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Dreizehntes Kapitel.

Früh des andern Morgens verließ eine stattliche Gesellschaft, die aber durch die tiefe Trauer der Hauptpersonen einigermaßen trüb gefärbt war, die wohlverteidigte Burg von Garde Douloureuse, die vor kurzem der Schauplatz so merkwürdiger Ereignisse war.

Eben begann die Sonne den Tau aufzusaugen, der während der Nacht gefallen war, und den dünnen grauen Nebel zu zerstreuen, der noch um die Türme und Zinnen schwebte, als Wilkin Flammock, mit sechs Bogenschützen zur Seite zu Pferde und ebenso viel Lanzenknechten zu Fuß, durch das gotische Tor hervor, über die dröhnende Zugbrücke sprengte. Nach diesem Vortrabe kamen vier wohlberittene Diener vom Hausgesinde, und nach ihnen ebenso viele von den niedrigen Dienerinnen, alle in Trauer, Darauf ritt die junge Lady Eveline selbst vor, die den Mittelpunkt des kleinen Zuges einnahm, und ihre langen schwarzen Gewänder bildeten einen auffallenden Kontrast gegen die Farbe ihres milchweißen Zelters. Ihr zur Seite auf einem Spanier, einem Geschenk ihres Vaters, – der ihn, seiner Tochter eine Freude zu machen, zu hohem Preise gekauft hatte – saß Rose Flammock, mit all dem jugendlich-schüchternen Wesen, das ihr Benehmen auszeichnete, und all dem tiefen Gefühl und scharfen Urteil in ihrem Denken und Handeln. Frau Margery folgte mit dem Zuge, in welchem sich Pater Aldrovand befand, dessen Gesellschaft sie offen aussuchte, gab sie sich doch gern den Schein einer Frommen, und war doch ihr Ansehen in der Familie als Evelinens Amme groß genug, sie zu einer nicht unschicklichen Gesellschaft für den Kaplan zu machen, sofern ihre Gebieterin nicht für sich selbst ihre Aufwartung forderte. Dann folgte der alte Raoul, der Jäger, dessen Frau und ein paar andere Hausoffizianten Raymond Berengers. Der Haushofmeister mit seiner goldenen Kette, seinem samtnen Leibrock und weißen Stabe, führte den Nachtrab an, den ein kleinerer Trupp Armbrustschützen und vier Reisige beschlossen. Die Bedeckung und selbst der größte Teil des Gefolges waren nur Zur Ehrenbegleitung ihrer jungen Gebieterin auf eine kurze Strecke vom Schlosse bestimmt, bis sie mit dem Connetable von Chester zusammenträfen, der sich vorgenommen hatte, mit einem Gefolge von dreißig Lanzen Evelinen bis Gloucester, dem Orte ihrer Bestimmung, zu begleiten. Unter seinem Schutze war keine Gefahr zu fürchten, auch wenn nicht schon die harte Niederlage, die die Walliser kürzlich erlitten, an und für sich hingereicht hatte, jedem Versuch dieser feindlichen Bergbewohner, die Ruhe der Marken zu stören, auf lange Zeit vorzubeugen.

In Gemäßheit dieser Anordnung, die dem bewaffneten Teile von Evelinens Gefolge die Rückkehr zur Burg und zur Wiederherstellung der Ruhe im Gebiete derselben gestattete, hielt der Connetable bei der verhängnisvollen Brücke an der Spitze einer stattlichen Schar von auserwählten Reitern. Die beiden Züge machten, um sich gegenseitig zu begrüßen, Halt; da aber der Connetable bemerkte, daß Eveline ihren Schleier dichter zusammenzog, und sich hierbei des Verlustes erinnerte, den sie vor kurzem an dieser unglückseligen Stelle erlitten, bedünkte es ihm als richtiger, seinen Gruß auf eine bloße Verbeugung zu beschränken, die aber so tief ausfiel, daß die hohe Feder seines Helmes – denn er war in voller Rüstung – sich in die Mähne seines mutigen Rosses verirrte, Wilkin Flammock nahte jetzt der Lady mit der Frage, ob sie weitere Befehle für ihn hätte.

»Nein, guter Wilkin, außer mir, wie immer, treu und wachsam zu sein.«

»Die Eigenschaften eines guten Kettenhundes,« sagte Flammock, »roher Scharfblick und starke Hand statt eines Mauls voll starker Zähne: das ist alles, was ich noch dazu tun kann. – Ich werde mein Bestes versuchen. – Lebe wohl, mein Röschen! Du gehst unter Freunde – verlerne dort die Eigenschaften nicht, die Dich zu Hause als liebe Tochter erscheinen ließen. – Die Heiligen segnen Dich! – Lebe wohl!«

