Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

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»Doch wir wollen«, fuhr der Präsident fort, »keine Physiognomie der britischen Geschichte, wir wollen bloß ein simples Bruchstück aus unserm und unsers Freundes Leben zum besten geben und kehren daher wieder zu unserm Kaffeehause und unsern quidkauenden, zigarrenrauchenden – vor allem aber Stöcke und Stöckchen schnitzelnden Kapitänen zurück. Der Wirt hatte endlich glücklich das Auskunftsmittel entdeckt, das, wie ihr wißt, auch in unsern Gerichts- und sonstigen Versammlungssälen mit ersprießlichem Erfolge in Anwendung gebracht worden: Er hatte nämlich eine ganze Fuhre von Stöcken herbeischaffen lassen, mit denen er Tische und Sessel, Sofas und alles, was nur Federmesser fürchten mußte, belegte, so daß meine guten Landsleute bloß zuzugreifen brauchten, was sie denn auch mit so vielem gutem Willen taten, daß Kaffee- und Billardsaal und der Vorhof mehr Schreiner- oder Drechslerwerkstätten als einem Kaffehause glichen.

Als geistige Würze zu diesem interessanten Zeitvertreibe dienten allenfalls die sogenannten Patrioten, die auf allen Plätzen, in allen Gassen umherstanden und lagen, und uns vielen Spaß verursachten. Es waren die zerlumptesten Bursche, die sich je senores soldados titulieren ließen – wahre Karikaturen, wie sie in ihrer funkelnagelneuen Freiheit umherstolperten und wieder sultansartig lagerten. Der eine hatte eine spanische Jacke, die er zu Ayacucho erbeutet, der andere eine amerikanische, die er von irgendeinem Matrosen erhandelt, ein dritter hatte keine Jacke, aber dafür eine gekürzte Mönchskutte, ein vierter einen Tschako, an dem der Deckel fehlte, ein fünfter parodierte barfuß in einer Mantille, ein sechster stak in einem galonierten Sammetrocke aus den Zeiten Philipps des Fünften her. Nur die sogenannten Volontärs waren besser uniformiert; die Offiziere jedoch hatten sich seit der erwähnten Entscheidungsschlacht auf das Pompöseste herausgeputzt, ihre Uniformen strotzten von Golde, und es gab Leutnants, die statt zweier Epauletten deren sechs und acht trugen, vorne, hinten, auf den Schultern, dem Rücken, und das keine kleinen, sondern Generals-Epauletten.

Wie wir also saßen und standen – es war nach der Siesta – schnitzelnd, rauchend, Quids kauend und unserem Witz oder vielmehr Mißmut auf Kosten der Patrioten Luft machend – ging eine der Seitentüren des Kaffeehauses auf und ein Offizier trat heraus, der uns denn doch eine etwas bessere Idee von den guten Patrioten beibringen zu wollen schien. Es war ein Mann in den Dreißigen, sehr einfach, aber geschmackvoll uniformiert und von jenem anspruchslos einnehmenden Wesen, das dezidierte Naturen so gerne zur Schau tragen und das gegen die kriegerische Haltung seines jüngeren, viel reicher uniformierten Begleiters scharf abstach, obwohl dieser im Range unter ihm stehen mußte, denn er ging einen Schritt hinter ihm her. Wie er an uns vorbeikam, erwiderte er unsere Verbeugungen mit einem kurzen, aber sehr verbindlichen Rucke an seinem dreieckigen Federhute und war auf dem Punkte, an uns vorüberzueilen.

Mein guter Kapitän stand einige Schritte seitwärts, unverdrossen an seinem zehnten oder zwölften Stocke schnitzelnd, als unsere Bewegungen ihn in dem Augenblicke aufschauen machten, wo der Offizier an ihm vorüberging. Dieser stutzte, zuckte, fixierte unseren Kapitän einige Sekunden, dann öffnete er die Arme und, mit freudeleuchtender Miene auf ihn zuspringend, drückte er ihn stürmisch an die Brust.

»Kapitän Ready!«

»Das ist mein Name!« versetzte ruhig der Kapitän.

»Kapitän Ready!« rief abermals der Offizier.

