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Fünftes Kapitel.
Briefliche Beredtsamkeit.

Wie kann ich antworten? ich muß doch erst lesen.

Prior.

Da wir unsere wichtigeren Thatsachen mit so viel Originalurkunden, als möglich, zu belegen wünschen, so finden wir uns nach vielen Nachforschungen endlich in den Stand gesetzt, dem Leser folgende der trabenden Nelly anvertraute Noten in genauer Abschrift vorzulegen. Die erste lautete so:

 

»Herr Winterblossom (von Silverhed) hat den Auftrag von Lady Penelope Penfeather, Sir Bingo und Lady Binks, Herrn und Fräulein Mowbray (von St. Ronans) und der übrigen Gesellschaft im Hôtel und Tontinen-Wirthshaus von St. Ronans-Brunnen, ihre Hoffnung auszudrücken, daß der, in der Hakenschenke, Altstadt St. Ronans, wohnende Fremde sie mit seiner Gesellschaft sobald und so oft, als es seine Verhältnisse erlauben, beehren werde. Die Gesellschaft erachtet es für nöthig, diese Einladung zu senden, weil nach den Gesetzen des Orts der Gasthof nur von Herrn und Damen besucht werden darf, die am St. Ronans-Brunnen wohnen, aber sie freut sich, zu Gunsten eines durch seine Leistungen in den schönen Künsten so ausgezeichneten Herrn, als Herr – – –, dermalen in der Hakenschenke, eine Ausnahme zu machen. Wenn Herr – – – geneigt sein sollte, wenn er mit der Gesellschaft und den Gesetzen des Ortes näher bekannt geworden, seinen Aufenthalt nach dem Brunnen zu verlegen, so hofft Herr Winterblossom, wiewohl er sich dießfalls doch gerade zu nichts Bestimmtem verbürgen möchte, es würde sich, trotz des außerordentlich zahlreichen Besuchs in diesem Jahre, eine Einrichtung treffen lassen, Herrn – – – in dem Lilliput-hall genannten Hause einzumiethen. Es würde diese Unterhaltung sehr erleichtern, wenn Herr – – – eine genaue Angabe seiner Länge einsenden wollte, da Hauptmann Rannletree geneigt scheint, auf das Feldbett zu Lilliput-hall zu verzichten, weil er es ein wenig zu kurz findet. Herr Winterblossom bittet ferner Herrn – – –, sich der Achtung, welche er seinem Genius zollt, und seiner hohen persönlichen Werthschätzung versichert zu halten.

An – –, Esquire,
Hakenschenke,
Altstadt St. Ronans.

Gesellschaftszimmer,
Hôtel und Tontine,
St. Ronans-Brunnen u. s. w. u. s. w.

 

Vorstehende Karte war in sauberer, runder, kanzleimäßiger Hand geschrieben, die, wie Herrn Winterblossoms Charakter, in vielen Punkten höchst genau und alltäglich war, obgleich sie in den Zügen und der Genauigkeit Affektation verrieth.

Das folgende Billet stach gegen die diplomatische Würde und Umständlichkeit der offiziellen Mittheilung Herrn Winterblossoms sehr stark ab, indem des jungen Gottesgelehrten akademische Schätze und klassische Redeblumen mit einigen wilden Blumen aus Lady Penelope's schaffender Phantasie gemischt waren.

 

»Ein am Heilquell von St. Ronans versammelter Chor von Dryaden und Najaden hat mit Erstaunen erfahren, daß ein von Apollo in verschwenderischer Laune mit zwei seiner geschätztesten Gaben beschenkter Jüngling nach Belieben in ihrem Bereich umher wandert, Hain und Fluß besucht, ohne auch nur daran zu denken, den Schutzgottheiten derselben seine Huldigung zu leisten. Er wird demnach vor sie geladen, und schneller Gehorsam wird ihm Verzeihung zusichern; im Falle ungehorsamen Außenbleibens aber mag er zusehen, wie er Leier und Palette wieder versuche.«

Nachschrift. »Die anbetungswürdige Penelope, die ihrer Schönheit und Tugend willen längst unter den Göttinnen ausgezeichnet ist, gibt Donnerstag Abends acht Uhr Nektar und Ambrosia, Sterbliche nennen es Thee und Kuchen, nahe am heiligen Quell im Gesellschaftszimmer, wo die Musen nie verfehlen, sich einzustellen. Der Fremde wird ersucht, an den Freuden des Abends Theil zu nehmen.«

Zweite Nachschrift. »Ein Schäfer, der ehrgeiziger Weise nach größerer Bequemlichkeit trachtet, als seine enge Hütte bietet, verläßt sie in einigen Tagen.«

»Gewiß, es kann das Ding gemiethet werden.«

Shakespeare.