Der Haushofmeister folgte ihm zunächst, um Abschied zu nehmen; doch wäre er beinahe recht übel dabei gefahren, Raoul, von Natur störrisch und dabei von Reißen geplagt, war auf den Einfall gekommen, sich ein altes arabisches Pferd auszusuchen, einst zur Zucht gebraucht, jetzt mager und lahm, wie er selbst, aber boshaft wie der Satanas, Zwischen Roß und Reiter herrschte dauernd Zwiespalt, für dessen Verschärfung Raoul durch Flüche, Reißen am Gebiß und grimme Sporenstöße, Mahound aber – (dies war des Pferdes Name) – durch Bocken, Bäumen und allerhand andre Anstrengung, den Reiter abzusatteln, oder Hufschläge gegen jeden, der ihm in die Nähe kam, eifrig sorgte. Viele von der Dienerschaft meinten, daß Raoul sich das boshafte, querköpfige Tier immer, wenn er in Gesellschaft seines Ehegesponses reisen mußte, darum mitnahm, um sich die Gelegenheit nicht entgehen zu lassen, daß es einmal diesem beschert sein möchte, mit seinen Hufen in Berührung zu kommen. Und nun, als der Haushofmeister seinem Klepper die Sporen gab, um seiner jungen Lady die Hand zu küssen und sich bei ihr zu beurlauben, kam es den Anwesenden so vor, als ob Raoul Zaum und Sporen absichtlich so anwandte, daß Mahound in dem Augenblicke wild ausschlug und sein Huf mit des Haushofmeisters Schenkel so zusammentraf, daß er ihn wie ein trocknes Rohr zersplittert hätte, wären sie ein paar Zoll näher aneinander gewesen. Aber auch so, wie es war, trug der Haushofmeister einen bedeutenden Schaden davon, und wer von den Anwesenden das Grinsen auf Raouls Essiggesichte bemerkte, hatte keinen Zweifel, daß Mahound mit seinem Hufe ein verdächtiges Nicken, Winken und Lächeln rächen sollte, das zwischen dem goldstrotzenden Offizianten und der kokettierenden Kammerfrau nach dem Ausritt vom Schlosse gewechselt worden war.

Dieser Umstand verkürzte die peinliche Abschiedszeremonie zwischen Lady Evelinen und ihren Untergebenen und nahm zugleich ihrer Zusammenkunft mit dem Connetable, die eigentlich nichts anders war, als eine Flucht unter seinem Schuh, den allzu förmlichen Charakter.

Hugo de Lacy, nachdem er sechs seiner Reisigen als Vortrab vorausgeschickt hatte, verweilte so lange, bis er den Haushofmeister auf einer Sänfte gebettet sah, und folgte dann mit seinen übrigen Begleitern in militärischer Ordnung, ungefähr dreihundert Fuß entfernt, Evelinen und ihrem Gefolge, ängstlich besorgt, nicht den Eindruck zu wecken, als ob er sich ihrer Gesellschaft aufdrängen wollte, so lange sie im Gebete lag, wozu der Ort ihres Zusammentreffens sie begreiflicherweise anregen mußte, vielmehr geduldig wartend, bis ihr jugendlicher Sinn sie zu einer Ablenkung der trüben Gedanken, mit denen sie der Ort erfüllte, bestimmen werde.

Demgemäß näherte sich der Connetable nicht eher den Frauen, als bis der vorgerückte Morgen zu der Anzeige drängte, daß in der Nachbarschaft ein freundlicher Platz sich befände, wo er Vorbereitungen zum Ausgehen und zu Erfrischungen getroffen hätte. Sobald Lady Eveline einwilligte, von dieser Artigkeit Gebrauch zu machen, erschien auch schon der Platz in der Nähe einer alten Eiche, die ihre gewaltigen Zweige weithin ausdehnte, den Wanderer an den Baum zu Mamre erinnernd, unter der sich himmlische Wesen von dem frommen Patriarchen bewirten ließen, Ueber zwei weithervorragende Aeste war wie ein Baldachin eine Decke von rosafarbenem Taffet gezogen, die Strahlen der schon hochstehenden Morgensonne abzuhalten. Seidne Kissen, abwechselnd mit andern, die mit Jagdtier-Pelzen bedeckt waren, lagen auf dem Boden als Sitze ausgebreitet. Auf langen Tafeln hatte man ein Mahl hergerichtet, zu dem ein normannischer Koch das Aeußerste seiner Kunst aufgeboten hatte. Eine Quelle, die unfern unter einem breiten, mit Moos bedecktem Steine hervorsprudelte, erfrischte das Ohr mit ihrem Geriesel, die Zunge mit ihrem flüssigen Kristall, während sie gleichzeitig als Zisterne diente, die verschiedenen Flaschen Gascogner und Hippokras, damals ein notwendiges Erfordernis zu jedem Morgenimbiß, kühl zu halten.

Als Eveline mit Rose, dem Beichtiger und – in schicklichem Abstande – der treuen Amme bei diesem schattigen Mahle saßen, dieweil die Blätter von leichtem Hauche säuselten, das Wasser im Hintergrunde sprudelte, die Vögel ringsumher zwitscherten und gedämpftes Plaudern und Lachen die Nähe ihrer Begleitung kündeten, konnte sie nicht umhin, dem Connetable einige verbindliche Worte über die glückliche Wahl dieses Ruheplatzes zu sagen.

