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Drittes Kapitel.

Als Raymond die Sendung an den Fürsten von Powys abgefertigt hatte, war er, wenn auch nicht ohne Furcht, doch nicht ohne Ahnung ihres Erfolgs. Er sandte Boten zu den verschiedenen Vasallen aus, welche ihre Lehne unter der Bedingung des Hornblasens (cornage) besaßen, mit der Verwarnung, wachsam zu sein, damit er auf der Stelle Nachricht von der Annäherung des Feindes bekäme. Diese Vasallen bewohnten nämlich die zahlreichen Türme, welche, wie eben so viele Falkennester, die Grenzen zu decken an den schicklichsten Punkten erbaut waren, und waren verpflichtet, bei den Einfällen der Wälschen, ein Signal durch Blasen ihrer Hörner zu geben. Diese Töne von Turm zu Turm, von Posten zu Posten beantwortet, gaben das Zeichen zur allgemeinen Verteidigung. Aber obwohl Raymond diese Vorsichtsmaßregeln, wegen des schwankenden und ungewissen Charakters seiner Nachbarn, auch als Pflicht des Feldherrn für notwendig hielt, so war er doch weit entfernt, die Gefahr für so nahe drohend zu halten. Denn obwohl die Vorbereitungen der Walliser zum Kriege ausgedehnter als je waren, so wurden sie doch ebenso versteckt betrieben, als der Entschluß dazu rasch gefaßt worden war.

Schon am zweiten Morgen nach dem merkwürdigen Feste zu Castell Coch brach das Ungewitter an der normannischen Grenze aus. Ein einziger, langer, schneidender Hörnerstoß gab die erste Kunde der Annäherung des Feindes; sogleich hallten die Alarmsignale wider von jeder Burg, jedem Turm an den Grenzen von Shropshire, wo jede Wohnung damals eine Festung war. Feuerbecken brannten auf allen Felsen und Hügeln, Glockengeläute ertönte in allen Kirchen und Städten, und sehr eifrige Aufforderungen zu den Waffen verkündeten eine Größe der Gefahr, welche die Bewohner dieser oft beunruhigten Gegend noch nie gekannt hatten.

Während dieses allgemeinen Tumults beschäftigte Raymond Berenger sich selbst damit, seine wenigen, doch tapferen Krieger und Anhänger zu ordnen und alle Ritter, die in seinen Diensten standen, aufzubieten, um Nachrichten von der Bewegung und Stärke des Feindes einzuziehen; endlich bestieg er den Wachtturm des Kastells, die Gegend umher zu beobachten, die schon an mehreren Stellen von Rauchwolken verdunkelt ward, welche das Vorschreiten und die Verheerung der Feinde bezeichneten. Bald sah er auch seinen Lieblingsknappen sich zur Seite, bei welchem der ungewohnte Trübsinn in seines Gebieters Blicken Erstaunen erregte, da sein Auge sonst nur fröhlich in der Stunde der Schlacht zu sein pflegte. Der Squire hielt in seiner Hand des Gebieters Helm, denn, das Haupt ausgenommen, war Sir Raymond schon völlig bewaffnet.

»Dennis Morolt,« sagte der alte Krieger, »sind unsere Vasallen und Lehensmänner schon alle gemustert?«

»Alle, edler Herr! Die Flamländer ausgenommen; diese sind noch nicht angelangt.«

»Die trägen Hunde! was säumen sie?« sagte Raymond, »es ist eine ganz falsche Verwaltung, diese schwerfälligen Naturen in unsre Grenzen zu verpflanzen. Schon damals hatten die Auswanderungen der Niederländer aus ihrem bevölkerten Vaterlande begonnen, und sie wurden selbst dazu eingeladen, weil sie allenthalben als fleißige und gewerbetreibende Menschen, besonders in Webereien gerne gesehen wurden. So hatte sich sogar in diese entfernte Gegenden von Wallis eine Kolonie verpflanzt. Sie sind, wie ihre Stiere, geeigneter den Pflug zu ziehen, als Dinge zu tun, wozu Feuer gehört.«

»Mit Eurer Erlaubnis,« entgegnete Dennis, »die Burschen können dessenungeachtet gute Dienste leisten. Da ist Wilkin Flammock von der Au da; der kann Streiche führen wie die Hämmer seiner Walkmühle.«

»Er wird sich wohl schlagen, glaube ich, wenn er es nicht vermeiden kann,« sagte Raymond, »aber er hat keinen Geschmack für dergleichen, und ist so faul und hartnäckig wie ein Maulesel.«

