Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

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Die Fahrt und die Kajüte

Die Glocke hatte halb nach acht geschlagen, als der General die Galerie der Cottage betrat. Der Onkel war nicht mehr zu Hause, aber Miß Murky war es. Er ließ sich anmelden, wurde angenommen und trat ein. Wie er die eine Salontüre öffnete, schwebte sie ihm durch die andere entgegen, heiter wie der junge Maitag, blühend wie die soeben entfaltete Rose.

»Sie sind früh!« sprach sie, ihm mit holder Freundlichkeit die Hand zum Willkommen reichend.

Er ergriff sie und drückte sie entzückt an die Lippen.

»Es ist recht artig, daß Sie eilen, eine einsame Maid zu trösten. Ich bin ganz verlassen, auch Ihr Onkel ist bereits fort.«

Er stand in ihren Anblick wie verloren. So majestätisch und wieder kindlich graziös war sie Königin und Kind zugleich!

»Warum reden Sie nicht?« fragte sie mit einer Stimme, die wie Silberglöckchen tönte, »Sie sind blaß, hatten Sie eine böse Nacht?«

»Eine sehr glückliche!«

»Wieso?«

»Ich verbrachte sie in Ihrer Nähe.«

»Sie waren nicht in der Kajüte?« rief sie betroffen.

»Doch, doch. Ich begleitete nicht nur Kapitän Murky zur Kajüte, sondern ging auch in mein Schlafzimmer, versuchte es, zu schlafen. Wer hätte aber nach einem solchen Tage schlafen können! So warf ich mich denn aufs Pferd, um mein Paradies zu bewachen.«

»Ihren Onkel haben Sie sich auf alle Fälle verbunden; da wir denn aber doch nicht mehr in den gefährlichen Zeiten leben, wo häßliche Riesen arme Jungfrauen rauben, so hätten Sie schlafen sollen. Papa wird erschrocken sein, wenn er Sie nicht gefunden hat. Er hält viel auf Sie.«

»Worauf ich stolzer bin – stolzer! Die Achtung Kapitän Murkys ist mir teurer als die irgendeines Menschen.«

»Oh, er ist der beste, der zärtlichste Vater!«

»Der glücklichste!«

»Es soll auch meine einzige Aufgabe sein, so wie es gewiß meine heiligste Pflicht ist, ihn dazu zu machen!« versetzte sie mit tiefer Rührung.

»Aber wir dürfen«, fuhr sie nach einer kurzen Pause wieder in etwas lebhafterem Tone fort, »ihn nicht zu lange auf uns warten lassen. Ihr Verschwinden wird ihn gewiß ängstigen, denn die Nachtluft ist hierzulande sehr gefährlich. Sie haben doch gefrühstückt? Nicht? Bless me! Welche Unvorsichtigkeit! Geschwind müssen Sie noch zuvor etwas nehmen.«

»Nein, nein, wir wollen fort!« protestierte er.

Es half jedoch nichts, sie eilte zur Klingelschnur, zog diese.

»Eile, Betsy«, rief sie der eintretenden Kammerzofe entgegen, »und bringe heißes Wasser zu Tee! Oder ziehen Sie Kaffee vor?«

»Was Sie wollen.«

»Wir haben bereits gefrühstückt. Ihr Onkel mußte zeitig nach Natchez hinein, und ich wollte mich auch nicht unbereit finden lassen. Sie sehen, ich bin es nicht.«

»Betsy, bist du da?« rief sie geschäftig der eintretenden Kammerzofe entgegen. »Nun kommen Sie, der Tee wird Ihnen gewiß gut tun. Sie hätten nicht nachtschwärmen sollen. Tun Sie das ja nicht mehr, versprechen Sie es.«

»Ich verspreche es.«

»Wohl, dafür sollen Sie eine Tasse Tee haben, oder vielmehr zwei«, verhieß sie drollig. »Zwei müssen Sie mir nehmen.«

»Von Ihrer Hand nehme ich alles.«

»Auch das Böse?«

»Selbst Gift.«

»Oh, Sie sind gar zu gefügig. Zu gefügig aber müssen Sie wieder nicht sein. Sind Sie es?«

»Sind Sie es?«

»Nicht immer«, sprach sie schalkhaft das Köpfchen wiegend, »jetzt müssen Sie es aber sein und die Tasse austrinken, während ich auf einen Augenblick gehe, um meine Wagentoilette zu vollenden. Ich bin den Augenblick wieder da.

