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Neunzehntes Kapitel.
Ein Brief.

So lange unermüdet hielt er's aus,
Doch Athem schöpft er jetzt. – Wohl – Mag es sein.

Richard III.

Kaum hatte Mowbray das Gemach des Grafen verlassen, als der Lord einen Brief an einen Freund und Verbündeten begann, der am besten geeignet ist, die Absichten und leitenden Gründe des Schreibers rühmlichst aufzuklären. Die Adresse lautete: An den Hauptmann Jekyl bei dem Regiment Garde – im grünen Drachen, Harrowgate; der Inhalt war folgender:

 

»Theurer Heinrich!

»Mit so viel Sehnsucht, als nur je ein Mann erwartet wurde, habe ich deiner in den letzten zehn Tagen geharrt; und jetzt muß ich deine Abwesenheit als Hochverrath unsers beschwornen Bundes anklagen. Du wirst doch wohl nicht, wie einer der neugebackenen Monarchen Napoleons es dir einfallen lassen, nach Unabhängigkeit zu streben, als ob deine Größe dein eignes Werk sei, oder als ob ich auf dem St. James-Kaffeehause dich allein auserlesen hätte, mich zu unterstützen, nicht zu meinem Nutzen, nein, zu deinem eignen Vortheile? Deßhalb wirf alle deine Geschäfte bei Seite, es mag nun die Jagd auf eine Wittib, oder die Plünderung irgend eines jungen Küchleins betreffen, und begib dich sogleich hieher, wo ich bald deines Beistandes bedürftig sein könnte. – Bedürfen könnte, sagte ich? – Vielmehr, du nachlässigster der Freunde und Verbündeten, ich habe ihn schon sehr nöthig gehabt, und zwar da, wo er mir als Leibwächter zur Seite hätte stehen sollen. – Wisse, daß ich Händel hatte, seit ich hier bin, selbst verwundet ward, und fast meinen Gegner erschoß, und war dieß der Fall, so hätte ich leicht zum Hängen gelangen können, da Heinrich Jekyl mir nicht als Zeuge zur Seite stand. – Ich hatte auf dem Wege hieher verschiedener Ursachen wegen, weßhalb ich nicht das alte Dorf betreten wollte, einen Fußpfad eingeschlagen, der durch den Wald nach dem neuerrichteten Gesundbrunnen führt, und ließ Wagen und Leute den Fahrweg verfolgen. Kaum war ich eine halbe Meile vorwärts geschritten, als ich, Fußtritte hinter mir vernehmend, den Kopf wandte, und welcher Anblick ward mir? – das Gesicht, welches ich in der Welt am tiefsten hasse und verabscheue – nämlich das, was auf den Schultern meines ächt zuverlässigen, hochgeliebten Vetters und Rathgebers, des heiligen Francis, thront. Er schien eben so bestürzt als ich über unser unerwartetes Zusammentreffen; eine Minute wohl ging vorüber, ehe er hinreichend Athem fand, mich zu fragen, was ich in Schottland wolle, meinem Versprechen zuwider handelnd, wie er sich auszudrücken beliebte. – Ich brauchte Repressalien und warf ihm seine Anwesenheit, seinem eignen Gelübde zum Trotz, vor. – Er rechtfertigte sich, daß er bloß deßhalb hieher gekommen sei, weil er die Nachricht von meiner beabsichtigten Reise nach St. Ronans erhalten habe. – Wie aber zum Teufel, Heinrich, konnte er davon Kunde bekommen, wenn du mir ganz treu warst? denn bestimmt weiß ich es, keinem andern Ohre vertraute ich das Mindeste davon. – Darauf schlug er mit der unverschämten Anmaßung, welche auf der Rechtlichkeit der Sache selbst, wie er es nennt, fußt, vor, daß wir Beide eine Gegend verlassen sollten, wohin wir nichts als Elend bringen könnten. Ich erzählte dir, wie schwer es ist, gegen die ruhige Entschlossenheit, welche ihm der Teufel bei solcher Gelegenheit gibt, sich aufzulehnen; aber ich war fest bestimmt, dießmal sollte er nicht die Oberhand behalten. – Doch sah ich, mir blieb nichts weiter übrig, als mich in eine blinde Wuth zu versetzen, welches ich, dem Himmel sei Dank! sehr schnell zu bewerkstelligen verstehe. – Ich warf ihm vor, mich in meiner Jugend hinterlistig getäuscht zu haben, und rief ihn selbst zum Richter meiner gerechten Ansprüche auf; Spott und Hohn in den stärksten Ausdrücken und die Forderung augenblicklicher Genugthuung fügte ich diesen Worten bei. Ich hatte meine Reisepistolen bei mir, und ( pour cause) zu meinem Erstaunen war mein Ritter eben so gut versehen. – Damit aber das Spiel gleich sei, drang ich ihm eine der meinigen auf – ächte Kuchenreuter – eine jede mit zwei Kugeln geladen, doch den Umstand hatte ich vergessen. – Er würde gern die Sache noch etwas besonnener behandelt haben, aber ich dachte damals und bin noch der Meinung, die einleuchtendsten Gründe, welche wir gegen einander austauschen können, muß die Spitze des Schwertes oder die Mündung der Pistolen entscheiden. – Wir feuerten fast zugleich ab, und ich glaube, wir sanken Beide zur Erde; – ich mindestens bin dessen gewiß, doch kam ich einen Augenblick darauf wieder zu mir selbst, und fand mich im Arme verwundet, und eine Schramme von einem Streifschuß trug ich am Schlafe davon. – Diese Kugel war es, die mich betäubte – das kömmt von den Pistolen mit Doppelläufen. – Mein Gegner war unsichtbar geworden, und mir blieb nichts übrig, als nach dem Brunnen zu gehen, wie ein abgestochenes Kalb blutend, und dort eine Raub- und Mordgeschichte von einem Straßenräuber zum Besten zu geben, welche ohne meine blutigen Locken und meinen Grafentitel, gewiß keinen Glauben gefunden hätte.