»Eben deswegen sind seine Landsleute recht gemacht gegen die Walliser,« erwiderte Dennis Morolt, »weil ihr fester, unbeugsamer Charakter eine recht passende Wehr gegen die wilden und tollköpfigen Anstalten unserer gefährlichen Nachbarn sind, gerade wie die rastlosen Wogen an dem unerschütterlichen Felsen den besten Widerstand finden. – Horcht, Sir! Ich höre Wilkin Flammocks Fuß auf der Turmtreppe, er steigt so bedächtig, als der Mönch zur Frühmesse schreitet.«

Schritt für Schritt nahte sich der schwerfällige Ton, bis endlich die Gestalt des gewaltigen wohlbeleibten Flamländers durch die Turmtür auf die Terrasse vordrang, wo diese Unterredung stattfand. Wilkin Flammock war bewaffnet und in glänzender Rüstung; diese war mit der außerordentlichen Sorgfalt gescheuert, welche die Sauberkeit seiner Nation mit sich brachte, und ungewöhnlich schwer und dick; aber der Sitte der Normänner entgegen, ganz einfach, ohne Gravierung, Vergoldung oder irgend eine andere Verzierung. Die Haube oder Stahlkappe hatte kein Visier und ließ, offen hingestellt, ein breites Angesicht sehen, mit groben unbeweglichen Zügen, die ganz den Charakter seines Temperaments und seines Verstandes aussprachen. Er führte eine schwere Keule in der Hand.

»So, Herr Flamländer,« sagte der Kastellan, »Ihr scheint, wie mich dünkt, nicht in Eile, Euch auf dem Sammelplatze einzufinden.«

»Wenn Ihr erlaubt,« sagte der Flamländer, »wir waren gezwungen, uns aufzuhalten, um unsre Wagen mit unsern Tuchballen und anderm Besitztum zu beladen.«

»Ha, Wagen! – Wie viele Wagen habt Ihr denn mitgebracht?«

»Sechs, edler Herr!« erwiderte Wilkin.

»Und wieviel Mann?« fragte Raymond Berenger.

»Zwölf, wackrer Herr!« antwortete Flammock.

»Nur zwei Mann bei jedem Bagagewagen? Mich wundert, daß Ihr Euch mit so vielem Gepäck beschwert,« sagte Berenger.

»Wiederum mit Eurer Erlaubnis, Sir,« erwiderte Wilkin, »nur der Wert, den ich und meine Kameraden auf unsere Güter legen! er ist es ja, der mich geneigt macht, sie mit Leib und Seele zu verteidigen. Wären wir gezwungen worden, unser Zeug den plündernden Klauen jener Vagabunden zurückzulassen, so hätte ich ja gar schlechte Politik darin gesehen, hier stille zu halten, und ihnen Gelegenheit zu geben, Mord dem Raube hinzuzufügen. Glocester wäre dann mein erster Haltpunkt gewesen.«

Der normännische Ritter starrte den flamländischen Handwerker, denn das war Wilkin Flammock, mit einer Mischung von Verwunderung und Verachtung an, so daß der Unwille nicht Platz fand. »Ich habe vieles gehört,« sagte er, »aber dieses ist das erstemal, daß ich einen Mann mit dem Barte sich selbst für eine Memme bekennen höre.«

»Auch hört Ihr das jetzt nicht,« antwortete der Flamländer mit der größten Gelassenheit. »Ich bin immer bereit, mich zu schlagen für Leben und Eigentum; und, daß ich in diese Gegend gezogen bin, wo beides in beständiger Gefahr ist, zeigt, daß ich nicht große Sorge trage, wie oft ich es tue. Aber ein gesundes Fell ist doch immer besser als ein zerfetztes, bei alledem!« »Gut,« sagte Raymond Berenger, »schlage Dich nach Deiner Weise, wenn Du nur recht kräftig mit Deinem langen Leibe da Dich schlagen willst. Sehr leicht wird's not sein, alles zu tun, was wir tun können. – Saht Ihr denn schon etwas von diesen Walliser Schuften? – Haben sie Gwenwyns Banner unter sich?«

»Ich sah es mit seinem Weißen Drachen flattern. Ich mußte es ja wohl erkennen' es ward ja in meinem eigenen Webstuhle gestickt.«