Der gute Kapitän stutzte, fixierte seinerseits den Offizier, aber sein zweifelhafter Blick verriet noch immer kein Erkennen.

»Kapitän Ready!« ruft der Offizier heftig, »kennt Ihr mich wirklich nicht mehr?«

»Nein!« versetzte der ihn noch immer zweifelhaft anstarrende Kapitän.

»Ihr kennt mich nicht? – Ihr kennt mich nicht?« rief beinahe vorwurfsvoll der Offizier, ihm etwas in die Ohren wispernd.

Jetzt schaut ihn der Kapitän einen Augenblick starr an, im nächsten werden seine Züge leuchtend vor Freude und Freundlichkeit, er erfaßt überrascht die Hand des Patrioten.

Wir standen unterdessen, mannigfaltigen Vermutungen Raum gebend. Nach etwa einer Viertelstunde traten die beiden wieder heraus; der Offizier mit seinem reich uniformierten Begleiter gingen dem Regierungspalaste zu, der Kapitän schloß sich an uns an, dieselbe imperturbable Ruhe, die er immer war, auch sogleich wieder zu Stock und Federmesser greifend. Auf unsere Fragen, wer der Offizier sei, erfuhren wir bloß, daß er zum Belagerungsheere von Callao gehöre und einstmaliger Passagier des Kapitäns gewesen.

Dieser Bescheid wollte mir denn doch nicht ganz genügen, denn ich hatte die sämtlichen Patriotenhaufen in einen beinahe panischen Schrecken bei seiner Annäherung geraten sehen; auch schienen unsere englischen Kapitäne etwas Näheres von ihm zu wissen; sie kamen trotz des dicken Nebels, in dem sie schwebten, gar so kriechend heran, spitzten Augen und Ohren gar so scharf, wurden auf einmal so freundlich, selbst zu ihrem Grog, den sie vor dem Hause tranken, luden sie den guten Kapitän. Euer Brite ist nie widerwärtiger, als wenn er freundlich, zutraulich wird; die Selbstsucht, der krasseste Eigennutz grinst dann so ekelhaft aus seinen harten, brutalen Roastbeefzügen heraus! Mein Kapitän wandte ihnen, wie sie es verdienten, ohne ein Wort zu sagen, den Rücken.

Was wieder meine Landsleute betrifft, so kennt ihr unsere – nennt es, wie ihr wollt: Delikatesse, Insouciance oder Apathie. Sie schienen mit der erhaltenen Auskunft vollkommen zufrieden. Schiffskapitäne, und zwar amerikanische mehr als die jeder anderen Nation, sie sind gebildeter, besser unterrichtet, auch unsere Schiffe in der Regel besser gebaut und eingerichtet, verkehren nicht nur häufig mit den verschiedensten Personen und Charakteren, sie haben auch vielfältige Gelegenheit, interessante Bekanntschaften zu knüpfen, diesen Bekanntschaften – die nicht selten hoch über ihnen stehen – Dienste und Gefälligkeiten zu erweisen, die sie in wahre Protektorbeziehungen bringen. In gewisser Hinsicht können unsere Schiffskapitäne ganz füglich mit Schauspielern verglichen werden, die auch in der einen ihrer Lebenshälften Rollen spielen, die es ihnen schwer werden dürfte, in der anderen fortzuführen. Der Kapitän zur See ist vom Kapitän zu Lande eine in der Regel himmelweit verschiedene Person. Zur See ein halber oder vielmehr ein ganzer König, der unumschränkt herrscht, dessen leisester Wink Befehl wird, der es ganz in seiner Gewalt hat, seinen Untergebenen nicht nur, sondern Schiffsgenossen überhaupt den Aufenthalt zum Himmel oder zur Hölle umzuschaffen, ist er zu Lande wieder häufig eine ziemlich unbedeutende Person, die es nicht einmal mit dem Kommis seines Konsignee verderben darf. Andererseits wird wieder dem Passagier seine Seereise nicht selten zur epochemachenden Begebenheit, die ihm die Hauptperson – den Kapitän, oft das ganze Leben hindurch nicht vergessen läßt, während diesem wieder der einzelne Kajütenpassagier längst über den Hunderten, die nach ihm seinen Platz eingenommen, aus dem Gedächtnisse geschwunden. Unseren Seekapitänen war daher aus eigener Erfahrung sowohl die überströmende Freude des Patrioten im Momente des Wiedersehens als die verhältnismäßig kühle Erwiderung von seiten des Kapitäns so ziemlich erklärlich. Es wurden einige Bemerkungen über südamerikanischen Enthusiasmus gewechselt, mehrere analoge Fälle erzählt und dann – fielen sie alle wieder in ihr früheres Geleise zurück.

