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Neuntes Kapitel.

Die Ermüdung, welche Flammock und den Mönch erschöpft hatten, fand bei den beiden angstvollen Mädchen nicht statt, welche bald ihr Auge auf die dunkle Landschaft hinwendeten, bald auf die Sterne, welche sie schwach beleuchteten, als ob sie darin die Ereignisse lesen könnten, die der Morgen bringen würde. Es war ein stilles und melancholisches Schauspiel, Baum und Feld, Hügel und Ebene lag vor ihnen im zweifelhaften Lichte. In großer Entfernung konnte das Auge nur mit Mühe eine Paar Punkte unterscheiden, wo der Strom, den sonst überall Ufer und Bäume verbargen, seine mehr ausgedehnte Fläche vor den Sternen und der silbernen Mondsichel ausbreitete. Alles war still, nur das feierliche Rauschen des Wassers war zu hören und dann und wann ein schneidendes Harfengeklimper, welches aus einiger Entfernung durch die Stille der Mitternacht drang und anzeigte, daß einige der Walliser noch immer ihr Lieblingsvergnügen fortsetzten. Die wilden Töne, nur teilweise vernommen, glichen der Stimme vorübergehender Geister, und verbunden mit dem Gedanken an die stolze, unerbittliche Feindseligkeit, klangen sie in Evelinens Ohr, als weissagten sie Krieg und Wehe, Gefangenschaft und Tod. Die andern Töne, welche allein noch die tiefe Stille der Nacht unterbrachen, waren zuweilen das Hin- und Herschreiten einer Schildwache auf ihrem Posten, oder das Geheul der Eulen, welche den herannahenden Sturz der mondbeleuchteten Türme, in welchen sie ihre alternde Wohnung hatten, zu bejammern schienen.

Die rings umher herrschende Ruhe schien einer Last gleich auf den Busen der unglückseligen Eveline zu drücken, und in ihm ein tieferes Gefühl des gegenwärtigen Kummers, eine angreifendere Furcht vor den künftigen Greueln zu erwecken, als während des Getöses, des Bluts und der Verwirrung am vergangenen Tage in demselben geherrscht hatten. Sie stand auf – sie setzte sich nieder – sie ging hin und her auf der Plattform, – sie blieb fest gebannt wie eine Bildsäule auf einer Stelle stehen – als ob sie durch die Abänderung ihrer Stellungen ihr inneres Gefühl von Furcht und Sorge zu zerstreuen suchte.

Endlich auf den Mönch und den Flamländer hinblickend, wie sie fest schliefen hinter den Zinnen, konnte sie nicht umhin, ihr Stillschweigen zu brechen. »Die Männer sind glücklich,« sagte sie, »meine geliebte Rose! Ihre drückendsten Sorgen werden entweder durch angestrengte Arbeit zerstreut oder in der Abspannung, die darauf erfolgt, erstickt ... Wunden und Tod können sie treffen, aber wir sind es, die in ihrem Geiste eine schneidendere Qual empfinden, als der Körper kennt, und in der nagenden Empfindung des gegenwärtigen Nebels und der Furcht vor künftigem Elende, lebend einen Tod sterben, grausamer als der, welcher all unsern Schmerzen mit einmal ein Ende macht.«

»Laßt Euch nicht so niederbeugen, meine edle Gebieterin,« sagte Rose, »seid lieber, was Ihr gestern waret, die hilfreich Sorgende für die Verwundeten, für die Betagten, für einen jeden, außer für Euch selbst – und dabei Euer teures Leben aussetzend unter dem Pfeilregen der wälschen Bogen, weil Ihr dadurch den anderen Mut einflößt; während ich zu meiner Scham nichts konnte, als zittern, schluchzen, und all das bißchen Verstand, das ich besitze, anstrengen mußte, nicht mein Geschrei mit dem wilden Geheul der Walliser zu vereinigen, oder mit denen unserer Freunde, welche um mich hinsanken, zu jammern und zu winseln.«

