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Siebenzehntes Kapitel.
Die Bekanntschaft.

Willst du den Unterschied hier wissen?
Den Kopf hast du gebrauchen müssen;
Du hast gelesen, was ich sah.
Mich hat mein Fuß zum Ziel geführet,
Ich schaute, was dich lesend rühret,
Wem ist nun wohl der Sieg geglückt? –

Bruce.

Schnell in allen seinen Entschlüssen und Bewegungen ging unser Reisender hastig die Straße hinab nach dem Pfarrhause, welches, wie wir es bereits beschrieben haben, beinahe ganz zerstört war. Die gänzliche Zerrüttung und Unordnung, die sich schon um die Hausthür herum zeigte, würde den Ort für unbewohnt haben gelten lassen, wenn nicht einige Wannen, mit Seifenwasser oder ähnlichen schmutzigen Flüssigkeiten gefüllt, dagestanden hätten, wahrscheinlich um Demjenigen, der sich das Schienbein daran stieß, einen merklichen Beweis zu geben, daß hier Frauenhände geschäftig waren. Da die Thür nur noch halb in Angeln hing, war der Eingang durch eine zerbrochene Egge geschützt, welche erst weggenommen werden mußte, bevor man eintreten konnte. Der kleine Garten, der, wäre er in Ordnung gewesen, dem alten Hause einige Behaglichkeit gegeben haben würde, war ganz verwüstet.

Des Predigers Knecht, der wegen Verrichtens der halben Arbeit zum Sprüchwort geworden war, der aber in diesem Augenblick gar nichts zu thun schien, sah man zwischen Ampferkraut und Nesseln sich durchwindend an einigen Johannisbeeren sich erquicken, welche an ganz mit Moos bewachsenen Büschen noch hingen. Diesen rief Mr. Touchwood an, indem er nach seinem Herrn fragte; aber der Tölpel, fürchtend, in flagranti ertappt zu werden, wie das Recht sagt, floh, anstatt sein Rufen zu beantworten, gleich einem Schuldigen davon, und ward bald darauf klappernd und hämmernd an einem Karren, den er an der andern Seite der zerbrochenen Mauer gelassen hatte, emsig beschäftigt vernommen.

So seinen Ruf von dem Diener unbefolgt sehend, klopfte nun Mr. Touchwood mit seinem Stock, erst leise, dann stärker, dann schreiend, endlich schimpfend, in Hoffnung, die Aufmerksamkeit irgend Jemandes im Innern des Hauses zu erregen, an die Thüre; allein er erhielt keine Antwort. Endlich denkend, daß es keine Sünde sei, in eine so zerstörte, schlechte Wohnung einzudringen, hob er das ihn abhaltende Hinderniß mit solchem Geräusch hinweg, daß nach seiner Meinung, wenn nur irgend eine lebende Seele im Hause war, sie nothwendig davon beunruhigt werden mußte. Da alles still blieb, schlug er einen Weg zwischen feuchten Wänden und zerbrochenen Fliesen ein, der ganz der Erscheinung des Aeußern des Hauses entsprach, bis er zuletzt eine Thüre öffnete, an welcher, wunderbar genug, noch eine Thürklinke befindlich war, und plötzlich sich im Wohnzimmer und vor der Person, welche er suchte, befand.

In der Mitte eines Haufens Bücher und anderer literarischer Bruchstücke, welche er um sich her angehäuft hatte, saß in seinem sehr abgetragenen, ledernen Armstuhle der gelehrte Pfarrer von St. Ronans, ein dünner, magerer Mann, im mittleren Alter, von dunkler Gesichtsfarbe, aber mit Augen, welche, wenn sie jetzt gleich finster und theilnahmlos umher blickten, gewiß einstens glänzend, sanft und ausdrucksvoll waren, dessen Züge anziehend erschienen, um so mehr, da trotz der Sorglosigkeit seiner Kleidung, er den höchst reinlichen Gewohnheiten der Morgenländer sehr ergeben war, so daß ihm jede Zierlichkeit, aber keine Reinlichkeit fehlte. Sein Haar würde vielleicht verwirrter ausgesehen haben, wenn es nicht durch die Zeit gelichtet, schlicht um seinen Kopf und Nacken gehangen hätte. Schwarze unaufgebundene Strümpfe zeigten seine gewöhnliche Amtskleidung an, während seine Füße in niedergetretenen Schuhen steckten, welche ihm statt Pantoffeln dienten. Das übrige seiner Kleidung, so weit sie zu bemerken war, bestand in einem Schlafrock, welcher in tiefen Falten sich herumziehend, seinen langen, mageren Körper bezeichnete und bis auf die Pantoffeln herabreichte. Er war so gänzlich mit einem Buche beschäftigt, daß er den Lärm, welchen Mr. Touchwood beim Hereinkommen im Zimmer machte, gänzlich überhörte, ebensowohl wie das Husten und Räuspern, wodurch er seine Gegenwart kund zu thun versuchte.