Raymond vernahm diese Kunde mit so ernstem Angesicht, daß Dennis Morolt, der nicht wollte, daß der Flamländer es bemerken sollte, es für nötig erachtete, seine Aufmerksamkeit abzulenken. »Ich kann Dir sagen,« sprach er zu Flammock, »wenn der Connetable von Chester mit seinen Lanzen zu uns stößt, sollt Ihr Eurer Hände Arbeit schneller nach Hause fliegen sehen, als das Weberschifflein flog, das den Drachen webte.«

»Er muß fliehen, ehe der Connetable erscheint, Dennis Morolt,« sagte Berenger, »oder er fliegt triumphierend über unsere Leichen.«

»Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau,« sagte Dennis, »was meint Ihr dabei, Herr Ritter? Nur ja nicht, daß wir uns mit den Wälschen eher in Gefechte einlassen, bis der Connetable sich mit uns vereinigt,« – Er hielt ein. – Dann den festen, aber melancholischen Blick wohl verstehend, mit welchem allein sein Gebieter die Frage beantwortete, fuhr er mit noch eindringlicherem Ernst fort: »Ihr könnt das nicht meinen, Ihr könnt nicht den Vorsatz haben, dieses Schloß zu verlassen, welches wir so oft gegen sie zu halten wußten, und im offenen Felde zu kämpfen mit zweihundert Mann gegen tausend. Bedenkt es besser, mein geliebter Herr, und laßt nicht die Raschheit des alten Kriegers den Ruf der Klugheit und Kriegskunst entkräften, den Euer früheres Leben so herrlich errang.«

»Ich zürne Dir nicht, Dennis, daß Du meinen Vorsatz tadelst,« entgegnete der Normann, »denn ich weiß, Du tust es aus Liebe für mich und die meinigen. Aber, Dennis Morolt, es muß also sein, – wir müssen uns innerhalb drei Stunden mit den Wälschen schlagen, oder der Name Raymond Berenger muß aus der Ahnentafel seines Hauses gelöscht werden.«

»Nun, so wollen wir – wir wollen den Kampf mit ihnen eingehen,« sagte der Knappe; »fürchte keinen kalten Rat von Dennis Morolt, wo Kampf das Wort ist. Aber wir wollen hier unter den Wällen des Schlosses mit ihnen fechten, wo der ehrliche Wilkin Flammock mit seinen Bogenschützen vom Wall her unsere Flanke decken und so ein Gleichgewicht gegen die große Ueberzahl sein kann.«

»Nicht also,« antwortete sein Gebieter, »im offenen Felde müssen wir sie bekämpfen, oder Dein Herr wird zum meineidigen Ritter. Wisse, als ich jenen arglistigen Wilden um Weihnachten in meinen Hallen bewirtete, und der Wein um uns her floß, warf Gwenwyn einige Lobsprüche hin über die Festigkeit und Stärke meiner Burg, aber auf eine Weise, welche zu verstehen gab, diese Vorteile allein hätten mich in früheren Kriegen der Niederlage und der Gefangenschaft entzogen. Ich antwortete, obwohl es besser gewesen wäre, zu schweigen, denn wozu diente mein törichtes Prahlen als zu einer Fessel, die mich zu einer Tat zwingt, die an Tollheit grenzt? Sollte ich, sagte ich, ein Fürst der Kymrer, wieder feindlich vor Garde Douloureuse erscheinen, so laß ihn seine Standarte in der Ebene bei der Brücke hinpflanzen, und auf mein gutes Ritterwort und so wahr ich ein Christ bin, wird Raymond Berenger sich ihm ebenso gern stellen, mögen ihrer viel oder wenig sein, oder alle Walliser zusammen!«

Mit sprachlosem Schrecken vernahm Dennis ein so rasches, verhängnisvolles Wort, aber er besah nicht die Wortkunst, welche seinen Gebieter von den Fesseln entbinden konnte, die ihm sein unvorsichtiges Selbstvertrauen angelegt hatte. Anders verhielt es sich mit Wilkin Flammock. Er staunte – er lachte beinahe, ungeachtet der schuldigen Achtung gegen den Kastellan und seiner eigenen Unempfindlichkeit für das Lächerliche. »Und das ist alles?« sagte er, »wenn Euer Gnaden sich durch irgend etwas verpflichtet hätten, einem Juden oder einem Lombarden Die Lombardei war damals voll Handel und Gewerbe und in reger Verbindung mit Juden; daher dem ironischen Niederländer Jude und Lombarden fast synonym erscheinen. – Auch wanderten sie, selbst in England, wie Hausierer herum. hundert Floren zu zahlen, so müßt Ihr den Zahlungstag halten, oder Ihr habt Euer Pfand verloren; aber wahrlich, ein Tag ist so gut wie der andere, einen versprochenen Kampf auszufechten, und der Tag paßt wohl am besten, wenn der Versprecher der Stärkere ist. Und nach allem, was bedeutet ein Versprechen bei der Weinflasche?«