»Kaum war ich in meinem Krankenzimmer eingerichtet, so hatte ich die Kränkung zu erfahren, daß meine eigne Ungeduld all' diese Unannehmlichkeiten mir in eben dem Augenblick zuzog, wo ich die Wahrscheinlichkeit hatte, meinen Feind los zu werden, wenn ich ihn nur in seinem Vorhaben nicht gestört hätte. Denn es scheint, er sollte eben damals ein Duell mit einem tölpischen Baronet ausfechten, der, wie man sagt, ein Kugelspalter ist, und mich vielleicht vom heiligen Francis, ohne Mühe und Gefahr für mich selbst, befreit hätte. Sein Außenbleiben bei dieser Gelegenheit hat indessen Mr. Francis Tyrrel, wie er sich hier zu nennen beliebt, in den übelsten Ruf bei den Landedelleuten auf dem Gesundbrunnen gebracht, welche ihn für eine Memme und des Namens eines Gentlemans unwerth erklärt haben. – Ich weiß selbst nicht, was ich von der Geschichte denken soll, und deines Beistandes bedarf ich sehr, um zu ergründen, was aus dem Burschen geworden ist, der, gleich einem Gespenst böser Vorbedeutung voll, so oft meine besten Pläne untergrub und scheitern machte. Meine eigne Wunde, obwohl sie in der Heilung ist, zwingt mich zur Unthätigkeit. – Todt kann er nicht sein, denn wäre er tödtlich verwundet worden, hätte man hier oder da etwas von ihm gehört – wie eine zerspringende Wasserblase vermag er auch nicht spurlos von der Erde zu verschwinden. Unverletzt und gesund kann er eben so wenig sein; denn außer dem, daß ich überzeugt bin, ich sah ihn schwanken, fallen und im Niedersinken selbst sein Pistol abfeuern, so kenne ich ihn zu gut, um nicht darauf zu schwören, daß, wäre er nicht schwer verwundet gewesen, er mir zuerst mit seiner verdammten Gegenwart und Hülfe beschwerlich gefallen sein würde, und wäre dann mit gewohnter ruhiger Gelassenheit vorwärts geschritten, seine Händel mit Sir Bingo Binks abzumachen. Nein, nein, der heilige Francis gehört nicht zu denen, welche solche Angelegenheiten auf halbem Wege im Stich lassen – man muß ihm die Gerechtigkeit erzeigen, einzuräumen, daß er des Satans Muth besitzt, seine eigne, besonnene Unverschämtheit zu vertheidigen. Aber wenn er schwer verwundet ist, so muß er noch immer hier in der Nähe und zwar verborgen zugegen sein; – das muß ich entdecken und bedarf deines Beistandes zu der Ausforschung der Umgebungen. – Daher eile hieher, Heinrich, wenn du je noch etwas Gutes von mir erwartest.

