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Neuntes Kapitel.
Die Zusammenkunft.

Wie Schatten in dem Reich der Träume nur
Durch Zeichen reden – – – –

Ein Ungenannter.

Hinter einer der im vorigen Kapitel beschriebenen Eichen verborgen, wie der Jäger, der seiner Beute, der Indier, der seines Feindes harrt, aber mit andern, so ganz andern Absichten lag Tyrrel, die heiße Brust an die kühlende Erde gepreßt, dicht an dem Buckstein; sein Auge war unverwandt auf den Weg gerichtet, welcher sich durch das Thal schlängelte, das Ohr aufmerksam jedem regeren Flüstern des Abendwindes, jedem stärkeren Rieseln des Baches lauschend.

»Sie dort in jenem widrigen Kreise von Narren und rohen Elenden zuerst wieder zu sehen,« diese Gedanken durchglühten seine Brust, »das wäre Thorheit, ja fast Wahnsinn gewesen. – Wahnsinn, welcher der Feigheit würdig wäre, die mich bis jetzt verhinderte ihr zu nahen, als unser gewichtiges Zusammentreffen noch unbemerkt möglich zu machen war. – Aber jetzt – jetzt – mein Entschluß steht so fest, als dieser Platz hier günstig dazu ist. Ich will nicht darauf warten, daß der Zufall uns zusammen schleudert, wo hundert bösartige Augen uns bewachen, staunen und starren, und umsonst die Fülle der Empfindungen zu begreifen trachten, welche ich nicht zu beherrschen vermöchte. – Horch! – horch! – Ich höre den Hufschlag des Pferdes. – Nein – es war das täuschende Rieseln des Baches über die Kiesel. – Kann sie nicht vielleicht den andern Weg nach Shaw-Castle erwählt haben? – Nein – der Schall wird deutlicher, – man kann schon ihre Gestalt unterscheiden – wie sie schnell herannaht. – Habe ich den Muth, ihr entgegen zu treten? – Ich fühle ihn! – Der Augenblick ist erschienen, was sein soll, muß sein!«

Doch, kaum ausgesprochen, begann sein Entschluß schon wieder zu schwanken, wenn er auf die beste Art ihn in's Werk zu richten gedachte. – Sich verborgen zu halten, bis ihr schnell eilendes Roß vor seinem Versteck vorüber kam, konnte der Reiterin Gefahr bringen, und zögerte er zu lange, den rechten Augenblick zu wählen, so konnte ihm die Gelegenheit, Miß Mowbray entgegen zu treten, ganz entgehen. Er war sich dessen nur zu gut bewußt, und rasch und kühn entschlossen, auf keinen Fall den gegenwärtigen Moment ungenützt entfliehen zu lassen, stand Tyrrel, eben da das Pferd mit etwas gemäßigtem Schritt die Anhöhe hinauf kam, ungefähr sechs Ellen von der jungen Dame in der Mitte der Schlucht.

Sie zog den Zügel an und hielt, als hemme ein Donnerschlag ihren Lauf. – »Clara! – Tyrrel!« – Dieß waren die einzigen Worte, welche zwischen ihnen gewechselt wurden, bis endlich Tyrrel, langsam, als versagten seine Füße ihm den Gebrauch, allmählig begann, den sie trennenden Zwischenraum zu vermindern.

Doch jetzt seine größere Annäherung bemerkend, rief Miß Mowbray mit steigender Heftigkeit: »Nicht näher! – nicht näher! – So lange vermochte ich Ihre Gegenwart zu ertragen, doch Wahnsinn fürchte ich, wenn Sie mir näher treten!«

»Was fürchten Sie?« fragte Tyrrel mit dumpfer Stimme, während er langsam vorwärts trat, bis nur noch ein Schritt zwischen ihnen lag. »Was können Sie fürchten?«

