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Vierzehntes Kapitel.
Das Gutachten.

Clawe: Beweise, hoffe ich, gebt Ihr mir!

Maaß für Maaß.

Der Marktflecken – – liegt, wie alle Welt es weiß, ungefähr vierzehn (englische) Meilen von St. Ronans und ist die Hauptstadt jener Grafschaft, welche, wie der bekannte Führer des Reisenden berichtet, unter ihre merkwürdigsten Plätze den fröhlichen, besuchten Brunnenort rechnet, dessen Ruhm ohne Zweifel durch diese Annalen seiner frühern Geschichte mächtig gesteigert werden wird. Da es jetzt unnöthig ist, den Schauplatz unserer Erzählung noch weitläufiger zu beschreiben, wollen wir den zuvor leer gelassenen Raum für den Namen jenes Fleckens mit dem erdichteten Worte Marchtown ausfüllen, weil uns aus Erfahrung bekannt ist, wie viele Verlegenheiten solche häßliche Lücken zuweilen veranlassen, die man doch oft bei dem ersten Anblick nicht mit der gebührenden Rücksicht auf die ganze Erzählung passend ausfüllen kann.

Marchtown war also eine altmodische schottische Stadt, deren Straßen an Markttagen eine große Anzahl kräftiger Pächter und Freisassen in ihren ungeheuer weiten Röcken zeigten, welche zum Besten ihrer Ländereien Kauf oder Verkauf trieben; dagegen erblickte man an den andern Tagen nur einige wenige einzelne Bürger, die, halb schlummernden Fliegen gleich, matt umher krochen und den Stadtthurm beobachteten, wenn der Schlag der zwölften Stunde von diesem Zeitverkündiger den ersehnten Augenblick ihres Meridians Schnaps vor dem Mittagsessen. Anmerk. d. Uebers. herab tönen würde. Die engen Ladenfenster deuteten sehr unzureichend nur den gemischten Inhalt der Buden selbst an, wo jeder Kaufmann, wie die Krämer zu Marchtown alle ächt schottisch genannt wurden, Alles und Jedes, was man auf der Welt sich nur denken konnte, zum Kauf feil bot. Von Manufakturen war nichts vorhanden, als die des sorgsamen Stadtraths, der es sich sehr angelegen sein ließ, den Einschlag und das Garn vorzubereiten, welches alle sechs oder sieben Jahre die Stadt Marchtown beitrug, um daraus den vierten Theil eines Parlamentgliedes zu weben.

In solchen Städtchen ist es gewöhnlich, daß der Justitiarius des Landgerichts, besonders wenn man ihn als Anwalt mehrerer vornehmen Lairds aufstellt, eines der besten Häuser bewohnt, und so war es auch Herrn Bindlooses Fall. Nichts zeigte hier freilich die Zierlichkeit der steinernen, mit Hammerschlag glänzend beworfenen Häuser der englischen Advokaten, sondern nur ein großes finsteres Gebäude in der Mitte der Stadt mit engen kleinen Fenstern und vorspringendem Giebel, dessen unteres Stockwerk mit eisernen Gittern verwahrt war, bot sich dem Auge dar, denn Mr. Bindloose, wie das oft der Fall ist, stand einem Zweige einer der Nationalbanken vor, die kürzlich auch in Marchtown ihren Sitz aufgeschlagen hatten.

Der Thür dieses Hauses nahete sich langsam auf den leeren Straßen dieses berühmten Fleckens ein Fuhrwerk, das, wenn es sich in Piccadilly hätte erblicken lassen, auf eine ganze Woche lang zu unauslöschlichem Gelächter und auf ein Jahr zur Unterhaltung Stoff geboten hätte. Es war ein zweirädriger Wagen, welcher keine der neuen Benennungen von Cabriolets, Tilbury's u. s. w sich aneignen wollte, sondern nur den alten fast vergeßnen Namen eines Whisky in Anspruch nahm. Grün war seine ursprüngliche Farbe gewesen, und ruhig und fest ruhte er auf den kleinen altmodischen Rädern, deren Größe bei weitem nicht dem Umfange des Kastens, den sie trugen, angemessen schien. Zugezogen war das Verdeck, vielleicht der Morgennebel wegen, vielleicht auch aus großer Zartheit der Schönen, die, von ledernen Vorhängen verhüllt, sich in diesem ehrwürdigen Exemplar der vor der Sündfluth üblichen Wagenbaukunst befand.