»Ein guter Spieler, Heinrich, sucht immer auch aus den schlechtesten Karten den möglichsten Nutzen zu ziehen – so habe auch ich darauf gedacht, durch meine Wunde mir Vortheil zu schaffen und die Gelegenheit wahrzunehmen, den Herrn Bruder für mich zu gewinnen. Du sagtest mit vollem Recht, es sei mir nothwendig, den Charakter dieses neuen Schauspielers auf dem verworrenen Theater meiner Abenteuer zu ergründen. – So wisse denn – er ist das ungereimteste aller Ungeheuer, ein schottischer Wildfang. – Wie weit er aber davon entfernt ist, ein modischer, geltender Wildfang zu sein, das magst du selbst am Besten beurtheilen. Jedes und alles Eigenthümliche ihres National-Charakters steht dieser unseligen Menschenrasse entgegen, wenn sie den Versuch macht, sich eine Rolle anzueignen, in welche sich ihre Brüder auf der Insel der Heiligen so leicht zu finden wissen. Die Schotten sind allerdings ein schlaues, listiges Volk; aber so ganz ohne Leichtigkeit, Grazie und Geschmeidigkeit, und fern von jedem einschmeichelnden Benehmen, daß sie, wenn sie sich bestreben sorglos und lustig zu sein, ordentlich eine Art Marter sich aufzuerlegen scheinen. Bei einer Sache tritt ihnen ihr Stolz in den Weg, bei der andern ihre Armuth, ihre Pedanterie bei der dritten, und endlich läßt mauvaise honte den vierten Plan scheitern, und bei so vielen Hindernissen, die ihren Lauf hemmen, ist es ganz unmöglich, daß sie das Ziel siegend erreichen. Nein, Heinrich, – es sind nur die ernsten Leute, die einen caledonischen Ueberfall zu fürchten haben könnten; sie werden keine Eroberungen auf dem Gebiet der Mode machen. Vortreffliche Bankiers können sie sein, denn ewig berechnen sie, wie man Interessen zum Kapital fügen und es verdoppeln kann; – gute Soldaten, denn sie sind, wie ich glaube, wenn nicht eben solche Helden als sie sich dünken, doch so tapfer wie ihre Nachbarn, und viel leichter zur Mannszucht zu gewöhnen; – zu Rechtsgelehrten sind sie geboren; wahrhaftig, jeder Landedelmann ist dazu erzogen, und ihr ausharrender, verschmitzter Sinn macht sie ebenfalls fähig sich manchem Drucke, den andere nicht zu ertragen vermöchten, zu unterwerfen, und sich dagegen manche Vortheile, welche jene sich unbemerkt entwischen ließen, mit Erfolg zuzueignen. Aber gewiß, der Himmel bildete den Schotten nicht für die heiter bewegliche Welt, und seine Anstrengungen, sich Leichtigkeit, Grazie und fröhliche Lebenslust anzueignen, erinnern an die Luftsprünge des Esels in der Fabel. Doch auch er hat eine Sphäre (versteht sich in seinem Vaterlande), wo dieser sogenannte Wildfang an seinem Platze ist. So kann zum Beispiel dieser Mowbray – mein künftiger Schwager – ganz leidlich in einer nordischen Versammlung oder bei dem Wettrennen zu Leith figuriren, wo er fünf Minuten den Belustigungen des Tages, und die nächste halbe Stunde den politischen oder den landwirthschaftlichen Gesprächen weiht; aber ich brauche wohl kaum hinzuzufügen, daß dieß Alles schlecht auf die bessere Seite der Tweede hinpassen würde.

