Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

›Die Briten würden sich bei Euch bedanken für den sauberen Stammbaum, den Ihr ihnen da aufpflanzt‹, bemerkte ich lachend.

›Kümmere mich nicht um diese verdammten Briten‹, war seine Antwort, ›will sie nicht, mag sie nicht; hasse sie mit ganzem Leibe, ganzer Seele, ganzem Gemüte und aus allen Kräften; hasse sie, weil sie immer nur darauf kalkulieren, die Volksfreiheit, sie mag sich zeigen, wo sie will, im Keime zu knicken, zu ersticken. Ist ein fluchwürdiges Volk, dieses britische, mit seinem unter aller Kritik knechtischen Pöbel – und alles ist da Pöbel, was nicht Gentry ist – und seiner über alle Begriffe arroganten, hab- und herrschsüchtigen Gentry. Hält diese Gentry das Volk wie Sklaven und möchte die ganze Welt zu Sklaven haben, um sie desto besser ausbeuten und tyrannisieren zu können. Könnt in der britischen Nation die beiden Rassen, die normännische sowohl als angelsächsische, noch immer haarscharf in ihrer Gentry und ihrem Volke erkennen. Ist diese Gentry die übermütigste, aber auch unabhängigste, freieste, erste – so wie das Volk das brutalste, dümmste, knechtischste der Welt.‹

›Bei meiner Treue! Ihr stellt da den Briten eine Nativität‹, bemerkte ich laut lachend, ›die wahrlich das Pikante der Neuheit hat. Was mich wenigstens betrifft, so glaubte ich immer, es sei da kein Mangel an Freiheitssinn.‹

›So glaubten alle, die es nicht besser verstehen und nachsagen, was sie andere vorsagen gehört. Merkt Euch, daß ein unabhängig freiheitsstolzes Volk nie eine Aristokratie wie die englische aufkommen läßt. Dazu gehört ein knechtisches Element, ein echt deutsches Bauernelement, und das hat England in seinen Angelsachsen. Hat aber Großes geleistet mit diesem Bauernelemente.‹

Diese Bemerkung frappierte mich wieder. Ich schaute ihn überrascht an.

›Sehr Großes‹, fuhr er fort, ›denn hat auch dieses Element das mächtigste Reich der modernen Welt, ja mehr, alle moderne Freiheit, alle politischen Rechte gepflanzt, hat so eine Grundlage gegeben dieser Freiheit; – bei uns hat sie keine, ist hohl, ohne Fundament.‹

›Das ist eine zwar aristokratische, aber, fürchte ich, nur zu wahre Ansicht‹, bemerkte ich.

›Fürchte es auch‹, erwiderte er die Gläser füllend.

›Ist's aber nicht seltsam‹, hob er wieder an, ›daß die mächtigsten Reiche, die die Erde je gesehen, von Leuten herstammen, die keine Freiheit, keine Rechte achtend, alles vor sich niedertraten?‹

›Wie versteht Ihr das? Was wollt Ihr damit sagen?‹

›War nicht, wenn die Geschichte wahr spricht, Rom durch Abenteurer, ja Räuber, Großbritannien ganz bestimmt durch Seeräuber gegründet?‹

›Ihr malt in zu grellen Farben, Richter! Die Normannen, die England eroberten, waren so wenig mehr Seeräuber als unsere heutigen Yankees fromme Pilgrime von Plymouth sind. Es waren Barone und Ritter, die von ihren Schlössern, ihren Sitzen in der Normandie auszogen, Abenteurer, wenn Ihr wollt, aber Abenteurer hohen Sinnes, ihren Feinden schrecklich, aber großmütig gegen Fremde, ritterlich gegen das zarte Geschlecht.‹