Da die bescheidene Inhaberin des Wagens keinesweges auf die Kunst eines Rosselenkers Anspruch machte, so war die Leitung des Thieres, das eben so betagt als der Wagen, den es zog, zu sein schien, einem alten Burschen in einer Postillonsjacke übertragen, dessen graue Haare von beiden Seiten unter einer altmodischen Sammtmütze hervorkamen, während seine linke Schulter so beträchtlich über seinen Kopf emporstieg, daß es schien, als könne er ohne große Anstrengung den Kopf unter seinen Arm stecken, wie ein gebratenes Haselhuhn. Dieser zierliche Reitknecht ritt ein eben so altes Pferd, als das, welches in der Gabeldeichsel ging, und von ihm vermittelst eines Zügels geführt ward; das eine Thier bloß mit seinem Sporne, das andere mit der Reitgerte antreibend, machte er einen ganz anständigen Lärmen auf dem Straßenpflaster, den nur das Anhalten vor Mr. Bindloose's Thüre beendete; ein Ereigniß, das wichtig genug war, die eifrige Neugierde der Bewohner nicht nur dieses Hauses, sondern der ganzen Nachbarschaft aufzuregen. Die Spinnräder wurden bei Seite gestellt, die Nähnadel blieb in dem halbvollendeten Saume stecken, und manche Nase, mit und ohne Brille, fuhr aus den umliegenden Fenstern heraus, denen das Glück so wohl wollte, daß sie die Hausthür Mr. Bindloose's beobachten konnten. Durch die vergitterten Eisenstäbe sah man einige kichernde Schreiber ihre lachenden Gesichter zwingen, sich über das Aussteigen einer alten Dame lustig zu machen, deren Benehmen und Anzug vielleicht modisch gewesen sein konnten zu der Zeit, wo ihr Wagen neu war. Ein Kleid von Purpuratlas mit Grauwerk verbrämt, eine schwarzseidene Mütze mit Krep aufgeputzt, sind Kleidungsstücke, die jetzt schwerlich die Ehrerbietung erregen würden, welche man ihnen in ihrer ersten Frische unbezweifelt zollte. – Aber in den Zügen derjenigen, die sie trug, war etwas enthalten, welches Mr. Bindloose's größeste Aufmerksamkeit erregt haben würde, auch wenn er sie bei weitem schlechter umgeben erblickt hätte; denn er erkannte das Angesicht einer alten bewährten Clientin, welche die gerichtlichen Kosten stets bis auf den letzten Heller baar entrichtete, und bei der Bank eine ansehnliche Summe zu ihrer Disposition liegen hatte. – Kurz, es war in der That Niemand anders, als unsere achtungswerthe Freundin Mistreß Dods aus dem Gasthofe zur Teufelsfalle im alten Ort St. Ronans.

Ihre Ankunft aber verkündete Ereignisse von höchster Wichtigkeit. Mehr als irgend Jemand war Meg abgeneigt, ihr Haus zu verlassen, wo, nach ihrer Meinung wenigstens, ohne ihre unmittelbare Oberaufsicht nichts gerathen konnte. So begränzt nun auch ihre Sphäre war, doch verharrte sie fest in deren Mittelpunkte, und wie klein sich auch die Zahl ihrer Trabanten gestaltet hatte, sie waren gezwungen, sich in ihrem Kreise zu bewegen, da sie selbst unbeweglich blieb. Deßhalb würde Saturn schwerlich mehr durch einen Besuch der Sonne überrascht werden, als Mr. Bindloose über die unerwartete Erscheinung seiner alten Clientin erstaunte. In einem Athem schalt er über die ungeziemende neugierige Unverschämtheit seiner Schreiber, und rief zugleich seine Haushälterin, die alte Hannah, herbei – denn Mr. Bindloose war ein Hagestolz – sogleich Thee in dem grünen Zimmer bereit zu stellen, war aber auch schon während dieser Reden an der Seite des Whisky's, die ledernen Vorhänge zurückzuziehen, den Schlag zu öffnen, und seiner alten Freundin beim Aussteigen behülflich zu sein.