»Ihr erweist mir zuviel Ehre,« erwiderte der Baron, »nicht ich, sondern mein Neffe hat den Platz ausgesucht; der Bursche hat eine Phantasie wie ein Minstrel. Dergleichen Dinge auszusinnen, fiele mir zu schwer.«

Rose blickte ihre Gebieterin an, als ob sie ihr in die innerste Seele dringen wollte' aber Eveline antwortete mit größter Unbefangenheit: »Und warum hat der edle Damian nicht auf uns gewartet, um dem Feste mit beizuwohnen, das er uns hergerichtet hat?«

»Er will lieber,« sagte der Baron, »mit ein paar leichten Reitern voraneilen. Denn wenn auch jetzt keine wälschen Buben in Bewegung sind, findet man doch die Grenzen selten frei von Räubern und losem Gesindel; für einen Trupp wie dem unsrigen ist freilich nichts zu fürchten, aber Ihr sollt auch durch die leiseste Spur von Gefahr nicht erschreckt werden.«

»Ich habe in der letzten Zeit freilich zu viel davon verspürt,« sagte Eveline und verfiel wieder in die melancholische Stimmung, von der sie die Neuheit der Szene auf einen Augenblick befreit hatte.

Unterdessen hatte der Connetable mit Hilfe seines Knappen Helm und Handschuhe abgelegt und saß im leichten Panzerhemd, das die Hände frei ließ, in der bei den Rittern unter dem Namen » matier« beliebten Samtmütze, die ihm bequemer saß als der schwere Helm, an der Tafel, Seine Unterhaltung, schlicht, gediegen und männlich, drehte sich um die Zustände im Lande, um die Maßregeln, die zur Verteidigung einer so unruhigen Grenze notwendig waren, und war für Evelinen, deren wärmster Wunsch es war, den Vasallen ihres Vaters wirksamen Schutz zu schaffen, von nicht geringem Interesse. Auch Lach seinerseits schien außerordentlich befriedigt; denn so jung auch Eveline noch war, so zeigte sie doch in Frage und Antwort hohen Verstand, scharfe Fassungskraft und gründliche Orientierung. Kurz, es bildete sich eine so freundliche Stimmung zwischen ihnen, daß der Connetable schließlich nicht anders meinte, als daß sein rechter Platz an Evelinens Seite sei, und wenngleich sie über seine Nachbarschaft eigentlich nicht erfreut war, sondern den jungen Neffen lieber gesehen hätte, doch auch nicht Willens, ihn abzuweisen. Er dagegen war wohl kein heißer Liebhaber, so sehr ihn auch die Schönheit und Liebenswürdigkeit der holden Waise fesselte, aber doch keineswegs unzufrieden damit, als Begleiter zu gelten, und ließ es sich durchaus nicht angelegen sein, die Gelegenheit, die ihm diese Reife bot, zur Weiterführung der Unterredung vom vorigen Tage zu benützen.

Um Mittag wurde wieder in einem kleinen Dorfe Halt gemacht, wo wiederum für alle Bequemlichkeit, namentlich für Evelinen, gesorgt war; aber zu ihrem erneuten Erstaunen blieb Damian auch hier unsichtbar. So interessant und belehrend auch die Unterhaltung des Connetable war, so darf es bei einem Mädchen in Evelinens Alter wohl kaum verwundern, wenn sie sich noch eine kleine Beigabe in der Person eines jüngeren, minder ernsthaften Begleiters wünschte. Und wenn Eveline sich an Damian Lacys bisher erwiesene Aufmerksamkeiten erinnerte, so mußte ihr freilich jetzt seine konsequente Abwesenheit recht auffallen. Doch konnte nur jemand, dem die vorhandene Gesellschaft nicht ganz behagte, vorübergehend auf den Gedanken kommen, daß sie sich nicht angenehm vermehren lassen solle. Sie lauschte geduldig der Schilderung, die ihr der Connetable vom Stammbaum eines edlen Ritters aus dem vornehmen Geschlecht der Herberte gab, auf deren Burg er das Nachtlager bestellt hatte – als einer vom Gefolge einen Botschafter der Lady von Baldringham meldete.

»Meines verehrten Vaters Tante,« sagte Eveline, indem sie sich erhob, zum Zeichen der Achtung vor Alter und Verwandtschaft, die die Sitten der damaligen Zeit forderten.

»Mir war es nicht bekannt,« sagte der Connetable, »daß mein edler Freund solche Verwandte hatte.«

»Sie ist die Schwester meiner Großmutter,« antwortete Eveline, »eine edle, sächsische Frau; aber ihr mißfiel die Verbindung mit einem normännischen Hause, und sie sah ihre Schwester nach der Hochzeit nie wieder.«

Sie brach ab, da der Bote, der ganz nach einem Haushofmeister eines vornehmen Herrn aussah, zu ihr herantrat und, ehrfurchtsvoll sein Knie beugend, einen Brief in ihre Hand legte, der vom Pater Aldrovand vorgelesen wurde und folgende Einladung, nicht in französischer, – damals der allgemeinen Schriftsprache unter Leute von Stande – sondern in der alten sächsischen Sprache, wenn auch mit manchen französischen Brocken durchsetzt, enthielt:

»Wenn die Großtochter Aalfreids von Baldringham noch so viel altsächsisches Blut in sich hat, um eine greise Verwandte gern bei sich zu sehen, die noch im Hause ihrer Altvordern wohnt und nach deren Sitten lebt, so wird sie hierdurch eingeladen, ihre Nachtruhe zu nehmen in der Wohnung – von Ermengarde von Baldringham.«

»Es wird Euch doch zweifelsohne gefällig sein, die angebotene Bewirtung abzuschlagen,« sagte der Connetable de Lach, »der edle Herbert erwartet uns und hat große Vorbereitungen gemacht.«

»Eure Gegenwart, Mylord,« sagte Eveline, »wird ihn über meine Abwesenheit mehr als zufrieden stellen. Es geziemt sich und schickt sich nicht anders, als daß ich meiner Tante entgegenkommen muß, da sie sich herabgelassen hat, den ersten Schritt zur Versöhnung zu tun.«

De Lachs Stirn umwölkte sich leicht, denn selten kam er in den Fall, daß etwas auch nur den Anschein eines Widerspruchs gegen seinen Willen hatte ... »Ich bitte zu überlegen, Lady Eveline,« sagte er, »daß Eurer Tante Haus wahrscheinlich ohne alle Verteidigung oder wenigstens recht unvollkommen bewacht ist. – Solltet Ihr wirklich nicht wünschen, daß ich meine schuldigen Dienste fortsetze?«

»Darüber, Mylord, kann nur meine Tante in ihrem eigenen Hause urteilen, und da sie, wie mich dünkt, es nicht für nötig erachtet hat, sich die Ehre von Eurer Herrlichkeit Gegenwart zu erbitten, so würde sich für mich nicht die Erlaubnis schicken, Euch mit meinem Schutze zu belästigen. – Ihr habt schon zu viel Plage meinetwegen gehabt.«

»Doch Eurer eigenen Sicherheit wegen, meine Dame!« sagte de Lach, der nicht gern sein Amt niederlegen wollte.

»Meiner Sicherheit, Mylord, kann in dem Hause meiner so nahen Verwandten keine Gefahr drohen. Die Maßregeln, die sie zu ihrer eigenen Sicherheit nimmt, werden zweifelsohne auch vollkommen hinreichend für die meinige sein.«

»Ich hoffe, daß sich das so finden möge,« sagte de Lach. »Ich will wenigstens zur Sicherheit eine Patrouille hinzutun, die während Eures Aufenthaltes daselbst rund um das Schloß herumgeht,« – Er hielt inne, um nach einer Weile, freilich mit einigem Stocken, seiner Hoffnung Ausdruck zu geben, daß Eveline bei dem Besuch einer Verwandten, deren Vorurteile gegen den normannischen Stamm allgemein bekannt wären, es für geraten ansehen werde, einigermaßen gegen die dort herrschenden Ansichten auf ihrer Hut zu sein.

Eveline antwortete mit Würde, daß die Tochter eines Raymond Berenger wohl kaum auf Meinungen achten werde, die sich gegen Nation und Abkunft solch trefflichen Ritters ablehnend verhalten sollten, – Mit dieser Versicherung mußte der Connetable sich genügen, da es ihm nicht gelingen wollte, eine andre Zu erlangen, die ihm selbst und seiner Bitte günstiger gewesen wäre. Er dachte auch daran, daß die Burg Herberts nur knappe zwei Stunden von der Wohnung der Lady von Baldringham gelegen, und daß der Altersunterschied zwischen ihnen zu groß, wie daß es ihm an all jenen Vorzügen mangle, durch die sich ein weibliches Herz am leichtesten, wie man sagt, gewinnen läßt: diese Umstände ließen ihm selbst diese kurze Abwesenheit als eine Sache von höchster Bedenklichkeit erscheinen, so daß er den Nachmittag über fast immer schweigend an Evelinens Seite ritt, mehr darüber sinnend, was sich morgen zutragen würde, als daß er sich bemüht hätte, den Augenblick zu nützen. – In solch ungeselliger Weise wurde die Reise fortgesetzt, bis man den Punkt erreichte, wo man sich für diesen Abend trennen sollte.

Es war eine Anhöhe, von der rechter Hand die Burg Amelot Herberts mit ihren gotischen Zinnen und Türmen auf der Höhe eines Hügels in Sicht trat, zur Linken, dicht umschattet von Eichwäldern, die rauhe, einsame Wohnstätte der Lady von Baldringham, wo noch immer die Sitte der Angelsachsen herrschte und Verachtung und Haß alle Neuerungen traf, die seit der Schlacht von Hastings Im Jahre 1066 wurde Wilhelm der Eroberer Herr über England. Mit ihm beginnt die normannische Dynastie und zogen normannische Sitten im Lande ein. aufgekommen waren.

