Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Die Morgensonne hatte kaum ihre Strahlen gänzlich verbreitet, als Eveline Berenger, den Rat ihres Beichtigers befolgend, ihre Runde auf den Mauern und Zinnen der belagerten Burg begann, um durch ihre persönlichen Aufmunterungen den Sinn der Tapfern zu stärken und die Furchtsamen zur Hoffnung und Anstrengung zu erheben. Sie trug einen reichen Halsschmuck und Armbänder, Zierden, welche ihren hohen Rang und ihre Abkunft anzeigten; ihre Tunika, nach der Sitte der Zeit, zog sich um ihren schlanken Leib durch einen Gürtel zusammen, der mit Edelsteinen besetzt und durch eine große goldene Schnalle befestigt war. Auf der einen Seite des Gürtels hing eine Tasche oder Beutel, prächtig geziert mit Stickerei; auf der andern Seite trug sie einen kleinen Dolch von auserlesener Arbeit. Ein Mantel von dunkler Farbe, als ein Sinnbild ihres umwölkten Geschickes gewählt, floß lose um sie her, und die Kappe, davon herübergezogen, beschattete zwar, aber verdeckte nicht ihr schönes Antlitz. Ihre Augen hatten zwar den hohen und begeisterten Ausdruck verloren, den die geglaubte Offenbarung ihnen gegeben hatte, aber sie hatten einen sorgenvollen und milden, doch entschlossenen Charakter. Und in ihren Anreden an die Krieger war eine Mischung von Drohungen und Befehl, jetzt sich in ihren Schutz werfend, jetzt ihre Hilfe als den gebührenden Tribut ihrer Lehnspflicht fordernd.

Die Garnison war, mit militärischer Einsicht, in verschiedenen Haufen auf den Punkten verteilt, die sich am besten zum Angriff eigneten, oder von welchen dem angreifenden Feinde am meisten geschadet werden konnte. Und gerade diese unvermeidliche Zertrennung ihrer Macht in kleine Abteilungen war es, welche die Ausdehnung der Mauer im Vergleich mit der Zahl ihrer Verteidiger in ein so nachteiliges Licht setzte.

Wiewohl nun Wilkin Flammock mancherlei Mittel ersonnen hatte, diesen Mangel an Macht dem Feinde zu verbergen, so konnte er doch die Verteidiger der Burg damit nicht täuschen, welche traurige Blicke auf die langen Zinnen hinabwarfen, die, einige Schildwachen ausgenommen, unbesetzt blieben, und dann auf das unglückliche Schlachtfeld, angefüllt mit den Leichnamen derer, welche ihre Kameraden in dieser Stunde der Gefahr hätten sein sollen.

Evelinens Gegenwart trug viel dazu bei, die Besatzung aus dieser niedergeschlagenen Stimmung zu erwecken. Von Posten zu Posten, von Turm zu Turm der alten Feste glitt sie dahin, wie ein Lichtstrahl über die von Wolken beschattete Landschaft, der, sie nach und nach auf verschiedenen Strichen berührend, sie in ihrer Schönheit und wahren Gestalt hervortreten läßt. Sorgen und Furcht machen oft die Leidenden beredt. Sie führte gegen jede der verschiedenen Nationen, aus welchen die kleine Garnison zusammengesetzt war, die ihnen angemessene Sprache. Zu den Engländern sprach sie als Kindern des Bodens – zu den Flamländern als Männern, welche durch Gastfreiheit Angebürgerte geworden waren – zu den Normännern als Abkömmlingen des siegreichen Stammes, dessen Schwert sie zu Edlen und Oberherrn jedes Landes gemacht hatte, wo seine Schärfe verursacht worden war. Gegen sie brauchte sie die Sprache des Rittertums, nach dessen Gesetzen der kleinste von dieser Nation seine Handlungen regelte oder zu regeln sich stellte. Die Engländer erinnerte sie an die feste Treue und Redlichkeit ihres Herzens; zu den Flamländern sprach sie von der Zerstörung ihres Besitztums, den Früchten ihrer ehrbaren Betriebsamkeit. Alle munterte sie auf, den Tod ihres Führers und seiner Getreuen zu rächen – allen empfahl sie Vertrauen auf Gott und unsere Frau von Garde Douloureuse; und sie wagte es, allen die Versicherung zu geben, daß starke und siegreiche Scharen schon zu ihrem Entsatze herbeirückten.

