Bewegung am Fenster nach Frieda hinzusehen. Ihre Augen waren gross und voll auf mich gerichtet mit einem Ausdruck, den ich nicht zu schildern vermag. Wenn man von einem Menschen, der keine Muskel bewegt, sagen darf, er schüttele mit dem Kopfe, so war es das, was in diesem Blick lag. Dann erwachte sie gleichsam, nahm tief erröthend ihr Nähzeug zusammen und verliess leise das Zimmer.

Hänschen war, seines Spieles müde, freiwillig in den Käfig zurückgekehrt und füllte die Stille des Zimmers nun mit schmetterndem Gesang; Hühnchen reichte mir seine Hand über den Tisch und nickte wohlwollend und damit war die Sache abgemacht. Während nun aber der Kanarienvogel also thätig war, setzte er plötzlich mit seinem ungeheuren Triller ein, der von Jahr zu Jahr sich verlängerte, so dass man kaum zu begreifen vermochte, wo das winzige Thier den nöthigen Athem herholte. Dieser Triller war Hühnchens Stolz und er pflegte den Vogel durch ein ermunterndes: »Na, na!« dabei zu seiner Leistung anzufeuern. Heute übertraf Hänschen aber Alles, was je dagewesen und als er endlich fertig geworden, hängte er noch einen eleganten Schnörkel als Verzierung an, gleichsam um zu zeigen, dass er immer noch einen Vorrath von Athem habe.

»Heiliger Brehm!« sagte Hühnchen, »dieser Triller muss wirklich auf die Ausstellung. Jetzt ist er schon bedeutend länger als die Friedrichsstrasse; er geht die Chausseestrasse und Müllerstrasse entlang bis über den Wedding hinaus und ist auf dem Wege nach Tegel. Gut, dass ich auf Tegel komme. Zum Johannistag in nächster Woche, wenn mein Urlaub beginnt, sind wir eingeladen von Dr. Havelmüller nach Tegel in seinen Garten. Ich denke, wir werden grossartig auftreten und uns einen Wagen nehmen, damit wir unterwegs machen können, was wir wollen.«

Dieser Plan erfüllte mich mit stillem Vergnügen, denn Dr. Havelmüller war mein lieber Freund und seine drolligen Einfälle pflegten eine solche Unternehmung stets zu einer absonderlichen Gemüthserheiterung zu gestalten. In Berlin als Chemiker und Redakteur vielfach thätig, war er ausserdem mit den verschiedensten Talenten ausgestattet und zeichnete sich auf so verschiedenen Gebieten aus, dass mancher Mensch von geringeren Ansprüchen sich wohl schon mit einem Theile dieser Vielseitigkeit begnügt haben würde und vielleicht stolzer gewesen wäre auf dieses eine Talent als der in seinem geistigen Reichthum bescheidene Mann, der sich niemals genügte, weil er an Alles einen hohen Massstab zu legen gewohnt war. Einen besondern Ruhm genoss er als Leiter und Veranstalter von Künstlerfesten und öffentlichen Aufzügen, für welche Unternehmungen ihm sein beweglicher Geist, seine grosse Belesenheit, seine vielseitigen Talente und eine ruhlose Arbeitskraft besonders befähigten. Aber seltsamer Weise war diesem Trieb sich im schäumendsten Leben und buntesten Wirbel zu bethätigen ein ebenso tiefer Hang zur Einsamkeit gesellt, verbunden mit einer innigen Freude am Kleinen und Einfachen. Derselbe Mann, der hinter den Reagenzgläsern seines Laboratoriums tüchtig und thätig war und zugleich technische und andere Zeitschriften redigirte, der unter Umständen die Seele rauschender und bunter Feste oder der Mittelpunkt humoristischer Vereinigungen war, zog sich mit besonderer Vorliebe, wenn seine Zeit es irgend erlaubte, an den Abenden der besseren Jahreszeit nach Tegel zurück, wo er eine gepachtete Sandscholle in einen sehr wunderlichen Bauergarten verwandelt hatte und in einer höchst absonderlichen kleinen Bretterhütte übernachtete, um am andern Morgen in der Frühe frisch gekräftigt in das Gebrause der ungeheuren Stadt zurückzukehren. Dort in Tegel lebte er in seiner eigenen Welt, die von der übrigen durch ein paar dünne Drähte abgezäunt war, dort pflanzte er Kartoffeln, Zierbohnen und Tomaten, säete bunte altmodische Sommerblumen und aquarellirte unermüdlich Sonnenuntergänge, welche in Tegel bekannter Weise in unübertrefflicher Qualität gedeihen, dort machte er Verse oder komponierte ein Liedchen oder erfand zu dem selber zubereiteten Abendessen neue Gerichte, von welchen der »Tegel-Kaviar«, und die »Tegel-Stippe«, zu besonderem Ruhme gelangten.

Die Familie Hühnchen und ich vereinigten uns in dem Wunsche, der Johannistag möge in diesem Jahre mit ungetrübtem Glanze sich zeigen, denn wir alle versprachen uns von diesem Ausfluge ein Vergnügen nicht gewöhnlicher Art.

Die Tage bis dahin verrannen unter den gewohnten Beschäftigungen und kleinen Erlebnissen, doch ich war nicht der Alte mehr. Mir sass »ein ungeberdig Mutterkind im Kopf«, nur dass die Bezeichnung »ungeberdig« nicht recht passen wollte, denn dies Wesen war so sanft und gut wie ein Lämmlein und so anmuthig wie eine stille Blume, die es selbst nicht weiss. Wir gingen nebeneinander her und sahen uns nicht an, nur heimlich blickte ich nach ihr, hinter den Gardinen versteckt, wenn sie in dem kleinen Garten sich zu thun machte. Wie ein holder Schein umschwebte mich die sanfte Gestalt, wo ich ging und stand, mitten aus den schwierigsten Rechenexempeln tauchte plötzlich das zärtliche rosige Antlitz hervor und verwirrte meine Gedanken. Welch' wunderliches Räthsel der Natur, dass uns Alles was lieblich und schön, kostbar und begehrenswert vorkommt in den zarten Umkreis eines weiblichen Körpers gebannt sein kann, dass eine Bewegung, ein Lächeln uns entzückt, welches Niemand sonst beachtet, dass in einem mit Menschen gefüllten Saale uns alle anderen wie leere Larven erscheinen, und nur dies eine holde Geschöpf des warmen Lebens voll.

 

 


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