»Es bedeutet ebensoviel als jedes andere Versprechen, wo es gegeben sei. Der Versprecher,« sagte Berenger, »entgeht der Sünde des Wortbruches nicht, weil er ein trunkner Prahler war.«

»Was die Sünde anbetrifft,« sagte Dennis, »da bin ich wohl sicher, daß, ehe Ihr eine solche unheilbringende Tat vollführt, Euch der Abt von Glastonburg für einen Gulden die Absolution erteilt,«

»Aber was mag die Schande auslöschen?« sagte Berenger, »wie soll ich es wagen, mich wieder in der Mitte der Ritter zu zeigen, wenn ich das zum Kampf verpfändete Wort aus Furcht vor einem Walliser und seinen nackten Wilden gebrochen hätte? Nein, Dennis Morolt, sprich davon nicht mehr! Sei es zum Wohl oder Wehe, wir fechten mit ihnen heute, und zwar dort auf jenem offenen Felde,«

»Es kann doch sein,« sagte Flammock, »daß Gwenwyn jenes Versprechen vergessen hat, und folglich ist es verfehlt, auf der verabredeten Stelle zu erscheinen, denn, wie wir gehört haben, hatten Eure französischen Weine auch sein wälsches Gehirn recht tüchtig übergossen.«

»Er spielte des Morgens darauf wieder an,« sagte der Kastellan, »glaube mir, er wird das nicht vergessen, was ihn in den glücklichen Fall bringt, mich auf immer aus seinem Wege zu räumen,«

Indem er so sprach, bemerkten sie, daß große Staubwolken, welche man bis dahin an verschiedenen Stellen der Landstraße erblickt hatte, sich gegen das jenseitige Ufer des Flusses hinzogen, über welchen eine alte Brücke zu dem verabredeten Kampfplatze führte. Leicht errieten sie die Ursache; es war klar, daß Gwenwyn die einzelnen Abteilungen, welche verschiedene Orte schon verheerten, zusammenzog und mit seiner ganzen Macht gegen die Brücke und die Ebene jenseits der Brücke vorrückte.

»Laßt uns eilig hinunter und den Paß besetzen,« rief Dennis, »wir sind ihnen einigermaßen gleich durch den Vorteil, daß wir die Brücke verteidigen. Euer Wort bindet Euch an die Ebene als Schlachtfeld, aber es kann Euch nicht verpflichten, Euch solche Vorteile entgehen zu lassen, als ihr Uebergang über die Brücke Euch gewährte. Unsere Leute, unsere Pferde stehen bereit, – Lasset unsere Bogenschützen die Ufer besetzen, – und mein Leben für den glücklichen Ausgang!«

»Als ich versprach, mich mit ihnen in jenem Felde zu stellen, so meinte ich,« erwiderte Raymond Berenger, »den Wälschen jenen Vorteil des gleichen Platzes zu gewähren. So meinte ich es. So verstand er es. Und was hilft es, wenn ich mein Wort dem Buchstaben nach halte, und breche es dem Sinne nach? Wir ziehen nicht, bis der letzte Walliser die Brücke überschritten hat, und dann –«

»Und dann,« sagte Dennis, »ziehen wir in unsern Tod! – Möge uns Gott unsre Sünden vergeben! – aber« –

»Aber? Was?« sagte Berenger, »da liegt Dir noch etwas auf der Seele, was einen Ausgang haben will.«

»Meine junge Herrin, Eure Tochter, Lady Eveline,«

»Ich habe ihr gesagt, was vor ist. Sie soll im Schlosse bleiben, in welchem ich einige auserlesene Veteranen zurücklasse, und Euch, Dennis, als ihren Befehlshaber. In vierundzwanzig Stunden muß die Belagerung aufgehoben sein, und länger haben wir die Burg mit geringerer Besatzung verteidigt. Dann soll sie zu ihrer Tante, der Aebtissin der Benediktinerinnen. Du, Dennis, sollst dafür sorgen, daß sie mit allen Ehren und in Sicherheit dorthin kommt, und meine Schwester wird für ihre Zukunft sorgen, wie es ihre Klugheit am geratensten halten wird.«