›Sehr großmütig, ritterlich mußten sie gewesen sein!‹ meinte er, am Glase nippend, ›sehr ritterlich, wenn königliche Prinzessinnen am Hoflager der Souveräne nicht mehr Schutz vor der ritterlich freiherrlichen Brutalität fanden, in Klöster flüchten mußten; wenn das ganze Land ein und derselbe Schauplatz von Notzucht, Blutschande, Mord, Raub und Plünderung war. Saubere Großmut, Ritterlichkeit! Nein, Mann, gereicht die gute Meinung, die Ihr da von den alten Normannen habt, Eurer jugendlich poetischen Phantasie, aber nicht Eurem gesunden Menschenverstande oder geschichtlichem Forscherblick zur Ehre. Seid irrig, wenn Ihr glaubt, die gewaltigen Gesellen, die bei Hastings schlugen oder John ohne Land die Magna Charta abdrangen, waren ritterlich feine Gentlemen. Blast den Dunst und Duft weg, den sieben Jahrhunderte und Dichter und dichtende Geschichtsschreiber um Eure Helden gezogen, und Ihr werdet finden, daß sie so desperat gewalttätige Bluthunde waren.‹

Ich wandte mich unwillig, ja empört über diese rohe Sprache murmelnd:

›Unser amerikanischer Fluch, daß wir alles, was in unser Bereich kommt, zu unserm roh demokratischen Niveau herabziehen.‹

In meinem Unwillen hatte ich lauter gesprochen, als ich es gewollt. Einige Zeit gab er jedoch keine Antwort; den Rauch seiner Zigarre von sich blasend, hielt er eine Weile inne, dann versetzte er:

›So! So ziehen wir also alles, was in unser Bereich kommt, zu unserm roh demokratischen Niveau herab? Haltet das für gemein, prosaisch, unpoetisch, nicht wahr? Sollten, meint Ihr, die alten Normannen wie Halbgötter anstaunen, wie unerreichbare Heroen der Fabelwelt? Lieder auf sie dichten? Pshaw! Wollen das Euren New-Yorker, Londoner, Pariser Schöngeistern überlassen. Wollen statt dessen Euren Liederdichtern Stoffe liefern, faktische Poesie liefern. Wollen, wollen. Wollen tun, was die Normannen taten, wollen, sag ich Euch, nicht gerade auf dieselbe Weise, aber doch etwas Ähnliches. Fühlen geradesoviel Spunk, Geist und Kraft in unserm Blute, als die Normannen je fühlen konnten. Mögt vielleicht in ein paar hundert Jahren, wenn Texas ein mächtiges Reich sein wird, auch so eine Art Glorie, einen derlei Nimbus um unsere Häupter glänzen, uns als eine Art Halbgötter dargestellt sehen.‹

Ich schaute den Mann an. War er im Ernste oder hatte der Ananaspunsch seine Lebensgeister in Siedehitze aufgekocht? Der Gedankenflug würde unserm heißblütigsten Kentuckier Ehre gemacht haben.

›Mögt!‹ versicherte er nochmals. ›Haben die Normannen die dickköpfig phlegmatischen Angelsachsen bei Hastings gedroschen, haben wir mit den dünnköpfigen Mexikanern – obwohl ihrer Tausende auf einen von uns kommen – ein gleiches im Sinne. Werden freilich unsere Taten nicht gleich so poetisch erscheinen, vielmehr prosaisch, Eure Tories und ihre Kreaturen uns nicht übel zurichten, bürg Euch dafür, als Landräuber, Diebe, zusammengelaufenes Gesindel und weiß der Himmel was alles darstellen; aber mögen wir uns mit dem Gedanken trösten, daß es den Normannen zu ihrer Zeit auch nicht besser ergangen, über sie gewiß auch Zeter und Weh geschrien worden, als sie die Normandie als Seeräuber und England als Landräuber überfielen. Legte sich erst, als sie beide hatten, mit der Zeit der Nimbus, die Glorie um ihre Häupter, fanden dann erst Mittel und Gelegenheit, ihre Dichter und dichtenden Geschichtsschreiber zu bezahlen, fromme Pfaffen zu mästen, die dem guten Volke ihr Tun als von Gott eingegeben und gesegnet darstellen mußten. Zieht diesen Nimbus weg von Euren Helden, und Ihr werdet finden, daß ihr Blut weder reiner noch röter war als das unsrige – nicht einmal so rot und rein.‹

Auf eine solche Rede ließ sich keine Antwort geben, ich schwieg also.

