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Elftes Kapitel.

Die religiösen Gebräuche, welche auf das Begräbnis Raymond Berengers folgten, währten ununterbrochen sechs Tage lang. In dieser Zeit wurden Almosen an die Armen ausgeteilt, und auf Kosten Lady Evelinens denen, welche durch den letzten Einfall gelitten hatten, Vergütungen dargereicht. Leichenmahle, wie man sie nannte, wurden ebenfalls zur Ehre des Verstorbenen gehalten. Aber die Lady selbst und die meisten von ihrer Aufwartung beobachteten strenge Fasten und Büßungen, welches den Normännern eine weit anständigere Art, ihre Achtung gegen die Toten zu beweisen, schien, als die sächsische und flämische Gewohnheit, bei solchen Gelegenheiten zu bankettieren und zechen. Indessen ließ der Connetable de Lacy ein starkes Korps seiner Truppen unter den Mauern von Garde Douloureuse ein Lager beziehen, um die Burg gegen irgend einen neuen Einfall der Walliser zu decken, während er mit den übrigen seinen Sieg benützte und Schrecken unter die Britischen durch viele wohlausgeführte Streifzüge verbreitete, die fast mit ebenso großen Verwüstungen begleitet waren, als die ihrigen. Unter den Feinden kam nun noch zu der Niederlage und den Einfällen das Unglück der Zwietracht hinzu; denn zwei entfernte Verwandte von Gwenwyn stritten um den Thron, den er besessen, und hierdurch, wie es auch manche andere Veranlassung dazu gab, litten die Briten ebensosehr bei ihrer innern Uneinigkeit vom Schwerte der Normannen. Auch ein schlechterer Politiker und ein weniger berühmter Kriegsheld als der scharfsichtige und siegreiche de Lacy war, hätte unter solchen Umständen nicht ermangelt, einen vorteilhaften Frieden zu unterhandeln, welcher, indem er Powys eines Teils seiner Grenzen und einiger wichtigen Engpässe beraubte, wo der Connetable sich vorgenommen hatte, Kastelle anzulegen, auch Garde Douloureuse mehr als vorher gegen einen plötzlichen Angriff ihrer stolzen, unruhigen Nachbarn sicherte. De Lacys Sorge ging auch dahin, die Ansiedler, welche aus ihren Besitzungen entflohen waren, wieder einzurichten und die ganze Herrschaft, welche nun einer unbeschützten Frau anheim gefallen war, in einen so vollkommenen Verteidigungszustand zu setzen, als ihre Lage an einer feindlichen Grenze nur möglich machte.

Obwohl so sorgfältig bedacht in der Sache der Waise von Garde Douloureuse, mochte doch de Lacy während dieser Zeit nicht ihren kindlichen Kummer durch seine Dazwischenkunft stören. Noch ward sein Neffe freilich jeden Morgen sehr zeitig abgesandt, seines Oheims »devoirs,« so genannt in der hochtrabenden Sprache jener Zeit, zu Füßen zu legen und sie von den in ihren Geschäften unternommenen Schritten zu benachrichtigen. Zum schuldigen Lohn für die Dienste seines Oheims ward Damian stets bei Evelinen vorgelassen, und kehrte immer mit ihren eigenen Danksagungen und ihrer unbeschränkten Genehmigung alles dessen, was der Connetable zu ihrem Besten vorschlug, zu diesem zurück.

Aber als die Tage der strengen Trauer vorüber waren, berichtete der junge de Lacy von seiten seines Verwandten, daß, da seine Verträge mit den Wallisern abgeschlossen und alles in dem ganzen Gebiete so eingerichtet wäre, als die Umstände es erlaubten, der Connetable von Chester sich jetzt vorgenommen hatte, in seine eigene Landschaft zurückzukehren, um seine dringenden Vorbereitungen für das heilige Land wieder vorzunehmen, welche die Pflicht, ihre Feinde zu züchtigen, auf einige Tage unterbrochen hätte.