»Werden die wackern Kreuzesritter,« sagte sie, »daran denken, ihr Vaterland zu verlassen, während die Wehklagen der Weiber und Waisen sie erfüllen? Das hieße ihren frommen Vorsatz in eine Todsünde verwandeln, und verunglimpfen den hohen Ruhm, den sie so herrlich gewonnen. – Ja, fechtet brav, und vielleicht, ehe eben diese Sonne, welche jetzt langsam emporsteigt, ins Meer sinkt, werdet Ihr ihre Strahlen von Shrewsbury und Chester leuchten sehen. – Wann wartete der Walliser es ab, den Klang ihrer Trompeten, das Rauschen ihrer seidenen Banner zu hören? – Fechtet tapfer – fechtet rühmlich, nur eine Weile. – Unser Schloß ist fest – unsere Munition im Ueberfluß – Eure Herzen sind gut – Eure Arme kraftvoll – Gott ist uns nahe – und unsere Freunde sind nicht fern! So fechtet denn im Namen von allem, was gut und heilig ist. – Fechtet für Euch selbst, für Eure Weiber, für Eure Kinder, für Euer Eigentum – und ach! fechtet für eine verwaiste Jungfrau, welche keine andern Verteidiger hat, als die, welche die Mitempfindung ihres Kummers, die Erinnerung an ihren Vater, in Euch erwecken kann!« –

Solche Reden machten einen gewaltigen Eindruck auf die Männer, an welche sie gerichtet waren, welche ohnedies durch Gewohnheit und Sinnesart gegen das Gefühl der Gefahr abgehärtet waren. Die ritterhaften Normannen schworen auf das Kreuz ihres Schwertes, bis auf den letzten Mann zu streiten, ehe sie ihren Posten übergäben. – Die derberen Angelsachsen schrien: »Schande über den, welcher ein solches Lamm, wie Eveline, den wälschen Wölfen überlassen wollte, so lange er seinen Körper zu ihrem Bollwerk machen kann!« – Selbst die kalten Flamländer fingen einen Funken von dem Enthusiasmus auf, der die andern belebte, und flüsterten sich einander Lobsprüche über der jungen Lady Schönheit zu, und kurze aber redliche Entschlüsse, ihre Verteidigung aufs beste zu bewirken.

Rose Flammock, welche ihre Lady mit einigen Dienerinnen auf ihrer Runde begleitete, schien aus dem überreizten Zustande, in welchen sie der Verdacht gegen ihres Vaters Charakter gestürzt, in den milderen eines furchtsamen Mädchens zurückgekehrt zu sein. Sie trippelte dicht, aber ehrfurchtsvoll hinter Evelinen her und horchte auf alles, was sie von Zeit zu Zeit sagte, mit jener Achtung und Bewunderung, mit der ein Kind auf seinen Aufseher horcht, indem bloß ihr feuchtes Auge ausdrückte, wie sie die Größe der Gefahr und die Kraft der Ermahnungen fühlte. Doch gab es einen Augenblick, in welchem des jungen Mädchens Auge glänzender, ihr Schritt zuversichtlicher, ihre Blicke stolzer wurden. Dies geschah, als sie sich der Stelle näherten, wo ihr Vater, nachdem er den Pflichten eines Befehlshabers Genüge geleistet, jetzt die eines Ingenieurs erfüllte, und große Geschicklichkeit sowohl als wundervolle persönliche Stärke entwickelte bei der Aufstellung und Richtung einer gewaltigen Steinschleuder auf einer Stelle, welche ein sehr ausgesetztes Tor beherrschte, das von der westlichen Seite der Burg in die Ebene führte, und wo natürlich ein ernstlicher Angriff zu erwarten war. Der größte Teil seiner Rüstung lag ihm zur Seite, aber bedeckt von seinem Rocke, um sie vor dem Morgentau zu schützen, während er in seinem ledernen Wams, mit den Armen entblößt bis zu den Schultern, und einen ungeheuren Schmiedehammer in der Hand, den Handwerkern, welche nach seiner Anordnung arbeiteten, ein treffliches Beispiel gab.

