Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

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›Will Euch sagen, woraus ich das schließe. Schließe es erstlich aus dem Umstande, daß sie einem Bastarde, William, dem Sohne der Gerberstochter von Falaise, folgten. Waren, seht Ihr, gar nicht so heikelig, wie es sonst wohlerzogene Barone zu sein pflegen. Sahen auf den Mann, obwohl dieser Mann ohne priesterlichen Konsens in die Welt gekommen. Und ein tüchtig gewaltiger Mann mußte er gewesen sein, ein glorioser, obwohl ungläubig wie ein Heide! Will Euch sagen, woraus ich das wieder schließe. Stürmte, als er sich zu Fecamp mit seinen Normannen einschiffte, als ob die Hölle los wäre, stürmte grausig, sagen die alten Chroniken, und schüttelten männiglich darob die Köpfe. Kümmerte sich aber weder um Sturm noch Kopfschütteln. Schifft sich ein, landet trotz böser Vorzeichen glücklich an der englischen Küste, landet, versteht Ihr? Setzt aber kaum den Fuß auf die englische Küste, als er stolpert und der Länge nach hinschlägt. Schlägt hin, so daß selbst seine Normannen stutzen, denen war das ja ein schlimmes Omen, und würde dieses Omen jeden gläubigen Christen wohl zum Umkehren bewogen haben, nicht aber ihn. War er der Mann nicht, sich schrecken zu lassen! Springt auf, zieht vorwärts, treibt alles vor sich her, bis er endlich auf das Heer der Angelsachsen vor Hastings stößt, das er ohne weiteres angreift und aufs Haupt schlägt.‹

›Wißt Ihr, daß Ihr eine ganz eigene Schlußmanier habt, Richter?‹ schaltete ich lachend ein.

›Handelt sich darum, die Charaktere Williams und seiner Normannen zu entwickeln, festzustellen‹, versetzte er, ›und kalkuliere, sind es just diese Züge, diese Pinselstriche, die uns seine und seiner Gefährten Physiognomien richtig geben. Merkt wohl, war er erstens Bastard, der als Bastard auf seines Vaters Erbe keinen Anspruch hatte, sich also mit seiner Faust etwas erwerben mußte. War aber diese Faust kräftig und zog natürlich alle kräftigen Fäuste, die gleichfalls zu Hause nichts zu verlieren, in der Fremde alles zu gewinnen hatten, an. Glaubt Ihr, daß, wäre er der legitime Erbe der Normandie, seine Normannen begüterte Barone gewesen, sie auf Länderraub nach England ausgezogen wären?‹

›Es ist viel Richtiges, Scharfsinniges in Euren Bemerkungen, aber was wollt Ihr eigentlich damit? Ihr müßt das Kind ja nicht wieder mit dem Bade ausschütten.‹

›Will's nicht, will's nicht, will nur sagen, nur sagen, daß weder dem Bastarde noch seinen Normannen mit dem bloßen Ruhme, die Angelsachsen überwunden zu haben, gedient war und daß ich von jener Großmut, Generosität, Hochherzigkeit, von der Eure Dichter und Geschichtsschreiber den Mund so voll nehmen, wenige oder gar keine Spuren mehr von dem Tage von Hastings an finde.‹

›Weil Ihr durch ein zu schwarzes Medium seht.‹

›Sehe ich? Kalkuliere, sehe aber doch nicht! Kalkuliere, seht Ihr vielmehr durch ein romantisches, ich durch ein klares, gesundes, welterfahrenes Medium. Zeigten wohl diese Plantagenets und ihre Helfershelfer und Spießgesellen Großmut oder chevaleresken Sinn, als sie die armen Angelsachsen aus ihren Hütten und Häusern trieben, ihnen den Rock vom Leibe stahlen, sie nackt ins Elend stießen, zur härtesten Sklaverei verdammten? Pooh! zeigten nur, wes Geistes Kinder sie waren. Waren und blieben Tyrannen.

Waren und blieben Tyrannen, die härtesten, blutdürstigsten Tyrannen, die je die Völkergeißel geschwungen; waren's selbst Eure Besten, Eure gepriesenen Harrys, Edwards. Denkt nur, auf welche Weise sie Richard dem Zweiten mitgespielt, was Richard der Dritte alles trieb.‹

›Aber die herrlich ritterlichen Taten eines Schwarzen Prinzen, eines Edward und so vieler anderer, die kommen bei Euch in keinen Anbetracht?‹

›Ei doch!‹ versetzte er ganz ruhig, sein Glas ansetzend. ›Doch, doch! Glaubt Ihr denn, es läge mir daran, meine und der meinigen Vorfahren herunterzumachen? Behüte! Nur im gehörigen Lichte wollte ich sie Euch zeigen. Sage Euch, findet immer neben den tiefsten Tälern die höchsten Berge, neben den schauderhaftesten Gewalt die herrlichsten Großtaten. Sind die einen die notwendigen Bedingungen der andern, entsprießt aus einem flachen, sandigen, gemeinen Alltagsboden nie etwas wahrhaft Großes. Wollt Ihr ein großes Gebäude aufführen, müßt Ihr vielerlei Steine, wollt Ihr Reiche und Staaten gründen, vielerlei Menschen nehmen.