Nachdem der Connetable einem Teil seiner Leute Befehl gegeben, Evelinen bis zum Hause ihrer Tante das Geleit zu geben danach um das Haus herum, doch in solcher Entfernung, daß es der Familie weder anstößig werden, noch Unannehmlichkeiten verursachen können, auf Posten zu ziehen, drückte er auf Evelinens Hand einen respektvollen Abschiedskuß und zog sich dann mit Widerstreben zurück.

Eveline verfolgte den wenig betretenen Pfad, der zu der dürftigen Wohnung führte. Auf den üppigen Weiden rings herum graste kräftiges Vieh von vorzüglicher Rasse. Hin und wieder sah man Damwild, das alle Scheu verloren zu haben schien, durch die Waldlichtung kreuzen, oder in kleinen Rudeln unter einer großen Eiche stehen oder liegen. Das Wohlbehagen, das sonst solches Bild ländlicher Ruhe bei Vorübergehenden weckt, wandelte sich bei Evelinen bald in ernstere Empfindungen, als eine plötzliche Wegbiegung sie mit einemmal vor die Front des Herrenhauses führte, von dem sie, seit sie es von jenem Platz erblickte, wo sie sich von dem Connetable trennte, nichts weiter gesehen hatte, und das sie mit einer gewissen Besorgnis zu betrachten jetzt mehr als einen Grund hatte.

Das Haus, denn ein Schloß konnte man es nicht nennen, war nur zwei Stockwerke hoch, niedrig und massiv; Türen und Fenster zeigten den dicken Rundbogen, gewöhnlich »der sächsische« genannt – die Mauern überdeckten verschiedene Schlingpflanzen, die sich ungestört daran hinaufgerankt hatten, – selbst bis über die Schwelle, an der ein Büffelhorn an eherner Kette hing, wuchs Gras. Eine dicke Tür von Eichenholz schloß einen Torweg, der ganz wie das Portal eines verfallenen Grabgewölbes aussah. Keine Seele erschien, ihre Ankunft zu melden oder sie zu begrüßen.

»Wäre ich an Eurer Stelle, Mylady Eveline,« sagte die zudringliche Dame Gillian, »so lenkte ich noch um, denn dieses alte Loch scheint nicht dazu geschaffen, Christenleuten Obdach oder Nahrung zu geben.«

Eveline gebot ihrer unbescheidenen Dienerin Schweigen, obwohl sie selbst mit Rosen Blicke wechselte, die einige Zaghaftigkeit ausdrückten. Indessen winkte sie Raoul mit der Hand, in sein Horn am Tor zu stoßen ... »Ich habe gehört,« sagte sie, »meine Tante hinge den alten Sitten noch so an, daß es ihr zuwider sei, Dingen in ihrer Halle Aufnahme zu gewähren, die nicht aus den Zeiten Eduards des Bekenners Der letzte angelsächsische König starb 1066 im Januar, falls nicht Harold, der bei Hastings am 14. Oktober gegen Wilhelm den Eroberer blieb, als der letzte angesehen werden soll. herstammen.«

Raoul verwünschte indes das rohe Instrument, das all seine Kunst zu schanden machte und keine regelrechte Aufforderung, sondern nur ein zitterndes, mißtönendes Gelärm von sich gab, das die alten Mauern, so dick sie waren, zu erschüttern schien. Er wiederholte seine Aufforderung dreimal, ehe sich das Tor öffnete, Eine zahlreiche Dienerschaft beiderlei Geschlechts erschien in der engen und finstern Halle, an deren oberem Ende ein mächtiges Holzfeuer seine Glut zu einem altertümlichen Kamin hinaufsandte, dessen Front, so breit wie jetzt eine Küche, reich mit Stukkatur verziert war, oben mit einer langen Reihe von Nischen, aus deren jeder das Bild eines sächsischen Heiligen hervorgrinste, dessen barbarischer Name im römischen Kalender kaum zu finden sein dürfte.

Derselbe Bediente, der Evelinen die Einladung gebracht hatte, trat jetzt vor, ihr, wie sie wähnte, beim Absteigen vom Pferde behilflich zu sein; aber er kam nur, um es am Zügel zu nehmen und in die gepflasterte Halle, auf den »Dais«, wie die darin befindliche Rampe hieß, zu führen. An dessen äußerm Ende wurde ihr endlich gestattet, abzusteigen. Zwei betagte Matronen und vier junge Mädchen von guter Abkunft, durch Ermengard erzogen, erwarteten ehrerbietig die Ankunft ihrer Base. Eveline wollte nach ihrer Großtante fragen, aber die Matronen legten ehrfurchtsvoll ihren Finger auf den Mund, ihr dadurch Schweigen empfehlend: eine Gebärde, die, im Verein mit der Seltsamkeit ihres Empfanges, ihre Neugierde, die ehrwürdige Tante zu sehen, noch mehr erregte.