Dritte Nachschrift. »Unsere Iris, Sterblichen als die trabende Nelly in ihrem Tartanmantel bekannt, wird uns des Fremden Antwort auf unsere himmlische Vorladung bringen.«

 

Der Brief war in zarter italiänischer Schrift, mit feinen Haarstrichen und Zügen geschrieben, die zuweilen so geschickt geschwungen waren, daß sie Leiern, Pallete, Vasen und andere schickliche, dem Inhalt gemäße Verzierungen bildeten.

Der dritte Brief war das vollkommene Widerspiel gegen die beiden andern. Es war eine grobe, unregelmäßige Schulknabenhand, welche indeß dem Schreiber so viel Mühe gekostet zu haben schien, als wäre sie ein Muster von Schönschreiberei gewesen. Der Inhalt war folgender:

 

»Ser – Jack Mowbray hat mit mir gewettet, daß der Sabner, den Ihr letzten Sonnabend gefangen, nah' an achtzehn Pfund wog, – ich sagte näher an sechzehn. – Da Ihr ein Waidmann seid, so ist die Sache berichtet, – so hoffe ich, Ihr kommt oder sendet mirs; dürft nicht zweifeln, Ihr werdet willkommen sein. Die Wette ist ein Dutzend Flaschen Claret, die von uns im Hôtel am nächsten Montag geleert werden sollen, – und wir bitten, daß Ihr von der Partie seid, – und Mowbray hofft, Ihr werdet 'runter kommen. – Bin, Ser, Euer gehorsamster Diener, – Bingo

Binks, Baronet, und von Blockhall.«

Nachschrift. »Hab' einige indische Rundschnüre nebst einigen aus roher Seide mitgeschickt, die mein Stallknecht gedreht hat; hoffe, sie sollen das ihrige thun, je nachdem Fluß und Jahreszeiten sind.«

 

Länger als drei Tage erfolgte auf alle diese Einladungen keine Antwort, und da dieß insgeheim die Neugier der Brunnengäste hinsichtlich des Unbekannten eher vermehrte, als verminderte, so wurde öffentlich viel gegen ihn, als einen rohen, ungesitteten Menschen geschmäht.

Indessen fand Franz Tyrrel allmählig zu seinem großen Erstaunen, daß er, wie die Philosophen, nie weniger allein war, als wenn er allein war. Auf den einsamsten, stillsten Spaziergängen, wohin ihn seine jetzige Stimmung führte, fand er gewiß einige Streifzügler vom Brunnen, für die er ein Gegenstand lebhafter Aufmerksamkeit geworden war. Da ihm durchaus unbekannt war, daß er selbst die Anziehungskraft besitze, die sein häufiges Zusammentreffen mit ihnen veranlaßte, fing er an, zu glauben, Lady Penelope und ihre Mädchen, – Herr Winterblossom und sein graues Pferd, – der Pfarrer und sein kurzer schwarzer Rock nebst graulichen Hosen – möchten entweder nur polygraphische Kopien der nämlichen Individuen sein, oder eine Schnelligkeit der Bewegung besitzen, die der Allgegenwart glich, denn er konnte nirgends hingehen, ohne sie auf seinen Spaziergängen zu treffen, und zwar öfter als einmal des Tags. Manchmal wurde die Gegenwart der süßen Lykoris durch ein süßes Geplauder in einer nahen Schattenlaube angedeutet; manchmal, wenn Tyrrel sich höchst einsam wähnte, schnarchte des Pfarrers Flöte etwas aus Gramachree Molly, und begab er sich nach dem Flusse, so war es ausgemacht, daß Sir Bingo oder einer seiner Freunde seinen Fang beobachtete.