Da keine Notiz von diesen unartikulirten Tönen genommen ward, mußte Mr. Touchwood, so sehr er ein Feind aller Ceremonien war, doch als Entschuldigung seines Eintritts sein Begehren nennen.

»Hm, Sir – ja, Sir – Sie sehen einen Mann vor sich, dessen gänzlicher Mangel an Gesellschaft ihn zu der Freiheit bewogen hat, zu Ihnen, als einem wackeren Prediger, seine Zuflucht zu nehmen, der vielleicht aus christlicher Milde willig sein wird, ihm ein wenig Gesellschaft zu gewähren, weil er seiner eignen herzlich müde ist.«

Von dieser ganzen Rede verstand Mr. Cargill allein Mangel und Milde, Ausdrücke, deren er sehr gewohnt war, und die niemals verfehlten, Eindruck auf ihn zu machen. Er starrte seinen Besucher mit glanzlosen Augen an, ohne seine gefaßte Meinung zu ändern, obgleich des Fremden volle und kräftige Gestalt ebensowohl wie sein zierlich gebürstetes Kleid, sein glänzender Stock, und vor Allem sein stolzes, selbstgefälliges Wesen, in keiner Art dem Aussehen, Kleidung oder Betragen eines Bettlers entsprach, und drückte ihm ruhig einen Schilling in die Hand, sodann wieder in seine gelehrte Betrachtungen zurücksinkend, welche der Eintritt Mr. Touchwoods unterbrochen hatte.

»Auf mein Wort, guter Sir,« rief der Ankömmling, erstaunt über diese Abwesenheit des Geistes, die ihm fast unglaublich erschien, »Sie haben meine Absicht durchaus mißverstanden.«

»Es ist mir leid, daß mein Beitrag nicht zureichend ist,« sagte der Geistliche, ohne die Augen zu erheben. »Es ist Alles, was ich geben kann.«

»Wenn Sie so gut sein wollen, mein guter Sir, nur einen Augenblick aufzuschauen,« entgegnete der Reisende, »werden Sie gleich gewahr werden, daß Sie sich gewaltig irren.«

Mr. Cargill erhob sein Haupt, sammelte sich und als er einen wohlgekleideten, anständigen Mann erblickte, rief er in großer Bestürzung aus: – »Ah! – Ja! – auf mein Wort – ich war so in meinem Buche versenkt – ich glaube – nicht wahr, ich sehe meinen würdigen Freund Mr. Lavender vor mir?«

»Nein, Mr. Cargill, nicht diesen,« versetzte Mr. Touchwood; »ich will Ihnen die Mühe sparen, sich meiner zu erinnern – Sie haben mich früher nie gesehen – aber ich will Ihre Studien nicht stören – ich bin nicht eilig – mein Geschäft kann auf Ihre Muße warten.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden,« sagte Mr. Cargill, »nehmen Sie gefälligst einen Stuhl, wenn Sie einen finden können – ich habe noch einen Ideenflug zu verfolgen – eine leichte Berechnung zu enden – dann bin ich zu Ihrem Befehl.« Nicht ohne Schwierigkeiten fand der Fremde unter den zerbrochenen Möbeln einen Stuhl, der noch fest genug war, sein Gewicht zu tragen. Er setzte sich nieder und blickte, auf seinen Stock gestützt, unverwandt nach seinem Wirthe hin, der sehr bald gänzlich das Andenken seiner Gegenwart verlor. Eine lange Pause des tiefsten Stillschweigens erfolgte, einzig von dem Umschlagen der Blätter des Folio-Bandes unterbrochen, von welchem Mr. Cargill Auszüge zu machen schien, und dann und wann durch einen kleinen Ausruf belebt, wenn er seine Feder statt in die Dinte, in die Schnupftabacksdose tauchte, was einigemal geschah. Endlich, gerade als Mr. Touchwood anfing, die Scene eben so sonderbar als langweilig zu finden, erhob der abstrakte Gelehrte sein Haupt, und sprach gleichsam wie im Monolog. – »Von Alcon, Accon oder St. John d'Acre bis nach Jerusalem, wie weit?« –

»Dreiundzwanzig Meilen nord-nord-westlich,« entgegnete ohne zu zögern der Fremde.

