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Erstes Kapitel.

In den Chroniken, woraus diese Geschichte geschöpft wurde, wird uns versichert, daß in dem langen Zeitraume, während dessen die Walliserfürsten um ihre Unabhängigkeit rangen, vor allen anderen sich das Jahr 1187 als günstig für den Frieden zwischen ihnen und ihren fehdelustigen Nachbarn, den »Herren der Marken«, erwiesen habe. Diesen gehörten die mächtigen Burgen an den Grenzen der alten Briten, deren Trümmer noch heute jeder mit Staunen betrachtet, den sein Weg in diese Landstrecken führt. Es war die Zeit, da Balduin, Erzbischof von Canterbury, in Gemeinschaft mit Giraldus de Barri, Bischof von St.-David, von Burg zu Burg, von Ort zu Ort zum Kreuzzuge nach dem heiligen Grabe rief.

Die britischen Häuptlinge hätten freilich unter all den Völkern, die von diesem fanatischen Prediger für solch gefahrvolle Unternehmung in so ferne Lande geworben wurden, gewiß die beste Ursache, sich fernzuhalten, gehabt, und zwar eben in ihren ständigen Grenzfehden mit den normannischen Rittern, die im Jahre 1066 unter Wilhelm dem Eroberer sich in ihren alten Gebieten festgesetzt hatten und sie durch fortgesetzte Raubzüge jahrhundertelang drangsalierten, ihnen ein Stück Land nach dem andern entrissen und dort Burgen über Burgen bauten, um das Gewonnene festzuhalten. Wohl vergalten es ihnen die Briten durch grimmige Gegeneinfälle, die sich den Wogen der rückstauenden Flut vergleichen ließen, rasend und tosend, vernichtend und zerstörend sich über ihr verlorenes Eigentum ergossen, aber bei jedem Rückprall ihren Feinden neuen Boden in den Fäusten ließen; denn die Einigkeit unter den Britenkönigen hielt nie lange stand. Kaum waren sie aus einem Krieg gegen den gemeinsamen Landesfeind heimgekehrt, so verfielen sie wieder in ihre Stammesfehden, die sie mit nicht schärferer Erbitterung führten. Ein Kreuzzug war aber für ein Volk von so kampflustigem Temperament so verlockend, daß sich viele seiner Ritter, ohne auf die Folgen für ihr eigenes Land, das sie von Verteidigern entblößten, Rücksicht zu nehmen, zur Heerfolge verpflichteten und unter Balduins Banner stellten.

Zu ihnen gehörte Gwenwyn, noch immer Herr über einen großen Teil des Powy-Landes, trotzdem sich die Geschlechter der Mortimer, Quarine, Latimer, Fitz-Allan und andere normännische Edle unausgesetzt bemühten, ihn gleich seinen Nachbarn zu unterjochen, und trotzdem es ihnen unter allerhand Vorwänden bereits gelungen war, große Strecken dieser einst ausgedehnten, unabhängigen Herrschaft abzulösen und an sich zu bringen, die, als Wales zu seinem Unglück nach Roderik Mawrs Ableben in drei Teile zerstückelt wurde, seinem jüngsten Sohne Mervyn anheimfiel. Gwenwyn, der grimme Abkömmling dieses alten Fürstengeschlechts, war der Liebling der ganzen Walliser Ritterschaft, und sein Name allein führte Scharen derselben dem Kreuzzuge zu.

Als die Zugbrücke seiner Burg hinter ihm niederfiel, entging es seinem treuen Barden Cadwallon freilich nicht, daß er unwillkürlich zusammenschauderte; dem erfahrenen Ritter, der den Charakter seines Herrn so genau kannte, war es keine Minute zweifelhaft, daß sich Befürchtungen in ihm regten, seine Feinde möchten in seiner Abwesenheit, um sich endlich seines Landes zu bemächtigen, selbst vor einem Treubruch nicht zurückschrecken.