»Und will nicht der edle Connetable, bevor er von diesem Platze abzieht,« sagte Eveline mit einem Ausbruch der Dankbarkeit, welche die Sache gar wohl verdiente, »den persönlichen Dank derjenigen empfangen, die fast umgekommen wäre, als er so mutig ihr zu Hilfe sprang?«

»Gerade über diesen Punkt habe ich Auftrag, zu sprechen,« erwiderte Damian. »Aber mein edler Verwandter fühlte eine gewisse Schüchternheit, das auszusprechen, was er doch so sehnlich wünscht – nämlich die Erlaubnis, mit Euch selbst sich über gewisse Dinge von der höchsten Wichtigkeit zu unterhalten, die er einem dritten anzuvertrauen nicht passend findet.«

»Gewiß,« sagte das Mädchen errötend, »es kann nicht wider jungfräuliche Zucht sein, daß ich den edlen Connetable sehe, sobald es ihm Vergnügen macht.«

»Aber sein Gelübde,« erwiderte Damian, »verpflichtet meinen Verwandten, unter kein Dach zu treten, bis er nach Palästina unter Segel gegangen ist. Um mit ihm zusammenzukommen, müßt Ihr so gnädig sein, ihn in seinem Pavillon zu besuchen – eine Herablassung, die er als Ritter und normannischer Edler kaum von einem Fräulein so hohen Ranges begehren kann.«

»Und ist das alles?« sagte Eveline, die, in einem etwas entfernten Orte erzogen, nicht mit der Etikette bekannt war, die die Edelfräulein jener Zeit in Rücksicht auf das andere Geschlecht beobachteten. »Soll ich,« sagte sie, »meinen Dank nicht meinem Befreier zubringen dürfen, da er nicht herkommen kann, ihn entgegenzunehmen? Sagt dem edlen Hugo de Lacy, daß meine Dankbarkeit neben dem Segen des Himmels ihm und seinen braven Kriegsgefährten gebührt. Ich will zu seinem Zelt kommen wie zu einer Heiligenkapelle, ja, sollte ihm solche Huldigung gefallen, barfuß, und wäre der Weg bestreut mit Kieseln und Dornen.«

»Meinen Oheim wird Euer Entschluß ehren und freuen,« sagte Damian, »aber er wird darauf bedacht sein, Euch alle unnötige Bemühung zu ersparen. In dieser Absicht soll sogleich ein Pavillon vor Eurem Schloßtor errichtet werden, der, sofern Ihr ihn mit Eurer Gegenwart beehren wollt, als Ort für die erwünschte Zusammenkunft gelten wird.«

Eveline ging bereitwillig auf alles ein, was der Connetable als annehmbares Auskunftsmittel vorgeschlagen und durch Damian ausrichten ließ. Aber in der Einfachheit ihres Gemütes sah sie keinen Grund, warum sie nicht unter dem Schutze des letztern augenblicklich, und ohne weitere Umstände, die kleine, wohlbekannte Ebene überschreiten sollte, wo sie als Kind Schmetterlinge jagte und Feldblumen pflückte, und wo sie noch vor kurzem gewohnt war, ihren Zelter zu tummeln; denn das war ja der einzige, noch dazu so kleine Raum, der sie von dem Lager des Connetables trennte.