»Das japanische Theegeschirr, Hannah – vom besten Thee – sage Tib soll ein Feuer anzünden – der Morgen ist so neblich. – Wollen die verwünschten faulen Lungerer da wohl die kichernden Gesichter hereinziehen und über ihre eignen leeren Taschen lachen? – es wird lange werden, wahrhaftig, bis euer Wohlverhalten sie füllt!« Diese Worte erschallten theils, wie der ehrliche Rechtsgelehrte es selbst nennen würde, in transitu (im Vorübergehn), theils zur Seite des Wagens. »Potz Sternchen! sind Sie es wirklich, Mistreß Dods? wirklich, Mistreß Dods? wirklich Ihr leibeigenes, wahrhaftes Selbst in propria persona? – Wer hätte Sie zu dieser Stunde erwartet? Anthony, wie geht es Euch, Anthony? – Nun, habt Ihr Euch einmal wieder auf den Weg gemacht? – Helft mir hier ein wenig zurecht mit dem Schlage – so Anthony, so wird es gehen. – Stützen Sie sich auf mich, Mistreß Dods – helft Eurer Gebieterin, Anthony – führt die Pferde in meinen Stall – die Wirthschafterin wird Euch den Schlüssel geben. – Kommen Sie hinweg, meine gute Mistreß Dods, ich bin sehr erfreut, daß Sie Ihre Füßchen einmal wieder auf dem Straßenpflaster unsrer guten alten Stadt versuchen – kommen Sie herein; wir wollen sehen, was wir Ihnen zum Frühstück anbieten können, denn Sie sind heute gar früh aufgebrochen.«

»Ich mache Ihnen unangenehme Störung, Mr. Bindloose,« erwiederte die alte Lady, seinen Arm ergreifend und ihn nach dem Hause begleitend. »Gewiß, ich störe Sie sehr, aber ich hatte keine Ruhe, bis ich mir Ihren Rath in einer Angelegenheit erbeten hatte.«

»Ich werde mich sehr glücklich schätzen, einer so guten alten Bekannten dienen zu können. Doch setzen Sie sich – setzen Sie sich, Mistreß Dods. – Einige Erquickung thut keinem Geschäft Eintrag. – Sie sind ein bischen übermüdet von der Reise. – Der Geist erliegt, wenn der Körper zu sehr angestrengt wird. Mistreß Dods, Sie sollten bedenken, daß Ihr Leben gar sehr kostbar ist, und für Ihre Gesundheit hübsch Sorge tragen, Mistreß Dods.«

»Mein Leben kostbar?« rief Meg aus. »Nein, nein, nichts von Ihren listigen Redensarten! Den Teufel auch, wird Einer die alte zänkische Gastwirthin vermissen, Mr. Bindloose, es sei denn etwa hin und wieder ein armer Schelm, oder der alte Hofhund, der dann nicht mehr so gut gefüttert würde?«

»Pfui doch, Mistreß Dods,« entgegnete der Justitiarius mit freundschaftlichem Vorwurfe. »Es kränkt einen alten Freund, wenn Sie so geringschätzend von sich selbst reden; und was das Sterben anbetrifft, Gott sei Dank! ich sah Sie seit zehn Jahren nicht so wohl wie heute. Aber vielleicht haben Sie doch die Absicht, ihre zeitlichen Angelegenheiten ganz in Ordnung zu bringen, was immer einer sorgsamen christlichen Frau sehr wohl geziemt. – Es ist in der That, wenn uns die Gnade wird, es recht zu betrachten, ein wahrhaft furchtbares Ding, ohne Testament zu sterben!«

»Ja wohl, nun ich denke es nächstens mir zu überlegen, Mr. Bindloose; doch das ist's nicht, was mir heute auf dem Herzen liegt.«