Werden Länder und Reiche nicht wie Bräute gewonnen durch Sanftmut, Geduld, Artigkeit, Bescheidenheit, sondern durch Gewalt, Übermacht und Dreinschlagen. Wären die Normannen feine, artige, Zucht, Ordnung und Recht liebende Gesellen gewesen, würden sie weder die Normandie, noch England je gesehen haben. So aber waren es rauhe, gewaltige, rohe Gesellen, die sich keinen Fiedelbogen um die Welt und ihre Meinung kümmerten, ihre Pfaffen für sich beten, den Segen des Himmels herabflehen ließen, aber wie eingefleischte Teufel hausten. Wie eingefleischte Teufel hausten‹, fuhr er, sein Glas absetzend, fort. ›Und das nicht bloß ein, zwanzig oder dreißig Jahre, ein oder zwei Jahrhunderte, nein, fort und fort, die ganzen sechs, ja sieben Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag. War von dem Tage an, wo der Bastard in England gelandet, gerade als ob eingefleischte Teufel da eingekehrt, keine Ruhe mehr, kein Frieden, nichts als Gewalttaten, Krieg und Blutvergießen. Ging zuerst über die armen Angelsachsen her; als sie mit diesen fertig, über Wales, dann Schottland, dann über Irland, dann wieder über Frankreich, das sie in Stücke zerrissen; dann fielen sie zur Abwechselung übereinander her, die Yorks über die Lancaster. Als sie sich so ein fünfzig, sechzig Jahre zerzaust, sollte man doch geglaubt haben, sie würden des ewigen Raufens und Würgens müde sein? Nichts dergleichen. Mußten die Spanier jetzt her, wieder die Irländer, wieder die Franzosen. Hatten schier keinen Augenblick Ruhe, selbst wenn sie auf ein paar Jahre Frieden schlossen; mußten hinaus nach Westindien, von Westindien nach unserm Amerika, da auf Abenteuer aus mit unsern Indianerprinzessinnen in Virginien, sich mit Bären, Wölfen und heulenden Indianern herumzubalgen.‹

Ich lachte herzlich über diese Geschichtsparaphrase.

›Aber um's Himmels willen! Was wollt Ihr nur mit Euren ewigen Normannen?‹

›Nichts weiter, lieber Mann, als Euch zeigen, daß diese Normannen die absolutest gewaltigst mächtigst heillosesten Gesellen waren, die je existierten.‹

›Das haben wir ja aber alles schon gehört und wieder gehört.‹

›Geradezu ruchlose Gesellen, die alle zusammen nicht mehr Pietät, Frömmigkeit, Gottesfurcht, Bescheidenheit aufweisen konnten, als in die Rocktasche eines unserer Quäker hineinginge; so arrogante Gesellen, daß sie sich alles zutrauten, und weil sie sich alles zutrauten, auch alles ausführten, das größte, mächtigste Reich der Erde nicht nur gründeten, sondern sich auch als die Herren, als die Lords dieses Reiches bis auf den heutigen Tag erhielten, mit einem Worte, Männer waren.

Männer waren‹, wiederholte er, das Glas wieder ansetzend, ›Männer, die wußten, was sie wollten, die ihren Souveränen, den Plantagenets, nicht die Kastanien aus der glühenden Asche herausholten, sondern sie für sich selbst behielten, die sich um ihre Rechte nicht wie die Barone anderer Völker prellen ließen, dafür die Leiblakaien machten, sondern sie schwarz auf weiß verlangten, und was mehr, dieses Schwarz-auf-Weiß keinen toten Buchstaben sein ließen. Seht Ihr, Mann, liegt darin der Unterschied zwischen den Nor- und den Germanen, waren beide anfangs Mannen, aber blieben die Normannen Mannen, die Germanen aber wurden – Bedientenseelen. Hatten die letzteren dieselben politischen Rechte, wie sie die Normannen dem John ohne Land abtrotzten; denn war die Magna Charta nichts Neues, ist bloß die geschriebene Urkunde der Rechte und Privilegien, die die Germanen in ganz Europa genossen; aber ließen sich diese Germanen – gute Tröpfe, wie sie immer waren – um ihre Rechte prellen, die Normannen aber wiesen die Zähne.