Den Zügel fallen lassend, hob Clara die inbrünstig gefalteten Hände zum Himmel, mit kaum verständlicher Stimme stammelnd: »Großer Gott, ist diese Erscheinung ein Werk meiner erhitzten Phantasie, so laß sie verschwinden. Ist sie die Wahrheit, so mache mich fähig, sie zu ertragen! – Sage mir, ich beschwöre dich, bist du Francis Tyrrel, lebend und athmend, oder bist du eines jener vorübereilenden Phantome, die, so oft mich anstarrend, meine Pfade durchkreuzen, ohne dem festen Blicke meines Auges Stand zu halten?«

»Ich bin Francis Tyrrel selbst in Fleisch und Blut, so gewiß als die, zu der diese Worte dringen, Clara Mowbray ist.«

»Dann erbarme sich unser der Allmächtige!« rief Clara mit tiefem Gefühl.

»Amen!« sagte Tyrrel. – »Aber was erregt diese übermäßige Erschütterung? – Sie sahen mich ja so eben, Miß Mowbray – noch zittert Ihrer Stimme Laut in meinem Ohre wieder – Sie sahen mich – Sie sprachen zu mir – das geschah, als mich fremde Menschen umgaben! – Weßhalb verläßt Sie jetzt Ihre Fassung? hier, wo kein menschliches Auge uns sehen, kein menschliches Ohr uns hören kann?«

»So waren es wirklich,« rief Clara, »wirklich Sie selbst, den ich eben dort sah? – Ich glaubte es einen Augenblick, und sprach auch damals etwas! – aber mein Gehirn war oft von wirren Träumen befangen, seit wir zuletzt uns sahen – Doch jetzt bin ich gesund – ganz gesund – ich habe all' jene Menschen dort nach Shaw-Castle eingeladen – mein Bruder bat mich darum – – Ich hoffe, ich werde auch das Vergnügen haben, Mr. Tyrrel dort zu sehen – obgleich ich glaube, zwischen Ihnen und meinem Bruder waltet noch einiger alter Groll ob.«

»Ach Clara, Sie irren. Ich habe Ihren Bruder damals kaum gesehen,« entgegnete Tyrrel, der tief betrübt unsicher schwankte, welchen Ton er wählen sollte, ihrer geistigen Krankheit, die er nicht länger bezweifeln konnte, schonend zu schmeicheln, statt sie störend aufzureizen.

»Wahr, ganz wahr!« sagte sie nach einer augenblicklichen Ueberlegung. »Mein Bruder war damals auf dem Collegium. Es war mein Vater, mein armer Vater, mit welchem Sie in Streit geriethen. – Aber nicht wahr, Sie wollen nach Shaw-Castle kommen, den Donnerstag um zwei Uhr? – John wird sich freuen, Sie dort zu sehen! – Er kann sehr freundlich sein, wenn er Lust hat – dann wollen wir von alten Zeiten reden. – Ich muß hinweg, Alles anzuordnen. – Guten Abend.«

Sie würde fortgeeilt sein, aber er wußte sich gewandt der Zügel zu bemächtigen und sagte: »Ich will Sie begleiten, Clara, der Weg ist rauh und gefährlich – Sie müssen nicht zu schnell reiten. – Ich will neben Ihnen gehen, und wir wollen jetzt viel besser, als in Gegenwart Anderer, von frühern Zeiten zusammen sprechen.«

»Wahr, wahr! – Sehr wahr, Mr. Tyrrel. – Es sei, wie Sie es sagen. Mein Bruder nöthigt mich zuweilen dort an jenem verhaßten Ort in Gesellschaft zu erscheinen; ich thue es, weil er es wünscht, und weil die Leute mir meine eigne Weise gestatten, und mich kommen und gehen lassen, wie es mir gefällt. Wissen Sie wohl, Tyrrel, daß oft, wenn ich dort bin, und John mich im Auge behält, ich so lustig und heiter sein kann, als ob Sie und ich uns nie begegnet wären?«