»Ach, Rose!« antwortete ihre Gebieterin, »Ihr könnt nach Herzenslust Eurer Furcht nachhängen bis zum Gipfel der Verzweiflung – Ihr habt einen Vater, für Euch zu fechten, für Euch zu wachen. Der meinige, – mein zärtlicher, edler, verehrter Vater liegt auf jenem Feld, und alles was mir übrig bleibt, ist so zu handeln, als es sich für sein Andenken am besten schickt. Aber dieser Augenblick gehört wenigstens mir, an ihn zu denken und um ihn zu trauern.«

Mit diesen Worten, überwältigt von dem langen unterdrückten Ausbruch ihres kindlichen Schmerzes, sank sie auf die Bank hin, welche längs der innern Seite der Brustwehr von der Plattform ablief und mit dem leisen Ausruf: »Er ist dahingegangen auf immer!« überließ sie sich dem ganzen Uebermaß ihres Grams. Eine ihrer Hände hielt unwillkürlich die Waffe, welche sie ergriffen hatte, und sie stützte ihre Stirn darauf, während die Tränen, die jetzt zuerst ihr Herz erleichterten, in Strömen von ihren Augen flossen, und ihr Schluchzen so krampfhaft schien, daß Rose fürchtete, ihr Herz werde brechen. Ihre Liebe und ihr Mitgefühl lehrte sie auch zugleich die mildeste Behandlung, welche Evelinens Zustand erlaubte. Ohne zu versuchen, den Strom ihres Schmerzes in seinem vollen Laufe aufzuhalten, setzte sie sich leise an die Seite der Trauernden, bemächtigte sich der einen Hand, welche bewegungslos ihr zur Seite hinabgesunken war, abwechselnd drückte sie sie an ihre Lippen, an ihren Busen, an ihre Stirn – jetzt bedeckten sie ihre Küsse, jetzt betauten sie ihre Tränen, und mitten unter diesen Zeichen der demütigst hingebungsvollen Teilnahme, wartete sie einen ruhigeren Augenblick ab, ihren kleinen Vorrat von Trost anzubieten. So schweigend und still saßen beide, daß das blasse Mondlicht, so wie es auf die beiden schönen Frauen fiel, mehr eine Gruppe von Bildhauerarbeit, das Werk eines ausgezeichneten Meisters zu beleuchten schien als Wesen, deren Augen noch weinten, und deren Herzen noch schlugen. Der glänzende Küraß des Flamländers, das schwarze Gewand des Paters Aldrovand, wie sie in einiger Entfernung auf den Steinen hingestreckt lagen, konnten dabei die Leichname derer darstellen, um welche die Hauptfiguren trauerten. Nach dem schweren Kampfe weniger Minuten schien es, daß der Gram Evelinens einen ruhigeren Charakter annahm; ihr krampfhaftes Schluchzen veränderte sich in lange, leisere, tiefere Seufzer, und der Strom ihrer Tränen, noch immer fließend, war milder und weniger heftig. Ihre freundliche Dienerin, diese milderen Zeichen benützend, suchte sanft den Speer aus ihrer Gebieterin Hand zu winden. »Laßt mich auf eine kleine Weile Schildwacht sein, meine süße Lady,« sagte sie. »Ich will gewiß lauter als Ihr aufschreien, wenn sich irgend eine Gefahr nähert!« – Sie wagte es, während sie sprach, ihre Wange zu küssen und ihre Arme um den Nacken Evelinens zu legen; aber eine stumme Liebkosung, welche nur ihr Gefühl der liebevollen Absicht des treuen Mädchens, ihrer Ruhe womöglich behilflich zu sein, aussprach, war ihre einzige Antwort. Sie blieben auf einige Minuten schweigend und in derselben Stellung – Eveline gleich einer hochaufstrebenden und schlanken Pappel – Rose, wie sie ihre Herrin mit ihren Armen umschlungen hielt, gleich der Waldweide, welche um sie her rankt.

Endlich fühlte Rose plötzlich ihre junge Gebieterin in ihren Armen zusammenschaudern, und dann, wie Evelinens Hand ihren eigenen Arm hart anfaßte, mit dem leisen Flüstern: »Hörst Du nichts?«

»Nein – nichts als das Geheul der Eule,« antwortete Rose zaghaft.