»Sei es, was es sei, Mistreß Dods, Sie sind hier herzlich willkommen, und wir haben den ganzen Tag zur ernstlichen Ueberlegung vor uns – festina lente, das ist die wahre Sprache des Gesetzes – mit leerem Magen lassen sich Geschäfte schlecht abmachen – da ist auch Ihr Thee, den Hannah, hoffe ich, nach Ihrem Geschmacke zubereitet hat.«

Meg schlürfte ihren Thee – erkannte Hannahs tiefe Erfahrenheit in den Mysterien der Bereitung chinesischer Blätter – schlürfte wieder, versuchte auch, aber ohne bedeutenden Erfolg, einen Bissen Butterbrod zu genießen, und schien endlich, trotz des Rechtsgelehrten Versicherungen ihres gesunden Aeußern, im Begriff, ernstlich unwohl zu werden.

Der Rechtsgelehrte, durch sein Amt und seine Beschäftigungen zu scharfer Beobachtung gewöhnt, ließ diese deutlichen Zeichen tiefer Bewegung keineswegs unbeachtet vorübergehen. Er rief: »In des Teufels Namen, wovon ist denn die Rede! Ei, liebe Frau, diese Angelegenheit nehmen Sie sich wärmer zu Herzen, als ich es je von Ihnen erlebte. Hat einer Ihrer Schuldner Bankerott gemacht, oder steht er auf der Kippe? – Was ist's denn? Erheitern Sie sich. – Einen kleinen Verlust können Sie ja ertragen, und so sehr bedeutend kann es nicht sein, sonst hätte ich schon davon gehört.«

»Und doch, Mr. Bindloose, ist es ein Verlust! Was halten Sie von dem Verluste eines Freundes?«

Diese Aeußerung hatte der Rechtsgelehrte noch nie seiner langen Liste der Unglücksfälle beigefügt, und er konnte es sich gar nicht erklären, was die alte Dame mit einer so gefühlvollen Herzensergießung sagen wollte. Aber indem er einige jener Phrasen zu bringen begann, welche er gewöhnlich bei Eröffnungen der Testamente voraus zu schicken pflegte: »Ja, ja, wir sind Alle sterblich! vita incerta, mors certissima!« da gefiel es der Mistreß Dods, selbst ihren Orakelspruch zu erklären.

»Ich sehe schon, Mr. Bindloose, ich muß Ihnen selbst sagen, was mich quält, denn Sie können es höchst wahrscheinlich nicht errathen; wenn Sie also die Thür schließen und darauf sehen wollen, daß keiner Ihrer kichernden Gelbschnäbel uns belauschen kann, so will ich Ihnen entdecken, wie es mit mir steht.«

Mr. Bindloose erhob sich schnell, ihre Befehle zu erfüllen, warf einen vorsichtigen Blick in das Comptoir der Bank, erblickte seine Müssiggänger alle mit ihrer Arbeit ernstlich beschäftigt, schloß, als geschähe es aus Zerstreuung, das Comptoir ab, kehrte dann nicht wenig neugierig, wovon die Rede sein könnte, zu seiner alten Freundin zurück, und es aufgebend, hier mögliche Fälle zu errathen, zog er seinen Stuhl zu dem ihrigen, und harrte gelassen, bis es ihr gefallen würde, ihm Aufschluß zu ertheilen.

»Mr. Bindloose,« begann sie, »ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, daß vor sechs oder sieben Jahren zwei kecke junge englische Bursche, die bei mir wohnten, von dem alten St. Ronans einige Unannehmlichkeiten hatten, weil sie auf der Moorhaide Vogelwildpret geschossen hatten.«

»Ich weiß es so gut, als ob es gestern geschehen wäre, Mistreß, weiß auch, daß Sie mir meine Mühe, die kaum der Rede werth war, sehr ansehnlich belohnten, und mich ersuchten, kein Erkenntniß gegen die armen Jungen fällen zu lassen. – Sie hatten immer ein freundliches Herz, Mistreß Dods.«

»Kann sein, kann auch nicht sein, Mr. Bindloose, – wie mir nun eben die Leute gerade anstehn. – Aber was diese jungen Leute anbetrifft, sie verließen Beide das Land, und, wie ich glaube, in Folge eines bösen Handels mit einem Andern. – Nun vor etwa vierzehn Tagen kam der älteste und sanfteste von ihnen zurück, und war seitdem mein Gast.«