Bei langsamen und ernsten Naturen findet man gewöhnlich einen Anflug von Blödigkeit und Empfindlichkeit bei der Verletzung kleiner Sitten. Wilkin Flammock war fast bis zur Unempfindlichkeit ruhig gewesen bei der kürzlich ihm widerfahrenen Beschuldigung des Verrates; aber er wurde rot und ward verlegen, während er schnell seinen Rock über sich warf und sich bemühte, die nachlässige Kleidung zu verbergen, in welcher Lady Eveline ihn überraschte. Nicht so seine Tochter. Stolz auf ihres Vaters Eifer, strahlte ihr Auge von ihm zu ihrer Herrin mit einem Blick voll Triumph, welcher zu sagen schien: »Und dieser treue Diener ist der, welchen man des Verrats verdächtig hielt!«

Eveline machte sich in ihrem eigenen Herzen denselben Vorwurf, und sorglich bemüht, den einen Augenblick gehegten Zweifel an seiner Treue wieder gut zu machen, bot sie ihm einen Ring von Wert an: »eine kleine Buße,« sagte sie, »für ein Mißverständnis eines Augenblicks.«

»Das ist nicht nötig,« sagte Flammock mit seiner gewöhnlichen Derbheit, »es müßte mir denn erlaubt sein, meinem Mädel den Flitter zu geben, denn ich denke, sie hat sich genug über das betrübt, was mich wenig rührte. – Und weshalb sollte es auch?«

»Gebiete darüber, wie Du willst,« sagte Eveline; »der Stein darin ist so echt wie Deine Treue.«

Eveline schwieg, und den Blick auf die weit ausgedehnte Ebene zwischen der Burg und dem Strome richtend, machte sie die Bemerkung, wie schweigend und still der Morgen über dem Schauplatz aufgehe, der kurz zuvor weit und breit mit Moor erfüllt gewesen wäre.

»So wird es nicht lange bleiben,« antwortete Flammock, »wir werden Lärm genug haben, und das näher unsern Ohren als gestern.«

»In welcher Gegend liegt der Feind?« sagte Eveline; »mich dünkt, ich kann weder Zelte noch Pavillons gewahr werden.«

»Sie brauchen keine, Lady,« antwortete Wilkin Flammock, »der Himmel hat ihnen die Gnade und das Wissen versagt, genug Linnen zu solchem Behufe zu weben. – Dort liegen sie auf beiden Seiten des Flusses, nur mit ihren weißen Mänteln bedeckt. Sollte man denken, daß eine Schar von Dieben und Halsabschneidern dem lieblichsten Dinge in der Natur so ähnlich sehen könnte – einer schön bedeckten Bleiche? – Horch! horch! die Wespen beginnen zu summen; bald werden sie ihren Stachel ausrecken.«

In der Tat hörte man in dem wälschen Heere ein leises und undeutliches Murmeln, wie Bienen aufgeregt im Stock sich waffnen. Entsetzt über den hohlen drohenden Ton, welcher mit jedem Augenblicke lauter wurde, hängte sich Rose, die alle Reizbarkeit eines gefühlvollen Temperaments besaß, in ihres Vaters Arm und flüsterte erschrocken: »Es gleicht dem Getöse des Meeres, die Nacht vor der großen Überschwemmung.«

»Und es zeigt rauhes Wetter an, daß die Frauen nicht draußen bleiben können,« sagte Flammock. »Geht in Euer Zimmer, Lady Eveline! wenn es Euch gefällig ist – und auch Du gehe, Röschen – Gott sei mit Dir – Ihr macht nur, daß wir hier faul sind.«

Und Eveline, sich bewußt, daß sie alles getan hatte, was ihr oblag, und voll Furcht, der kalte Schauer, der ihr Herz überlief, könnte auch andere anstecken, befolgte ihres Vasallen Rat und zog sich langsam nach ihrem Gemach zurück, oft ihre Augen auf den Platz zurückwerfend, wo die Walliser jetzt hervortraten und unter Waffen ihre Schlachthaufen vorrückten, gleich den Wogen der herannahenden Flut.