»Wollte Gott, es wäre nie geschehen,« entgegnete Tyrrel mit zitternder Stimme, »wenn so die Folge sich gestalten soll.«

»Und weßhalb soll der Gram nicht die Folge der Sünde und Thorheit sein? – Wann entsprang das Glück dem Ungehorsam? – Wann senkte sich sanfter Schlummer auf ein blutiges Kissen herab? – Das rufe ich mir selbst zu, Tyrrel, das müssen Sie auch sich sagen lernen, dann werden Sie Ihre Bürde so heiter tragen, wie ich die meinige. – Wenn uns nur das wird, was wir verdienen, wie können wir uns beklagen? – Ich glaube, Sie vergießen Thränen? – Ist das nicht kindisch? – Man sagt freilich, es sei eine Erleichterung. – Ist dem so, nun wohl, so weinen Sie, ich will das Auge abwenden.«

Unfähig sich zu sammeln oder etwas zu entgegnen, schritt Tyrrel neben dem Pferde her. Endlich unterbrach Clara die stumme Pause, ausrufend:

»Armer Tyrrel! armer Frank Tyrrel! – Vielleicht werden Sie mir auch erwiedern, arme Clara! – Aber mein Geist ist nicht so niedergedrückt, wie der Ihrige. – Der Sturm kann mich beugen, zerschmettern soll er mich nie!«

Wieder entstand eine lange Pause, denn Tyrrel war gänzlich unfähig, den richtigen Ton zu finden, mit dem unglücklichen jungen Mädchen zu reden, ohne Erinnerungen zu erwecken, die ihr Gefühl peinigend erregen und ihre schwankende Gesundheit gefährlich erschüttern konnten. Endlich fuhr sie selbst fort:

»Was kann das Alles nützen, Tyrrel? – Und in der That, weßhalb nur kamen Sie her? – Warum fand ich Sie soeben zankend und lärmend unter den lautesten Raufbolden und Schreiern jener unnützen Wüstlinge? – Sie pflegten sonst mehr Vernunft, mehr Mäßigung zu haben. Ein Anderer – ja ein Anderer, den Sie und ich einst kannten – er möchte solch' eine Thorheit wohl begangen haben, und wäre doch nur seinem Charakter treu geblieben. – Aber Sie, der Sie auf Klugheit Anspruch machen – schämen Sie sich – schämen Sie sich! – Ja wirklich, wenn wir davon reden wollen, welche Klugheit lag wohl überhaupt darin, hieher zu kommen? – Zu welchem guten Zwecke kann Ihr Aufenthalt hier dienen? – Gewiß erscheinen Sie hier doch nicht, weder Ihr Unglück zu erneuen, noch das meinige zu vermehren!«

»Das Ihrige zu vermehren? – Gott behüte!« erwiederte Tyrrel. »Nein – ich kam hieher nur, weil ich nach so manchem Jahre trüber Wanderschaft mich heiß sehnte, den Ort wieder zu besuchen, wo alle meine Hoffnungen begraben liegen.«

»Ja, begraben! – das ist das Wort!« erwiederte sie. »Zertreten und begraben, als sie am holdesten erblühten. Ich denke oft daran, Tyrrel; ja es gibt Zeiten, wo, Gott steh' mir bei! ich wenig Anderes denken kann. – Sehen Sie mich an – Sie erinnern sich, was ich war – sehen Sie, was Gram und Einsamkeit aus mir gemacht haben.«

Sie warf den Schleier zurück, der, bis jetzt von ihrem Reithut niederwallend, ihr Gesicht verhüllt hatte. Es waren dieselben Züge, die er einst in der ganzen Fülle jugendlich blühender Schönheit gekannt hatte; aber wenn auch die reizende Form sich noch zeigte, auf immer war die Blüthe entflohn! – Weder die Bewegung des Reitens, noch die tiefe Erschütterung dieser unerwarteten Zusammenkunft, die Gram und Verwirrung in ihr erweckte, hatten in der armen Clara Wangen auch nur den vorüberfliehenden Anhauch der Farbe hervorgerufen. Eine Marmorweiße machte sie der schönsten Bildsäule gleich.