Vergessen Sie mir aber nicht, den Tee auszutrinken«, rief sie neckend noch in der Türe, »wollen Sie?«

»Ich muß ja.«

Sie verschwand, und er, ihr nachstarrend, vergaß richtig Tee und Versprechen.

»Haben Sie ausgetrunken?« fragte sie bei ihrem Eintritte lächelnd, mit dem Finger drohend.

»Die Tasse, die von Miß Murky eingeschenkt, ist noch immer halb voll«, plapperte die über sein Stillschweigen wahrscheinlich etwas pikierte Kammerzofe.

»O der ewigen Zerstreuung!« schmollte sie, »nun trinken Sie, und zur Strafe sollten Sie eigentlich eine dritte nehmen.«

»Wer würde sich diese Strafe nicht gefallen lassen!« lachte er, die Tasse leerend und ihr dann überreichend.

»Ruhig!« mahnte sie wieder matronlich, als er mit der Tasse zugleich ihre Hand zu erfassen strebte. »Ruhig, sonst verschütten wir, und es ist ein böses Vorzeichen, zu verschütten.«

»Sind Sie abergläubisch?«

»Wie Sie fragen!« versetzte sie lachend. »In der Abtei erzogen und nicht abergläubisch sein! Alle waren wir es, wahrsagten, ließen uns wahrsagen, Theresia, Gabriele; so mußte ich mich denn wohl fügen, obwohl mein protestantischer Sinn ein bißchen dagegen rebellierte.«

Sie war wieder so mutwillig! Betsy und Margaret, die noch an Hut und Mantel und Halskragen und Locken ordneten, hatten Mühe, sie ruhig zu erhalten. Mit trunkenen Blicken hing er an ihr.

»Nun wollen wir aber denn doch gehen, denn Papa wird warten, und wir dürfen ihn nicht warten lassen. Aber austrinken müssen Sie zuvor.«

»Muß ich?«

»Tun Sie es, der Tee heitert immer auf, und Sie bedürfen der Aufheiterung, denn einigermaßen kommen Sie mir vor, als ob –«

»Als ob?«

»Sie nicht ganz bei Troste wären!« spottete sie.

Der Spott war aber wieder mit einem so schalkhaft zärtlichen Blicke gewürzt, daß er aufsprang und ihr wahrscheinlich um den Hals gefallen sein würde, wenn er sich nicht noch zu rechter Zeit besonnen hätte.

»Sie werden mich noch um den Verstand bringen!« rief er wie außer sich.

»So?« fragte sie mit komischem Ernste. »So? Wirkt also meine Nähe so gefahrbringend, dann sollte ich ja billig anstehen, Ihnen im Wagen noch näher zu kommen. Und in der Tat, wenn Papa Sie mir nicht zum Beschützer auf dieser Fahrt gegeben hätte? Er hat Sie recht gerne, Papa.«

»Und seine Tochter?«

»Will sehen, inwieweit Sie sein Vertrauen rechtfertigen. Geben Sie aber acht, mein tapferer General! Die Pferde Ihres Onkels scheinen mir auch zur Schwärmerei geneigt, ein bißchen wild.«

