Charles Sealsfield
Das Kajütenbuch oder Nationale Charakteristiken
Charles Sealsfield

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Lustig trete ich ein‹ – fuhr der Mann wild lachend fort – ›ein Glas folgt dem andern; Beefsteaks und Pataten waren auch da, ich aß aber nur ein paar Bissen.

Hatte kaum ein paar Bissen drunten und ein, drei, vier Gläser, als Johnny Karten und Würfel brachte. Holla, Johnny! Karten und Würfel, Johnny! Habe zwanzig Dollar fünfzig in der Tasche, Johnny! Wollen ein Spiel machen, Johnny! wollen, aber nüchtern, sag ich, Johnny, denn kenne dich, Johnny!

Johnny aber lacht gar pfiffig und rüttelt Würfel und Karten, und wir heben zu spielen an.

Spielen und dazwischen trinken wir, ich aber mehr als Johnny und mit jedem Glase werde ich hitziger, meiner Dollars aber weniger. Rechnete auf den Fremden, kalkulierte, würde der eintreten, daß wir ihn rupfen könnten, saß aber da und aß und trank, als ob ihn das Ganze gar nichts anginge. Wurde, ihm Lust zu machen, immer toller, half aber nichts: aß und trank ruhig fort. Ehe eine halbe Stunde vergangen, war ich abgetakelt, meine zwanzig fünfzig beim Teufel oder, was dasselbe ist, Johnnys.

Wie ich kahl war, ward es mir vor den Augen, Squire, just wie grün und blau war's mir. Nicht bald war mir's so gewesen. Hatte hundertmal größere Summen verspielt, Hunderte, ja Tausende von Dollars verspielt, aber diese Hunderte, ja Tausende hatten mich auch nicht den hundertsten, tausendsten Teil der Mühe gekostet, die mir diese zwanzig fünfzig nahmen; wißt, habe zwei volle Monate in Wäldern und Präries herumgelegen, mir das Fieber an Hals gezogen. Das Fieber hatte ich noch, aber kein Geld, es zu vertreiben. War Euch so wild, konnte mit einem Kuguar anbinden, sprang auch wild, wie ich war, auf Johnny zu, lachte mir nur höhnisch ins Gesicht, klimperte dazu mit meinen Dollars. Bekam dafür eine Kopfnuß, die, wäre er nicht auf die Seite gesprungen, ihm für acht Tage das Lachen vertrieben hätte.

Hinkt aber doch wieder heran.

Hinkt wieder heran und mir nach und winkt mir und raunt mir heimlich zu: Bob, raunt er mir zu, Bob, seid Ihr denn gar so auf einmal aus der Art geschlagen, ein Hasenherz geworden, daß Ihr nicht seht, nicht die volle Katze seht, sagt er, mit den Augen auf die Katze hinblinzelnd, die der Mann um den Leib hatte, und die, lachte er, für wenig mehr als eine halbe Unze Blei zu haben wäre.‹

›Sagte er das?‹ fragte der Richter.

›Ei, sagte er's‹, bekräftigte Bob, ›sagte er's, wollte aber nichts davon hören, war wild von wegen der zwanzig Dollars; sagte ihm, wenn er Lust auf die gespickte Katze habe, möge er sie ebensowohl dem Fremden abnehmen, brauche mich nicht dazu, ihm die Kastanien aus der heißen Asche zu ziehen; solle gehen und verdammt sein.

Gab meinem Mustang die Sporen und ritt wild davon. Ritt davon‹ – fuhr Bob fort. ›In meinem Kopfe ging's herum wie in einer Tretmühle. Lagen mir die zwanzig fünfzig bestialisch im Kopfe. Zu Euch wollte ich nicht, durfte auch nicht, wußte, würdet gescholten haben.‹

›Würde nicht gescholten haben, Bob! Würde zwar gescholten haben, aber zu Eurem Besten. Würde den Johnny vor mich zitiert, eine Jury von zwölf Nachbarn zusammenberufen, Euch zu Euren zwanzig fünfzig, Johnny aber aus dem Lande oder besser aus der Welt verholfen haben.‹

Die Worte waren zwar noch immer mit vielem Phlegma, aber auch einer Herzlichkeit, einer Teilnahme gesprochen, die mir eine etwas bessere Meinung von der Gewissenszartheit des guten Richters beibrachten. Auch Bob schienen sie wohltätig berührt zu haben. Er holte einen tiefen Seufzer, schaute den Richter gerührt an.