Sie wurde bald befriedigt; denn durch ein paar Flügeltüren, die sich nicht weit von der Erhöhung auftaten, auf der sie stand, wurde sie in ein weites, niedriges Gemach geführt, mit Tapeten behangen, an dessen oberstem Ende unter einer Art Baldachin die alte Lady von Baldringham saß. Achtzig Jahre hatten den Glanz ihrer Augen noch nicht verlöscht, ihre stattliche Größe noch um keinen Zoll gebeugt! ihr graues Haar hatte noch immer eine solche Fülle, daß es, zusammengenommen, für einen Kranz von Efeublättern einen recht stattlichen Knoten bildete. Ihr langes, dunkles Gewand fiel in weiten Falten zur Erde, und der gestickte Gürtel, der es um ihren Leib zusammenfaßte, war mit einer goldenen, mit kostbaren Steinen besetzten Schnalle befestigt. Ihre Gesichtszüge, die einst schön oder vielmehr majestätisch gewesen sein mochten, trugen noch jetzt, wenn auch verwelkt und mit Runzeln bedeckt, das Gepräge melancholischer Erhabenheit, die mit ihrer Kleidung und Haltung in vorzüglichem Einklange stand. Sie hielt einen Stab von Ebenholz in der Hand; zu ihren Füßen ruhte ein großer, betagter Wolfshund, der die Ohren spitzte und den Hals in die Höhe streckte, als der Schritt einer fremden Person, – ein Ton, der so selten in diesen Hallen gehört wurde – dem Stuhle sich nahte, in dem seine Herrin bewegungslos saß.

»Ruhig, Thryve,« sagte die ehrwürdige Frau, »und Du, Tochter des Hauses Baldringham, tritt näher und fürchte nicht seinen alten Diener!«

Der Hund sank, als sie sprach, in seine liegende Stellung zurück und, den roten Glanz seiner Augen ausgenommen, hätte er ein hieroglyphisches Emblem darstellen können, liegend zu den Füßen einer alten Priesterin des Wodan oder der Freya; so ganz entsprach die Erscheinung Ermengards mit ihrem Stabe und Kranze den Gestalten des Heidentums. Aber mit solchem Vergleich hätte man eine große Ungerechtigkeit gegen die ehrwürdige christliche Matrone verübt, die so manche Hufe Landes der heiligen Kirche zu Ehren Gottes und des heiligen Dunstan geschenkt hatte.

Der Empfang, den Ermengard Evelinen bereitete, war von derselben altertümlichen und feierlichen Art, wie ihr Wohnsitz und ihr Aeußeres. Sie erhob sich nicht gleich anfangs von ihrem Sitze, als das edle Fräulein sich ihr nahte, ja sie ließ sich nicht einmal zu dem Kusse herbei, den sie ihr reichen wollte, sondern legte ihre Hand auf Evelinens Arm, hielt sie zurück, als sie vortrat, und betrachtete ihr Gesicht ernst, ohne Schonung, mit peinlichster Aufmerksamkeit.

»Berwine,« sprach sie zu ihrem Liebling unter den beiden Dienerinnen, »unsere Nichte hat Haut und Augen von sächsischer Farbe, aber Augenbrauen und Haare sind von der andern, der fremden, – sei demungeachtet in meinem Hause willkommen, Mädchen,« fügte sie hinzu, sich an Evelinen wendend, »besonders, wenn Du es anhören kannst, daß Du kein so unbedingt vollkommenes Geschöpf bist, wie zweifelsohne Deine Schmeichler Dich glauben lehrten.« Mit diesen Worten stand sie endlich auf und drückte ihrer Nichte zum Gruß einen Kuß auf die Stirn. Doch ließ sie ihren Arm noch nicht los, sondern übertrug nun die Aufmerksamkeit, die sie auf ihre Gesichtszüge verwandt hatte, auf ihre Kleidung.

»Der heilige Dunstan schütze uns vor Eitelkeit,« sagte sie, »das also ist die neue Mode? und ehrsame Mädchen tragen solche Tunika wie diese hier? so offen, daß ihre ganze Gestalt zu erkennen? – Heilige Maria! beschütze uns! – Da sieht ja ein Mensch aus, als hätte er ganz und gar nichts auf dem Leibe! – Ach, und sieh nur, Berwine, diese Flitter um den Nacken, und den Nacken bloß bis zur Schulter – das sind die Moden, die die Fremden in das fröhliche England brachten! – Und diese Tasche, die mit dem Schurz eines Possenreißers auffallende Ähnlichkeit hat, wird, möchte ich wetten, in der Hauswirtschaft wohl nicht viel am Platze sein – und der Dolch da gemahnt an das Weib eines lustigen Spielmanns, das, in Manneskleider vermummt, um die Wette mit ihm reitet. Ziehst Du immer mit in den Krieg, Mädchen, daß Du solchen Stahl am Gürtel trägst?«

Eveline, durch diese verächtliche Aufzählung ihres Anzuges überrascht und gekränkt, antwortete auf die letzte Frage nicht ohne Empfindlichkeit: »Die Mode mag sich geändert haben, Madame; ich trage nur die Kleidung, die jetzt von allen meinen Alters- und Standesschwestern getragen wird. Und was den Dolch anbetrifft, so ist es noch nicht viele Tage her, daß ich ihn als letzte Zuflucht vor Schande betrachten mußte.«

»Das Mädchen redet wacker und kühn, Berwine,« sprach Dame Ermengard, »und trägt sich, wenn man diesen eitlen Trödelkram übersieht, wirklich noch recht anständig ... Dein Vater, hörte ich, fiel wie ein Ritter auf dem Blachfelde?«

»So war es,« antwortete Eveline, und ob dieser Erinnerung an ihren schweren Verlust traten ihr Tränen in die Augen.