Beim Abschiedsessen, das er seiner Ritterschaft gab, hatte Gwenwyn zum erstenmale Eveline Berenger gesehen, das einzige Kind des normannischen Schloßherrn von Garde Douloureuse, die Erbin von dessen Landgütern und sonstigem Vermögen, ein Mädchen von erst sechzehn Jahren, das aber als das schönste Fräulein in der Walliser Gemarkung galt. Mancher Speer war schon um ihretwillen gebrochen worden, und der ritterliche Hugo de Lacy, Connetable von Chester, einer der gefürchtetsten Kriegshelden jener Zeit, hatte zu ihren Füßen den Ehrenpreis niedergelegt, den er in einem großen Turniere gewann, das bei der alten Stadt Chester gehalten worden war. Gwenwyn hatte ihr Anblick so berauscht, daß er trotz der langen Feindschaft, in der er mit ihrem Vater lebte, trotz allem Haß zwischen Briten und Normannen, und trotzdem er sich sagen mußte, daß seine Parteigänger in solcher Werbung einen Abfall von ihrer Sache erblicken durften, den Gedanken um sie zu freien, nicht los wurde. Daß er vom Vater des Mädchens, mit dem er jahrelang in Blutfehde lag, abgewiesen werden könnte, damit rechnete er keinen Augenblick, da er als Herrscher über hundert Berge nur den Mund aufzutun brauche, um den »normännischen Kastellan«, dessen Rang unter dem Grenzadel nicht einmal die erste Stelle behauptete, zum Glücklichsten aller Sterblichen zu machen, wenn er um die Hand seiner Tochter anhielte.

Freilich gab es noch ein anderes Hindernis, das zu spätern Zeiten von großem Gewicht gewesen wäre – Gwenwyn war schon verheiratet. Aber Brengwain, sein Weib, war kinderlos, und regierende Herren – zu denen sich Gwenwyn ja rechnete – vermählen sich doch zu dem Zwecke, Nachkommen zu erhalten; mithin ließ sich wohl annehmen, daß der Papst keine Bedenken haben würde, sich durch einen Scheidespruch einem Fürsten verbindlich zu zeigen, der mit so großem Eifer das Kreuz genommen hatte. Von solcher Absicht erfüllt, verlängerte Gwenwyn seinen Aufenthalt in Berengers Burg von Weihnachten bis zum Heiligen Drei-Königstage und fügte sich in die Gegenwart der normännischen Edlen, die zu den gastlichen Hallen Raymonds gehörten und sich durch ihren Rang als Ritter den mächtigsten Regenten gleichgestellt wähnten, daher sich auch wenig aus der uralten Abkunft des Walliser Fürsten machten, der in ihren Augen nur der Häuptling einer halb barbarischen Provinz war. Er hingegen achtete sie kaum höher als eine Art privilegierter Räuber, und nur mit der größten Anstrengung hielt er sich zurück, seinen Haß offen zu zeigen, wenn er sie bei ihren ritterlichen Uebungen daher sprengen sah, da eben diese beständigen Uebungen sie zu so furchtbaren Feinden seines Vaterlandes machten. Endlich war die Zeit der Festlichkeiten vorbei; Ritter und Knappen verließen das Schloß, das nun wieder das Aeußere einer einsamen, wohlbewachten Burg annahm.