Der junge Abgesandte, mit dessen Gegenwart sie schon vertraut geworden, zog sich nun zurück, seinen Verwandten und Herrn über den Erfolg seiner Mission zu unterrichten. Eveline empfand jetzt zum erstenmale Kummer und Sorge über ihr eigenes Geschick, seit Gwenwyns Niederlage und Tod es ihr erlaubten, ihre Gedanken dem Gram über den Verlust ihres edlen Vaters zu weihen. Aber jetzt, da dieser Kummer, wenn auch nicht völlig beruhigt, so doch durch das lange Sinnieren in Einsamkeit abgestumpft war – jetzt, da sie vor dem Helden erscheinen sollte, von dessen Ruhm sie so oft gehört, von dessen kräftigem Schutze sie eben erst wieder Beweis erhalten hatte, jetzt wandte sich ihr Geist unvermerkt auf die Natur und die Folgen dieser wichtigen Zusammenkunft. Sie hatte allerdings schon Hugo de Lacy auf dem großen Turnier zu Chester gesehen, wo sein Mut und seine Geschicklichkeit in aller Munde waren, und hatte die ihrer Schönheit erwiesene Huldigung, als er ihr den Preis überreichte, mit allem Frohsinn jugendlicher Eitelkeit entgegengenommen; aber von seiner Person und seiner Gestalt war ihr kein bestimmtes Bild geblieben, als daß er ein Mann von mittlerer Größe sei, eine ganz besonders reiche Rüstung getragen habe und dem Gesicht nach – soviel sie davon unter dem Schatten seines aufgeklappten Visiers sehen konnte – von dem gleichen Alter wie ihr Vater zu sein schien. Dieser Mann nun, dessen sie sich flüchtig erinnerte, war also das erwählte Werkzeug, das ihre Schutzherrin gebraucht hatte, sie von der Sklaverei zu erlösen und den Verlust ihres Vaters zu rächen, und sie war durch ihr Gelübde verpflichtet, ihn als den Gebieter über ihr Schicksal zu betrachten, wenn er es seiner für wert erachtete, das zu werden. Umsonst strengte sie ihr Gedächtnis an, sich seine Züge so weit zu vergegenwärtigen, daß sie sich ein ungefähres Urteil darüber bilden konnte, wie er sich ihr gegenüber benehmen und verhalten würde.

Der vornehme Baron selbst schien ihrer Zusammenkunft einen hohen Grad von Wichtigkeit beizulegen, nach den feierlichen Vorbereitungen zu schließen, die er dazu treffen ließ. Eveline dachte nicht anders, als daß er in Zeit von fünf Minuten zu Pferde vor dem Schloßtor halten, oder, wenn es der Anstand durchaus bedänge, daß ihre Unterredung in einem Zelte stattfände, daß dann ein Zelt aus seinem Lager ans Tor gebracht werde, was doch in zehn Minuten geschehen sein könnte. Aber der Connetable schien mehr Form und Feierlichkeit bei ihrer Zusammenkunft für geboten zu halten, denn Damian de Lacy hatte das Schloß kaum eine halbe Stunde verlassen, so waren schon nicht weniger als zwanzig Soldaten und kunstverständige Leute, unter der Leitung eines Unterherolds, dessen Waffenrock mit den Emblemen des Hauses de Lacy geschmückt war, an der Arbeit, vor dem Tore von Garde Doulourense einen jener prächtigen Pavillons zu errichten, die bei Turnieren und andern öffentlichen Feierlichkeiten üblich waren. Er war von purpurseidner Farbe, die Umhänge mit Gold gestickt, die Stricke aus demselben reichen Stoffe. Der Eingang wurde von sechs Lanzen gebildet, deren Schaft mit Silber belegt und deren Spitzen aus demselben kostbaren Metall bestanden; diese waren paarweise in den Boden gepflanzt und kreuzten sich in der Spitze, so daß sie eine Art von Bogengang bildeten, bedeckt mit einer Draperie von seegrüner Seide, was einen prächtigen Kontrast zu dem Purpur und Gold bildete.

Das Innere des Zeltes stand, nach der Meinung aller, die es besichtigten, seinem Aeußern an Pracht nicht nach. Orientalische Teppiche und Tapeten, von Gent und Brügge, schmückten Estrich und Wände, während der obere Teil des Pavillons von himmelblauer Seide das Firmament darstellte und reich mit Sonne, Mond und Sternen aus gediegenem Silber verziert war. Dieser berühmte Pavillon war für den weitgepriesenen Wilhelm von Ypern gebaut worden, der sich große Reichtümer als Söldner-Hauptmann des Königs Stephan erwarb und von ihm zum Grafen von Albemarle erhoben wurde. Aber nach einem jener furchtbaren Gefechte, deren so viele in dem Bürgerkriege zwischen Stephan von Blois und der Kaiserin Maude oder Mathilde vorfielen, hatte das Kriegsglück ihn in die Hände de Lacys gebracht. Nie erfuhr man, daß der Connetable davon Gebrauch gemacht hatte, denn Hugo de Lacy, obgleich reich und mächtig, trat bei den meisten Gelegenheiten sehr einfach und ohne Prunk auf, daher denen, die ihn kannten, sein gegenwärtiges Benehmen um so auffallender erscheinen mußte. – Um die Mittagszeit kam er auf einem edlen Roß vor das Tor der Burg, begleitet von einer kleinen Anzahl Diener, Pagen und Stallmeister in ihren reichsten Livreen; er hielt vor dem Pavillon und gab nun seinem Neffen den Auftrag, der Lady von Garde Douloureuse zu berichten, daß der demütigste ihrer Diener vor dem Tore auf die Ehre ihrer Gegenwart harrte.