Am folgenden Morgen saßen wir gerade über unserer Schokolade, als eine Ordonnanz, sehr nett uniformiert, in die Veranda kam und nach Kapitän Ready fragte. Der Kapitän stand ganz gelassen auf, trat einige Schritte seitwärts, hörte, nicht verdrossen, nicht unverdrossen, die Ordonnanz an und setzte sich dann wieder ruhig zu seiner Schokolade, die er ganz behaglich ausschlürfte oder vielmehr ausaß; denn in Südamerika wird die Schokolade bekanntlich dick wie Brei aufgetragen. Erst nach einer geraumen Weile fragte er mich, wie gelegentlich, ob ich nicht zu einem Ausfluge mit ihm Lust hätte, der vielleicht ein paar Tage währen könnte.

Ich ließ mir das natürlich nicht zweimal sagen, denn die Stunden hingen mir wie Blei an den Füßen; und so packten wir uns denn einen Anzug in unsere Sattelfelleisen, nahmen unsere Fänger und Pistolen und verließen das Kaffeehaus, vor dem wir zu meiner nicht geringen Überraschung die berittene Ordonnanz mit zwei prachtvollen superb aufgezäumten Spaniern fanden.

Meine Neugierde war wieder stark erwacht, denn die Pferde waren die schönsten, die ich in Peru gesehen; aber mit allen meinen Fragen vermochte ich nicht mehr aus meinem schweigsamen Freunde herauszubringen, als daß unser Ausflug zum Offizier von gestern ginge, daß dieser im Belagerungsheere angestellt und einst sein Passagier gewesen – wer er aber und was er sei, wisse er nicht. Damit mußte ich mich nun einstweilen begnügen, obwohl die verlegen gewordene Miene des guten Kapitäns ein Mehreres hinter dem Busche vermuten ließ.

Als wir Lima etwa eine Meile im Rücken hatten, kam ein starker Kanonendonner in der Richtung, die wir nahmen, herüber; etwa eine Meile weiter ein Zug von Wagen und Karren, auf denen Verwundete nach Lima transportiert wurden. Der Kanonendonner wurde stärker. Auch Haufen von Marodeurs, die durch Felder, Hecken und Gärten schwärmten, ließen sich blicken, zogen sich aber zurück, sowie sie die Ordonnanz erkannten. Die Begierde, den Kriegsschauplatz recht bald zu sehen, erwachte nun sehr lebhaft in mir.

Nicht, daß gerade ein besonders kriegerisch eisenfresserischer Appetit in mich gefahren wäre! Nein, von jenem sogenannten chevaleresken, oder besser zu sagen, tollen Geiste, der so manche plagt und treibt, sich wie Narren in anderer Leute Streit zu mengen und Fell und Knochen zu Markte zu bringen, habe ich, dem Himmel sei Dank, auch nicht das Leiseste je in mir verspürt. Ich war immer ein Mann des Friedens und Handels, der sich weder um Patrioten noch Spanier kümmerte, vorausgesetzt, daß sie ihm sein Mehl und Salzfleisch, vor allem aber die Zigarrenkisten unangefochten ließen; aber in der Quandary, in der wir staken,- und immer und ewig von demselben horriblen Gedanken, ein Bettler zu sein, gemartert, würden mir Seeräuber selbst nicht unwillkommen gewesen sein, wenn ich meine Galle und Verzweiflung an ihnen hätte auslassen können. Auch schien es mir wohl möglich, daß die Spanier aus der Festung ausfallen und ihre und unsere Freunde in den Stillen Ozean treiben könnten, ein Gedanke, der trotz seiner Absurdität mir sehr wahrscheinlich wurde, obwohl ich mich hütete, ihn dem Kapitän mitzuteilen.