Tyrrels Versuche, dieser Verfolgung zu entgehen, und seine Verdrießlichkeit darüber, die sich in seinem Benehmen aussprach, zogen ihm unter den Brunnengästen den Namen Menschenfeind zu, und da er einmal ein Gegenstand der Neugierde geworden war, so wurde, wer an der Wirthstafel am genauesten Nachricht geben konnte, wo der Menschenfeind gewesen, und womit er sich am Morgen beschäftigt habe, am aufmerksamsten angehört. Tyrrels Schüchternheit verminderte die Sehnsucht der Brunnengäste nach seiner Gesellschaft so wenig, daß sie vielmehr mit der Schwierigkeit stieg, ihn zu Gesichte zu bekommen, – wie der Angler sich am meisten angezogen fühlt, wenn er seine Angel nach der schlausten und bedächtigsten Forelle im Teich ausgeworfen hat.

Kurz der Antheil, den die aufgeregte Einbildungskraft der Gesellschaft an dem Menschenfeinde nahm, war so groß, daß trotz der unliebenswürdigen Eigenschaften, welche das Wort ausdrückte, nur Einer in der Gesellschaft war, der dieß Muster nicht in den Zimmern sehen wollte, um es näher und nach Gefallen zu prüfen; und die Damen besonders wollten gar zu gerne untersuchen, ob er wirklich ein Menschenfeind sei? Ob er immer ein Menschenfeind gewesen sei? Was ihn dazu brachte, ein Menschenfeind zu werden? Ob es keine Mittel gäbe, ihn von seiner Menschenfeindlichkeit abzubringen?

Nur Einer, wie gesagt, wünschte von dem vermeintlichen Timon in der Hakenschenke nichts mehr zu sehen und zu hören, und das war Herr Mowbray von St. Ronans. Vermittelst des ehrwürdigen John Pirners, Webers und Blackfischfängers, in der Altstadt von St. Ronans der Tyrrel gewöhnlich begleitete, um ihm die rechten Stellen im Flusse zu zeigen, seine Sachen zu tragen, und dergleichen hatte der Squire erfahren, daß Sir Bingo's Urtheil über das streitige Gewicht des Lachses richtiger war, als sein eigenes. Dieß zog ihm außer einer schweren Buße auch noch einen unmittelbaren Verlust an Ehre zu. Die Folgen konnten noch ernsthafter sein; nichts Geringeres nämlich, als die Emancipation Sir Bingo's, der bisher sein Schatten und Anhänger gewesen war, jedoch, wenn er triumphirte, im Vertrauen auf sein gründlicheres Urtheil in einem so wichtigen Punkt ihn entweder ganz niedermachen konnte, oder doch erwartete, daß der Squire, der lange der Planet ihrer Gesellschaft gewesen war, in Zukunft sich begnügen würde, um ihn, Sir Bingo, sich als Trabant zu drehen.

Der Squire hoffte daher sehnlich, daß Tyrrels Sprödigkeit fortdauern möchte, um die Entscheidung der Wette zu hindern, und zugleich hegte er ein ziemlich starkes Mißfallen gegen den Fremden, der der unmittelbare Anlaß zu der unerfreulichen Verlegenheit, in der er sich jetzt befand, weil er nicht einen Lachs gefangen hatte, der ein Pfund schwerer war. Er tadelte also die niedrige Gesinnung derjenigen, die fernerhin Kunde von Tyrrel nehmen wollten, ganz offen, und bezog sich auf die unbeantworteten Briefe als ein Pröbchen seiner Ungezogenheit, woraus sich ergebe, daß er kein Mann von Erziehung sein könne.

Obgleich aber der Schein gegen ihn war, und er in Wahrheit einen natürlichen Hang zur Einsamkeit hatte, auch dem affektirten und geräuschvollen Wesen einer solchen Gesellschaft völlig abhold war, so ließ sich doch Tyrrels Benehmen, das man als schlechte Erziehung auslegte, dadurch leicht rechtfertigen, daß er die Briefe, deren Beantwortung man erwartete, noch gar nicht erhalten hatte. Nelly Traber wollte entweder ihrer Gevatterin Meg Dods ohne die Zeichnung nicht wieder unter die Augen treten, oder sie war durch den Doppelschnaps, den sie am Brunnen getrunken, vergeßlich geworden, und taumelte mit ihrem Wagen nach ihrem geliebten Dörfchen Scateraw, von wo aus sie die Briefe mit dem ersten besten barbeinigen Jungen, der nach der Altstadt von St. Ronans ging, abschickte, so daß sie endlich nach langem Verzug in die Hakenschenke und Tyrrels Hände gelangten.