Bei manchen Zuschauern herrschte die Meinung, ein Teil der Pracht und des Glanzes, die den Pavillon und das Gefolge zierten, hätte sich besser auf die Person des Connetables selbst verwenden lassen, da seine Kleidung schlicht, wenn nicht gar schlecht, und seine Figur an sich durchaus nicht so stattlich war, daß sie es entbehren konnte, durch Kleidung und Schmuck gehoben zu werden. Diese Meinung nahm noch mehr zu, als er vom Pferde stieg, da bis dahin seine meisterhafte Behandlung des edlen Rosses seiner Person und Gestalt eine Würde gab, die er gleich verlor, sowie er aus dem Sattel stieg. Kaum erreichte der berühmte Connetable die mittlere Größe, und seinen Gliedern, so stark gebaut und gedrungen sie waren, fehlte es an Anmut und Leichtigkeit der Bewegung. Seine Beine waren ein wenig auswärts gekrümmt, was ihm als Reiter wohl einen Vorteil gewährte, zu Fuß aber nichts weniger als gut stand. Er hinkte, wiewohl nur schwach, als Folge eines schlecht ausgeheilten Beinbruchs beim Sturz eines Pferdes, und auch das war seiner äußern Erscheinung nicht von Vorteil. Wenn auch seine breiten Schultern, seine nervigen Arme und seine ausgedehnte Brust sattsam für die Stärke, die er oft bewiesen, Zeugnis ablegten, so hatte doch auch die Stärke etwas Plumpes und Ungefälliges. Sprache und Gebärde verkündeten einen Mann, der selten gewohnt war, sich mit seinesgleichen, noch seltner mit höher gestellten Personen zu unterhalten; er war kurz, schroff, hart. Nach dem Urteile der Leute, die sich in des Connetable beständigem Umgang befanden, paarten sich in seinem feurigen Auge und auf seiner breiten Stirn Würde und Milde: aber wer ihn zum erstenmale sah, urteilte weniger günstig und wollte eher einen grimmen, leidenschaftlichen Ausdruck dort entdecken, wiewohl sich nicht in Abrede stellen ließ, daß sein Gesicht im großen und ganzen einen kühnen, kriegerischen Zug verriet. Er war wirklich nicht älter als fünfundvierzig Jahre; aber Mühseligkeiten im Kriege und Wind und Wetter schienen noch zehn Jahre zugelegt zu haben. Bei weitem am einfachsten gekleidet im ganzen Zuge, trug er nun einen kurzen, normännischen Mantel über seinem engen Kleide von Gemsleder, das, wenn es auch die Rüstung fast überall bedeckte, doch mancherlei schadhafte Stellen aufwies. Ein brauner Hut, auf dem er ein Rosmarinreis als Abzeichen seines Gelübdes trug, war seine Kopfbedeckung. Sein gutes Schwert und ein Dolch hingen an seinem Gürtel aus Seekalbsfell.

An der Spitze eines glänzenden Gefolges, das auf seinen leisesten Wink lauschte, erwartete der Connetable von Chester die Ankunft der Lady Eveline von Berenger am Tore von Garde Douloureuse.

Trompeten von innen her kündigten ihr Nahen – die Brücke fiel – und geführt von Damian de Lacy in seiner glänzendsten Tracht, gefolgt von einem Zuge ihrer Frauen, ihren Vasallen und ihrem Hausgesinde, trat sie in all ihrer Liebenswürdigkeit aus dem massiven, antiken Portal ihrer väterlichen Behausung. Ohne allen Schmuck, in tiefe Trauer gekleidet, bildete sie einen strengen Gegensatz zu ihrem Führer, dessen kostbare Kleidung von Juwelen und Stickereien strahlte, dahingegen ihr Alter und ihre Schönheit in anderer Rücksicht eines zum lieblichsten Ebenbilde des andern machte. Dieser Umstand mochte es sein, der das frohe Beifalls-Gemurmel bei ihrer Erscheinung weckte, während die Rücksicht auf ihre tiefe Trauer laute Rufe hintanhielt.