Mr. Cargill drückte nicht mehr Erstaunen aus, als hätte er die Entfernung auf der Charte gefunden und ahnete höchst wahrscheinlich nicht einmal das Mittel, wodurch seine Frage aufgelöst war, sondern nur den Inhalt der Rede beantwortend, sagte er, die Hand auf das Buch legend: »Dreiundzwanzig Meilen? – Ingulphus und Jeffrey Winesauf stimmen darin nicht überein.«

»So mag man Beide für Dummköpfe erklären!« entgegnete der Reisende.

»Sie könnten ihrer Autorität widersprechen, ohne sich solcher Ausdrücke zu bedienen,« sagte der Geistliche streng.

»Ich berufe mich auf Sie, Doctor! wollen Sie diese pergamentnen Bursche mit mir vergleichen, mit mir, der seine Füße als Compaß durch den größten Theil der bewohnten Welt benutzte?«

»Sie sind also in Palästina gewesen?« – sagte Mr. Cargill, indem er sich aufrecht in seinem Stuhl setzte, und mit Begierde und Interesse fragte.

»Das können Sie beschwören, Doctor – und auch in Acre. Ei, ich war einen Monat dort, nachdem Boney dort eine Nuß gefunden hatte, die ihm zu schwer zu knacken war. – Ich aß daselbst mit Sir Sidney's Stubenburschen, dem alten Pascha Djezzar, und welch' ein herrliches Mittagessen hatten wir! Allein ein Dessert von Nasen und Ohren, welches zuletzt erschien, verdarb mir ein wenig die Verdauung. Der alte Djezzar ist solch' ein lustiger Vogel, daß Sie wenig Leute in Acre sehen, deren Gesichter nicht so flach als meine Hand sind. – Ich nun hatte Achtung für mein Geruchs-Organ, und eilte daher den nächsten Morgen so schleunig fort, wie das verruchteste, hart trabendste Dromedar, das je einem armen Pilger zu Theile ward, nur fortzustampfen vermocht werden konnte.«

»Wenn Sie wirklich im heiligen Lande gewesen sind,« sagte Mr. Cargill, bei dem die sorglose Heiterkeit von Mr. Touchwoods Wesen den Verdacht eines Betrugs erregte, »so werden Sie fähig sein, was die Kreuzzüge betrifft, mir einiges Licht zu ertheilen.«

»Diese ereigneten sich vor meiner Zeit, Doctor!« entgegnete der Reisende.

»Sie werden wohl verstehen, daß meine Neugierde nur in geographischer Hinsicht rege ist, und sich also auf die Orte bezieht, wo diese Begebenheiten stattfanden,« antwortete Mr. Cargill.

»Bis an Ihre Fußspitzen will ich Sie erleuchten; was die Gegenwart anbetrifft, da kann ich Rede stehen. Türken, Araber, Copten und Drusen, alle diese kenne ich, und Sie sollen mit ihnen bekannt werden, so wie ich selbst es bin. Ohne daß Sie einen Schritt über Ihre Thürschwelle machen, soll Ihnen Syrien so befreundet werden, als mir. – Aber eine Freundlichkeit ist der andern werth – Sie müssen die Güte haben, bei mir zu essen.«

»Ich gehe selten aus, Sir,« sagte der Geistliche mit zögernder Stimme, denn seine gewöhnte Eingezogenheit und Einsamkeit konnten selbst durch die Erwartungen, welche des Reisenden Gespräche erregt hatten, nicht ganz überwunden werden. – »Dennoch kann ich mir nicht das Vergnügen versagen, einem so erfahrnen Manne aufzuwarten.«

»Gut denn,« sagte Mr. Touchwood. – »Drei Uhr ist die Stunde – ich esse niemals später, und immer auf die Minute – der Ort ist die Schenke zur Teufelsfalle, dort oben, wo Mistreß Dods so eben beschäftigt ist, ein Essen zu bereiten, wie Sie, mein hochgelahrter Herr, wohl selten gesehen haben, denn ich, Doctor, brachte aus den verschiedenen Welttheilen die Recepte mit.«