Die Ankunft dieser Urkunden klärte ihm einigermaßen das seltsame Benehmen seiner Brunnen-Nachbarn auf, und da er sah, daß er für eine Art Wunderthier angesehen wurde, und wohl wußte, daß ein solcher Charakter eben so lächerlich, als schwer durchzuführen sei, so eilte er, Herrn Winterblossom im Style gewöhnlicher Sterblichen zu antworten. Er erwähnte die schlechte Bestellung des Briefs, drückte sein Bedauern darüber aus, und zeigte seine Absicht an, mit der Gesellschaft am folgenden Tage zu speisen, bedauerte jedoch, daß seine Gesundheit und Stimmung, so wie auch andere Umstände ihm nur sehr sparsam diese Ehre während seines Aufenthalts in der Gegend gestatten würden, und bat, sie möchten sich ja wegen seiner Einquartierung am Brunnen keine Ungelegenheit machen, indem er mit seinem jetzigen Aufenthalt vollkommen zufrieden sei. Ein besonderes Schreiben an Sir Bingo sagte, es freue ihn, das Gewicht des Fisches angeben zu können, da er es in seinem Tagebuche aufgezeichnet habe, und wiewohl das Resultat nur dem einen Theil erwünscht sein könne, so wünsche er doch, Beide, der Gewinner, wie der Verlierer, möchten sich beim Weine lustig machen; er bedaure, daß er sich die Freude nicht versprechen könne, daran Theil zu nehmen. Beigefügt war eine Angabe des Gewichts des Fisches. Hiemit gerüstet forderte nun Sir Bingo seinen Wein, – triumphirte über seine Urtheilskraft, – schwor lauter und vernehmlicher, als man je etwas von ihm gehört hatte, dieser Tyrrel sei ein verteufelt ehrlicher Kerl, und er hoffe ganz gewiß, besser mit ihm bekannt zu werden; der kleinlaut gewordene Squire dagegen verfluchte im Stillen den Fremden, und konnte seinen Gegner nur dadurch beschwichtigen, daß er seinen Verlust zugestand, und einen Tag zur Bezahlung der Wette festsetzte.

Im Gesellschaftszimmer untersuchte man nun die Antwort des Fremden mikroskopisch genau, bot allen Scharfsinn auf, um in den gewöhnlichsten Ausdrücken einen tiefern und geheimen Sinn zu entdecken. Herr Micklewham, der Rechtsgelehrte, verweilte bei dem Wort Umstände, das er mit besonderem Nachdruck las.

»Ach, der arme Junge!« schloß er, »er mag wohl an Megs Kaminecke wohlfeiler sitzen, als er es in dieser Gesellschaft könnte.«

Doctor Quackleben suchte sich, wie ein Geistlicher aus seinem Texte, ein Wort heraus, worauf er besonders haften blieb, und wiederholte halblaut: »Zustand der Gesundheit? – hum – Zustand der Gesundheit? – Nichts hitziges, noch Niemand ist gesendet worden, – muß chronisch sein, – neigt sich vielleicht zur Gicht. Oder seine Gesellschaftsscheu, – flüchtig wilder Blick, – unregelmäßiger Gang, – stutzt, wenn ihm plötzlich ein Fremder begegnet, wendet sich dann rasch und unwillig weg. – Herr Winterblossom, erlaubt doch, daß ich die Zeitungen durchlaufen darf, – diese Beschränkung ist doch recht störend.«

»Ihr wißt, sie ist nöthig, Doctor,« sagte der Präsident; »Wenige von der guten Gesellschaft lesen sonst etwas Anders, so daß die alten Zeitungsblätter längst in Stücken zerrissen wären.«

»Schon gut, erlaubt mir nur,« sagte der Doctor, »ich erinnere mich, etwas von einem Herrn gelesen zu haben, der seinen Freunden entlief, – ich muß nach der Beschreibung sehen, – ich glaube, ich habe eine Zwangsweste in meinem Laboratorium.«

Während diese Andeutung die Männer in der Gesellschaft erschreckte, welche sich auf die bevorstehende Tafelgesellschaft mit einem Herrn, dessen Gesundheitszustand so mißlich schien, nicht sonderlich freuten, flüsterten einige der jungen Mädchen einander zu: – »ach, der arme Mensch! – wenn es ist, wie der Doctor glaubt, Mylady, wer weiß, was die Ursache seiner Krankheit gewesen sein mag? – Er klagt über seine Stimmung, – der arme Mensch!«

So wurde durch die scharfsinnigen Commentarien der Brunnengesellschaft über einen so einfachen Brief, als je einer auf einem Octavblatt stand, der Schreiber seines Verstandes und seines Herzens ganz und gar, oder eines von beiden des andern, wie es kurz und deutlich in der Rechtsformel heißt, verlustig erklärt.