In dem Augenblick, als Evelinens schöner Fuß den ersten Schritt aus den Palisaden, die die äußere Barriere des Schlosses bildeten, getan hatte, trat der Connetable de Lacy ihr entgegen, und sein rechtes Knie zur Erde beugend, erbat er sich Verzeihung für die Unhöflichkeit, die sein Gelübde ihm abgedrungen hätte, indem er es zugleich aussprach, wie tief er die Ehre fühle, deren sie ihn jetzt würdige.

Seine Stellung, wie die Rede, obwohl beide im Geiste der romantischen Galanterie jener Zeit, setzten Eveline in Verlegenheit, um so mehr, als diese Huldigung ihr in solcher Oeffentlichkeit widerfuhr. Sie bat den Connetable, aufzustehen und ihre Verwirrung nicht zu vermehren, da sie sich schon mehr als verlegen fühle, wie sie die schwere Schuld der Dankbarkeit abtragen solle, in der sie ihm gegenüber stehe. Der Connetable stand auf, nachdem er die ihm dargereichte Hand geküßt hatte, und ersuchte sie, in die ärmliche Hütte zu treten, die er zu ihrem Obdach bereitet habe, und ihm geneigtes Gehör zu gönnen. Ohne weitere Antwort, als eine Verbeugung, überließ ihm Eveline ihre Hand, und ihrem übrigen Gefolge gebietend, zurückzubleiben, winkte sie nur Rose Flammock, sie zu begleiten.

»Lady,« sagte der Connetable, »die Dinge, über die ich gezwungen bin, so eilig mit Euch zu sprechen, sind geheimster Natur.«

»Dieses Mädchen,« erwiderte Eveline, »ist meine Zofe und die Vertraute meiner verborgensten Gedanken. Ich ersuche Euch, ihre Gegenwart bei unserer Unterredung zu gestatten.«

»Anders wäre es besser,« entgegnete Hugo de Lacy mit einiger Verlegenheit, »doch Eurem Willen bin ich gehorsam.«

Er führte Eveline in das Gezelt und ersuchte sie, sich auf einen Polstersitz niederzulassen, der mit schwerer venetianischer Seide bedeckt war. Rose stellte sich hinter ihrer Gebieterin auf; alle Bewegungen des vollendeten Kriegs- und Staatsmannes, dessen Ruhm durch alle Lande ging, überwachend und sich seiner Verlegenheit freuend als eines Triumphs ihres Geschlechts, zumal sie eben nicht der Meinung war, daß sein gemsledernes Wams und seine viereckige Gestalt den Glanz des Auftritts erhöhen oder auch nur zu der fast engelhaften Schönheit Evelinens, seiner Partnerin, passen möchte.

»Lady,« sagte der Connetable nach einigem Zaudern, »ich möchte gern das, was ich noch zu sagen habe, in solche Form kleiden, wie sie die Frauen am liebsten haben und wie sie Eurer ausgezeichneten Schönheit noch besonders würdig ist; aber ich habe zu lange Zeit im Felde und im Staatsrate verlebt, um meine Meinung anders als einfach und geradezu auszudrücken.«

»Ich werde Euch um so leichter verstehen,« sagte Eveline zitternd, obwohl sie kaum wußte, weshalb.

»Mein Vortrag also wird schlichter Natur sein. Es ist etwas vorgefallen zwischen Eurem verehrten Vater und mir, das auf eine Vereinigung unserer Häuser abzielt.« Er hielt inne, als wünschte oder erwartete er, daß Eveline etwas sage; aber da sie schwieg, fuhr er fort: »Ich wünschte bei Gott, der Himmel hätte gewollt, daß Euer Vater, wie er diese Verhandlung begonnen, sie auch mit seiner gewohnten Klugheit hätte durchführen und vollenden können! Doch was ist dabei zu tun? Er ist den Weg gegangen, den wir alle einmal gehen müssen.«