›Ist zu spät‹, murmelte er, ›zu spät, Squire.‹

›Nicht zu spät‹, versetzte der Richter, ›doch laßt weiter hören.‹

›Wohl‹, hob wieder Bob an, ›wie ich so herumritt – war bereits Abend, ritt gegen das Palmettofeld zu, wißt Ihr? Am andern Ufer des Jacinto?‹

Der Richter nickte.

›Ritt so am Palmetto hinauf. Wie ich so reite, höre ich auf einmal Pferdsgetrampel.

Höre Pferdsgetrampel!‹ – fuhr er fort. ›Wie ich das höre, wird mir so kurios zumute, so kurios, wie mir im Leben nicht gewesen, schauderhaft wird mir zumute, ganz kalt überrieselt es mich. War mir, als ob mir zehntausend böse Geister in den Ohren heulten, verlor die Besinnung, verging mir Sehen und Hören, wußte nicht mehr, wo ich war. Stand mir bloß die gespickte Geldkatze vor Augen und meine zwanzig Dollar fünfzig.

Sah nichts, hörte nichts anderes.

Hörte nichts, hörte aber doch, hörte eine Stimme; ruft mich an, die Stimme ruft: ›Woher des Weges und wohin, Landsmann?‹

›Woher und wohin?‹ murmelte ich, ›woher und wohin? Zum Teufel‹, sage ich, ›und dahin mögt Ihr gehen und ihm Botschaft bringen.‹

›Die mögt Ihr ihm selbst überbringen‹, sagt lachend der Fremde, ›wenn Ihr Lust habt, mein Weg geht nicht zu ihm.‹

Und wie er sagt, schau ich auf und sehe, daß es der Mann ist mit der Geldkatze; wußte es zwar, aber schaute doch auf.

›Seid Ihr nicht der Mann‹ sagte er, ›den ich drüben in der Herberge gesehen?‹

›Und wenn ich's bin, was geht es Euch an?‹ sag ich ihm.

›Nichts, das ich wüßte‹, sagt er, ›geht mich freilich nichts an‹, sagt er.

›Wohl, so zieht Eures Weges und sagt, seid dagewesen‹, sag ich.

›Will, will!‹ sagt er. ›Und nichts für ungut‹, sagt er, ›ein Wort ist kein Pfeil‹, sagt er, ›und kalkuliere, hat Euch Euer Spielverlust eben nicht in kirchgängerische Laune versetzt‹, sagt er. ›Wenn ich Ihr wäre, würde wahrlich meine Dollars nicht auf Karte und Würfel setzen‹, sagt er.

Und macht mich das, daß er mir meinen Verlust in die Zähne warf, so giftig; war Euch giftig wie 'ne wilde Katze.

Halte aber doch meinen Zorn zurück. Stieg mir aber auf, die Galle, spürte es; ward tückisch.

›Seid mir ein sauberer Geselle‹, sag ich, ›da einem seinen Spielverlust in die Zähne zu reiben, ein elender Geselle!‹

Wollte ihn nämlich aufreizen und dann mit ihm anbinden. Hatte aber keine Lust zum Anbinden, sagt ganz demütig:

›Werfe Euch nichts in die Zähne; behüte mich Gott, Euch Euren Verlust in die Zähne zu reiben! Bedaure Euch im Gegenteil. Seht mir nicht aus wie einer, der seine Dollars zu verlieren hat. Seht mir aus wie ein hart schaffender Mann, der sich sein Geld sauer verdienen muß.‹

›Ei, wohl, hart schaffiger Mann!‹ sag ich, ›wohl muß ich mir mein Geld sauer verdienen.‹

Und hatten wir so gehalten und waren schier am obern Ende des Canebrake nahe am Waldsaume, der den Jacinto einsäumt, und hatte mich hart an ihn und der Teufel sich an mich genistet.

›Wohl hart schaffiger Mann‹, sag ich, ›und alles verloren, alles, keinen Cent zu einem Bissen Kautabak.‹

›Wenn sonst nichts ist, als das‹, sagt er, ›da läßt sich wohl abhelfen. Kaue zwar nicht, bin auch kein reicher Mann, habe Weib und Kind und brauche jeden Cent, den ich habe; aber einem Landsmann zu helfen ist Bürgerpflicht. Sollt Geld zu Kautabak und einem Dram haben.‹

Und so sagend, langte er den Beutel aus seiner Tasche, in dem er seine Münze hatte. War ziemlich voll, der Beutel, mochten wohl ein zwanzig Dollar darin sein und war mir, als ob der Teufel mir aus dem Beutel heraus zulache.

›Halbpart!‹ – sag ich.