»Ich hörte ein entferntes Geräusch,« sagte Eveline – »ich glaube, ich hörte es – horch! es kommt wieder – Blick' über die Zinnen hinaus, Rose, während ich den Priester und Deinen Vater aufwecke.«

»Teuerste Lady,« sagte Rose, »ich wage das nicht – was kann das für ein Ton sein, den nur eines vernimmt? Euch täuscht das Rauschen des Flusses.«

»Ich möchte nicht unnötigerweise die Burg aufschrecken,« sagte Eveline innehaltend, »oder, weil ich mir etwas einbilde, den so nötigen Schlummer Eures Vaters unterbrechen. – Aber, horch! – horch! – ich höre es wieder – es unterscheidet sich deutlich von den Tönen des rauschenden Wassers – ein leise zitternder Ton, vermischt mit einem Klimpern, wie Schmiede auf ihrem Amboß arbeiten.«

Jetzt war Rose auf die Bank gesprungen, und ihre schönen Haarlocken zurückwerfend, hielt sie die Hand hinter das Ohr, um den entfernten Ton aufzufangen. – »Ich höre es,« rief sie, »und es nimmt zu – wecket sie auf, um Himmels willen – und das den Augenblick.«

Eveline berührte demnach mit dem umgekehrten Ende ihrer Lanze die Schläfer, und als diese heftig auf ihre Füße sprangen, flüsterte sie ihnen schnell, aber vorsichtig zu: »Zu den Waffen! die Walliser rücken an,«

»Was? – Wo?« sagte Wilkin Flammock – »wo sind sie?«

»Lauscht nur, und Ihr werdet sie sich waffnen hören,« erwiderte sie.

»Das Geräusch ist nur in Eurer Einbildung, Lady!« sagte der Flamländer, dessen Organe eben so schwerfällig wie seine Gestalt und seine Weise waren. »Ich wollte, ich hätte mich gar nicht zum Schlafen gelegt, wenn ich so früh aufgeweckt werden sollte.«

»Horcht doch – horcht nur auf, guter Flammock, das Waffengeklirr kommt von Nordosten her.«

»Die Walliser liegen nicht in jener Gegend, Lady,« sagte Wilkin, »und überdies tragen sie keine Rüstung.«

»Ich höre es – ich höre es,« sagte Pater Aldrovand, der schon eine Zeitlang gelauscht hatte. »Gelobt sei St. Benedikt! – Unsere Frau von Douloureuse ist gnädig ihren Knechten gewesen wie immer. – Es ist Getrappel von Pferden – es ist Geklirr von Waffen – die Ritterschaft der Marken kommt uns zu Hilfe! – Kyrie eleison!«

»Auch ich höre nun etwas,« sagte Flammock, »etwas wie das hohle Getöse der Nordsee, als sie in das Warenlager meines Nachbars Klinkermanns einbrach und seine Töpfe und Pfannen gegeneinander stieß. – Aber es wäre doch ein böser Mißgriff, Vater, wenn wir Feinde für Freunde hielten, – besser also, wir jagen die Leute auf.«

»St! mir hier von Pfannen und Kesseln reden! – War ich nicht Leibknappe des Grafen Stephan Maleverer zwanzig Jahre lang, und kenne nicht das Getrampel von Streitrossen oder das Rasseln eines Panzers? – aber ruft die Leute auf die Mauer auf jeden Fall und laßt mich die besten vom Hofe zusammenziehen – wir können sie unterstützen durch einen Ausfall.«

»Mit meinem Willen läßt sich das nicht so rasch tun,« murmelte der Flamländer, »aber zum Wall, wenn Ihr wollt, je eher je lieber. Haltet nur Eure Normänner und Englischen zum Schweigen an, Herr Geistlicher; ihre ungezähmte und lärmende Freude könnte das wälsche Lager aufwecken und sie auf ihre unwillkommenen Gäste vorbereiten.« Der Mönch legte die Finger an die Lippen zum Zeichen seiner Uebereinstimmung, und sie gingen in verschiedenen Richtungen davon, die Verteidigung des Schlosses aufzuwecken, die man sehr bald von allen Seiten hinziehen hörte, in einer ganz andern Stimmung, als sie dieselben am vergangenen Abend verlassen hatten. Da die äußerste Vorsicht angewandt war, Lärm zu verhüten, so wurden die Wälle ganz schweigend besetzt, und die Besatzung harrte in atemloser Erwartung auf den Ausgang, da die Truppen jetzt schnell sich zu ihrem Beistand näherten.