Nach dieser Uebereinkunft schieden sie, und Mr. Cargill, nachdem er eine Weile nachgesonnen hatte über den sonderbaren Zufall, daß ein lebendiger Mensch ihm die Zweifel heben konnte, die er vergeblich durch die alten Klassiker zu lösen versuchte, nahm nach und nach den Faden der Gedanken und Nachforschungen wieder auf, welche Mr. Touchwood's Besuch unterbrochen hatte, und verlor in kurzer Zeit alle Erinnerung des Vorgefallenen, sogar der Einladung, welche er angenommen hatte.

Mr. Touchwood hingegen, der, wenn nicht mit wichtigen Dingen beschäftigt, die Gewohnheit hatte, wie der Leser schon bemerkt haben wird, bei Allem viel Geräusch zu machen, durchstrich bei dieser Gelegenheit ohne Aufhören die Küche, bis Mistreß Dods die Geduld verlor und ihn mit dem Rock an den Tisch zu nageln gelobte; eine Drohung, welche er indessen vergab, weil er bedachte, daß in allen Gegenden, die er besucht hatte, und welche civilisirt genug waren, sich mit Köchen zu brüsten, diese Künstler, wenn sie in ihrem feurigen Element beschäftigt sind, auch ein Privilegium haben, ungeduldig und grob zu sein. Er zog sich also aus der heißen Zone Mistreß Dods zurück, und verbrachte seine Zeit auf die gewöhnliche Weise der Müssiggänger; theilweise gehend, um Appetit zu bekommen, dann wieder seine Uhr bewachend, wie sie sich der dritten Stunde näherte, nachdem er diesen glücklich bekommen hatte.

Sein Tisch in der blauen Stube war, nach der zierlichsten Sitte des Gasthofes zur Teufelsfalle, mit zwei Couverts bereitet, als die Dame Dods mit einem artigen, doch schlauen Blick einige Zweifel aufzuwerfen anfing, ob der Geistliche kommen werde, wenn Alles in Ordnung sei.

Mr. Touchwood hielt es unter seiner Würde, einen solchen Einfall zu beachten, bis die bestimmte Stunde schlug, und keinen Mr. Cargill herbeiführte. Fünf Minuten Verschiedenheit gestattete der ungeduldige Gastgeber dem Gange der Uhren, noch andere fünf dem Zögern des selten Gesellschaft Besuchenden, kaum waren aber diese letzteren vorüber, als er nach dem Pfarrhause schoß, nicht gleich dem Spürhunde oder Hirsch, sondern mit der augenblicklichen Schnelligkeit eines starken, hungrigen, ältlichen Mannes, der nach seinem Essen verlangt. Er platzte ohne Umstände in das Sprachzimmer hinein, wo er den würdigen Geistlichen in demselben Schlafrock in seinem Lehnsessel sitzend fand, in welchem er ihn vor fünf Stunden verlassen hatte. Sein plötzlicher Eintritt rief Mr. Cargill nicht alles Vergangene zurück, aber eine flüchtige Erinnerung der Morgenscene schien sich ihm doch aufzudringen, er suchte sich also auf folgende Weise zu entschuldigen: »Ha! in Wahrheit – schon – auf mein Wort, Mr. A – u. – Ach, mein theurer Freund, ich habe sehr unrecht gegen Sie gehandelt – ich vergaß, ein Mittagsmahl zu bestellen – allein wir wollen unser Bestes thun – Eppie! – Eppie!«

Weder beim ersten, zweiten oder dritten Ruf, sondern ex intervallo, wie die Rechtsgelehrten sich ausdrücken, erschien endlich eine barfüßige, dickknochige, rotharmige Dirne mit borstigem Haar, und machte ihre Gegenwart durch ein nachdrückliches – »Was wollt Ihr?« – kund.