»Ist es möglich?« rief Tyrrel. »So vermag der Kummer zu verwandeln?«

Clara entgegnete: »Kummer ist die Krankheit des Geistes, körperliches Leiden ist ihre Schwester – Zwillingsgeschwister, Tyrrel, die selten lange getrennt bleiben. Zuweilen ist es das körperliche Leiden, welches zuerst unsere Augen umwölkt, unsere Hand lähmt, ehe noch die rege Glut des Geistes und der Beurtheilungskraft erlischt. – Aber geben Sie wohl Acht, bald folgt ihre grausamere Schwester, und träufelt aus ihrer Urne kalten Thau auf unsere Hoffnungen, unsere Liebe, unsere Erinnerungen und Gefühle, und zeigt uns, daß sie alle insgesammt nicht die Zerstörung unserer körperlichen Kräfte zu überleben vermögen.«

»O mein Gott!« seufzte Tyrrel, »ist es dahin gekommen?«

Mehr dem schnellen, unregelmäßigen Gang ihrer Ideen hingegeben, als die eigentliche Bedeutung dieses traurigen Ausrufs verstehend, entgegnete Clara: » Dahin muß es immer kommen, so lange die unsterbliche Seele eng mit dem der Vernichtung geweihten irdischen Stoffe, der unseren Körper bildet, verbunden ist. Es gibt einst ein anderes Sein, Tyrrel, dort wird es sich schöner gestalten. – Wollte Gott, die Stunde, die uns dahin führt, wäre schon erschienen.«

Sie versank in ein melancholisches Schweigen, welches Tyrrel zu stören fürchtete. Die Schnelligkeit ihrer Rede zeigte nur zu deutlich die unregelmäßige Folge ihrer Gedanken, er sah sich daher genöthigt, seine bitter schmerzenden, durch tausend peinliche Erinnerungen noch herber erregten Empfindungen zu verbergen, da, wenn er seinen tiefen Gram ausbrechen ließ, er Clara's erschütterten Geist noch mehr verletzen konnte.

»Ich glaubte nicht,« fuhr sie wieder fort, »daß nach einer so fürchterlichen Trennung, und so manchen Jahren, ich Sie so ruhig und gelassen wieder zu sehn vermögen würde. Aber wenn auch das, was wir uns einst waren, nie vergessen werden kann, jetzt ist es doch gänzlich vorüber und nur Freunde sind wir uns noch. – Nicht wahr, so ist es?«

Tyrrel vermochte nichts zu erwiedern.

»Aber hier darf ich nicht bleiben, bis der Abend noch tiefer herabsinkt,« seufzte sie. – »Wir werden uns wiedersehn, Tyrrel – als Freunde wiedersehn – nichts mehr – Sie werden mich in Shaw-Castle besuchen, nicht wahr? – Geheimniß ist jetzt nicht mehr nöthig! – mein armer Vater ruht im Grabe, und seine Vorurtheile sind mit ihm entschlafen. – Mein Bruder ist liebevoll, wenn er auch zuweilen streng und ernst sein kann. – Gewiß, Tyrrel, ich glaube, er liebt mich, obwohl er mich gewöhnt hat, wenn ich sehr aufgeregt bin, und viel plaudere, sein finsteres Stirnrunzeln zitternd zu scheuen. – Aber er liebt mich, wenigstens denke ich es, weil ich gewiß bin, daß ich ihn liebe; da versuche ich es denn, mich dort unter jene Menschen zu mischen, ihre Thorheiten zu ertragen, und Alles wohl überlegt, ich führe das Possenspiel dieses Lebens wunderbar gut durch. – Sie wissen ja, wir sind nur Schauspieler und die Welt ist nichts als das Theater selbst.«

»Und trüb' und traurig fiel unsere Rolle aus,« rief Tyrrel, dessen bitterer Schmerz ihn unwillkürlich zu diesem Ausruf hinriß.