»Dennoch, trotz Allem, was ich dir da sage, war die Forelle nicht leicht zu kirren; auch würde ich nicht viel mit ihm aufgestellt haben, wenn er nicht in seinem vollen nordischen Uebermuth sich eingebildet hätte, daß ich ein gutes Vöglein, zum Rupfen gar wohl geeignet wäre, welches du (Segen über dein erfindungsreiches Gehirn) so schlau warest, ihm durch Wolverine einzubilden. Er begann sein hoffnungsvolles Unternehmen, und wie du es dir denken kannst, fiel er einem Araber und dessen Rache in die Hände. Natürlich benutzte ich meinen Sieg nur, um seiner Theilnahme desto gewisser zur Erreichung meiner Hauptabsicht zu sein; und doch sah ich des jungen Herrn Stolz so bitter durch diese Begebenheit gekränkt, daß selbst nicht einmal die Aussicht auf alle Vortheile, welche diese Heirath seiner verwünschten Familie gewährt, den Kummer seiner Niederlage zu überwinden vermochte. – Indessen er schluckte den bittern Trank nieder, und wir sind Freunde und Verbündete, mindestens für den Augenblick. Doch sind wir nicht so eng vereint, daß ich ihm die ganze so seltsam verworrene Geschichte hätte mittheilen mögen. Nothwendig war es aber des Testamentes, als eines hinreichend bewegenden Grundes zu meiner Bewerbung, zu erwähnen, und diese theilweise Eröffnung macht es mir für jetzt möglich, mich eines weiteren Vertrauens noch zu enthalten.

»Du wirst einsehen, daß ich keinesweges ganz sicher stehe, und außer der Möglichkeit der Wiedererscheinung meines Vetters, – ein Ereigniß, das gewiß eintritt, wenn er nicht kränker ist, als ich zu hoffen wage – habe ich vielleicht mit dem fantastischen Widerwillen Claras selbst, oder mit einer tollen Grille ihres Bruders noch manches zu schaffen. – Mit einem Wort – laß es für dich die Kraft haben, womit man den Teufel heraufbeschwört – Heinrich Jekyl, ich bedarf Deiner.

»Vollkommen wohl mit den Neigungen und der Gemüthsstimmung meines Freundes vertraut, kann ich dir versichern, daß dein eigener Vortheil sich sehr gut dabei befinden wird, wenn du pflichtmäßig hier erscheinest. Hier ist ein Dummkopf, Sir Bingo Binks, dessen ich schon vorher erwähnte, mit dem allerdings etwas aufzustellen wäre, das deiner Muße wohl werth sein möchte, obwohl es kaum der meinigen würdig wäre. Der Baronet ist ein vollkommener Gänsekopf, der, als ich hieher kam, in Mowbrays Gefolge gehörte. Aber der linkische Schotte hat ihm mit so geringer Aufmerksamkeit ein halbes Dutzend Federn aus den Flügeln gerupft, daß der Baronet furchtsam und scheu geworden ist, und sich jetzt gegen Mowbray rebellisch auflehnt, den er zugleich fürchtet und haßt. – Es bedarf nur einer kundigen Hand wie der deinigen, so ist der Vogel und sein ganzes Gefieder dein Eigenthum. – Ueberdem

– – – Bei meinem Leben,
Ein schönes Weib ward diesem Mann gegeben!

»Eine liebenswürdige Frau, Heinrich, – etwas Fülle, und über die mittlere Größe – ganz dein Geschmack. – Eine Juno, der Schönheit nach, die mit solcher Verachtung auf ihren Gatten blickt, den sie geringschätzt und haßt, und doch aussieht, als könne sie so ganz verschieden Jemand anblicken, der ihr besser gefiele – daß es meiner Treu ordentlich Sünde wäre, ihr nicht Gelegenheit dazu zu geben. Wenn du Lust hast dein Glück bei dem Ritter oder der Dame zu versuchen – du sollst ohne Einmischung dein Spiel leiten können – wenn du nämlich auf diesen Ruf erscheinst; denn sonst möchte es sich so fügen, daß ich selbst die Angelegenheiten des Ritters und der Dame mir zu Herzen nähme. Wenn du also diese Winke benutzen willst, Heinrich, so eile zu unserm beiderseitigen Vortheil herbei. – Der Deinige, Heinrich, wenn du dich dessen würdig zeigst.

Etherington

 

Als er dieses beredtsame unterrichtende Schreiben beendet hatte, gebot der junge Lord seinem Kammerdiener Solmes, es ohne Zeitverlust und eigenhändig nach dem Postamte zu befördern.



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