»Habt Ihr nichts im Hause zu einem Mittagessen, Eppie?«

»Nichts, als Brod und Milch im Ueberflusse! – Was sollt' ich sonst noch haben?« –

»Sie sehen, mein Herr,« sagte Mr. Cargill, »Sie laufen Gefahr, ein pythagoräisches Mahl zu halten, allein Sie sind ein Reisender, und haben ohne Zweifel Milch und Brod oft dankbar empfangen.«

»Aber niemals, wenn ich etwas Besseres erlangen konnte,« rief Mr. Touchwood. »Kommen Sie, Doctor, ich bitte um Verzeihung, aber Ihr Geist ist wohl mit ihren Gedanken spazieren gegangen. Ich habe Sie zu mir eingeladen, nach dem Gasthause unten, nicht Sie mich.«

»Ja, so war es auch – ich wußte nur nicht so recht!« – rief Mr. Cargill. »Es war eine Einladung zwischen uns wegen eines Mittagessens – dessen war ich sicher, und das ist doch die Hauptsache. – Kommen Sie – ich folge Ihnen.«

»Wollten Sie nicht erst Ihre Kleidung ändern?« – sagte der Fremde, indem er mit Erstaunen sah, daß der Geistliche ihn in seinem Schlafrocke begleiten wollte. »Wir würden alle Gassenbuben des Dorfs hinter uns haben, denn Sie würden der Eule gleichen, die sich in die Sonne wagt, und jene Buben würden Sie wie ein Flug Weidensperlinge umgeben.«

»Sogleich will ich meine Kleider anlegen,« sagte der würdige Geistliche. – »Ich werde schnell fertig sein. – In der That, ich bin beschämt, daß Sie auf mich warten sollen, Mr. A–i. – Ei, in dem Augenblicke ist mir Ihr Name entfallen.«

»Ich heiße Touchwood, zu Ihren Diensten, Sir, ich glaube nicht, daß Sie mich schon früher nennen hörten,« antwortete der Reisende.

»Ja, – recht – niemals habe ich – wahr, mein guter Mr. Touchstone, wollen Sie einen Augenblick sich niedersetzen, bis wir sehen, was wir thun können. Wir machen uns selbst zu wunderlichen Sklaven unsers Körpers, Mr. Touchstone. – Wir wenden auf unsere Kleidung und Erhaltung viel mehr Gedanken und Muße, die wir besser zu den Bedürfnissen unsers unsterblichen Geistes nutzen könnten.«

Mr. Touchwood dachte in seinem Herzen, daß kein Bramin noch Gymnosophist weniger Ursache haben könnte, die Ausschweifungen in Tafel oder Anzug sich vorzuwerfen, als der Weise, der sich vor ihm befand; aber er ließ sich diese Rede gefallen, wie er es bei noch größerer Ketzerei würde gethan haben, um nur nicht die Unterredung durch weitern Widerspruch zu verlängern.

In kurzer Zeit war der Prediger in seinem Sonntagsstaate ohne weitern Irrthum, als daß er einen seiner schwarzen Strümpfe links anzog, und Mr. Touchwood, glücklich wie Boswell, als er den Doctor Johnson im Triumph davon führte, mit Strachan und John Wilkes zu speisen, hatte das Vergnügen, ihn nach der Teufelsfalle zu geleiten.

Im Laufe des Nachmittags wurden sie bekannter mit einander, und diese Vertraulichkeit führte zur großen, gegenseitigen Achtung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten. Wahr ist es, der Reisende hielt den Gelehrten für etwas zu pedantisch, zu fest an Lehrgebäuden hängend, welche, in der Einsamkeit gebildet, er nicht aufgeben wollte, selbst wenn sie durch die Stimme und das Zeugniß der Erfahrung widerlegt wurden. Außerdem betrachtete er seine wenige Aufmerksamkeit auf Essen und Trinken als unwürdig einer vernünftigen, das heißt einer kochenden Creatur, nämlich eines Wesens, welches, wie Johnson es zergliedert, das Mittagsessen für das wichtigste Geschäft des Tages hält. Cargill handelte nicht nach dieser Regel, und war also in den Augen seiner neuen Bekanntschaft hierin mindestens unwissend und ungebildet. – Doch was nun weiter? – Er blieb immer doch ein gemüthvoller, verständiger Mann, wenn auch zu enthaltsam und zu sehr ein Bücherwurm.