»Eure Herrlichkeit hat den Tod Eures edlen Freundes edel gerächt.«

»Lady, ich habe nur meine Pflicht getan als Ritter, eine bedrängte Jungfrau zu verteidigen – als Lord der Marken, die Grenzen zu decken – als Freund, den Freund zu rächen. Doch zur Sache! – Unser altes edles Haus neigt sich zu Ende. Von meinem entfernten Verwandten Randal Lavy will ich nichts sprechen, in ihm ist nichts Gutes oder was Hoffnung erregen kann, auch sind wir schon viele Jahre nicht zusammengekommen. Mein Neffe Damian gibt die schönsten Hoffnungen, ein würdiger Zweig unsers alten Stammes zu sein – aber er ist kaum zwanzig Jahre alt und hat noch eine lange Laufbahn voll Abenteuer und Gefahren zurückzulegen, bevor er mit Ehren die Pflichten des Haus- und Ehestandes übernehmen kann. Auch ist seine Mutter eine geborene Engländerin, ein kleiner Riß vielleicht in seinem Wappenschilds doch wären nur noch zehn Jahre mehr unter den Ehren eines Ritters ihm verlaufen, so würde ich Namian de Lacy zu dem hohen Glücke vorgeschlagen haben, nach welchem ich jetzt strebe.«

»Ihr, Mylord, Ihr! Es ist unmöglich!« rief Eveline, bemühte sich aber zugleich, diesem Ausbruch ihrer Ueberraschung, den sie nicht unterdrücken konnte, alles, was sich wie Kränkung anhören könnte, zu nehmen.

»Ich wundere mich nicht,« sagte der Connetable gelassen, denn da das Eis nun einmal gebrochen war, kehrte er zu der natürlichen Festigkeit seines Charakters zurück, »daß Ihr über diesen gewagten Vorschlag Erstaunen äußert. Ich besitze vielleicht nicht die Gestalt, die der Frauen Auge gefällt, und habe, falls ich sie je kannte, jene Worte und Redensarten vergessen, die der Frauen Ohr gefallen; aber, edle Eveline, die Gemahlin Hugos de Lacy wird eine der Ersten unter den Frauen Britanniens sein.«

»Um so mehr wird es sich für diejenige, der eine so hohe Würde angeboten wird, schicken,« sagte Eveline, »es wohl zu überlegen, wie weit sie fähig ist, den Pflichten solch hohen Standes nachzukommen.«

»O, davor bangt mir nicht,« sagte de Lach, »ein Mädchen, das eine so treffliche Tochter war, kann sich in keiner andern Lebenslage anders bewähren.«

»Ich hege nicht das Vertrauen zu mir, Mylord,« entgegnete das Mädchen verlegen, »das Ihr so gütig in mir voraussetzt, drum muß ich mir – verzeiht mir – noch Zeit erbitten für andere Rücksichten als solche, die mich selbst betreffen.«

»Eurem Vater, edle Lady, lag solche Verbindung sehr am Herzen. Diese Schrift, von ihm selbst unterzeichnet, ist der Beweis dafür ...« Das Knie beugend, überreichte er ihr das Papier .. »Die Gemahlin de Lacys wird, wie es die Tochter von Raymond Berenger verdient, den Rang einer Prinzessin, seine Witwe das Leibgedinge einer Königin haben.«

»Spottet meiner nicht durch Eure Kniebeugung, Mylord, Während Ihr mir die väterlichen Beweise vorhaltet, die, verbunden mit andern Umständen –« sie hielt inne und seufzte tief – »meinem freien Willen vielleicht nur wenig Raum lassen.«

Kühn geworden durch diese Antwort, erhob sich de Lacy, der bisher in seiner Kniebeuge verharrt war, nahm seinen Sitz neben Eveline und fuhr fort, mit seiner Bitte in sie zu dringen – zwar nicht in der Sprache der Leidenschaft, sondern aus der eines offen sprechenden Mannes, der mit einem gewissen Eifer eine Sache durchsetzen will, von der sein Wohlergehen abhängt. Die Erscheinung des Wunderbildes, muß man sich denken, schwebte vor allem dem Geiste Evelinens vor, die, durch das feierliche Gelübde gebunden, das sie bei jener Gelegenheit getan, sich zu ausweichenden Antworten gezwungen sah, während sie, wenn ihre Wünsche allein in Betracht gekommen wären, lieber ein ehrliches Nein gesagt hätte.