Kurz es ward so viel für und wider gesprochen, so viel Ideen wurden angeregt, und so viel Theorien über die Stimmung und den Charakter eines Menschenfeinds aufgestellt, daß, als die Gesellschaft sich zur gewöhnlichen Zeit vor dem Essen versammelte, man, wie es schien, ungewiß war, ob der erwartete Zuwachs ihrer Gesellschaft auf Händen oder Füßen in's Zimmer kommen würde, und als Tobies mit möglichst lauter Stimme »Herrn Tyrrel« anmeldete, so hatte der Eintretende so wenig, was ihn von Andern unterschied, daß man auf einen Augenblick verlegen war. Die Damen besonders begannen zu zweifeln, ob dieß Gemisch von Talent, Menschenfeindlichkeit, Tollheit und Empfindsamkeit, das sie sich ausgemalt hatten, eins und dasselbe sei mit dem artigen, selbst modisch gekleideten Mann, den sie vor sich sahen; der, wiewohl in einem Morgenkleide, das seine entlegene Wohnung und die herrschende Freiheit entschuldigte, selbst in den geringfügigsten Kleinigkeiten seines Anzugs durchaus nichts Nachlässiges oder Wildes hatte, was man einem menschenfeindlichen, gleichviel ob vernünftigen oder tollen, Sonderling zutrauen durfte. Als er sich ringsum im Kreise verneigt, schienen denjenigen, die er anredete, die Schuppen vom Auge zu fallen, und sie sahen mit Erstaunen, daß die Uebertreibungen nur in ihrer Einbildung bestanden hatten, und daß Herrn Tyrrels Benehmen, – seine Vermögensumstände und sein Rang mochten nun sein, wie sie wollten, nicht scheu, sondern fein und gefällig war. Er dankte Herrn Winterblossom auf eine Weise, daß dieser alle seine Lebensart zusammennehmen mußte, um dem Fremden gehörig zu antworten. Dann vermied er die Unbeholfenheit, Aller Augen auf sich zu ziehen, indem er allmählig sich unter die Gesellschaft mischte, – nicht wie eine Eule, die sich im Dickicht zu verbergen sucht, oder wie ein plumper, blöder Mann, der vor der Gesellschaft erschrickt, in die er genöthigt wurde, sondern mit der Miene eines Mannes, der sich gemächlich auch in einem höhern Zirkel bewegen konnte. Seine Anrede an Lady Penelope war in dem romantischen Ton von Herrn Chatterley's Sendschreiben, worauf angespielt werden mußte. »Er fürchte,« sagte er, »er müsse sich bei Juno über die Nachlässigkeit der Iris beklagen, die einen ätherischen Befehl, den er nur mit stummem Gehorsam zu beantworten gewagt habe, so schlecht ausgerichtet, – wofern nicht etwa, wie der Inhalt des Briefs anzudeuten scheine, die Einladung einem Höherbegabten zugedacht gewesen sei, als dem der Zufall sie in die Hände gespielt habe«.

Lady Penelope versicherte ihn mündlich, und viele jungen Damen mit den Augen, daß hier kein Mißgriff obwalte; daß er in der That die begabte Person sei, welche die Nymphen vor sich geladen, und daß sie mit seinen Talenten als Dichter und Maler hinreichend bekannt seien. Tyrrel lehnte mit Ernst und Nachdruck den Dichter ab, und bekannte, »daß er, weit entfernt auf die Kunst selbst Anspruch zu machen, nur mit Widerwillen etwas lese, was nicht Erzeugnisse der Dichter ersten Ranges wären, und einige von diesen, – er fürchte sich fast, es zu sagen, – würden ihm in schlichter Prosa lieber gewesen sein.«