»Nun gut, ich hoffe, liebe Frau, er hat die alten Streiche nicht wieder vorgesucht. Ich habe bei dem neuen Landrichter und der Bank der Gerichtsmänner nicht mehr so viel Einfluß, als ich zu haben pflegte, Mistreß Dods, – und der neue Prokurator-Fiskal ist sehr streng gegen Wilddiebe, denn er ist ein Kind der neuen Verwaltung – gar wenige von unsern alten Freunden aus dem Kilnakelty-Clubb sind jetzt in den Sessionen zu finden, Mistreß Dods.«

»Um so schlimmer für das Land, Mr. Bindloose! – Sie waren anständige, geachtete Leute, die einem armen Hirtenbengel nicht eben sehr zu Leibe gingen, wenn er einmal eine Schnepfe oder einen Hasen schoß, wenn er nur nicht wirklich ein gemeiner Wilddieb ward. – Sir Robert Ringhorse pflegte zu sagen, die Hirtenjungen schössen so viel Geier und Krähen als Wild. – Aber neue Herren, neue Gesetze – nichts gibt es, als Strafen und Einsteckungen, und das Wild ist nicht um das Geringste wohlfeiler, noch häufiger. – Wenn ich ein oder zwei Vögel im Hause habe, – ich weiß am besten, was sie mir kosten! – Und warum sollten sie es nicht? – Die Gefahr will bezahlt sein. – Da ist selbst der John Pirrer, der seit dreißig Jahren auf den Moorhaiden allen Lairds zum Trotz schießt, er sagt mir, jetzt glaube er bei jedem Schusse schon den Strick um den Nacken zu fühlen.«

»So ist es also nicht in Jagdangelegenheiten, daß Sie meinen Rath wünschen?« fragte Bindloose, der, zwar selbst sich oft Abweichungen von der Sache erlaubend, niemals gern einem Andern eine gleiche Freiheit einräumte.

»Nein, darüber freilich nicht, Mr. Bindloose; aber von dem unglücklichen jungen Menschen selbst muß ich eben zu Ihnen sprechen. – Sie müssen wissen, ich habe eine ganz besondere Neigung zu diesem Burschen, dem Francis Tyrrel – eine Neigung, die mich oft selbst in Erstaunen setzt, Mr. Bindloose, doch ist sie tugendhafter Art und keine Sünde liegt darin.«

»Keine, gar keine Sünde, Mistreß Dods!« erwiederte der Rechtsgelehrte, im Stillen das Seinige dabei ungefähr also denkend: »Aha, der Nebel erhellt sich. – Der junge Wilddieb hat die Spur wieder gefunden, ich sehe schon – Aha, ein Heirathskontrakt, ohne Zweifel – aber ich muß ihr Muth machen!« – und laut fuhr er fort: »Sie sind eine kluge Frau, Mistreß Dods, und können ohne Zweifel den Wechsel und die wunderlichen Fügungen menschlicher Angelegenheiten wohl beurtheilen.«

»Aber nie kann ich dennoch richtig beurtheilen, was dem armen jungen Menschen durch die Bosheit schlechter Leute widerfahren sein kann. Er lebte, wie ich Ihnen erzählte, wohl vierzehn Tage so ruhig in der Teufelsfalle, wie ein Lämmchen in der Koppel – nie betrat ein bescheidnerer, anständigerer Jüngling mein Haus – aß und trank ordentlich zum Vortheil des Hauses, doch nie mehr als ihm für Körper und Seele zuträglich war – und jeden Samstag Abend, so gewiß der Samstag selbst wieder kam, zahlte er seine Rechnung pünktlich aus.«

»Ein vortrefflicher Kunde, ohne Zweifel, Mistreß Dods.«

»Nie gab es noch in diesem Punkte Seinesgleichen! – Aber nun sehn Sie nur die menschliche Bosheit an! – Einige von den Landläufern und Zierliesen da unten an der stinkenden Pfütze, die sie den Gesundbrunnen nennen, hatten von dem armen Jungen und den kleinen Endchens-Gemälden gehört, die er anfertigte, und da ruhten sie nicht, bis sie ihn herunter nach dem Hôtel lockten, wo sie schon mehr als eine schöne Geschichte von Mr. Tyrrel und mir erdacht haben.«