›Pooh, pooh, Mann! Seid verdrießlich. – Müßt das nicht sein, hört sonst alle Unterhaltung auf. Wollte Euch nicht verdrießlich machen, Euch bloß sagen, daß die Welt mit jedem Jahrzehnte anders und doch immer und ewig dieselbe bleibt, der Stärkere den Schwächern, der Schlaue den Einfältigen überwältigt und überlistet, der Überwältiger aber, besonders wenn er so gescheit ist, die hochpriesterlichen Samuele auf seine Seite zu bringen, immer im Rechte ist, wenn er auch zehnmal unrecht hätte, der ärgste Tyrann, Schelm wäre. War von alten Zeiten her so, ist noch so.

Ist noch so‹, fuhr er, sein Glas absetzend, fort, ›wird auch heutzutage trotz Aufklärung das Ruchloseste, Gottloseste, Schmutzigste als fromm, gerecht, rein, staatsklug, und wer weiß was alles, dargestellt. Denkt nur an die Griechen vor einigen Jahren und die Polen! Wie da die Metzelei von Scios als Heldentat, als zur Ordnung, zur Ruhe gehörig – und die armen Polen als der undankbarste, nichtswürdigste Abschaum von euren im Despotensolde stehenden englischen, französischen und deutschen Schreibern dargestellt wurden. Pooh! ein paar Pensionen tun heutzutage, was in alten Zeiten ein paar gestiftete Klöster und Abteien taten. Hab die Geschichte unsers gemeinschaftlichen Stammlandes auch gelesen und muß Euch zu Eurem Troste gestehen, so gläubig geglaubt wie der frommste Katholik sein Credo. Verging mir aber wieder dieser Glaube, als ich mich im Buche der Welt umsah, wurde mir da eine ganz neue Version klar, ohne Nimbus, Dunst oder Duft. Umglitzern dieser Nimbus, Dunst und Duft alle Geschichte von Moses herab bis auf die neuesten Zeitungsartikel. Verstand schon der alte Moses den Gebrauch der Elektrisiermaschine, wußte Blitze und Glorien und Donner hervorzubringen, den lieben Gott an allen Ecken und Enden leuchten zu lassen, und richtig immer am stärksten, wenn er irgendeine Schelmerei im Schilde führte; von wo er dem albernen Pharao mit seinen noch albernern Ägyptern ihr Silbergeschirr mit- und Reißaus nahm, bis wo er die Philister und Moabiter und Amalekiter und wie sie alle hießen, im Namen desselben Gottes wie schädliches Gewürm von der Erde vertilgte.‹

›Das waren seine Nachfolger, der kriegerische Josua und der fromme Aaron‹, schaltete ich wieder, nicht wenig amüsiert über des Mannes naiv ungläubige Bibelparaphrase, ein.

›Denen zulieb die Sonne geschlagene vierundzwanzig oder mehr Stunden Schildwache stand?‹ lachte er. ›Wohl, wohl! Hebräer beide, kalkuliere ich, und doppelt destillierte, trotz dem Besten unserer Yankees. Bin aber, muß Euch gestehen, doch der Notion, daß die alte Jungfrau Europa, das heißt die alten Griechen und Römer, trotz ihrer Jupiters und Venusse, die gescheiteren waren, als sie sich mit diesen pretiosen Hebräern nicht in nähere Bekanntschaft einließen, und das neue Europa, die junge Jungfrau, wie eine ziemlich törichte Jungfer handelte, als sie mit diesen Hebräern gar so intim wurde. Hat für ihre gloriosen, geheiligten Königssalbungen und Legitimitäten und Katholizismus wahrlich teuer bezahlt, wird noch teurer bezahlen müssen. Wohl bekomme es ihr aber, je ärger für sie, desto besser für uns!‹

Die maliziöse, aber geistreiche Anspielung machte mich wieder laut lachen.