»Gewiß, so war es! – Aber Tyrrel, war es jemals anders bei Verbindungen, welche Jugend und Thorheit schloß? Sie wissen, wir wollten Beide Ehegatten werden, als wir kaum der Kindheit entwachsen waren. – Wir hatten schon als Unmündige den Leidenschaften und thörichten Trieben der Jugend uns hingegeben, deßhalb sind wir gealtert vor der Zeit, und der Winter unseres Lebens sinkt herab, ehe der Sommer sich recht entfaltete! – O Tyrrel, oft, sehr oft habe ich daran gedacht – so oft darüber nachgesonnen! – o Himmel, wann wird die Zeit kommen, wo ich fähig sein werde, an irgend etwas Anderes zu denken?«

Bitterlich seufzte das arme junge Mädchen, und ihre Thränen strömten so überfließend herab, wie es wahrscheinlich seit langer Zeit nicht der Fall gewesen war. Tyrrel ging an der Seite des Pferdes, welches den Weg nach der Heimath einschlug, und noch immer konnte er nicht mit sich einig werden, was er Clara sagen sollte, ohne ihre leidenschaftlichen Empfindungen und seine eignen zu sehr aufzuregen. Alles, was er früher beabsichtigt haben konnte, ihr mitzutheilen, war jetzt durch die Entdeckung, daß ihr Verstand mehr oder minder durch eine gewisse Zerrüttung verdunkelt war, unpassend geworden, da dieß geistige Leiden ihre Beurtheilungskraft, wenn nicht zerstören, doch verwirren mußte.

Endlich fragte er sie mit so ruhiger Fassung, als er zu sammeln vermochte – ob sie zufrieden sei – ob irgend Etwas geschehen könnte, ihre Lage angenehmer zu machen – ob sie irgend eine Klage habe, der abzuhelfen in seiner Macht stehe? – Sie erwiederte mild, daß sie ruhig und still ergeben sei, wenn ihr Bruder ihr nur gestattete, zu Hause zu bleiben; daß sie aber, wenn sie gezwungen würde, in der Gesellschaft zu erscheinen, in sich eine Veränderung fühle, wie man sich etwa denken möchte, daß ein Bach sie empfinden würde, der, in dem kristallnen Silbersee des Felsens gleichsam schlummernd eingeschlossen, jetzt seinem ruhigen Bett entgleitet, und in den Strudel des Wasserfalles brausend hineingezogen wird. Sie setzte hinzu: »Aber mein Bruder Mowbray glaubt, er handelt recht; – und vielleicht ist dem auch so. Es gibt Dinge, über welchen wir zu lange brüten könnten; – und wäre er im Irrthum, weßhalb sollte ich mich nicht zwingen, ihm gefällig zu sein? – Ich bin in der Unterhaltung auch ein lustiges Mädchen, Tyrrel – zuweilen, einen Augenblick lang, noch so lustig, als damals, wo Sie mich über meine Thorheiten auszuschmähen pflegten. So, nun habe ich Ihnen Alles erzählt – ich habe Ihnen auch eine Frage vorzulegen – eine Frage – wenn ich nur Athem habe sie auszusprechen – Lebt er noch?«

»Er lebt,« entgegnete Tyrrel; doch so leise bebten die Worte von seinen Lippen, daß nur die angestrengte Aufmerksamkeit, mit welcher Miß Mowbray seiner Antwort lauschte, den schwachen Laut zu fassen vermochte.

