Heinrich Seidel
Neues von Leberecht Hühnchen
Heinrich Seidel

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IV. Der Major tritt auf.

Während wir beim Kaffee sassen, brach die Dämmerung herein, und allmälig ward es dunkel zur grossen Wonne der Kinder, welche wussten, dass nun bald die Bescherung vor sich ging. Als Frau Lore die Lampe angezündet hatte, liess sich der Tritt knarrender Stiefel auf der Treppe vernehmen; es klopfte, und herein trat ein kleiner, untersetzter Herr, der in seinen Bewegungen etwas feierlich Gemessenes hatte. »Herr Major Puschel«, stellte Hühnchen ihn vor. Der Major begrüsste die Damen mit wundervoller Galanterie, und als er dem Fräulein mit einer bezaubernden Verbeugung die Hand küsste und ihr Aussehen lobte, da ging etwas wie ein Abglanz vergangener Herrlichkeit über ihre Züge und verschönte sie sichtlich. Dann schloss er, wie aus alter Gewohnheit, die Hacken, machte auch mir eine kleine Verbeugung, und indem er nach seiner Gewohnheit die linke Spitze des semmelfarbigen kurzen Schnurrbartes nach oben drehte, sprach er mit der schnarrenden Stimme, welche so oft alten Soldaten eigen ist, zu mir: »Als ich noch Platzingenieur in Pillau war, hatte ich einen Kameraden Ihres Namens. Erst gestern wurde ich an ihn erinnert. Mir ging es nämlich am Abend recht schlecht, ich war furchtbar enrhümirt und glaubte kaum, dass ich diese kleine Fete hier würde mitmachen können. Da verfiel ich drauf, mir ein grosses Glas Grog zu machen, eine innere Stimme sagte mir, Grog sei für meinen Zustand angezeigt. Und merkwürdig, heute Morgen war Alles wie weggeblasen, und ich fühlte mich ganz ungemein wohl. Ja.«

Damit setzte er sich und sah alle nach der Reihe mit seinen runden, wasserblauen Augen auf die Wirkung dieser Wunderkur hin forschend an.

Hühnchen fiel sofort ein: »Ja, zuweilen schlagen die wunderlichsten Dinge an bei Kranken. Als in Hannover mein Freund Knövenagel todtkrank war, und die Aerzte ihn aufgegeben hatten, da bekam er eine sehnsüchtige Begier nach saurer Milch. Seine Wirthin war schwach genug, ihm eine grosse Schüssel davon zu bringen, denn sie dachte, wenn er doch sterben muss, da mag er noch vorher sein Vergnügen haben. Mein Freund Knövenagel löffelte die ganze Schüssel aus, legte sich auf die Seite, schlief ein, schwitzte wie ein Spritzenschlauch, und am andern Morgen war die Krankheit gebrochen. Auf saure Milch war sie nicht vorbereitet.«

»Das ist es ja eben,« sagte der Major, »weshalb mir gestern mein Kamerad in Pillau einfiel. Er litt am Nervenfieber, und der Arzt schüttelte mit dem Kopfe, denn es stand bedenklich. Nun war es gerade Donnerstag, und die Frau, bei welcher er wohnte, hatte Erbsen, Sauerkohl und Pökelfleisch gekocht. Als nun einmal die Thür des Krankenzimmers geöffnet wurde und eine Wolke Küchengeruch hereindrang, da wollte mein Kamerad mit Gewalt von diesem Gericht haben, und es half Alles nichts, sie mussten ihm davon bringen. Aber das war nun wieder höchst merkwürdig; als er es zu sehen bekam, drehte er den Kopf nach der Wand und rührte es nicht an. Nein, er mochte es nicht sehen und rührte es nicht an. Ja!«

Hühnchen sah mich leuchtend an bei diesem unerwarteten Schluss, und ich konnte mich nicht enthalten, zu fragen: »Ward er denn gesund?«

»I bewahre,« sagte der Major, »starb noch in derselben Nacht.«

Unterdess waren die Kinder schon sehr unruhig geworden, und endlich kam Hans mit einer grossen, perlmutterglänzenden Muschelschale, in welcher sich weiter nichts befand als ein Endchen Wachslicht. Dies reichte er dem Vater hin, während er ihn bittend anblickte und dabei von seiner Schwester unterstützt ward.

»Jawohl, Kinder,« sagte Hühnchen »Zeit und Stunde sind da.« Dann nahm er das Endchen Wachslicht, zeigte es mir, indem er es mit liebevoller Feierlichkeit zwischen den Fingerspitzen hielt und sagte: »Du weisst, theurer Freund, dass an manchen Orten noch der Gebrauch herrscht, am Weihnachtsabend den mächtigen Jul-Block in den Kamin zu legen, dessen unverbrannte Reste aufgehoben werden, den Block vom nächsten Jahre damit anzuzünden. Wir haben leider kein Kamin, sie sind nicht ökonomisch und heizen die freie Natur mehr als unsere Zimmer. Da habe ich nun einen anderen Gebrauch eingeführt, den ich für nicht minder sinnreich halte. Alle die kleinen Wachslicht-Enden vom Tannenbaum hebe ich auf hier in dieser Perlmutterschale, und das ganze Jahr hindurch dienen sie mir für solche Zwecke, wo man auf kurze Zeit ein Licht braucht, z. B. zum Siegeln u. dgl. Fast an jedem haften einige Tannennadeln, und so geht bei uns durch das ganze Jahr eine Kette von süssem Weihrauchduft von einem Fest zum anderen, und jedes Mal, wenn ein solches Licht ausgeblasen wird, rufen die Kinder entzückt: »Ah, das riecht aber nach Weihnachten!« Das letzte jedoch, – hier siehst Du es, – wird auch im Falle der äussersten Noth nicht verbraucht, sondern damit werden die Lichter des nächsten Weihnachtsbaumes angezündet. Und zu diesem feierlichen Geschäft begebe ich mich jetzt an den Ort der Geheimnisse.« Damit schritt er zur Thür hinaus, indess die Kinder vor Vergnügen und freudiger Erwartung auf den Zehen hüpften.

 

 


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