Wieder eine falsche Spur ergreifend, sagte der Rechtsgelehrte: »Das ist also eine Angelegenheit für den commissarischen Gerichtshof. – Ich will ihnen gut zu Leibe gehn, Mistreß Dods, wenn Sie mir nur einige kleine Beweise gegen sie geben können. – Ich will sie bald zur Strafe und zum Widerruf bringen. – Sie sollen es bitter bereuen, sich um Ihren guten Namen bekümmert zu haben.«

»Um meinen guten Namen! Was hat mein guter Name denn hierbei für Schaden, Mr. Bindloose? Ich glaube wahrhaftig, Sie haben diesen Morgen schon ein kleines Räuschchen im Kopfe, so früh es auch noch ist. – Mein guter Name! – Wenn Einer an meinen guten Namen sich wagte, wollte ich weder einen Anwalt, noch Gerichtshof bemühen! – Ich wäre unter sie gefahren, wie ein Stoßfalke unter einen Zug wilder Gänse, und wenn die Allervornehmsten darunter sich unterständen, von Meg Dods etwas zu sagen, das nicht höflich und anständig ist, da wollte ich bald sehn, ob ihre aufklavirte Frisur eigenes Haar oder eine Perücke wäre! – Mein guter Name, nun wahrhaftig!« –

»Gut, gut, Mistreß Dods, ich hatte mich geirrt, das ist Alles; ich irrte mich, denn ich will wohl behaupten, daß Sie Ihr Recht gegen männiglich zu vertreten wissen werden. – Aber lassen Sie mich nun mit einem Worte hören, was Sie eigentlich kränkt?« –

»In einem Worte also, Mr. Bindloose,« sagte Meg, die Stimme senkend, denn sie erschrak vor dem Laut desselben – »hier ist von einer kleinen Art von – Mord die Rede!«

»Mord, Mord! Mistreß Dods! – Es kann nicht sein – kein Wort hat man davon beim Landgericht gehört! – es kann kein Mord in der Grafschaft geschehen, von dem wir nicht etwas hören würden. – Um Gottes willen, sehn Sie sich vor, liebe Frau, und stürzen Sie sich nicht umsonst in solche Unruhen!«

»Mr. Bindloose, ich kann nur nach meinem besten Einsehen sprechen; Sie sind gleichsam ein Richter in Israel, mindestens sind Sie einer der Rechtsgelehrten, welche die Gewalt in Händen haben, – und ich erzähle Ihnen also mit schwerem bangen Herzen, daß dieser arme junge Mensch, der bei mir wohnte, ermordet oder fortgeschleppt worden ist, von dem meuchelmörderischen Volke da unten am neuen Gesundbrunnen; ich will die Gesetze gegen sie aufrufen und sollte es mich hundert Pfund kosten.«

Der Rechtsgelehrte erstaunte immer mehr, sowohl über Megs Anklage, als über die Hartnäckigkeit ihrer Behauptung.