»Ihr dürft nur noch Eure Künstlerschaft abläugnen,« sagte Lady Penelope, »und wir müssen den Herrn Tyrrel für den Falschesten und Hinterlistigsten seines Geschlechts halten, der uns um den Genuß seiner unvergleichlichen Anlagen bringen will. Ich versichere Euch, ich werde meine jungen Freundinnen vor Euch warnen. Solche Verstellung muß ihren Grund haben.«

»Und ich,« sagte Herr Winterblossom, »kann ein entscheidendes Beweisstück gegen den Schuldigen vorbringen.«

Mit diesen Worten rollte er die Nelly Trabern abgelistete Zeichnung auf, die er beschnitten und aufgezogen hatte, was er vortrefflich verstand, so daß alle Fältchen ausgeglättet, und alle Brüche ausgeglichen waren.

»Das wahre corpus delicti,« sagte der Rechtsgelehrte grinsend, und rieb sich die Hände.

»Wenn Ihr so gütig seid, derlei Gekritzel Zeichnungen zu nennen,« sagte Tyrrel, »so muß ich freilich bekennen. Ich machte sie sonst bloß zu meinem Zeitvertreib, da aber meine Wirthin, Frau Dods, neulich entdeckt hat, daß ich auch einen Erwerbszweig daraus mache, warum sollte ich es verläugnen?«

Dieß Geständniß, ohne die mindeste Scheu oder Zurückhaltung gethan, schien auf die ganze Gesellschaft auffallend zu wirken. Der Präsident schob mit zitternder Hand die Zeichnung in das Portefeuille zurück, vermuthlich aus Furcht, sie möchte ihm förmlich wieder abgefordert, oder von dem Künstler Entschädigung dafür verlangt werden. Lady Penelope war in Verlegenheit, wie ein Pferd, wenn es mit einem Male in Gallop gesprengt wird. Sie mußte aus dem achtungsvollen leichten Umgangston, den er selbst angeschlagen hatte, in einen andern übergehen, der ihrerseits Gönnerschaft, auf Tyrrels Seite Abhängigkeit ausdrückte, und dieß ließ sich nicht so in einem Augenblick machen.

Der Rechtsgelehrte murmelte »Umstände, Umstände, – ich dacht' es doch.«

Sir Bingo flüsterte seinem Freunde, dem Squire, zu: »ausgestochen, – in die Luft gesprengt, – gethan um's Rennen – Schade, ein verdammt hübscher Kerl wär's doch.«

»Ein Lump von Haus aus!« flüsterte Mowbray. – »Ich habe ihn für nichts Anders gehalten.«

»Ich halte ein Pferd dagegen, mein Bester, und will ihn fragen.«

»Topp, es gilt das Pferd, vorausgesetzt, daß Ihr ihn in zehn Minuten fragt,« sagte der Squire, »aber Ihr wagt's nicht, Bingelchen, – er hat einen verdammten spaßverleidenden Blick trotz allem seinem höflichen Gewäsch.«

»Topp!« sagte Sir Bingo, aber in einem minder zuversichtlichen Tone, als vorher, und mit dem Vorsatz, etwas vorsichtig zu Werke zu gehen. – »Ich habe eine Rolle Geld oben, und Winterblossom soll den Satz halten.«

»Ich habe keine Rolle, aber ich stelle eine Anweisung auf Micklewham,« sagte der Squire.

»Nur eine bessere, als die letzte, denn ich möchte nicht wieder hinter's Licht geführt sein. – Jack, mein Junge, jetzt habe ich Euch.«

»Nicht eher, als bis die Wette gewonnen ist, und ich will's erleben, der wandernde Sausewind bricht Euch vorher den Hals, Bingelchen,« antwortete Mowbray. »Sprecht lieber vorläufig mit dem Hauptmann, Ihr wagt Euch da in eine höllische Klemme, – ich will Euch noch loslassen, wenn Ihr eine Guinee Strafe zahlt. Da habe ich eben den Schwätzer verblüfft.«

»Verblüfft ihn zum Teufel!« sagte Sir Bingo. »Ihr habt verloren, Jack, das versichere ich Euch.« Und mit einer listigen Verbeugung ging er hin, und stellte sich dem Fremden als Sir Bingo Binks vor.

»Hatte – Ehre – schreiben, Sir,« waren die einzigen Worte, welche sein Hals, oder vielmehr seine Halsbinde herauszulassen schien.