»Ihr könnt,« sagte sie, »von mir nicht erwarten, Mylord, daß ich, kaum erst Waise, über eine Sache von so hoher Wichtigkeit so eilig einen Entschluß fassen soll. Euer edles Herz gebe mir Zeit, mich mit mir selbst zu beraten und meine Freunde zur Beratung zu ziehen.«

»Ach! schöne Eveline,« sagte der Baron, »zürnet über mein heftiges Drängen nicht! Ich kann es nicht lange aufschieben, zu einer fernen und gefahrvollen Unternehmung aufzubrechen; die kurze Zeit, die mir für meine Bewerbung um Eure Gunst übrig bleibt, muß eine Entschuldigung für meine Zudringlichkeit sein.«

»Und, edler Lacy, unter solchen Umständen wolltet Ihr Euch durch Familienbande fesseln?«

»Ich bin Gottes Kriegsmann,« sagte der Connetable, »und er, für dessen Sache ich in Palästina kämpfe, wird mein Weib in England beschützen.«

»Vernehmt denn meine gegenwärtige Antwort, Mylord,« sagte Eveline, von ihrem Sitz aufstehend, »morgen begebe ich mich in das Benediktinerinnenkloster zu Gloucester, wo meines verehrten Vaters Schwester als Aebtissin lebt. Ihrer Führung will ich mich in dieser Angelegenheit überlassen.«

»Ein schöner Entschluß, der Jungfrau geziemend,« antwortete de Lacy, seinerseits dem Anschein nach nicht unzufrieden damit, daß die Unterredung abgebrochen wurde, »und, wie ich glaube, keineswegs ungünstig den Wünschen Eures demütig bittenden Freiers, denn die edle Frau Aebtissin ist schon seit langer Zeit meine verehrte Freundin.« – Dann wandte er sich zu Rose, die im Begriff stand, ihrer Lady zu folgen ... »Mein hübsches Mädchen,« sprach er, ihr eine goldene Kette reichend, »gönne diesem Schmuck einen Platz an Deinem Halse, und mir vergönne Deinen guten Willen.«

»Mein guter Wille ist nicht verkäuflich, Mylord,« sagte Rose, das dargebotene Geschenk zurückweisend.

»Schöne Worte sind leicht erkauft,« sagte Rose, nach wie vor die Kette zurückweisend, »aber selten des Kaufgeldes wert.«

»Verachtet Ihr mein Geschenk, Jungfer?« sagte de Lach, »es hat den Nacken eines normannischen Grafen geschmückt.«

»So schenkt es lieber einer normannischen Gräfin, Mylord,« sagte das Mädchen, »ich bin ja bloß Rose Flammock, eines Webers schlichte Tochter. Ich halte es mit meinen guten Worten so, daß sie mit meinem guten Willen Hand in Hand gehen, und eine messingne Kette wird mir nicht minder gut stehen als eine aus geschlagenem Golde.«

»Still, Rose,« sagte ihre Gebieterin. »Du bist zu vorwitzig, solche Worte dem Lord Connetable zu bieten! Und Ihr, Mylord,« fuhr sie fort, »gestattet mir, mich zu entfernen, da Ihr jetzt meine Antwort auf Euren Antrag vernommen. Es tut mir leid, daß es sich um keine minder zarte Angelegenheit dabei handelt, denn ich hätte mich Euch gern dankbarer bewiesen.«

Der Connetable führte die Lady mit der gleichen Feierlichkeit zurück, wie sie empfangen worden war, und sie betrat wieder ihre Burg, trüben und sorgenvollen Gemüts über die Folgen, die diese wichtige Unterredung für sie zeitigen könnte. Tief hüllte sie sich in ihren langen Trauerschleier, um die Veränderung in ihrem Gesicht nicht sehen zu lassen, vermied es sogar, sich gegen Pater Aldrovand auszusprechen, und zog sich alsbald in die Einsamkeit ihres Gemaches zurück.


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