Der Fürst von Powys hatte mit großer Kriegskenntnis einen Plan zum Angriff entworfen, der dem feurigen Geiste seiner Krieger am angemessensten war, und gedachte, die schwache Besatzung auf jedem Punkte zu beruhigen. Die drei Seiten der Burg, welche der Strom verteidigte, wurden von einer zahlreichen Schar Briten beobachtet, die Befehl hatten, sich nur auf den Gebrauch ihres Bogens zu beschränken, bis daß ein günstiger Augenblick zum nähern Angriff sich darbieten würde. Aber der bei weitem größere Teil von Gwenwyns Macht, aus drei sehr starken Kolonnen bestehend, rückte längs der Ebene auf die Westseite der Burg an und bedrohte mit einem verzweifelten Sturm die Mauern, welche auf dieser Seite des Schutzes vom Flusse beraubt worden waren. Die erste dieser furchtbaren Massen bestand einzig aus Bogenschützen, welche sich dicht vor dem belagerten Platze zerstreuten, und jeden Busch oder jede Erhöhung des Bodens, die sie decken konnte, benützten; dann spannten sie ihre Bogen und sandten einen Regenschauer von Pfeilen auf die Zinnen und Schießscharten, obgleich sie bei weitem mehr Schaden erlitten, als anrichteten, da die Besatzung in verhältnismäßig größerer Sicherheit und ruhigerer Ueberlegung ihre Schüsse erwiderte. Indessen versuchten, unter der Bedeckung ihrer Pfeile, zwei andere sehr starke Korps, die äußersten Werke der Burg mit Sturm wegzunehmen. Sie führten Aexte mit sich, die Palissaden, damals Barrieren genannt, zu zerstören, Reisigbündel, die äußern Graben auszufüllen, Fackeln, alles Brennbare, worauf sie stießen, in Feuer zu setzen, und vor allem Leitern, die Mauern zu besteigen.

Diese Abteilungen stürzten mit einer unglaublichen Wut gegen den Angriffspunkt, trotz des hartnäckigen Widerstandes und trotz des großen Verlustes, den sie durch Wurfgeschütze aller Art erlitten; sie setzten den Sturm fast eine ganze Stunde fort, durch Verstärkungen unterstützt, die mehr als hinlänglich waren, ihre verminderte Anzahl zu ersetzen. Als sie endlich zum Rückzug gezwungen waren, schienen sie eine neue und doch mehr ermüdende Art von Angriff zu erwählen. Ein starkes Korps stürzte auf einen besonders ausgesetzten Punkt der Festung mit solcher Wut, daß so viele von den Belagerten, als an andern Orten gespart werden konnten, hierher gezogen werden mußten; sobald sich nun aber eine andere Stelle schwächer bemannt zeigte, als zu ihrer Verteidigung nötig war, so kam an diese die Reihe, wütend von einem besondern Korps angefallen zu werden.

So glichen die Verteidiger von Garde Douloureuse dem verlegenen Reisenden, welcher bemüht ist, einen Schwarm von Hornissen zu verjagen, der, wenn er ihn von einer Seite hinwegtreibt, sich auf einer andern haufenweise fortsetzt, und ihn durch ihre Anzahl, Kühnheit und vervielfachten Angriffe in Verzweiflung bringt. Da das äußere Tor demzufolge der hauptsächlichste Angriffspunkt und der Gefahr am meisten ausgesetzt war, begab sich Pater Aldrovand, dessen Besorgnis ihm nicht gestattete, von den Mauern entfernt zu bleiben, und welcher, wo es nur die Schicklichkeit erlaubte, an der Verteidigung tätigen Anteil nahm, dorthin.

Hier fand er den Flamländer gleich einem zweiten Ajax, gräßlich mit Staub und Blut bedeckt, mit eigener Hand die große Maschine dirigierend, welche er kurz zuvor aufrichten half, indem er zugleich ein wachsames Auge auf alles Erforderliche umher warf.