»Der Teufel reitet den Tölpel!« dachte Mowbray; »wenn er so fort macht, schlägt er über den Strang, und zwiefach verwünscht sei der verfluchte Landstreicher, der, Gott weiß warum, hieher gekommen ist, Gott weiß woher, um mir mein Spiel zu verderben.«

Indeß nun sein Freund so da stand mit der Uhr in der Hand und mit einem Gesichte, das unter dem Einfluß dieser aufsteigenden Bemerkungen immer länger wurde, eröffnete Sir Bingo mit einem instinktartigen Takte, den die Selbsterhaltung einem sonst weder gar zarten, noch gar feinen Hirn einzugeben schien, sein Nachfragen mit einigen allgemeinen Bemerkungen über Fischerei und Jagd. Mit allen diesen Gegenständen fand er Herrn Tyrrel mehr als nur leidlich bekannt. Vom Fischen und Schießen besonders sprach er mit einiger Begeisterung, so daß Sir Bingo immer mehr Achtung vor ihm bekam, und sich überzeugte, er könne unmöglich der reisende Künstler sein, für den er sich ausgab, könne wenigstens nicht ursprünglich dazu erzogen sein; – dieß, so wie die schnell ablaufende Zeit bestimmte ihn, so zu Tyrrel zu sprechen: »Ich meine – Herr Tyrrel, – nun, Ihr waret Einer von uns, – behaupte ich.« – –

»Wenn Ihr einen Waidmann darunter versteht, Sir Bingo, – so war ich's, und bin es noch stark,« erwiederte Tyrrel.

»Also triebet Ihr nicht immer dergleichen Dinge?«

»Was für Dinge meint Ihr, Sir Bingo?« fragte Tyrrel. »Ich bin nicht so glücklich, Euch zu verstehen.«

»Nun, ich meine die Zeichnungen,« sagte Sir Bingo. »Ich will Euch hübsch zu thun geben, wenn Ihr mir das sagen wollt. Auf Ehre, das werde ich.«

»Liegt Euch besonders daran, Sir Bingo, um meine Angelegenheiten zu wissen?«

»Nein, – gewiß, – nicht so gerade,« antwortete Sir Bingo etwas stotternd, denn der trockene Ton, in dem Tyrrel antwortete, behagte ihm nicht halb so gut, als ein Glas Xeres; »ich behauptete nur, Ihr wäret ein verflucht pfiffiger Gesell, und wettete darauf, daß Ihr nicht immer das Handwerk getrieben hättet, – das ist Alles.«

Herr Tyrrel erwiederte: »eine Wette mit Herrn Mowbray vermuthlich?«

»Ja, mit Jack, – Ihr habt's getroffen, – ich hoffe, ich habe gewonnen.«

Tyrrel zog die Stirnfalten zusammen, blickte erst auf Mowbray, dann auf den Baronet, und sagte nach kurzem Bedenken zu dem Letztern: »Sir Bingo Binks, Ihr seid ein Mann, der fein kundschaftet, und scharf urtheilt, – Ihr habt vollkommen Recht, – ich war nicht zu dem Gewerbe eines Künstlers erzogen, übte es auch früher nicht, was ich auch jetzt thun mag, und somit ist diese Frage beantwortet.«

»Und Jack ist 'rum,« sagte der Baronet, schlug sich im Triumph auf den Schenkel, und wandte sich dann zu dem Squire und zu dem Sachbewahrer mit freudigem Blicke.

»Haltet einen Augenblick, Sir Bingo,« sagte Tyrrel; »noch ein Wort. Ich habe eine große Achtung vor Wetten, es ist ein Stück von dem Freibrief eines Engländers, zu wetten, worauf er will, und seine Nachforschungen über Zaun und Graben zu verfolgen, wie ein Jäger. Da ich nun aber zweimal Euch in Wettangelegenheiten gedient habe, so habe ich mit der Landessitte mich hinreichend abgefunden, darum bitte ich, Sir Bingo, macht mich oder meine Angelegenheiten nicht wieder zum Gegenstand einer Wette.«

»Ich will verdammt sein, wenn ich's thue,« dachte Sir Bingo. Laut murmelte er einige Entschuldigungen, und war herzlich froh, daß die eben ertönende Eßglocke ihm einen Vorwand lieh, in einer andern Richtung zu entkommen.



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