Was nun diesen betraf, so war er von Hause aus mit einer Stoa gesegnet, die ihn Pulver und Blei als ganz gleichgültige Dinge betrachten ließ. Er hatte während seines vierzehnjährigen Seelebens und seiner Ein- und Ausfahrten aus den blockierten südamerikanischen Häfen der Zwölf- und Sechzehnpfünder so viele um die Ohren sausen gehört, auch der Strauße mit Piraten so tüchtige bestanden, daß bei ihm von Furcht gar nicht mehr die Rede sein konnte, und wenn er ja eine hatte, so war es die, von seinem feurigen Spanier geworfen zu werden, auf dem er, wie alle unsere Seemänner ein herzlich schlechter Reiter, herumbaumelte, nicht unähnlich einem überladenen Schoner im Troge einer schweren und konträren See. Doch kamen wir noch so ziemlich glücklich davon.

Nachdem wir eine mäßige Anhöhe erreicht, erblickten wir auch links die braunen düstern Bastionen der Forts, rechts Bella Vista und darüber hinaus den sogenannten Stillen, aber in der Tat verdammt stürmischen Ozean. Bella Vista ist eigentlich nur ein Dorf, aber die Gebäude sind mehrenteils Villas, in denen die Großen Perus die Sommermonate zubringen, da der kühlenden Seeluft zu genießen. Obwohl ganz von den Kanonen der Festung beherrscht, sind Häuser und Villen wieder so solid aufgeführt, daß der General en chef selbst mit dem größten Teile des Belagerungsheeres da sein Hauptquartier aufgeschlagen.

Die Ordonnanz wies uns oder vielmehr dem Kapitän, der das Spanische geläufig sprach, soeben die verschiedenen Punkte, wo Batterien errichtet waren. Die letzte, die fertig geworden, aber ihr Feuer noch nicht eröffnet, lag keine dreihundert Schritte von der Festung, wurde aber noch durch vorstehende Häuser gedeckt, die jedoch, bereits unterminiert, nächstens fallen sollten.

Während die Ordonnanz die Batterien und den Gang der Belagerung, soviel sie davon verstand, beschrieb, wurden unsere Pferde, und besonders das des Kapitäns, das von einem Offizier hohen Ranges geritten worden sein mußte – denn es wollte immer nur vorwärts –, sehr unruhig, und da, wie bemerkt, mein guter Kapitän wohl ein Schiff, aber kein Pferd zu regieren verstand, verlor es endlich die Geduld und brach mit ihm so wütend aus, daß die unsrigen, wir mochten zurückhalten und bändigen, soviel wir wollten, nachstürmten, wohin, wußte der Himmel, wir nicht.

Wir kamen in einem Ozeane von Staub und Rauchwolken zur Erde und umbrüllt von einem Kanonendonner, der diese aus ihren Grundfesten reißen zu müssen schien.

Unsere wild gewordenen Spanier hatten uns nämlich im Sturme dem Dorfe, und zwar gerade den der Festung zunächst gelegenen Häusern, in dem Augenblicke zugerissen, wo diese mit einer dumpfen erderschütternden Explosion zusammensanken und den die Batterie just abgewartet hatte, um ihr Feuer auf die Festung zu eröffnen. Daß diese nicht zauderte, den Gruß mit Prozenten zurückzugeben, brauche ich euch wohl nicht zu sagen; und da auch die übrigen Batterien einfielen, so war das ein Gedonner, ein Gehagel von Kanonen, Kartätschen, Bomben und Haubitzen, als ob die Welt ganz und gar in Trümmer gehen sollte.

Die Pferde, mit uns zusammengesunken, hatten uns wie Mehlsäcke abgeworfen; die Ordonnanz war betäubt, ich halbtot, nur unser Kapitän schien die Sache ganz in der Ordnung zu finden, arbeitete sich ruhig unter seinem Spanier hervor, half mir und der der Sprache ganz beraubten Ordonnanz auf die Füße und fragte dann ganz gelassen, wo nur der Offizier zu treffen wäre.


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