»Was denkst Du von dem heutigen Tagewerk?« fragte flüsternd der Mönch.

»Was nützte es, darüber zu schwatzen,« entgegnete Wilkin, »Ihr seid kein Kriegsmann und ich habe nicht Zeit zu Worten.«

»Nicht doch! Schöpfe einmal Atem!« sagte der Mönch und schlug die Aermel seines Rockes in die Höhe; »ich will versuchen, Dir etwas zu helfen, – obwohl, unsere Frau erbarme sich meiner! ich nichts von diesen fremden Erfindungen, nicht einmal die Namen kenne. Aber unsere Regel befiehlt uns, zu arbeiten, es kann nichts Unrechtes sein, die Winde zu drehen, oder dieses Stück Holz mit dem stählernen Knopf gegen den Strick zu stemmen,« – (er tat immer zugleich, was er sagte) – auch sehe ich nichts Unkanonisches, darin, so den Hebebaum anzulegen, so diese Springfeder zu berühren.«

Der gewaltige Bolzen zischte durch die Luft, als er sprach, und so erfolgreich ward er gezielt worden, daß er einen Walliser Häuptling von hohem Rang niederstreckte, dem Gwenwyn eben im Begriffe war, irgend einen wichtigen Auftrag zu geben.

»Gut geworfen, Trebuchet – gut geflogen, Quarel, Sollen normannische Benennungen von Steinschleuder und Bolzen sein. schrie der Mönch, unfähig, sein Entzücken zu mäßigen, und er gab in seinem Triumph dem Werkzeuge und dem Wurfspieß die technischen Benennungen.

»Und gut gezielt, Mönch,« setzte Flammock hinzu, »ich glaube, Du weißt mehr, als in Deinem Breviarium steht.«

»Darum kümmere Du Dich nicht,« sagte der Vater, »und nun, da Du siehst, ich kann mit einem Geschütz umgehen, und da auch jene Schufte etwas abgekühlt sind, was denkst Du von unserer Lage?«

»Gut genug für eine schlechte, wenn wir nur eiligst Succurs bekämen; aber der Mensch ist von Fleisch und nicht von Eisen, und wir können doch zuletzt durch die Menge mürbe werden. Ein Soldat auf zwölf Fuß Wall, das ist eine fürchterliche Ungleichheit, und die Schurken da merken es und setzen uns scharf zu.« – Hier ward die Unterredung durch die Erneuerung des Sturmes unterbrochen. Auch gestattete ihnen der tätige Feind bis zum Sonnenuntergange nicht viel Ruhe; denn sie auf diesen Punkten mit wiederholten Drohungen des Angriffs beunruhigend, indes sie auf andern Punkten wirklich furchtbare und wütende Stürme wagten, ließen sie ihnen keine Zeit, Atem zu schöpfen oder einen Augenblick sich zu erholen. Dennoch mußten aber auch die Walliser für ihre Kühnheit teuer büßen; denn, wenn auch nichts die Tapferkeit übertreffen konnte, mit welcher ihre Leute wiederholt zum Angriff schritten, so zeigten doch die, welche sie gegen das Ende des Tages versuchten, weniger von der erhitzten Tollkühnheit des ersten Anrückens; und es ist wahrscheinlich, daß das Gefühl des erlittenen großen Verlustes, wie die Furcht vor der Wirkung davon auf den Geist des Volks, den Einbruch der Nacht und die Unterbrechung des Kampfes, Gwenwyn ebenso willkommen machte wie der erschöpften Besatzung von Garde Douloureuse.

Dennoch aber herrschte in dem Lager der Walliser Fröhlichkeit und Triumph, denn der Verlust des Tages wurde vergessen bei der Erinnerung an den ausgezeichneten Sieg, welcher der Belagerung vorangegangen war, und die entmutigte Besatzung konnte von ihren Mauern das Lachen und das Singen, das Harfenspiel und Lustigleben derer vernehmen, die im voraus den Triumph der anscheinend unausbleiblichen Uebergabe der Burg feierten.