»Ich Euch in dieser Klemme verlassen?« sagte Dennis Morolt, »ich sollte mich in Mauern einsperren, wenn mein Herr in den letzten Kampf reitet? – Ich der Diener einer Dame werden, selbst wenn es Lady Eveline ist, indes er tot unter seinem Schilde liegt! Raymond Berenger, dazu habe ich Dir so oft Deinen Harnisch zugeschnallt?«

Die Tränen stürzten aus des alten Kriegers Augen so heftig, wie sie das Mädchen vergießt, das um den Geliebten weint. Raymond nahm ihn freundlich bei der Hand und fügte mit besänftigendem Tone: »Glaube nicht, mein guter alter Diener, daß ich Dich von meiner Seite entfernen würde, wenn es Ehre zu gewinnen gäbe. Dies aber ist ein wildes, unbesonnenes Tun, zu welchem mein Geschick oder meine Torheit sich verpflichtet halten. Ich sterbe, meinen Namen vor Entehrung zu schützen, aber der Vorwurf der Unbesonnenheit wird mein Andenken begleiten.«

»Laßt mich Eure Unbesonnenheit mit Euch teilen, teuerster Herr,« sagte Dennis Morolt eindringlich, »dem armen Knappen liegt nichts daran, für klüger gehalten zu werden als sein Gebieter. In so manchem Kampfe erhielt dadurch meine Tapferkeit einen kleinen Ruf, weil sie teilnahm an den Taten, die Euren Ruhm begründeten. Versagt mir nicht das Recht, auch den Tadel zu teilen, der Euer Wagestück treffen mag. Laßt nicht sagen, so unbesonnen war sein Unternehmen, daß selbst seinem alten Waffenträger nicht erlaubt ward, daran teilzunehmen. Ich bin ein Teil von Euch selbst – es ist ein Mord für jeden andern, den Ihr mit Euch nehmet, wenn Ihr mich zurücklaßt.«

»Dennis,« sagte Berenger, »Du läßt mich nur um desto bitterer die Torheit fühlen, in die ich mich eingelassen habe. Ich möchte Euch Euer Gesuch gewahren, so traurig es ist – aber meine Tochter« –

»Herr Ritter,« sagte der Flamländer, der diesem Gespräche mit etwas geringerer Apathie als gewöhnlich zugehört hatte, »es ist nicht mein Vorsatz, heute dieses Schloß zu verlassen: nun, wenn Ihr auf meine Treue bauen wollt, zum Schutze für Mylady Eveline alles zu tun, was ein schlichter Mann vermag« –

»Wie, Bursche,« sagte Raymond, »Ihr habt nicht den Vorsatz, das Schloß zu verlassen? Wer gibt Euch das Recht, hier Euch etwas vorzunehmen, bis mein Wille bekannt ist?«

»Es sollte mir leid tun, Streit mit Euch zu haben, Herr Kastellan,« sagte der nicht aus der Fassung zu bringende Flamländer, – »aber ich habe hier in dieser Umgebung verschiedene Mühlen, Pächtereien, Bleichen und dergleichen, dafür muß ich meinen Mannsdienst leisten, durch die Verteidigung des Schlosses von Garde Douloureuse, und dazu bin ich bereit. Aber wenn Ihr mich auffordert, mich von hier zu entfernen, das Schloß verteidigungslos zu lassen und mein Leben in einer Schlacht zu wagen, die Ihr selbst verzweifelt nennt, so kann ich nicht umhin zu sagen, meine Pacht verpflichtet mich nicht. Euch zu gehorchen.«

»Elender Handwerker,« sagte Morolt, legte seine Hand an den Dolch und bedrohte den Flamländer.