Die Bedeutung der Töne, welche jetzt laut das Schweigen der still schwängern Nacht verscheuchten, konnte nicht länger mißverstanden werden. Sie waren sehr zu unterscheiden von dem Rauschen eines mächtigen Stromes oder von dem Gemurmel eines entfernten Donners, durch die scharfen und gellenden Töne, welche das Rasseln von den Rüstungen der Reiter, vermischt mit dem tiefen Baß der schnellen Roßtritte, hervorbrachte. Aus der langen Fortsetzung dieser Töne, ihrem lauten Schalle und der Ausdehnung ihres Landstriches, von welchem sie zu kommen schienen, wurden alle im Schlosse zu ihrer Zufriedenheit überzeugt, daß die herannahende Hilfe aus mehreren sehr starken Scharen zu Pferde bestehe. Plötzlich hörte der gewaltige Schall auf, als ob der Boden, auf welchem sie dahintrabten, die Geschwader verschlungen hätte, oder unfähig geworden wäre, das Stampfen der Rosse zu widerhallen. Die Verteidiger von Garde Doulourense schlossen also, daß ihre Freunde einen plötzlichen Halt gemacht hätten, etwa ihren Pferden Zeit zum Verschnaufen zu geben, das Lager ihrer Feinde auszukundschaften, und die Weise des Angriffs zu ordnen. Doch dauerte die Pause nur einen Augenblick.

Die Briten, so schnell und behende, den Feind zu überfallen, befanden sich doch vielfältig selbst in der Lage, überfallen zu werden. Ihre Leute standen nicht unter strenger Zucht und waren oft sehr nachlässig in der Geduld fordernden Pflicht der Schildwachen: überdies hatten ihre Fouragiere und Streifpartien, welche den Tag zuvor die Gegend durchschwärmt hatten, dem Hauptkorps solche Nachrichten gebracht, welche sie in eine unglückliche Sicherheit einschläferten. Ihr Lager war daher sehr nachlässig bewacht, und sie hatten ganz und gar die militärische Pflicht verabsäumt, Patrouillen und Vorposten in angemessener Entfernung vom Hauptkorps anzuordnen. So hatte sich die Reiterei der Lords von den Marken, ungeachtet des Geräusches bei ihrem Vorrücken, sehr nahe dem britischen Lager genähert, ohne den geringsten Alarm zu erwecken. Aber während sie ihre Macht in abgesonderten Kolonnen verteilten, um den Angriff zu beginnen, verkündigte ein lautes und immer näher kommendes Getöse unter den Wallisern, daß sie endlich ihrer Gefahr inne geworden waren. Das gellende, mißtönende Geschrei, womit sie ihre Leute zusammen riefen, jeden unter das Banner seines Hauptes, hallte aus ihrem Lager wider. Aber dieses Rufen sich zu sammeln, verwandelte sich bald in wildes Geheul des Schreckens und des Verderbens, als der donnernde Angriff der gepanzerten Rosse und der schwer bewaffneten Reiterei der Anglo-Normannen ihr unverteidigtes Lager überfiel.

Aber selbst unter so ungünstigen Umständen gaben die Abkömmlinge der alten Britonen ihre Verteidigung nicht auf oder entsagten nicht ihrem alten erblichen Vorrechte, die Tapfersten unter den Sterblichen genannt zu werden. Ihr Geschrei beim Herausfordern und beim Widerstande übertönte das Aechzen der Verwundeten, den Jubelruf der stürmischen Sieger und den allgemeinen Tumult der nächtlichen Schlacht. Erst als der Morgen anbrach, ward die Niederlage und die Zerstreuung der Macht Gwenwyns vollendet, und die »erschütternde Stimme des Sieges« erhob sich in ungestörter, ungemischter Kraft des Jubels.