»Den Trost habe ich wenigstens,« fuhr Meg fort, »daß, was auch geschehen sein mag, es wenigstens nicht meine Schuld ist, Mr. Bindloose; denn das weiß ich, daß ich dem blutdürstigen, auf halbem Sold stehenden Philister, Mac Turk, als er heraufkam, um mit ihm zu reden, die Hirnschale gut mit meinem Besen durchkratzt habe. – Aber das arme, einfältige Kind selbst, das nicht mehr von der Bösartigkeit der Menschen weiß, als das Kalb von des Fleischers Schlachtmesser, es bestand darauf, mit dem alten verstockten Blutvergießer zu reden, und kam mit ihm überein, zu einer bestimmten Zeit zusammen zu treffen; fort ging er Wort zu halten, und seit der Stunde hat ihn kein Auge wieder erblickt. – Und die eingefleischten Bösewichter wollen jetzt noch obendrein Schande über ihn bringen, und sagen, er sei lieber davon gelaufen, statt ihnen Rede stehn zu wollen! – Das wäre mir eine wahrscheinliche Geschichte! – ihnen zum Gefallen dem Lande den Rücken zuzukehren! – seine Rechnung unbezahlt zu lassen! – Er, der so ordentlich war, – seinen Mantelsack, seine Angelruthe, seine Pinsel und Gemälde, aus denen er solches Wesen machte, im Stiche zu lassen! Es bleibt meine feste, treue Meinung, Mr. Bindloose, – und Sie mögen mir Glauben schenken oder nicht, wie es Ihnen gefällig ist – daß irgend ein schändlicher Streich zwischen der Teufelsfalle und dem Bucksteine ausgeführt ward. Ich habe es gedacht, es hat mir geträumt, und ich will es ergründen, oder mein Name sei nicht Meg Dods, und sie sollen mir Rede dafür stehn. – Ja, ja, das ist so ganz recht, Mr. Bindloose, nehmen Sie nur Feder und Tintefaß zur Hand, und lassen Sie uns zum Werke schreiten.«

Mit großer Schwierigkeit und unendlichem Aufwande von Kreuzfragen brachte endlich Mr. Bindloose einen umständlichen Bericht von dem Benehmen der Brunnengesellschaft gegen Tyrrel aus seiner Clientin heraus – insofern nämlich es ihr selbst bekannt war, oder von ihr vermuthet wurde – und zeichnete sich während der fortschreitenden Vernehmung bloß die ihm wichtiger scheinenden Punkte auf. Nach einer augenblicklichen Ueberlegung legte er der guten Frau die sehr natürliche Frage vor, wie sie eigentlich dazu gelangt sei, von der bedeutenden Thatsache, – eine Verabredung zu einer feindlichen Zusammenkunft zwischen ihrem Gaste und dem Hauptmann Mac Turk betreffend, – Nachricht zu erhalten, wenn diese, nach ihrer eignen Aussage, nur intra parietes und remotis testibus stattfand?

»Ei, wir Wirthsleute werden uns doch wohl darauf verstehn, auszukundschaften, was in unserm Hause vorgeht?« sagte Meg. »Und weßhalb auch nicht – wenn Sie nun einmal Alles darüber wissen müssen, ich lauschte selbst ein bischen durch's Schlüsselloch!«

»Und Sie sagen, Mistreß Dods, daß Sie es hörten, wie sie diese Zusammenkunft zu einem Duell bestimmten – und Sie nahmen keine Maaßregeln, Unglück zu verhüten, Mistreß Dods, da Sie so sehr viel auf den jungen Menschen hielten, wie Sie es selbst sagen? – Ich würde so etwas von Ihnen niemals erwartet haben.«

»Ganz recht und wahr, Mr. Bindloose,« sagte Meg, mit der Schürze ihre Augen trocknend: »Das ist's eben, was mich mehr als alles Uebrige quält, und Sie brauchen gar nichts Weiteres einer Person zu sagen, deren Herz deßhalb schon betrübt ist, weil sie sich nur einen Gedanken vorzuwerfen hat. – Aber zur Zeit der kecken Bursche aus dem Wildfire- und Helter-skelter Clubb gab es bei ihren unbesonnenen Gelagen mehr als eine Ausforderung in meinem Hause; allein sie waren immer verständig genug, sie ohne Gefecht wieder beizulegen, so daß ich in der That weit entfernt war, ein Unglück zu besorgen. – Auch müssen Sie eingestehen, Mr. Bindloose, es wäre gar sehr ungeziemend gewesen, wenn der Bewohner eines solchen reputirlichen, anständigen Gasthofes, wie der meinige, sich als eine feige Memme vor irgend einem der landläuferischen Straßenräuber dort unten am Brunnen gezeigt hätte.«

»Das heißt, Mistreß Dods, Sie wünschten, daß Ihr Gast zur Ehre Ihres Hauses kämpfen möchte?«