›Haben auch wir in unserer Geschichte, – die doch im Vergleich zu den andern Ländern und Völkern ein wahrer Tugendspiegel ist, mehr denn nötig von diesem Hebräismus, kalkuliere ich‹, fuhr er wieder, sein Glas hebend, fort. ›War der liebe Gott unsern frommen Plymouth-Vätern auch richtig immer zur Hand, wenn sie unsern roten Philistern, Amalekitern, Moabitern, unsern Indianern einen Hieb versetzen, einen freisinnig aufgeklärten Mann in irgendeine Teufelei oder die Klauen ihrer blue laws zu bringen gedachten. Geht sie nur durch, unsere Geschichte, werdet es finden. Pooh! alle sind wir arme Sünder, die da glauben, dem lieben Gott just so wie der dummen Welt einen blauen Dunst vor die Augen zu machen.

Geht Euch aber‹, fuhr er ernster fort, ›in der Prärie wieder ein ganz anderes Licht als in Euren Städten auf; denn sind Eure Städte von Menschenhänden gemacht, von Menschenodem verpestet, die Prärie aber von Gottes Hand geschaffen, seinem reinen Odem belebt. Und klärt dieser reine Odem Euren in den Städtedünsten trübe gewordenen Blick wunderbar auf! Ist eine schöne Sache, dieses Aufklären, wenn so die verdorbenen, verpesteten Dünste schwinden, Ihr der Wahrheit bis auf den Grund schaut, schaut, wie der große Staatsmann droben hantiert, zu seinen schönsten, herrlichsten Werken just die desperatesten Elemente nimmt, ja eingefleischte Teufel, die da hausen, als wären sie just aus der Hölle heraufgestiegen!‹

Ich schaute ihn an, wo wollte er wieder hinaus?

›Jawohl, eingefleischte Teufel, und hausten schier, als wären sie just aus der Hölle herausgeborsten.‹

›Wen meint Ihr, Richter?‹

›Wen? Wen? Wen anders als die Normannen?‹

Ich fuhr auf, als wäre ich von einem Skorpion gestochen. Die bullenbeißerische Hartnäckigkeit, mit der er an seinen Normannen hing, schien mir an Monomanie zu grenzen.

›Ihr scheint diese Normannen wirklich stark auf dem Korne zu haben, Richter‹, bemerkte ich kopfschüttelnd, ›was Teufel haben die Euch nur getan?‹

›Nichts, Mann, gar nichts als Gutes. Waren, obwohl gegen die Franzosen und Angelsachsen eingefleischte Teufel, wieder die gloriosest mächtigst gewaltigsten Bursche für uns. Wären ohne diese Normannen kein Großbritannien – keine Vereinigten Staaten – kein Virginien; wäre eine miserable Spießbürgerwelt, die ganze Welt.‹

›Wohl! Und warum immer und ewig auf diesen Normannen, als wären sie der Abschaum der Menschheit, herumhämmern? Glaube doch, haben alle Ursache, stolz auf diese Normannen zu sein.‹

›So glaube ich auch, kalkuliere aber, müßt, um von einem Gegenstande eine klare Notion zu haben, ihn nicht nur von der Licht- oder Sonnen-, müßt ihn auch von der Schatten-, der Winterseite betrachten. Haben die Normannen uns sicherlich ein glorioses Erbe hinterlassen, kalkuliere aber, waren nichts weniger als Engel, als sie dieses Erbe erwarben, vielmehr eingefleischte Teufel.

Eingefleischte Teufel‹, fuhr er fort, ›die sich keinen Strohhalm um Recht, Gottesfurcht, Religion, Sitte oder die Meinung der Welt kümmerten.‹

›Woraus schließt Ihr das?‹


 << zurück weiter >>