Jetzt schauten die Belagerten, wenn sie noch so genannt werden konnten, von den Türmen über die ausgebreitete Landschaft unter sich, aber sie wurden nur ein weit ausgedehntes Schauspiel von eiliger Flucht und unermüdeter Verteidigung gewahr. Daß den Wallisern gestattet worden war, sich in eingebildeter Sicherheit auf dem diesseitigen Ufer des Flusses zu lagern, machte jetzt ihre Niederlage um desto schrecklicher. Der einzige Uebergang, über welchen sie auf die andere Seite kommen konnten, war bald vollgepfropft von Flüchtlingen, in deren Rücken die Schwerter der siegreichen Normannen wüteten. Viele warfen sich in den Fluß in der ungewissen Hoffnung, das andere Ufer zu erreichen, kamen aber, einige wenige ausgenommen, die ungewöhnlich stark, gewandt und tätig waren, im Strudel und an den Felsen um; andere glücklichere entkamen durch geheime und versteckte Furchen; viele, einzeln versprengt oder in kleinen Haufen, flohen in besinnungsloser Verzweiflung auf die Burg zu, als ob die Feste, welche sie zurückschlug, da sie noch Sieger waren, ihnen in ihrem jetzigen verlorenen Zustande ein Zufluchtsort sein konnte; während andere wild auf der Ebene hin und her schwenkten, um nur der unmittelbaren augenblicklichen Gefahr zu entgehen, ohne zu wissen, wohin sie sollten. Die Normannen indessen, verteilt in kleine Haufen, verfolgten und erschlugen sie nach Lust, während, als zu einem Sammelplatze für die Sieger der Banner von Hugo de Lacy von dem kleinen Hügel wehte, auf welchem kurz zuvor Gwenwyn das seinige gepflanzt hatte, umgeben von einer zulänglichen Bedeckung zu Fuß und zu Pferde, welcher der erfahrene Baron auf keine Weise gestattet hatte, sich weit davon zu entfernen.

Die übrigen, wie wir schon gesagt haben, verfolgten ihre Jagd mit dem Rufe des Jubels und der Rache, und die Zinnen hallten das Kriegsgeschrei wider: »Ha! St, Eduard – Ha! St. Dennis! – Schlagt! – Tötet! – Kein Pardon den wälschen Wölfen! – Denkt an Raymond Berenger!«

Die Krieger auf den Mauern stimmten diesen rachvollen und siegreichen Ausrufen bei und schossen viele Bündel von Pfeilen auf jeden Flüchtling, der in seiner äußersten Not zu nahe der Burg kam. Gerne hätten sie einen Ausfall getan, um tätigen Anteil an dieser vernichtenden Arbeit zu nehmen, aber da nun die Verbindung mit dem Heere des Connetable von Chester offen war, so betrachtete Wilkin Flammock sich und die Besatzung unter den Befehl des berühmten Feldherrn gestellt, und wollte durchaus nicht auf die dringenden Vorstellungen des Paters Aldrovand hören, welcher so gern, trotz seiner priesterlichen Würde, selbst die Anführung des Ausfalls, den er in Vorschlag brachte, übernommen hätte.

Endlich schien das Schauspiel des Mordens geschlossen zu sein, – zum Rückzuge wurde von vielen Hörnern geblasen, und Ritter hielten auf der Ebene, ihr persönliches Geleite um sich zu sammeln, sie unter ihrem eigenen Fähnlein zu mustern, und sie dann langsam zu dem großen Banner ihres Feldherrn zu führen, um welches sich wieder das Hauptkorps versammelte, wie die Wolken sich lagern um die Abendsonne, – ein phantastisches Gleichnis, welches sich jedoch weiter ausmalen ließe, in Hinsicht auf die langen Streifen eines düstern Lichtes, welche von diesen dunklen Scharen hinflossen, sowie die Strahlen von ihren glänzenden Harnischen abprallten.