Die Sonne war schon seit einiger Zeit hinabgesunken, die Dämmerung verlor sich schon, und leise schloß sich die Nacht mit dem blauen wolkenlosen Himmel, an welchem die tausend Funken, die das Firmament schmückten, einen doppelten Schimmer von einem Frosthauch empfingen, indessen der blassere Planet, ihre Gebieterin, im ersten Viertel stand. Die Not der Besatzung wurde dadurch bedeutend erschwert, daß zu einer Zeit, die zu einem plötzlichen nächtlichen Anfall so günstig war, sehr strenge und sorgfältige Wache gehalten werden mußte, welches zu der schwachen Anzahl der Mannschaft so wenig paßte; und diese Pflicht war so dringend, daß selbst die am Tage nur leicht Verwundeten gezwungen waren, trotz ihrer Wunden daran teilzunehmen.

Der Mönch und der Flamländer, die sich nun vollkommen einander verstanden, machten zusammen um Mitternacht die Runde, ermahnten die Schildwachen gut aufzumerken, und untersuchten mit eigenen Augen den Zustand der Festung. Als sie bei dieser Runde eine höhere Terrasse auf einer engen und ungleichen Treppe bestiegen, die dem Mönch etwas sauer ward, bemerkten sie auf der Höhe, zu welcher sie stiegen, statt des schwarzen Panzers der flämischen Schildwachen, welche hier ihren Posten hatten, zwei weiße Gestalten, deren Anblick Wilkin Flammock mit größerem Schrecken erfüllte, als er während aller zweifelhaften Ereignisse des Kampfes am vergangenen Tage gezeigt hatte.

»Vater,« sagte er, »nehmt Euer Werkzeug zur Hand – es spukt – da gibt's Gespenster.«

Der gute Vater hatte als Priester nicht gelernt, dem bösen Feinde zu trotzen, den er als Soldat mehr als den sterblichen Feind gefürchtet hatte. Aber er begann mit klappernden Zähnen die Beschwörung der Kirche: »Conjure vos omnes, spiritus maligni, magni atque parvi,« als er durch die Stimme Evelinens unterbrochen wurde, welche ihm zurief: »Seid Ihr es, Pater Aldrovand?«

Mit leichterem Herzen, da sie fanden, daß sie nicht mit einem Geiste zu tun hatten, traten Wilkin Flammock und der Priester schnell auf die Terrasse, wo sie die Lady mit ihrer getreuen Rose fanden, die erste mit einer Halbpike in ihrer Hand, wie eine Schildwache auf dem Posten.

»Was bedeutet das, Tochter?« sagte der Mönch. »Wie kommt Ihr hierher, und so bewaffnet? Und wo ist die Schildwache, der träge flämische Hund, der dessen Posten versehen sollte?«

»Kann er nicht ein fauler Hund sein, ohne darum ein Flamländer zu sein, Vater?« sagte Rose, die jedes Wort aufregte, welches eine Bemerkung gegen ihr Vaterland enthielt; »mich dünkt, ich habe auch von solchen Kötern englischer Gattung gehört.«

»So gehe doch, Rose, Du bist zu ungezogen für ein junges Mädchen,« sagte ihr Vater. »Noch einmal, wo ist Peterkin Vorst, der auf diesem Posten stehen soll?«

»Lasset ihn meinen Fehler nicht entgelten,« sagte Eveline, indem sie auf einen Fleck deutete, wo die flämische Wache hinter den Zinnen fest eingeschlafen war, – »die Ermüdung hatte ihn überwältigt – er hatte tüchtig den Tag über gefochten, und als ich ihn hier schlafend fand, da ich hierherkam, einem wandernden Geiste gleich, der nicht Rast noch Nutze findet, da wollt ich ihm seine Ruhe nicht stören, die ich beneidete. So wie er für mich gefochten hatte, so, dachte ich, könnte ich wohl eine Stunde für ihn wachen. Ich nahm also seine Waffe in der Absicht, hier zu bleiben, bis ein anderer ihn ablösen käme.«