Dagegen betrachtete wieder der Geistliche seinen neuen Freund als eine Art Epicuräer, dem der Bauch sein Gott ist. Auch bemerkte er weder in ihm die vollkommene Erziehung, noch das feine Betragen, über welches ihn sein ehemaliges Leben in der großen Welt zum giltigen Richter machte, und das den Mann von Stande bezeichnet. – Es entging ihm nicht, daß in dem Verzeichnisse von Mr. Touchwood's Fehlern derjenige so manches Reisenden sich befand, nämlich eine leichte Anlage, eigene Begebenheiten zu übertreiben und bei seinen Thaten aufzuschneiden. Aber dennoch gewährten seine Kenntnisse morgenländischer Sitten, die noch eben so waren wie zu den Zeiten der Kreuzzüge, einen lebenden Commentar zu den Werken Wilhelms von Tyrus, Raimund von St. Giles, den moslemischen Annalen von Abulfaragi und andern Geschichtschreibern dieser dunkeln Zeit, womit sich seine Gelehrsamkeit jetzt beschäftigte.

So entstand schnell zwischen diesen beiden Originalen ein freundschaftliches oder mindestens geselliges Verhältniß, und zum Erstaunen des ganzen Kirchspiels sah man den Prediger einmal wieder mit einem Wesen seines Gleichen umgehen, den man allgemein den Nabob aus der Teufelsfalle zu nennen pflegte. Zuweilen machten sie lange Spaziergänge zusammen, zu denen sie sich aber keines größern Raumes bedienten, als ob etwa hundert Ruthen Landes ganz eigens zu ihrer Leibesbewegung eingehegt worden wären. Bald sah man sie so in dem niedrigeren Theile des zerstörten Dorfes auf einer kleinen Ebene, bald auf der Esplanade vor dem alten Schlosse umherschreiten. Zuweilen, doch nur selten willigte der Geistliche auch ein, Herrn Touchwood's Mittagsmahl zu theilen, obwohl es weniger glänzend eingerichtet war, als das erste Mal; denn, gleich dem prahlenden Eigenthümer des goldnen Bechers in Parnells Einsiedler

»Uebt er die Gastfreundschaft, doch mit gering'ren Kosten.«

Bei diesen Gelegenheiten war die Unterhaltung keinesweges so zusammenhängend und geordnet, als sie zwischen sogenannten Weltmännern sein würde. Im Gegentheil, dem Einen lag oft Saladin und Richard Löwenherz im Sinne, wenn der Andere von Hyder Ali und Sir Eyre Coote docirte. Doch während der Eine sprach, schien der Andere ihm schweigend Aufmerksamkeit zu schenken, und die leichtern Bande der Geselligkeit, die nur Unterhaltung bezwecken, können kaum auf einen sicherern Grund festgestellt werden.

An einem der Abende, wo der Geistliche einen Platz an Mr. Touchwood's gastlichem Tische einnahm, oder vielmehr an dem der Mistreß Dods – denn eine Tasse ganz vorzüglichen Thees, des einzigen Luxus-Artikels, den Mr. Cargill immer mit einiger Theilnahme genoß, war die Labung, die ihrer harrte – ward eine Karte dem Nabob überbracht.

»Mr. und Miß Mowbray empfangen am zwanzigsten dieses, um zwei Uhr, Gäste zum Frühstück zu Shaw-Castle. – Charakterkleidungen sind gestattet – lebende dramatische Bilder werden sich zeigen!«

»Sie empfangen Gäste – Um so größere Narren sind sie!« fuhr Mr. Touchwood, die Karte recensirend, fort. »Empfangen Gäste – Gewählte Phrasen sind immer empfehlenswerth – dies Pappblatt soll also den Leuten anzeigen, daß sie dorthin gehen und alle Narren des Kirchspiels versammelt sehen können, wenn sie Lust haben – zu meiner Zeit erbat man sich die Ehre oder das Vergnügen der Gesellschaft eines Fremden. Ich vermuthe, nachgerade werden wir hier die Sitten eines Zeltes der beduinischen Araber annehmen, worin jeder zerlumpte Hadschi mit seinem grünen Turban ohne Erlaubniß Knall und Fall eintritt, und zur ganzen Entschuldigung nichts sagt, als Salam Aleicum! – Charakter-Anzüge – dramatische Bilder? – Was sind das nur wieder für neue Teufeleien? – Aber es thut nichts! – Doctor, hören Sie doch, Doctor! – Ja, der ist schon wieder im siebenten Himmel – hören Sie, Mutter Dods, – Sie, die Sie alles Neue wissen – ist dies das Fest, welches bis zur Wiederherstellung der Miß Mowbray aufgeschoben ward?«

»Sicherlich ist es das, Mr. Touchwood. – Sie sind gar nicht in der Lage, zwei Feste in einer Badezeit zu veranstalten; – es mag vielleicht überhaupt nicht sehr klug sein, daß sie überhaupt eins geben – doch sie müssen das am Besten wissen.«