Das waren sie nun in der Tat, aber es versprach auch, den Reiz der Fahrt zu erhöhen. Eine solche Fahrt aber ist überhaupt schon geeignet, Liebende in günstige Beziehungen zu bringen. Bereits das Erfassen der Zügel gibt dem Manne einen gewissen Halt, der, so schwankend er ist, ihn schon zum Bewußtsein dessen bringt, was er als Gentleman seiner Dame schuldig ist, während sie sich wieder im Gefühl des Schutzbedürfnisses näher an ihn anschmiegt. Der sechundzwanzigjährige General besaß aber auch den seltenen Takt, ihr seinen Schutz auf die möglichst zarte Weise angedeihen zu lassen. Er wußte nicht bloß wie jeder Gentleman gut – er verstand es auch, mit Gefühl, wenn wir so sagen dürfen, zu fahren, mit jener gewissen hinreißenden Kaprice, die gleichsam den Impulsen eines empfänglichen Gemütes nachgebend da rasch den Zügel schießen läßt, wo alltägliche Gegenstände das Auge beleidigen, wieder lässig weilt, wo interessante Punkte vortreten. Die Umgebung von Natchez ist reich an Abwechselungen. Nun grandios, ja sublim durch ein Bruchstück des hehren Urwaldes oder den zeitweilig hervortretenden Wasserspiegel des majestätischen Vaters der Ströme, in der nächsten Wendung wieder idyllisch durch eine deliziöse Villa, die in Chinabäumen und Magnolien und Orangen und Zitronenbäumen Verstecken zu spielen scheint, wird sie plötzlich prosaisch, ja gemein durch eine Cottonpflanzung, deren meilenweite Baumwollenstauden mit den häßlichen Einfriedigungen wie spanische Reiter in die Augen starren. Sie flogen abwechselnd durch Gassen von Cottonfeldern, wieder weilten sie im Schatten eines Fragmentes der Urwälder, bewunderten hier die seltene Färbung einer Blüte, eines Blattes, dort die hundertvierzig Fuß hohe Krone eines Cottonbaumes; dann tranken ihre Blicke aus dem goldglänzenden Spiegel des Mississippi, wieder weilte ihre Phantasie bei den Bildern der edlen Natchez, deren einstmalige Sitze am Catharineflusse sie durchfuhren. Vor einer Villa hielten sie, weil sie Ähnlichkeit mit der ihrer Freundin Gabriele, vor einer anderen, weil sie ihn an seinen Landsitz in Texas, den er von einem edlen Spanier an sich gekauft, erinnerte. Während er ihr die Pracht der Baumgruppen, die milden Lüfte Texas', sie ihm die Herrlichkeiten der Schweiz, des südlichen Frankreichs schilderte, verriet sich in jedem Worte, jeder Bemerkung die edle männliche, die zart-weibliche Seele – der seltenste Einklang. Sie schienen sich die Gedanken von den Lippen zu nehmen. Nun scherzend, plaudernd, lachend, stand ihnen wieder im nächsten Augenblicke eine Träne im Auge. Wie Kinder trieben sie es. Spielend wie Kinder kamen sie an der langen Allee von Chinabäumen an, an der sie vorbeigefahren sein würden – so hatten sie in ihrem Glücke alles um sich her vergessen, wenn nicht der Diener, der sie zu Pferde begleitet, vor ihr gehalten hätte.

Da erst – als sie einfuhren, kamen sie zu sich. Anfangs ließ er rasch die Allee hineintraben, dann langsamer, denn sie war still geworden. Eine Träne perlte in den schönen Augen, wie das väterliche Haus vortrat. Sie hatte es zwar schon mehrere Male seit ihrer Zurückkunft gesehen, und zwar während der Abwesenheit des Gastes ihres Vaters, der wichtiger Geschäfte halber und um seinen Dienern und Gepäcke nachzusehen, in New Orleans gewesen; die Tränen konnten also nicht die der Überraschung sein. Vielleicht galten sie einer süßen Erinnerung, vielleicht einer sonstig wehmütigen Empfindung, die sie aber jedenfalls stark zu ergreifen schien, denn sie kamen zahlreicher; die Blicke, mit denen sie das Vaterhaus betrachtete, waren die einer Scheidenden. Doch ermannte sie sich, und den wunderlieblichen Kopf schüttelnd, lächelte sie in drolliger Wehmut:

»Bin ich doch eigen, mich durch den Anblick unsers alten Hauses, das ich doch erst kürzlich gesehen, zu Tränen hinreißen zu lassen!

Aber es ist ein liebes, liebes Haus!« sprach sie leise und weich.

»Ein liebes, liebes Haus!« fiel er zärtlich ein.

»Ich würde mit Schmerzen daraus scheiden!«

»Würden Sie?« fragte er beklommen.