›Nein, das nicht; hab Weib und Kind, und gehört denen, was ich habe; aber einen halben Dollar.‹

›Halbpart!‹ sag ich, ›oder – ‹

›Oder – ?‹ sagt er, und wie er so sagt, steckt er den Beutel wieder in die Tasche und langt nach der Rifle, die er über der Schulter hat. ›Zwingt mich nicht‹, sagt er, ›Euch Leides anzutun. Tut das nicht‹, sagt er, ›möchte ich, möchtet Ihr es bereuen. Bringt keinen Segen, was Ihr vorhabt.‹

Ich aber höre nicht mehr, sehe nicht mehr; zehn Millionen böse Geister haben mich ergriffen.

›Halbpart!‹ schreie ich – und wie ich so schreie, hopst er auch im Sattel auf, fällt zurück – über den Rücken seines Gauls hinab –

›Bin ein toter Mann!‹ röchelt er noch, ›Gott sei mir gnädig und barmherzig! Mein armes Weib, meine armen Kinder!‹

Bob hielt jetzt inne, der Atem stockte ihm, der Schweiß stand ihm in großen Tropfen auf der Stirn. Grausig starrte er in die Ecke des Zimmers hinein.

Auch der Richter war bleich geworden. Ich hatte es versucht, aufzustehen, taumelte aber wieder zurück, ohne die Tafel wäre ich gesunken.

Eine düstere Pause trat ein. – Endlich murmelte der Richter:

›Ein harter, harter Fall! Vater, Mutter, Kinder mit einem Schlage! Bob, Ihr seid ein gräßlicher Geselle, ein gräßlicher Geselle, geradezu ein Bösewicht!‹

›Ein gräßlicher Geselle!‹ stöhnte Bob, ›die Kugel war ihm mitten durch die Brust gegangen.‹

›Vielleicht war Euch der Hahn abgeschnappt?‹ sprach leise, wie ängstlich, der Richter, ›vielleicht war's seine eigene Kugel?‹

Bob schüttelte den Kopf

›Weiß es wohl, denn steht mir noch so deutlich vor Augen, wie er sagt: Tut das nicht, zwingt mich nicht, Euch Leides anzutun. Möchtet Ihr, möchte ich es bereuen. Drückte aber ab, war der Teufel, der mich's tun hieß. Seine Kugel steckt noch im Rohre.

Wie er jetzt vor mir lag‹ – fuhr er stöhnend fort –, ›wurde mir, kann Euch's gar nicht beschreiben, wie mir wurde. War nicht der erste, den ich kaltgemacht, aber alle Geldkatzen und Beutel der Welt hätte ich jetzt darum gegeben, die Tat ungeschehen zu machen. Nein, soll der letzte sein, soll und muß der letzte sein, denn läßt mich nicht mehr ruhen, nicht mehr rasten. In der Prärie gar, da ist's am ärgsten, sag Euch's geradezu, am allerärgsten. Läßt mich nicht mehr in der Prärie, treibt mich immer unter den Patriarchen.

Muß ihn auch unter den Patriarchen geschleppt, da mit meinem Weidmesser verscharrt haben, denn fand ihn da.‹

›Fandet ihn da –?‹ murmelte der Richter.

›Weiß nicht, wie er dahin kam, muß ihn wohl selbst hingebracht haben, denn fand ihn da. Sah aber nichts mehr, hörte nur die Worte: Gott sei mir gnädig und barmherzig! Bin ein toter Mann! Mein armes Weib, meine armen Kinder!

Bringt wohl keinen Segen, was ich getan!‹ stöhnte er wieder. ›Bringt keinen, habe es erfahren. Gellen mir die Worte immer und ewig in den Ohren.‹

Der Richter war aufgestanden und ging in tiefen Gedanken heftig im Parlour auf und ab. Auf einmal hielt er an.

›Was habt Ihr mit seinem Gelde getan?‹

›Stand mir immerfort vor Augen‹, murmelte Bob. ›Wollte nach San Felipe, hatte seinen Beutel zu mir gesteckt, aber seine Katze mit ihm begraben, auch eine Flasche Rum und Brot und Beefsteaks, die er von Johnny mitgenommen. Ritt den ganzen Tag. Am Abend, wie ich absteige und ins Wirtshaus, das ich vor mir sehe, einzutreten gedenke, wo glaubt Ihr, daß ich war?‹

Der Richter und ich starrten ihn an.