»Doctor, hören Sie doch, Doctor! Verdammt, ich glaube, er rückt eben den Moslems mit dem mannhaften Richard zu Leibe. – Hören Sie doch, Doctor, wissen Sie nicht etwas von diesen Mowbray's?«

Nach einer kleinen Pause entgegnete Mr. Cargill: »Ich weiß eben nichts sehr Besonderes. Es ist nur die gewöhnliche Geschichte einer Größe, die in einem Jahrhundert auflodert, und im nächsten erlischt. Ich sollte glauben, Camden sagt, daß Thomas Mowbray der Großmarschall von England war, zu diesem hohen Amte sowohl, als zu dem Herzogstitel von Norfolk als Enkel Roger Bigots gelangte.«

»Pah, Freund, Sie sind wieder in's vierzehnte Jahrhundert zurück – ich meine diese jetzigen Mowbray's von St. Ronans – nein, schlafen Sie nicht wieder ein, ehe Sie meine Frage beantworten – und starren Sie mich nicht wie ein aufgescheuchter Hase an – ich führe keinen Hochverrath im Sinne.«

Der Geistliche rang einige Augenblicke nach Sammlung, wie es gewöhnlich der Fall bei einem im abstrakten Sinnen verlornen, oder aus dem Somnambulismus erwachenden Menschen der Fall ist, und antwortete dann, obwohl noch immer mit einigem Zögern:

»Mowbray von St. Ronans? – Ja – ei – ich kenne sie – das sind – ja, ich kannte die Familie.«

»Sie sind eben im Begriff, einen Maskenball, einen bal paré, eine Privat-Comödie, glaube ich, und wer weiß, was sonst noch zu geben,« sagte Mr. Touchwood, ihm die Karte zureichend.

»Ich sah so etwas Aehnliches schon vor vierzehn Tagen,« sagte Mr. Cargill. »Wirklich, ich selbst erhielt eine solche Karte, oder ich erblickte irgendwo eine solche.«

»Sind Sie gewiß, Doctor, daß Sie dem Feste nicht schon beiwohnten?« fragte der Nabob.

»Wer? ich ihm beigewohnt? Scherzen Sie, Mr. Touchwood?« erwiederte Herr Cargill.

»Aber sind Sie auch wirklich gewiß davon überzeugt?« wiederholte Mr. Touchwood, der zu seinem unendlichen Jubel bemerkt hatte, daß der gelehrte und abstrakte Doctor sich seiner Sonderbarkeiten zu ängstlich bewußt war, um jemals irgend einer Sache ganz sicher zu sein.

»Gewiß davon überzeugt?« wiederholte er verlegen. »Mein Gedächtniß ist so kläglich, daß ich niemals es liebe, ganz bestimmt über Etwas abzusprechen – aber sollte ich irgend Etwas unternommen haben, das so ganz aus meinem gewöhnlichen Wege liegt, so sollte ich denken, ich würde mich dessen erinnern, – und – ich bin überzeugt, daß ich nicht da war.«

»Sie konnten auch nicht!« sagte der Nabob über den mühsamen Weg lachend, auf welchem der Doctor endlich zum Vertrauen auf seine eigne Meinung gelangte, »denn jenes Fest hat gar nicht stattgefunden – es ward aufgeschoben, und dies ist die zweite Einladung – für Sie wird auch eine da sein, da Sie zu dem ersten gebeten waren. – Kommen Sie, Doctor, Sie müssen hingehen – wir wollen zusammen hin. – Ich als Iman – ich kann ein Bismillah wie jeder Hadgi hersagen. Sie gehen als Kardinal, oder wie Sie es für gut finden.«

»Wer? ich? – Das ziemt sich nicht für meinen Stand, Mr. Touchwood; auch ist es eine Thorheit, die gänzlich meinen Gewohnheiten widerspricht.«

»Desto besser! – Sie müssen Ihre Gewohnheiten ändern.«

»Sie würden gut thun, wenn Sie mit dahingingen, Mr. Cargill,« sagte Meg Dods, »denn es könnte leicht das letzte Mal sein, daß Sie Miß Mowbray sehen möchten – man sagt, sie wird sich nach England hin verheirathen mit einem von den neugebacknen Edelleuten, kann sein mit einem von den Narren da unten am Gesundbrunnen.«