So war die Ebene bald von der Reiterei verlassen, und blieb nur bedeckt von den Leichnamen der erschlagenen Wälschen. Auch die Abteilungen, welche bis in einer größern Entfernung die Verfolgung fortgesetzt hatten, sah man nun zurückkehren, vor sich hertreibend oder nach sich schleppend die niedergeschlagenen unglücklichen Gefangenen, denen sie, nachdem ihr Blutdurst gelöscht worden war, Pardon gegeben hatten. Da geschah es, daß Wilkin Flammock, mit dem Wunsche, die Aufmerksamkeit der Befreier auf sich zu ziehen, befahl, alle Banner des Kastells wehen zu lassen, verbunden mit einem allgemeinen Beifallsruf derer, welche unter ihnen gefochten hatten. Er wurde mit einem allgemeinen Freudengeschrei von de Lacys Heer beantwortet, welches so weit umher klang, daß es selbst die von den wälschen Flüchtlingen aufgeschreckt haben möchte, die schon weit entfernt von dem unglücklichen Schlachtfelde für einen Augenblick etwas Rast gemacht hatten.

Sogleich nach dieser gewechselten Begrüßung näherte sich ein einzelner Reiter von dem Heer des Connetable dem Schlosse und zeigte schon aus der Ferne eine ungewöhnliche Gewandtheit in der Reitkunst und eine Anmut in der Haltung. Sobald er an der Zugbrücke anlangte, ward sie augenblicklich zu einem Empfange hinabgelassen, und Flammock und der Mönch (denn dieser drängte sich, so viel es sich nur tun ließ, zu den ersten bei allen Handlungen des Oberbefehls) eilten, den Abgesandten ihres Befreiers zu empfangen. Sie fanden ihn, als er eben von seinem rabenschwarzen Rosse abgestiegen war, welches, hin und wieder von Blut und Schaum befleckt, noch von den Anstrengungen der Nacht keuchte, obwohl zur Erwiderung der liebkosenden Hand seines jungen Reiters es seinen Hals wölbte, sein stählernes Netz schüttelte, und schnaubend seinen ungebeugten Mut und unermüdete Kampflust zeigte. Des jungen Mannes Adlerblick verriet eben diese Anzeichen unermüdeter Tapferkeit, vermischt mit den Zeichen einer eben gehabten Anstrengung. Da sein Helm am Sattelbogen hing, so stellte sich sein schönes Antlitz dar, hoch gerötet, aber nicht erhitzt, welches aus einer reichen Fülle kastanienbrauner Locken hervorblickte. Und wiewohl seine Rüstung einfach, obwohl massiv war, so bewegte er sich doch in derselben mit solcher Geschmeidigkeit und Leichtigkeit, daß sie ein anmutiger Schmuck, nicht eine Last und Beschwerde zu sein schien. Ein verbrämter Mantel würde ihm nicht anmutiger gestanden haben als die schwere Halsberge, die sich jeder Bewegung seiner edlen Gestalt anschmiegte. Doch so jugendlich war noch sein Angesicht, daß nur der Flaum an der Oberlippe seine Annäherung an das Mannesalter zeigte. – Die Frauen, welche sich in den Hof drängten, den ersten Abgesandten ihrer Befreier zu sehen, konnten es nicht unterlassen, in ihre Segnungen seiner Tapferkeit Lobpreisungen seiner Schönheit einzumischen; und eine recht artige Frau von mittlerem Alter, besonders sich auszeichnend durch die Straffheit, mit welcher ihre scharlachroten Strümpfe eine wohlgeformte Wade und Knöchel zeigten, und die blendende Weiße ihrer Haube, drängte sich ganz nahe zu dem jungen Mann, und vorlauter wie die andern, verdoppelte sie den Karmin seiner Wangen durch den lauten Ausruf, daß unsere Frau von Garde Douloureuse die Nachricht von ihrer Erlösung durch einen Engel aus dem Allerheiligsten gesendet habe – eine Rede, die, obwohl Pater Aldrovand dabei den Kopf schüttelte, von ihren Gefährtinnen mit allgemeinen Beifallsrufen aufgenommen wurde, daß des jungen Mannes Bescheidenheit dadurch in große Verlegenheit geriet.