Wiesen die Zähne, wie die Stuarte zu ihrem Schaden erfuhren, statuierten ein Exempel, das, kalkuliere ich noch manchem Stuart die Zähne klappern machen wird. Heißt zwar in der Schrift, daß Frömmigkeit, Gottesfurcht, Demut und so weiter zu allem nützlich ist, sage aber meinesteils: der Spruch ist auf der einen, aber nicht auf der andern Seite wahr. Wären die Normannen fromme, gottesfürchtige, demütige Leute gewesen, sie hätten sich wie die Deutschen eines ihrer Rechte nach dem andern abstrahieren – das Fell über die Ohren ziehen lassen. Wäre Hugo Capet ein frommer, gottesfürchtig demütiger Mayordomo oder Graf von Paris gewesen, er wäre ein demütiger Graf von Paris geblieben, kein Hahn hätte über ihn weiter gekräht, die Karolinger säßen noch auf dem Throne. Sind es nicht die guten, frommen demütigen Fürsten so wenig als Völker, die es weit bringen. Waren die besten Fürsten für England, Frankreich just die gewissenlosesten, am wenigsten skrupulösen. Tat Ludwig der Elfte, der größte Schelm, den Ihr unter diesen Capets findet, mehr für die Größe Frankreichs als zwanzig heilige Ludwige. Tat es durch so schwarze Bösewichte, als je die Erde trug, Bösewichte, in Vergleich zu denen Bob ein Tugendspiegel ist. Wußte aber, was er mit seinen Oliviers, seinen Gevattern, wollte. Sind auch die Oliviers, die Gevattern, die Bobs einem Staatsmanne notwendig.‹

›Die Bobs‹ betonte er in einer Weise, die mich aufprallen machte.

›Die Bobs?‹ rief ich.

›Ei, die Bobs!‹ wiederholte er.

›Die Bobs?‹ rief ich nochmals. ›Was mit Bob? Was wollt Ihr mit ihm?‹

›Was wir mit Bob wollen?‹ meinte er, eine frische Zigarre nehmend. ›Was die Plantagenets, die Capets mit Leuten seinesgleichen wollten, das wollen wir auch.‹

›Aber Ihr seid kein Plantagenet, kein Capet!‹

›Just so gut wie jeder von ihnen, just so gut wie der Beste von ihnen‹, meinte er wieder, ganz ruhig die Zigarre anbrennend.

›Just so gut‹, wiederholte er, nachdem er sie angeraucht, ›und kein Jota geringer. Sind just so gut und just so frei, aus uns zu machen, was wir können, als irgendeiner der Plantagenets oder Capets, so wenig einem untertan als sie. Sind freie amerikanische Bürger, Mann, niemandem als Gott und dem Gesetze untertan.‹

›Dem Gesetze – Ihr sagt recht. Und dieses Gesetz, erlaubt Euch dieses Gesetz –?‹

›Texas den Mexikanern wegzunehmen, meint Ihr?‹ lächelte er. ›Just so gut, als das Gesetz William dem Eroberer erlaubte, England den Angelsachsen abzunehmen, ja besser. Und wenn Leute wie die Bobs dabei förderlich sein können, so sehe ich gar nicht ein – ‹

Und der Mann sagte das alles so ruhig, gleichmütig! Seine Sprache übertraf alles, was ich je der Art gehört, by a long chalk, wie wir zu sagen pflegen.«

»Aber die Wahrheit zu gestehen, sehe auch ich nicht ein, Oberst, was Ihr an dieser Sache so Außerordentliches findet?« fiel hier der Oberst Bentley ein. »Glaube doch, er sprach wie ein Bürger dieser unserer Vereinten Staaten zu sprechen das Recht hat?«

»Allerdings«, lachte Oberst Oakley, »nur drückte er sich denn doch ein bißchen queer aus. Man sieht, daß er auf neuem, auf texasischem Boden stand.«

»Weites Feld und keine Gunst wollte«, lachte ein zweiter.

»Ebenso!« meinte Oakley.

»Ganz gewiß!« fiel hier der General ein. »Dieser Alkalde, Oberst Morse, war er derselbe, der gegen den General Cos und Oberst Mexia so entschieden auftrat, die Gärung zum Ausbruche brachte?«

»Derselbe!« versetzte der Oberst.

»Dachte es wohl! Ein gewaltiger Charakter, obwohl ein wenig verschroben!«

»Ein wenig nennt Ihr das?« rief ungeduldig Oberst Cracker. »Ein wenig, General? Sagt vielmehr absolut verschroben! Empörend! Gegen alle gesellschaftliche Ordnung! Der Geselle gehört ins Toll- oder Besserungshaus!«

»Meint Ihr so?« fragte spöttisch der texasische Oberst. »Dann muß ich ordentlich bedauern, Euren moralischen Zartsinn so unangenehm berührt, vielleicht gar erschüttert zu haben.«

»Wollen ihn vorerst aushören«, fiel begütigend Oberst Oakley ein.

»Wollt Ihr so gefällig sein, Oberst, ihn uns weiter hören zu lassen?« bat der General.

»Sehr gern!« war die Antwort.


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