»Er lebt;« rief sie – »lebt! – Er lebt, und so haftet das Blut nicht unauslöschlich an Ihren Händen? – O Tyrrel, könnten Sie nur die Freude fassen, welche mir diese Versicherung gibt.«

»Freude?« entgegnete Tyrrel, »Freude, daß der Elende lebt, der unser Glück auf ewig vergiftete? Daß er lebt, vielleicht Sie als sein Eigenthum zurück zu fordern?«

»Nie, nie soll er es – nie soll er es wagen!« entgegnete Clara wild auffahrend, »so lange noch das Wasser ertränken, der Strick erwürgen, der Stahl durchbohren kann – der Felsen einen Abgrund, der Strom ein Fluthenbett darbietet – niemals – niemals!« –

»Beunruhigen Sie sich nicht, theure Clara!« sagte Tyrrel besorgt; »ich sprach, ich weiß nicht was; – er lebt wirklich – doch weit entfernt, und wird, ich hoffe es gewiß, nie wieder Schottland besuchen.«

Noch mehr würde er hinzugefügt haben, wenn sie nicht, von Furcht oder Heftigkeit ergriffen, dem Pferde ungeduldig mit der Reitgerte einen Hieb gegeben hätte. Das lebendige Thier, so angespornt und zu gleicher Zeit zurückgehalten, bäumte sich so mächtig, daß Tyrrel die möglichen Folgen längerer Widersetzlichkeit fürchtend, dem kundigen Wissen Clara's als gewandte Reiterin vertrauend, am rathsamsten für ihre Sicherheit hielt, die Zügel loszulassen. Sogleich flog das muthige Thier im brausenden Galopp auf dem steinigen Pfad dahin, und war schnell den angstvollen Blicken Tyrrels entgangen.

Als er noch nachsinnend verweilte, ob er nicht Miß Mowbray nach Shaw-Castle folgen sollte, sich zu überzeugen, daß kein Unfall ihr begegnet sei, hörte er eiligen Hufschlag von der Seite des Gesundbrunnens her. In diesem Augenblick das Auge des Beobachters scheuend, zog er sich in das schützende Gebüsch zurück, und sah gleich darauf Mr. Mowbray von St. Ronans, von einem Diener begleitet, vor seinem Versteck vorbeireiten und denselben Weg einschlagen, den seine Schwester so eben genommen hatte. Seine Gegenwart schien ihm Clara's Sicherheit zu verbürgen, und vernichtete also Tyrrels Hauptgrund ihr nachzufolgen. Tiefen, trüben Betrachtungen des eben Erlebten hingegeben, fast überzeugt, daß sein längerer Aufenthalt in Clara's Nähe nur ihr beiderseitiges Unglück vermehren könnte, doch unfähig, sich diesen Umgebungen zu entreißen, oder Gefühlen zu entsagen, die mit jeder Faser seines Herzens nur zu innig verwebt waren, kehrte er nach seiner Wohnung im alten Orte, in einem nicht beneidenswerthen Gemüthszustande, zurück.

Als Tyrrel sein Gemach betrat, fand er es noch nicht erleuchtet, auch waren die dienenden Abigails der Mistreß Dods nicht ganz so gewandt und schnell bereit, die Lichter herbeizuschaffen, als ein Aufwärter in Longs Gasthof. Zu keiner Zeit fähig, viel persönliche Bedienung zu fordern, und eben jetzt mehr als je die Nothwendigkeit scheuend, mit wem es sei, auch nur über das Geringfügigste zu sprechen, ging er selbst nach der Küche, das was er bedurfte herbeizuholen. Er bemerkte nicht sogleich die Gegenwart der Mistreß Dods in dem eigentlichen Mittelpunkt ihres Reichs, und noch weniger die stolze hochfahrende Erbitterung, die auf ihrer Stirn thronte. Zuerst ward sie nur in abgebrochenen Ausrufungen laut, zum Beispiel: »Das ist mir ein schönes Treiben! – ein sehr ruhmwürdiges Betragen! – Ein anständiges Haus zu solcher späten Stunde aufzustören! – Ja einem Gasthofe vorstehn! – eben so gut einem Tollhause vorstehn!« –

Doch, als dieses unmuthige Murren keine Aufmerksamkeit zu erregen schien, stellte sich die gute Frau zwischen die Thür und ihren Gast, der mit dem angezündeten Lichte sich entfernen wollte, und fragte, was ein solches Betragen wohl beabsichtigen könnte.