»Ich habe ihn nie gesehen,« fuhr Dame Ermengard fort; »in seinem Herzen wohnte die alte normännische Verachtung unsers sächsischen Stammes, mit dem sie sich bloß vermählen, wenn sie Vorteil ziehen können, wie sich der Brombeerstrauch um die Ulme schlingt ... Nein, nein, sage nichts zu seiner Rechtfertigung,« fuhr sie fort, als sie merkte, daß Eveline sprechen wollte; »ich habe den normännischen Geist kennen gelernt, manches Jahr, früher, als Du geboren wurdest.«

In diesem Augenblick trat der Haushofmeister ins Zimmer und erbat sich, nach einer tiefen Kniebeuge, Verhaltungsmaßregeln betreffs der normannischen Krieger, die sich außerhalb des Hauses aufhielten.

»Normannische Krieger im Hause von Baldringham!« rief die alte Lady stolz; »wer führte sie hierher, und zu welcher Absicht?«

»Sie kommen, wie ich glaube,« sagte er, »als Wache und Schutz für diese gnädige junge Lady.«

»Wie, meine Tochter?« fragte Ermengard mit trübem Stimmklange, »getraust Du Dich nicht eine Nacht ohne Bedeckung im Schlosse Deiner Ahnen zuzubringen?«

»Behüte Gott,« sagte Eveline, »aber diese Leute gehören mir nicht an und stehen nicht unter meinem Befehl. Sie bilden einen Teil vom Gefolge des Connetable de Lacy, der sie aus Furcht vor Räubern zur Bewachung des Schlosses zurückließ.«

»Räuber,« sagte Ermengard, »haben dem Hause Baldringham nie geschadet, seit ein normannischer Räuber aus ihm den besten Schatz stahl, Deine Großmutter! – So bist Du also, armes Vögelchen, schon gefangen? – Ach! wie Du kläglich flatterst! – Doch das ist Dein Los; warum sollte ich mich darüber wundern oder es beklagen? Wo gab es jemals ein schönes Mädchen mit einem reichen Erbe, das nicht schon vor der Reife bestimmt ward, die Sklavin einer dieser kleinen Könige zu sein, die uns nichts als Eigentum vergönnen, was ihrer Leidenschaft gelüstet? – Ich kann Dir nicht helfen, Kind, denn ich bin nur ein armes, vernachlässigtes Weib, schwach durch Geschlecht und Alter. – Und welchem von diesen de Lacys bist Du bestimmt zum Hauspacktier?«

Solche Frage aus dem Munde einer Frau, deren Vorurteile solch entschiedenen Charakter hatten, war nicht geeignet, Evelinen zum Eingeständnis ihrer wirklichen Lage zu bestimmen, da es ihr klar war, daß diese sächsische Verwandte ihr weder gesunden Rat noch nützlichen Beistand gewähren würde. Sie erwiderte daher nur kurz, daß, da die de Lacys, wie die Normänner überhaupt, in Baldringham unwillkommen wären, sie den Befehlshaber der Patrouille ersuchen wolle, sich aus der Nachbarschaft des Schlosses zu entfernen.

»Nicht doch, meine Nichte!« rief die alte Lady. »Da wir der Nachbarschaft der Normänner nicht entgehen, auch nicht aus dem Bereich ihrer Abendglocke Von Wilhelm dem Eroberer zum Zeichen dafür, daß Feuer und Licht auszulöschen sei, eingesetzt und an manchen Orten Englands um die Schlafenszeit bis vor 50 Jahren noch im Gebrauch. kommen können, ist es gleichgültig, ob sie näher oder ferner unsern Mauern sind, sofern sie nur nicht hereinkommen. – Und, Bermine, laß Hundwolf diese Normänner in Getränken baden und mit Speisen vollstopfen – mit den besten Speisen und den stärksten Getränken! Es soll keiner von ihnen sagen, die alte sächsische Hexe sei wohl gastfreundlich, aber filzig ... Stecht ein frisches Faß Wein an, denn ihr vornehmer Magen, glaubt mir, verträgt kein Bier.«

Berwine, mit dem klingenden gewaltigen Schlüsselbund an der Seite, ging hinaus, das Nötige anzuordnen, und kam alsobald wieder. Inzwischen fuhr Ermengard fort, ihre Nichte noch schärfer auszufragen. – »Willst Du mir nicht sagen, oder kannst Du es nicht, bei welchem de Lacy Du Leibeigene werden sollst? – Bei dem eingebildeten Connetable, der, in eine undurchdringliche Rüstung geschnürt, auf schnellem und starkem Pferde so unverwundbar, wie er sich damit bläht, nach Herzenslust und in voller Sicherheit den nackten, unberittenen Wälschen niederzureiten und niederzustoßen? – Oder ist es sein Neffe, der bartlose Damian? – Oder sollen Deine Besitzungen hingehen, den Riß im Vermögen des andern Vetters zu flicken – des verlumpten Schwärmers, der aus Mangel an Mitteln unter den liederlichen Kreuzfahrern nichts mehr durchdringen kann?«