Aber der Fürst von Powy-Land, während er der Jagd in seinen eigenen Bergen und Tälern oblag, fand nur zu bald, daß weder die größere Menge des Wildes noch die Erlösung von dem Untergange der normannischen Ritterschaft, die es sich herausnahm, ihn als ihresgleichen zu betrachten, ihm nichts wäre, da die leichte und schöne Gestalt Evelinens auf ihrem weißen Zelter aus dem Zuge der Jäger verwiesen war. Kurz, er zögerte nicht länger, zog seinen Kaplan ins Geheimnis, einen geschickten und verschlagenen Mann, dessen Stolz durch die Mitteilung seines Patrons sich geschmeichelt fand, und nebenbei in der ihm vorgelegten Sache irgend einen zufälligen Vorteil für sich und seinen Orden finden konnte. Nach seinem Rate wurden die Schritte zur Scheidung Gwenwyns unter günstigen Aussichten getan, und die unglückliche Brengwain wurde in ein Nonnenkloster gesteckt, das ihr vielleicht eine freundlichere Wohnung erschien als die einsame Abgeschiedenheit, in welcher sie vernachlässigt ihre Tage zugebracht hatte, seitdem Gwenwyn der Hoffnung entsagt hatte, Erben von ihr zu sehen. Auch mit den Häuptern und Aeltesten des Landes unterhandelte Pater Hugo und stellte ihnen die Vorteile vor, welche in künftigen Kriegen durch den Besitz von Garde Doloureuse ihnen gewiß wären, welches seit länger als einem Jahrhundert einen bedeutenden Landesstrich gedeckt und geschützt hatte, ihr Vorrücken erschwert, ihren Rückzug gefährlich gemacht, mit einem Worte sie verhindert hatte, bis an die Zone von Shrewsbury vorzudringen. Was die Verbindung mit dem sächsischen Fräulein selbst anbeträfe, möchten diese Fesseln (gab der Pater mit zu verstehen) nicht fester sein als die, welche Gwenwyn an ihre Vorgängerin geknüpft hätten.

Diese Gründe, vermischt mit andern, den Absichten und Wünschen der verschiedenen Individuen angemessen, waren so siegreich, daß der Kaplan in Zeit von wenigen Wochen imstande war, seinem fürstlichen Patron zu berichten, daß seine Verbindung keinen Widerspruch von den Aeltesten und Edlen seiner Besitzungen zu befürchten habe. Ein goldnes Armband, sechs Unzen schwer, war auf der Stelle die Belohnung für des Priesters Geschicklichkeit und Unterhandlungen, und Gwenwyn trug ihm auch auf, solche Vorschläge zu Papier zu bringen, welche, wie er nicht zweifelte, die Burg von Garde Doloureuse, trotz ihres melancholischen Namens, in einen Freudentaumel versetzen würden. Mit einiger Schwierigkeit gelang es dem Kaplan über seinen Patron, daß nichts in diesem Briefe von dem einstmaligen Plan eines Konkubinats gesagt wurde, welches, wie er weise urteilte, von Evelinen und ihrem Vater als eine Beleidigung angesehen werden möchte. Die Scheidung selbst stellte er als fast gänzlich abgemacht vor und schmückte noch den Brief mit einer moralischen Nutzanwendung aus, in welcher viele Anspielungen auf Vasthi, Esther und Ahasverus vorkamen.

Nachdem der britische Fürst diesen Brief mit einem schnellen und zuverlässigen Boten abgeschickt hatte, eröffnete er mit aller Feierlichkeit das Osterfest, welches während dieser äußern und innern Unterhandlungen herangekommen war.

Die Gemüter seiner Untertanen sich günstig zu stimmen, wurden sie gegen die Zeit des Festes in großer Anzahl eingeladen, an einer fürstlichen Festlichkeit teilzunehmen, in Castel Coch oder dem Roten Kastell, wie es damals genannt wurde, seitdem mehr gekannt unter dem Namen von Powys Castle, späterhin der fürstliche Sitz des Herzogs von Beaufort. Die architektonische Pracht dieses edlen Wohnsitzes war ein Werk viel späterer Zeit als der Gwenwyns, dessen Palast in dem Zeitraume, von welchem wir reden, in einem langen Gebäude bestand mit niedrigem Dache, von roten Steinen aufgeführt, woher der Name des Schlosses entstand. Ein Graben und Palisaden waren, nächst der festen erhabenen Lage, die wichtigsten Deckungen desselben.


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