»Ich will den Schelm ablösen, und zwar nachdrücklich,« sagte Wilkin Flammock und begrüßte den schlafenden und hingestreckten Wächter mit zwei Fußstößen, daß sein Küraß rasselte. Der Mann sprang auf seine Füße, nicht wenig erschreckt, und er würde die nächsten Schildwachen und dazu die ganze Besatzung durch das Geschrei, das die Walliser auf den Mauern wären, aufgebracht haben, hätte nicht der Mönch seinen breiten Mund mit der Hand bedeckt, eben als das Gebrüll hervorbrechen wollte. – »Schweig und mache, daß Du in den untersten Kerker kommst! Du verdienst nach alten Kriegsgesetzen den Tod, aber schau auf, Du Taugenichts, sieh, wer Dir Deinen nichtswürdigen Hals gerettet hat und Wache hielt, während Du von Schweinefleisch und Bierkrug träumtest.«

Wiewohl noch im Schlafe, fühlte der Flamländer seine ganze Lage genugsam, so daß er ohne Antwort davonschlich, nach einigen linkischen Abschiedsverbeugungen gegen Eveline, wie gegen die, durch welche seine Ruhe so ohne alle Zeremonie unterbrochen worden war.

»Er verdient, bei Kopf und Füßen aufgehängt zu werden, der Hundsfott,« sagte Wilkin, »aber etwas wollt Ihr dazu sagen, Lady? Meine Landsleute können nicht leben ohne Ruhe und Schlaf.« Bei diesen Worten gähnte er selbst mit so weitem Munde, als wollte er eins von den Türmchen verschlucken, womit die Ecken der Plattform, wo er stand, besetzt waren.

»So ist es, guter Wilkin,« sagte Eveline. »Gönnt Euch daher selbst auch einige Ruhe und verlaßt Euch auf meine Wachsamkeit, wenigstens bis die Wachen abgelöst werden Ich kann nicht schlafen, wenn ich auch wollte; und ich will nicht, wenn ich es auch könnte.«

»Schönen Dank, Lady,« sagte Flammock, »in Wahrheit, da dieser Platz so ziemlich in der Mitte ist und die Runde spätestens in einer Stunde hier vorbeikommen muß, so will ich denn wirklich mein Auge bis dahin schließen, denn meine Augenlider sind mir schon schwer wie eine Schleuse.« »O Vater, Vater!« rief Rose aus, ihres Vaters unschickliche Vernachlässigung alles Anstandes tief fühlend, – »bedenkt, wo und in wessen Gegenwart Ihr Euch befindet.«

»Ja, ja, guter Flammock,« sagte der Mönch, »bemerkt, in Gegenwart eines edlen normannischen Fräulein geziemt es sich nicht, sich in den Mantel zu wickeln und die Nachtmütze aufzusetzen.«

»So laßt ihn doch, Vater,« sagte Eveline, welche zu einer andern Zeit die Schnelligkeit belächelt haben würde, mit welcher Flammock sich in seinen großen Mantel hüllte, seine wohlbeleibte Gestalt auf der steinernen Bank ausstreckte und schon die sichersten Zeichen eines tiefen Schlafes hören ließ, als der Mönch noch nicht ausgesprochen hatte. – »Die äußern Sitten und Formen der Achtung,« fuhr sie fort, »gehören nur für Zeiten des Wohlseins, und wo man alles sehr genau nimmt; – aber in der Gefahr ist des Soldaten Schlafgemach da, wo er Muße zu einer Stunde Ruhe finden kann, und sein Speisezimmer, wo er etwas zu essen erhaschen kann. Setze Dich zu Rosen und mir, guter Vater, und halte uns irgend einen heiligen Vortrag, wobei uns diese Stunden des Kummers und der Ermüdung leichter verfließen werden.«

Der Pater gehorchte, aber wiewohl willig, Trost mitzuteilen, gab ihm sein Geist und sein theologisches Wissen doch nichts Besseres ein, als das Hersagen der Bußpsalmen, worin er so lange fortfuhr, bis die Müdigkeit ihn überwältigte, indem er sich eben der Sünde wider das Decorum schuldig machte, worüber er den Wilkin Flammock gescholten hatte, und in der Mitte seiner frommen Beschäftigung fest einschlief.


 << zurück weiter >>