»Ruhig, Ihr alle da!« sagte Wilkin Flammock, »kennt Ihr keinen Respekt, Ihr Weiber, oder habt Ihr noch nie einen jungen Mann gesehen, daß Ihr Euch um ihn hängt wie Fliegen um eine Honigwabe? Stellt Euch doch rückwärts, sage ich, – und laßt uns in Ruhe die Befehle unseres edlen Lords von Lacy anhören.«

»Diese,« sagte der junge Mann, »kann ich nur in Gegenwart des hochedlen Fräuleins Eveline von Berenger ausrichten, wenn ich einer solchen Ehre würdig geachtet werde.«

»Das weißt Du, edler Herr,« sagte dieselbe vorlaute Dame, welche vorher ihre Bewunderung so energisch ausgedrückt hatte. »Ich will es gegen jedermann behaupten, daß Du würdig ihrer Gegenwart und jeder andern Gunst bist, die eine Dame Dir erzeigen kann.«

»Halte Deine unverschämte Zunge!« sagte der Mönch, während zur gleichen Zeit der Flamländer ausrief: »Denk an den Tauschschemel, Frau Unhold!« und dabei den edlen Jüngling über den Hof führte.

»Sorgt für mein braves Pferd,« sagte der junge Mann und gab die Zügel in die Hand eines Dieners, wodurch er einen Teil der weiblichen Umgebung los wurde, welche nun begann, das Pferd zu streicheln und zu loben wie zuvor den Reiter, und einige enthielten sich kaum im Ausbruch ihrer Freude, die Steigbügel und das Sattelzeug zu küssen.

Aber Dame Gillian war nicht so leicht von ihrem Satz abzubringen wie einige ihrer Gefährtinnen, Sie fuhr fort, das Wort Tauschschemel zu wiederholen, bis der Flamländer sie nicht mehr hören konnte, und wurde dann umständlicher in ihren Scheltworten. – »Und warum der Tauschschemel? sagt doch, Herr Wilkin Butterfaß? Ihr seid wohl der Mann, einen englischen Mund mit einer flämischen Damastserviette zu verstopfen! – Ei seh mir doch eins meinen Vetter, den Weber! – Und weswegen der Tauschschemel, ich bitte? – weil meine junge Lady recht artig ist, und der junge Herr ein Mann voll Mut, mit Respekt gegen seinen Bart, der doch bald kommen wird! – Haben wir nicht Augen zu sehen, haben wir nicht einen Mund und eine Zunge?«

»In der Tat, Dame Gillian, die tun euch unrecht, die daran zweifeln,« sagte Evelinens Amme, welche dabei stand, »aber ich bitte Dich, halte sie jetzt verschlossen, wäre es auch der weiblichen Sittlichkeit zu Ehren.«

»Wie denn, meine manierliche Jungfer Margery,« sagte die unverbesserliche Gillian, »ist Euch das Herz so hoch gewachsen, weil Ihr unsre junge Lady vor fünfzehn Jahren auf dem Knie geschaukelt habt? – Laßt mich Euch sagen, die Katze findet schon ihren Weg zur Sahne, und wäre sie auch in dem Schoß einer Aebtissin aufgepflegt.«

»Nach Hause, Frau! Nach Hause!« rief ihr Mann aus, der alte Jäger, welcher jetzt dieser öffentlichen Ausstellung seines häßlichen Zankteufels müde war, »nach Hause, oder ich will Dir meine Hundepeitsche zu kosten geben – da ist der Beichtvater und Wilkin Flammock, sie wundern sich über Deine Unverschämtheit.«

»Wahrlich,« antwortete Gillian, »und sind nicht zwei Narren genug zum Verwundern, daß Ihr noch mit Eurer groben Hirnschale dazu kommt, um die Zahl drei voll zu machen?«

Ein allgemeines Gelächter entstand auf Kosten des Jägers, während desselben er kläglich seine Frau abführte, ohne sich darauf einzulassen, den Zungenkampf fortzusetzen, in welchen sie eine so entschiedene Uebermacht bewiesen hatte.

Dieser Zwist, so leicht ist der Wechsel im menschlichen Gemüte, besonders in der niedern Klasse, erweckte Ausbrüche der tollsten Lust unter Geschöpfen, welche soeben noch im Rachen der Gefahr, ja der gänzlichen Verzweiflung sich befanden.


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