Aber Raymond Berenger trat mit Hand und Mund dazwischen, – »Füge ihm kein Leid zu, Morolt, und tadle ihn nicht! Er fühlt, was Pflicht ist, nur nicht auf unsere Weise, und er und seine Leute werden am besten unter Mauern fechten. Sie sind, diese Flamländer, nach der Weise ihres Vaterlandes tüchtig in Angriffen und Verteidigungen ummauerter Städte und Festungen, und ganz besonders geschickt in Behandlung der Steinschleuder und der andern Kriegswerkzeuge. Außer seinen eigenen Begleitern gibt es noch mehrere seiner Landsleute in der Burg. Es ist mein Vorsatz, sie zurückzulassen, und ich denke, sie werden ihm lieber gehorchen als irgend einem andern außer Dir. Was denkst Du? Ich weiß, Du wirst nicht eines übelverstandenen Ehrpunktes wegen oder aus blinder Liebe zu mir, diesen wichtigen Platz und die Sicherheit Evelinens unsichern Händen anvertrauen.« »Wilkin Flammock ist zwar nur ein flämischer Bauer, edler Herr!« antwortete Dennis, überfreudig, als ob er den größten Vorteil errungen hätte, »aber ich muß es allerdings sagen, er ist zuverlässig und treu wie einer, dem Ihr trauen wollt. Ueberdies wird es ihm sein eigener gesunder Verstand sagen, daß mehr durch die Verteidigung eines solchen Schlosses zu gewinnen ist als durch dessen Uebergabe an Fremde, welche nicht leicht die Bedingungen erfüllen möchten, wie lockend sie sich auch anbieten würden,«

»So steht's denn fest,« sagte Raymond Berenger, »Du, Dennis, gehst also mit mir, und er soll zurückbleiben. – Wilkin Flammock,« sagte er, den Flamländer feierlich anredend: »Ich rede nicht zu Dir in der Sprache der Ritter, von welcher Du nichts weißt; aber so wahr Du ein ehrlicher Mann bist, und ein echter Christ, so fordere ich Dich auf, festzustehen in der Verteidigung dieses Schlosses. Laß durch kein Versprechen des Feindes Dich zu einem niedrigen Vergleich locken, durch keine Drohung zur Uebergabe, Entsatz muß sehr bald ankommen. Haltet Ihr Treue mir und meiner Tochter, so wird Euch Hugo de Lacy reichlich belohnen.«

»Herr Ritter!« sagte Flammock, »es ist mir doch lieb, daß Ihr so ganz Euer Vertrauen auf einen schlichten Handwerksmann setzet. Was die Walliser anbetrifft, – ich komme aus einem Lande, wo wir gezwungen sind, jedes Jahr gezwungen sind, mit dem Meere zu kämpfen, und die, welche mit den Wogen im Sturm zurechtkommen, brauchen nicht ein ungeschlachtet Volk in seiner Wut zu scheuen. Eure Tochter soll mir so teuer sein wie meine eigene; in diesem Glauben mögt Ihr nur dreist drauf losgehen, wenn Ihr doch nicht lieber als ein kluger Mann daheim bleiben, Tore zu, Fallgitter hinab, Eure Bogen- und meine Armbrust-Schützen den Wall lassen und den Schuften zeigen wollt, Ihr seiet nicht der Tor, für den sie Euch halten.«

»Guter Freund, das kann nicht sein,« fügte der Ritter. »Ich höre meiner Tochter Stimme,« setzte er eilig hinzu; »ich mag sie nicht noch einmal sehen, um noch einmal mich zu trennen. Der Obhut des Himmels empfehle ich Dich, ehrlicher Flamländer – folge mir, Dennis Morolt.«

Der alte Kastellan stieg die Treppe des südlichen Turmes eilig hinab, eben als seine Tochter Eveline die des östlichen Turmes bestieg, um sich noch einmal zu seinen Füßen zu werfen. Ihr folgte Pater Aldrovand, ihres Vaters Kaplan, ferner ein alter, fast invalider Jäger, dessen Dienste, einst tüchtig im Felde und auf der Jagd, seit einiger Zeit sich auf die Oberaufsicht über des Ritters Hundestall und besonders die Pflege seiner Lieblingshunde beschränkte; endlich Rose Flammock, Wilkins Tochter, ein blauäugiges flämisches Mädchen, rund, voll und scheu, wie ein Rebhuhn, der man seit einiger Zeit gestattet hatte, dem hochgeborenen normannischen Fräulein zur Gesellschaft zu dienen, und zwar in der schwankenden Stellung zwischen einer untergebenen Freundin und einer höheren Dienerin.

Eveline eilte auf die Zinnen, ihre Haare aufgelöst, ihre Augen schwimmend in Tränen, und fragte dringend den Flamländer, wo ihr Vater sei.