›Unter dem Patriarchen! Hatte, statt mich nach San Felipe zu lassen, der Geist des Gemordeten mich unter den Patriarchen getrieben. Ließ mich da nicht ruhen, bis ich ihn aus- und wieder eingescharrt, aber den Mantelsack nicht.‹

Der Richter schüttelte den Kopf

›Versuchte es den folgenden Tag mit einer andern Richtung; brauchte Kautabak, hatte keinen mehr. Reite nach Anahuac, durch die Prärie. In der Prärie trieb's mir's gar zu toll. Ein großer Mann im glänzenden Bart und Gewande stand vor mir, wo ich mich immer hinwandte. So stelle ich mir den Gott vor, wenn es einen Gott gibt. Ihm zur Seite dräute das Gespenst des Gemordeten. Und so trieben mich die beiden, daß ich meinen Mustang blutig spornte, ihnen zu entgehen. Wollte um jeden Preis nach Anahuac, hoffte da mir's schon aus 'm Sinn zu schlagen. Ritt auf Leben und Tod auf Anahuac zu – den ganzen Tag. Am Abend, wie ich aufschauen die Salzwerke zu sehen glaube, wo glaubt Ihr, daß ich wieder war?

Richtig wieder unterm Patriarchen. Grub ihn wieder aus, schaut' ihn mir wieder von allen Seiten an, vergrub ihn dann wieder.‹

›Queer das –!‹ versetzte der Richter.

›Ei, sehr queer!‹ stimmte Bob bei. ›Hilft alles nichts, sag es Euch – geben mir nicht Ruhe – hilft alles nichts. Wird nicht besser, als bis ich gehängt bin.‹

Bob fühlte sichtbar erleichtert, nachdem er dies gesprochen. Aber, so seltsam es klingen mag, auch ich. Unwillkürlich nickte ich beistimmend. Der Richter allein verzog keine Miene.

›So‹, sprach er, ›so! So glaubt Ihr, es wird nicht besser, als bis Ihr gehängt seid?‹

›Ja‹, versetzte mit eifriger Hast Bob. ›Gehängt an demselben Patriarchen, unter dem er begraben liegt.‹

Jetzt nahm der Richter eine Zigarre, zündete sie an und sprach dann:

›Wohl, wenn Ihr es so haben wollt, wollen wir sehen, was sich für Euch tun läßt. Will die Nachbarn morgen zur Jury zusammenrufen lassen.‹

›Dank Euch, Squire‹, brummte Bob, sichtbar erleichtert.

›Will sie zu einer Jury zusammenrufen lassen‹, wiederholte der Alkalde, ›und dann schauen, was sich für Euch tun läßt. Werdet vielleicht andern Sinnes.‹

Ich schaute ihn wieder an wie aus den Wolken gefallen.

Er schien es jedoch nicht zu bemerken.

›Gibt vielleicht noch einen andern Weg, Euer Leben loszuwerden, wenn Ihr es müde seid‹, fuhr er, die Zigarre aus dem Munde nehmend, fort, ›könnt vielleicht den einschlagen, ohne daß Euer Gewissen Hühneraugen bekommt.‹

Bob schüttelte den Kopf, ich unwillkürlich gleichfalls.

›Wollen auf alle Fälle hören, was die Nachbarn sagen‹, sprach wieder der Richter.

Bob stand jetzt auf, trat auf den Richter zu, ihm die Hand zum Abschied zu reichen. Dieser versagte sie. Sich zu mir wendend, sprach er:

›Glaube, Ihr bleibt besser hier.‹

Bob wandte sich ungestüm.

›Der Gentleman muß mit!‹

›Warum muß er mit?‹ fragte der Richter.

›Fragt ihn selbst!‹

Ich erklärte nochmals die Verbindlichkeit, die ich Bob schuldete, die Art und Weise, wie wir miteinander zusammengetroffen, wie er bei Johnny für mich gesorgt. Er nickte beifällig, sprach aber dann bestimmt:

›Ihr bleibt nichtsdestoweniger hier, gerade jetzt um so mehr hier, und Bob, Ihr geht allein. Ihr seid in der Stimmung, Bob, die am besten allein bleibt, in einer gereizten Stimmung, versteht Ihr? Und deshalb laßt Ihr den jungen Mann hier. Könnte noch ein Unglück geben. Ist auf alle Fälle besser hier als bei Euch oder Johnny aufgehoben. Morgen kommt Ihr wieder, und da wollen wir sehen, was sich für Euch tun läßt.‹

Die Worte des Mannes waren mit jenem Gewicht gesprochen, dem Leute von Bobs Charakter selten zu widerstehen vermögen. Er nickte beifällig und ging.

Ich wieder saß noch immer, wie betäubt den seltsamen Mann anstarrend – er kam mir gar so unmenschlich, beinahe ogreartig vor!«


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