»Meine verehrte Tante,« entgegnete Eveline, über solche Reden begreiflicherweise unwillig, »bei keinem de Lacy und, ich versichere, bei keinem andern Sachsen oder Normann wird Eure Nichte Haussklavin sein. Vorm Tode meines verehrten Vaters ist zwischen ihm und dem Connetable eine Vereinbarung getroffen worden, die mich hindert, seine Aufmerksamkeiten rundweg abzuweisen; was aber das Ende davon sein wird, muß das Schicksal entscheiden.«

»Aber, Nichte, schon heute kann ich Dir sagen, wohin des Schicksals Wage sich neigen wird,« sagte Ermengard mit leiser, geheimnisvoller Stimme; »wer mit uns durch das Blut verbunden ist, besitzt gewissermaßen das Vorrecht, über die Gegenwart hinauszuschauen und schon in der Knospe die Dornen oder Blumen zu erkennen, die einst das Haupt umwinden sollen.«

»Was mich anbetrifft, edle Tante,« sagte Eveline, »so möchte ich solches Vorrecht ablehnen, selbst wenn es sich erlangen ließe, ohne die Gesetze der Kirche zu übertreten. Hätte ich vorhersehen können, was mir in diesen letzten unglücklichen Tagen begegnet ist, so wäre mir jeder frohe Augenblick in meinem Leben vergällt worden.«

»Dessenungeachtet, meine Tochter,« sagte Lady von Baldringham, »mußt Du wie jede andere Deines Stammes Dich in diesem Hause nach dem Gesetze richten, eine Nacht im Zimmer des roten Fingers zuzubringen. – Berwine, laß es zum Empfange meiner jungen Nichte bereiten!«

»Ich – ich habe wohl von diesem Zimmer gehört, gnädige Tante,« sagte Eveline ängstlich; »und wenn es Euch gefällig wäre, möchte ich eben jetzt nicht wünschen, dort die Nacht zu verbringen. Meine Gesundheit hat durch die Gefahren und Anstrengungen der letzten Tage sehr gelitten, und mit Eurem Verlaub will ich ein andermal dem Brauche gehorsamen, dem, wie ich höre, die Töchter aus dem Hause Baldringham sich unterwerfen müssen.«

»Und dem Ihr, trotz allem, Euch gern entziehen möchtet,« sprach die alte Lady, unwillig ihre Stirn runzelnd, »Hat nicht solcher Ungehorsam Eurem Hause bereits Leid in Menge bereitet?«–

»Verehrte, gnädige Frau!« sagte Berwine, die sich der Einmischung nicht länger enthalten konnte, trotzdem sie den harten Sinn ihrer Herrin sattsam kannte, »das Zimmer läßt sich kaum für Lady Eveline instand setzen; zudem sieht das edle Fräulein so blaß aus und hat doch eben erst so schwer gelitten, daß ich mit gütigem Verlaub den Rat geben möchte, die Ausführung dieser Absicht aufzuschieben.«

»Du bist eine Närrin, Berwine,« sprach die Lady bitterernst: »meinst Du, ich solle Zorn und Unheil über mein Haus bringen dadurch, daß ich dem Mädchen gestatte, mein Haus zu verlassen, ohne dem roten Finger die übliche Huldigung darzubringen? – Nur zu! – Mach das Zimmer fertig! – Es wird weniges zur Herrichtung genügen, sofern sie nicht zu viel an normannischen Bequemlichkeiten hängt. – Keine Gegenrede, Berwine, sondern tue, was ich befehle! – Und Ihr, Eveline, seid Ihr des kühnen Geistes Eurer Vorfahren so entwöhnt, daß Ihr Euch nicht getraut, ein paar Stündchen in einem alten Zimmer zuzubringen?«

»Ihr seid meine Wirtin, gnädige Frau,« versetzte Eveline, »und seid berechtigt, mir ein Zimmer anzuweisen, wie Ihr es schicklich für mich findet. – Mein Mut entspricht meiner Unschuld, wie meinem Stolz auf Blut und Geburt und ist in diesen letzten Tagen wohl zur Genüge auf die Probe gestellt worden. Doch da es Euch gefällt, und es in diesem Hause also Brauch ist, sollt Ihr mein Herz stark genug finden, allem zu trotzen, dem Ihr mich unterwerfen wollt.« Unmutig schwieg sie; denn sie konnte nicht anders, als empfindlich über solch unfreundliches und ungastliches Benehmen ihrer Tante sein. Und doch mußte sie, wenn sie über den Ursprung der Legende jenes Zimmers nachsann, sich eingestehen, daß die greise Lady von Baldringham allerdings hinlängliche Ursache zu ihrem Verlangen habe, das mit der Familientradition und dem Glauben jener Zeit, dem Eveline selbst anhing, in voller Übereinstimmung stand.


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