»Welch ein Betragen, Mistreß?« erwiederte ihr Gast mit einer ihm so ungewöhnlichen finstern Ungeduld, daß sie es vielleicht einen Augenblick bereute, ihn gereizt zu haben, seiner gewöhnlichen gelassenen Gleichgiltigkeit zu entsagen; ja sie mochte sich sogar ein wenig vor dem Zwiste scheuen, den sie so eben aufregte, denn der gereizte Unmuth eines sonst ruhigen Menschen hat für den Polterer und Murrkopf von Profession etwas eigenthümlich Furchtbares. Aber zu stolz, sich zurückzuziehn, nachdem sie die Kampfsignale ertönen ließ, fuhr sie, obwohl mit etwas gemäßigterem Tone, also fort:

»Master Tirl, ich gedenke Sie nur zu fragen, Sie, der Sie ein vernünftiger Mann sind, ob ich wohl irgend einen Grund habe, mit Ihrem Betragen zufrieden zu sein? Seit zehn Tagen und länger sind Sie hier gewesen, haben das Beste gegessen, getrunken, und im schönsten Zimmer meines Hauses gewohnt; und doch lassen Sie es sich einfallen, da hinunter zu gehn und sich mit dem müßigen hasenköpfigen Volke am Brunnen einzulassen! – Ich muß ganz offen mit Ihnen reden. – Ich liebe die schönen, neumodischen Leute nicht, die nur Augendienerei treiben; folglich –«

»Mistreß Dods,« unterbrach Tyrrel, »ich habe jetzt keine Zeit auf solche Dinge zu achten. – Ich danke Ihnen für die mir in Ihrem Hause erzeigten Aufmerksamkeiten; aber hier, oder wo es sonst sein mag, erkenne ich nur meine eigne Meinung als Richtschnur meines Thuns an, wie es meinem Vergnügen oder meinen Geschäften eben am besten zusagt. – Sind Sie meiner als Gast müde, so fertigen Sie mir morgen Ihre Rechnung aus.«

»Meine Rechnung!« rief Mistreß Dods; »meine Rechnung morgen! Weßhalb soll ich nicht bis zum Sonnabend warten, wo Alles wieder klipp und klar zwischen uns abgemacht werden kann, wie es am letzten Sonnabend geschah?«

»Gut – so sprechen wir morgen weiter darüber, Mistreß Dods. – Gute Nacht!« – damit entfernte sich Tyrrel.

Luckie Dods blieb brummend und sinnend einen Augenblick stehn. »Der Teufel sitzt in ihm,« sagte sie, »er will es nicht dulden, daß man ihm in die Quere kommt! Und ich glaube wahrhaftig, auch in mich ist der Teufel gefahren, daß ich ihm in den Weg trete, solch einem gutherzigen Jungen, und solch einem guten Kunden; – und ich glaube, daß ihm etwas im Kopfe steckt – Geldmangel kann es nicht sein – gewiß, dächte ich das, ich wollte meiner geringen Auslagen wegen ihn nicht plagen. – Aber Geld kann ihm nicht fehlen – er gibt die Schillinge hin als ob es Kieselsteine wären, und auf die Art geben die Leute ihr Geld nicht weg, wenn sie nur wenig haben – ich weiß recht gut, wie ein Kunde aussieht, der den Grund seines Beutels durchschimmern sah. – Gut, ich hoffe, er wird morgen nicht mehr an dieß alberne Gewäsch denken, und ich will versuchen meine Zunge besser in Ordnung zu halten! – Hilf Himmel! Aber wie der Prediger richtig sagt, sie ist gar ein widerspenstig Glied! – Wahrhaftig, ich schäme mich über mich selbst!«



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