»Verheirathen?« rief der Prediger, »das ist unmöglich.«

»Worin liegt denn die Unmöglichkeit, Mr. Cargill, wenn man es doch sieht, wie die Leute alle Tage Hochzeit machen, und Sie selbst ja eben das Ding recht zusammenknüpfen. – Es kann wohl sein, daß Sie daran denken, da das arme Mädchen einen Sparren im Kopfe hat; aber Sie sehen es ja an sich selbst am besten, wenn Niemand als die Klugen heirathen sollten, da würde es schlecht um die Bevölkerung der Welt stehen, Mr. Cargill. – Ich meine freilich auch, klug sind die Leute, die wie Sie und ich ledig bleiben, Mr. Cargill. – Hilf Himmel! – Sind Sie unwohl? – Wollen Sie nicht ein herzstärkendes Schlückchen nehmen?«

»Riechen Sie an meiner Rosenessenz,« sagte Mr. Touchwood. »Der Geruch würde die Todten wieder erwecken – aber was zum Henker kann dies bedeuten? – Sie waren noch eben ganz wohl.« –

»Ein plötzlicher Schwindel,« entgegnete Mr. Cargill sich erholend.

»Sehen Sie, Mr. Cargill, dies kömmt von Ihrem vielen Fasten!« rief Mistreß Dods.

»Richtig, Frauchen,« fügte Mr. Touchwood hinzu, »dann noch Milch und Bauernbrod dabei! – Ein jedes christliche Nahrungsmittel wird von einem solchen Magen zurückgewiesen, so wie ein kleiner Landedelmann den Besuch eines begüterten Gutsbesitzers zurückweiset, damit er nicht die Unfruchtbarkeit seiner Felder bemerke. – Ha ha ha!«

»Und so sagt man wirklich, Miß Mowbray würde sich verheirathen?« fragte der Prediger.

»Ganz gewiß! Nelly Trotter brachte die Neuigkeit mit!« entgegnete Meg. »Und wenn sie auch zuweilen einen Tropfen über den Durst trinkt, so glaube ich nicht, daß sie eine Lüge sich erdenken oder verbreiten würde – besonders nicht bei einer so guten Kundin, als ich ihr bin.«

»Das muß untersucht werden!« sagte Mr. Cargill, als spräche er zu sich selbst.

»Ja gewiß, das muß es!« erwiederte Dame Dods. »Es wäre eine Sünde und Schande, wenn sie solch' eine klägliche Zymbel dabei gebrauchen sollten, wie den Menschen, den sie Chatterley nennen, da wo man eine solche geistliche Trompete besitzt, wie Sie selbst, Mr. Cargill, es sind; und wollen Sie auf einer alten Närrin Rath achten, so lassen Sie sich doch in Ihrer eignen Mühle das Mahlgeld nicht entgehen, Mr. Cargill.«

»Recht, ganz recht, Mutter Dods,« sagte der Nabob; »man muß sich um Handschuh und Hutschnur bekümmern, und Mr. Cargill thut sehr wohl, wenn er mit mir zu diesem verdammten Feste geht, um dort gehörig seines Vortheils wahrzunehmen.«

»Ich muß mit der jungen Dame sprechen,« fuhr tiefsinnend der Prediger fort.

»Ja, ja, ganz recht, mein tiefstudirter Freund, Sie sollen mit mir gehen, und wir wollen sie schon zur Unterwürfigkeit unter die Mutterkirche bringen, ich bürge Ihnen dafür! – Wahrhaftig, der Gedanke, auf solche Art geprellt zu werden, würde einen Heiligen selbst außer Fassung bringen. – Welch' eine Kleidung wollen Sie anlegen?«

»Meine eigne, ohne Zweifel,« sagte, aus seiner Träumerei aufschreckend, der Prediger.

»Wahr, Sie haben wiederum recht. Sie haben dort vielleicht Lust, den Knoten gleich auf der Stelle zu schürzen, und wer würde von einem maskirten Prediger sich wohl trauen lassen? – Wir gehen ohne Masken zum Fest! Das ist eine abgemachte Sache.«

Der Prediger willigte ein, wenn er nämlich eine Einladung erhielte, und da er diese schon auf dem Pfarrhause vorfand, hatte er keine Entschuldigung, sein Wort zurückzunehmen, selbst wenn er eine gesucht hätte.



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