»Gewiß! Es ist mir sehr teuer!«

»Es ist ein Paradies!«

Das war es nun freilich nicht, eher glich es der altestamentarischen Arche oder auch einem schwedischen oder holländischen Vierundsiebziger – denn wie ein solcher war es aus Balken und Brettern zusammengezimmert; auch die entsprechende Länge und Breite hatte es: hundertundsechzig bei sechzig, Schnabel spitz, Stirn rund, obwohl einige Divinationsgabe dazu gehörte, die Form oder vielmehr Unform auszumitteln; das Türmchen mit der Glocke ließ gar so queer, und mit den weitläufigen Galerien, die um das ganze Haus herumliefen und, durch das vorspringende Dach gebildet, statt der Außenwände Jalousien hatten, über und über mit seltenen Schlingpflanzen verwoben, glich es wieder mehr einem enormen vegetabilischen Auswuchse denn Arche, Vierundsiebziger oder Herrenhause. Aber lieblich mußte es sich trotz Bizarrerie in diesen Räumen wohnen, vorausgesetzt, daß ein wenig aufgeräumt wurde; in einigen Galerien – die westliche und südliche waren geschlossen – sah es ein bißchen bunt aus. Alles lag und hing und stand und lief hier durcheinander: Sattel und Zäume und Jagdtaschen und Jagdflinten und Sporen und Brogans und Mäntel und Kapotten, und Waschtische und Becken und Kannen und Hängematten. In einer dieser letzteren wiegte sich ein Trio von Katzen, während gleich darunter ein ci-devant Champagnerkorb stand, in dem ein halbes Dutzend junger Hunde winselten. Ein Paar nobler Rassepferde streckte die schlanken Hälse über das Geländer der Galerie einem Armsessel zu, auf dem sich eine gewaltige Zibetkatze philosophischen Betrachtungen überließ, während ein paar Schritte weiter – Jagdhunde und Hühnerhunde und Dachshunde und Neufundlandhunde an einer Brut schwarzer Wechselbalge herumzerrten, die nacheinander über einen Rasenplatz hergesprungen kamen, auf dem noch einige Dutzende wie Frösche auf allen vieren ausgespreitet – wahrscheinlich zum Trocknen in der Sonne lagen, nachdem sie zuvor ihren Reinigungsprozeß ausgestanden. Dieser Prozeß ging originell genug vor einer der größeren Hütten, die vermutlich zum Spital diente, vor sich. Vor der Hütte standen zwei bejahrte Negerinnen, von denen die erste mit Bürste bewaffnet einen der schwarzen Schreihälse nach dem anderen aus dem Fenster herausholte und in die ihr zur Seite stehende Badewanne ganz wie ein Ferkel eintauchte, und nachdem sie ihn tüchtig durchgerieben, an die zweite abtrat, die ihm denselben Liebesdienst mit einer Wolldecke antat, worauf sie ihn dann zum gänzlichen Abtrocknen in der Sonne auf den Rasen hinbreitete, von dem er schließlich in das Wollröckchen befördert wurde.

Weiter zurück lagen die Wirtschaftsgebäude, und an diese schloß sich das in einem Walde von Chinabäumen begrabene Negerdorf an, das so ruhig dalag, daß es sich bloß durch die bläulichen Rauchsäulen, die durch die blühenden Bäume emporkräuselten, verriet; aber ungemein lieblich ließ sich aus den dahinterliegenden Cottonfeldern ein fröhlicher Gesang hören, dessen munterer Schwung an die Matrosen mahnte, wenn sie wohlgemut die Anker lichten.

Das Ganze bot ein eigentümliches Gemälde dar, bei dem offenbar seemännische Disziplin, vielleicht auch Laune den Pinsel geführt haben mußte; aber neben den harten Strichen zogen sich wieder so weiche, milde Züge durch das Gemälde hin, der Grundton erschien so patriarchalisch väterlich, daß man um keinen Preis einen Pinselstrich daraus vermißt haben würde!

»Ja, es ist ein Paradies!« rief in stillem Entzücken der General, der nun mit der reizenden Gebieterin vor dem Rasenplatze angekommen. »Es ist weit mehr Paradies als das Uncle Duncans, es hat etwas so alttestamentarisch Patriarchalisches!«

»Es ist natürlich«, versetzte ruhig Miß Murky, »und das spricht das Gemüt an. Es ist wunderbar«, fuhr sie bewegter fort, »welch ein offenes, helles Auge Papa für das Natürliche, Wahre hat. Alles Unnatürliche, Unwahre widersteht ihm.«

»Das ist immer so bei wahrhaft edlen Menschen. Dieser Sinn unterscheidet sie von den herzlosen, die sich jeder Form anschmiegen.«

»Papa kann das nicht, und deshalb steht er auch so einsam.«

»Nennen Sie das einsam stehen, Miß Murky, geliebt zu sein wie er?«

»Er ist innig geliebt von so vielen, geachtet, ja verehrt von mehreren, aber doch steht er einsam«, versetzte sie sinnend.


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