Flammock machte eine plumpe Verneigung und versuchte, eine Antwort zu geben; aber die Stimme schien ihm zu versagen. Ohne Umstände kehrte er Evelinen den Rücken zu, und ohne auf die ängstlichen Fragen des Jägers und des Kaplans zu achten, rief er seiner Tochter schnell in seiner Landessprache zu: »Toll Ding! Toll Ding! Gib acht auf das arme Mädchen Rosichen. – Der alte Herr ist verrückt.« Ohne weitere Worte stieg er die Treppe hinab und setzte ununterbrochen seinen Weg fort bis zum Speisegewölbe. Hier rief er gleich einem Löwen, nach dem Aufseher dieser Regionen unter den verschiedenen Namen Kammeder, Kallermaster usw., worauf der alte Reinold, ein betagter normannischer Knappe, nicht antwortete, bis der Niederländer sich endlich glücklich des englischen Titels Buttler erinnerte. Dieses, der ordnungsgemäße Titel seines Amtes, ward der Schlüssel zur Kellertüre, und der alte Mann erschien sogleich, in seinem grauen Leibrock und den hochaufgekrempelten Hosen, mit einem gewichtigen Schlüsselbunde an einer silbernen Kette, von dem breiten ledernen Gürtel hinabhängend, der er in Betracht dessen, was diese Zeit fordern könnte, zum Gegengewicht auf der linken Seite einen gewaltigen Pallasch gegeben hatte, wohl zu gewichtig, als daß sein greiser Arm ihn hätte schwingen können.

»Was begehrt Ihr, Herr Flammock?« sagte er, »oder was sind Eure Befehle, da es meinem gnädigen Herrn gefällt, daß sie auf eine Zeit für mich Gesetze sein sollen?«

»Nur einen Becher Wein, guter Kellermaster – Buttler, wollte ich sagen.«

»Ich freue mich, daß Ihr Euch des Namens meines Amtes erinnert,« sagte Reinold mit der kleinlichen Empfindlichkeit eines herabgesetzten Domestiken, welcher glaubt, daß wider alle Ordnung ein Fremder ihm vorgesetzt worden ist.

»Eine Flasche Rheinwein, wenn Ihr mich lieb habt,« antwortete der Flamländer, »denn das Herz ist mir so niedergeschlagen und matt, daß ich notwendig recht vom Besten trinken muß.«

»Und trinken sollt Ihr,« entgegnete Reinold, »wenn Trinken Euch vielleicht den Mut geben kann, der Euch vielleicht fehlt,« – Er stieg hinab zu den abgesonderten Gewölben, deren Wächter er war, und kehrte zurück mit einer silbernen Flasche, welche ungefähr ein Quart enthalten konnte, – »Hier ist ein solcher Wein,« sagte Reinold, »wie Du ihn selten gekostet haben wirst.« Damit wollte er ihn in einen Becher gießen.

»Nein, die Flasche! die Flasche, Freund Reinold! Ich muß einen tiefen, recht feierlichen Zug tun, wenn wichtige Sachen vor sind,« sagte Wilkin. Demzufolge ergriff er die Flasche, nahm erst einen vorläufigen Schluck, und hielt dann inne, als wollte er die Kraft und den Geruch des edlen Trankes erproben. Wahrscheinlich genügte ihm beides, denn er nickte beifällig dem Kellerer zu. Nun führte er noch einmal die Flasche zum Munde, langsam und nach und nach brachte er den Boden des Gefäßes parallel mit der Decke des Zimmers, ohne einen einzigen Tropfen seines Inhalts sich entwischen zu lassen.

»Das schmeckt, Herr Kellermaster,« sagte er, indem er inzwischen Luft schöpfte, nach einem so langen Anhalten des Atems, »aber vergebe es Euch der Himmel, daß Ihr wähnt, es sei das Beste, was ich je gekostet habe. Ihr kennt nicht die Keller von Gent Ypern.«

»Was kümmern die mich,« sagte Reinold, »die Leute von edlem normannischen Blute ziehen die Weine von Gascogne und Frankreich, so edel und leicht und herzstärkend, weit vor dem sauren Getränke vom Rhein und Neckar.«

»Das ist Geschmackssache,« sagte drauf der Flamländer, »aber hör an, gibt's noch viel von diesem Wein im Keller?«

»Mir kam es vor, er hätte Eurem leckern Gaumen nicht geschmeckt,« sagte Reinold.

»Nicht doch, nicht doch,« erwiderte Wilkin, »ich sagte, er schmeckt. – »Ich habe wohl einmal etwas Besseres getrunken, aber dieser ist recht gut, wo man Besseres nicht haben kann. – Noch einmal, wieviel hast Du davon?«

»Ein ganzes Faß,« erwiderte Reinold, »ich zapfte ein frisches für Euch.« »Gut,« sagte Flammock, »bringt ein Quartmaß herbei, christlich gemessen! windet das Faß hier in das Speisegewölbe hinauf, und laßt jedem Krieger in dem Schlosse hier einen Becher, wie ich ihn geleert, empfangen. Ich fühle, es hat mir recht gut getan. Das Herz sank mir, als ich den schwarzen Rauch vor meiner Walkmühle da aufsteigen sah. – Laßt jeden Mann da ein völlig Quart erhalten, Schlösser verteidigt man nicht bei dünnem Getränke.«

»Ich muß tun, was Ihr verlangt, guter Wilkin Flammock,« sagte der Kellerer, »aber bedenkt, daß nicht alle Leute gleich sind. Was Eure flamländischen Herzen nur erwärmt, setzte normannisches Gehirn in Feuer und Flammen, und was Euren Landsleuten nur den Mut gibt, den Wall zu verteidigen, würde die unsrigen über die Zinnen hinüberschleudern,«

»Gut, Ihr kennt die Beschaffenheit Eurer Landsleute am besten, gebt Ihnen nach Eurem Gutdünken Wein und Maß – nur laßt jeden Flamländer ein volles Quart Rheinwein erhalten. – Aber was wollt Ihr mit den englischen Knollen anfangen, von denen eine gute Menge uns zurückgelassen ist?«

Der alte Kellerer schwieg und rieb seine Stirne. »Das wird eine arge Menge Wein kosten,« sagte er, »und doch kann ich nicht leugnen, die Not rechfertigt den Aufwand. Aber was die Englischen anbetrifft, die sind, wie Ihr wißt, eine gemischte Art, sie haben viel von Eurer deutschen Schläfrigkeit, aber auch zugleich ein gutes Maß von dem heißen Blut jener wälschen Furien da. Leichte Weine setzen sie nicht in Bewegung, und starkes, schweres Getränke würde sie tot machen. Was meint Ihr zum Bier, ein kraftgebendes, stärkendes Getränke, welches das Herz erwärmt, ohne das Gehirn zu erhitzen?«

»Bier!« sagte der Flamländer, »Hm – Ha! Ist Euer Bier kräftig, Herr Kellner? – ist es Doppelbier?«

»Zweifelt Ihr an meine Kunst,« sagte Reinold, »März und Oktober sind meine Zeugen, so wie sie herankommen, seit dreißig Jahren, wie ich mit der besten Gerste in Shrosphire umzugehen weiß – urteilt selbst!«

Er füllte aus einem großen Oxhoft in der Nähe des Spießgewölbes die Flasche, welche der Flamländer eben geleert hatte, und kaum war sie voll, so hatte sie auch schon Wilkin bis auf den Boden geleert.

»Gute Ware, Herr Kellermeister,« sagte er, »starke aufregende Ware. Die englischen Kerle werden wie die Teufel danach fechten. – So laß ihnen bei ihrem Rindfleisch und schwarzem Brot reichlich Bier reichen. Und nun, nachdem ich für Euer Amt Euch die gehörigen Aufträge gegeben habe, lieber Reinold, ist es Zeit, daß ich auf mein eigenes Amt sehe.«

Wilkin Flammock verließ das Gewölbe, und Gesicht und Verstand gleich ungestört von den tiefen Zügen, in welchen er eben geschwelgt hatte, wie von den verschiedenen Gerüchten von dem, was außerhalb vorging, machte er die Runde in der Burg und den Außenwerken, musterte die kleine Besatzung, wies jedem seinen Posten an, doch überließ er seinen eigenen Landsleuten den Dienst mit der Armbrust und die Handhabung der Kriegsmaschinen, welche die stolzen Normänner erfunden hatten, und deren Art die unwissenden Engländer oder eigentlich Angelsachsen nicht begreifen konnten, während sie seine geschickteren Landsleute mit der größten Gewandtheit behandelten. Die Eifersucht, sowohl der Engländer als der Normannen, darüber, daß sie zu dieser Zeit einem Flamländer untergeordnet wären, verlor sich allmählich vor der kriegerischen und selbst mechanischen Geschicklichkeit, die er entfaltete, und selbst vor dem Gefühl der dringenden Not, die mit jedem Augenblick größer wurde.


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