»Weßhalb sollte ich es nicht, Mr. Bindloose? – Solch' eine Art von Kampf wird ja der Ehre wegen gefochten! Und weßhalb sollte nicht eben so gut für die Ehre eines massiven, viereckigen, dreistöckigen Hauses gefochten werden, als für den Ruhm eines jener kraftlosen Gelbschnäbel, die solch' einen Lärmen über ihren Ruf machen? – Ich gebe Ihnen mein Wort, mein Haus, die Teufelsfalle, stand schon in dem alten Orte St. Ronans, ehe sie geboren waren, und wird noch stehn, wenn sie gehängt sind, wie ich denn zu Gott hoffe, daß es Einigen von ihnen so gehn werde.«

»Nun wohl, aber Ihr Miether empfand vielleicht weniger Eifer für die Ehre Ihres Hauses,« entgegnete der Rechtsgelehrte, »und hat sich in der Stille in Sicherheit gebracht; denn wenn ich Ihren Bericht recht verstehe, so fand diese Zusammenkunft gar nicht statt.«

»Er weniger Eifer dafür haben? – Da kennen Sie ihn sehr wenig! – Ich wollte, Sie hätten ihn gesehn, als er ärgerlich war! – Ich selbst hatte kaum den Muth, ihm entgegen zu treten, und es gibt wahrhaftig wenig Leute, die ich fürchte! – Die Zusammenkunft? – Freilich, das glaube ich wohl, eine Zusammenkunft fand nicht statt! – nie haben sie es gewagt, ihm tapfer entgegen zu treten. – Aber ich bin gewiß, Schlimmeres ist geschehn, als je aus einem Duell entstand! – Denn als Anthony dort am St. Ronans-Brand den alten Hengst tränkte, hörte er zwei Schüsse fallen, und das ist gar nicht weit ab von dem Fußsteig, der zum Buckstein führt. Ich war sehr erzürnt, daß er nicht untersuchte, was da vorging, aber er hatte geglaubt, es sei der alte Pirrer, den man vielleicht auf der That erhascht habe, da wollte er denn vielleicht nicht gern als Zeuge vor das Gericht der Wilddiebe gefordert werden.«

»Gut, und ich möchte behaupten, Mistreß Dods, daß er einen Wilddieb ein paar Schüsse abfeuern hörte, nichts wahrscheinlicher als das. Glauben Sie mir, Mistreß Dods, Ihr Gast hatte keine Lust zu der Partie, zu welcher der Hauptmann ihn eingeladen hatte – und da er ein ruhiger Schlag von Menschen ist, so ist er gelassen in seine Heimath gewandelt, wenn er nämlich eine hat. – Ich bedaure es wirklich, daß Sie sich der Mühseligkeit einer so weiten Reise so unbedeutender Ursache wegen unterzogen haben.«

Mistreß Dods verharrte ein Weilchen mit dem Ausdrucke des höchsten Unmuths und gänzlicher Unzufriedenheit, die Augen auf die Erde gerichtet, und als sie endlich sprach, verrieth ihr Ton gleiche Verstimmung.

»Gut, gut! – Lebe und lerne, heißt es ja! – Ich glaubte einen Freund an Mr. Bindloose zu haben. – Ich weiß, wie oft ich Ihre Partei nahm, wenn die Leute schlecht von Ihnen sprachen, Ihnen dieß und jenes anhingen, ja Sie einen listigen und geldschneidenden Flegel nannten, Mr. Bindloose. – Und immer haben Sie mein bischen Geld in Händen gehabt, obwohl ohne Zweifel Tam Turnpenny mir näher wohnt, und die Leute sagen, er gäbe Einem ein halb Procent mehr, wenn man das Geld ungenützt liegen lasse, und das meinige kommt sehr selten in Bewegung!«

»Dagegen haben Sie aber dort nicht die Sicherheit, welche die Bank ertheilt, Madam!« sagte Mr. Bindloose erröthend. »Ich will Niemandem den Credit schmälern – es würde mir schlecht geziemen – doch sollte ich meinen, zwischen der Bank und Tam Turnpenny sei ein Unterschied.«

»Gut, gut! Bank hin, Bank her! – Ich glaubte, Sie wären mein Freund, Mr. Bindloose; und da bin nun ich, die ich hierher von meinem eignen Hause so weit bis zu dem Ihrigen gekommen bin, mit gar geringem Troste abgefertigt, sollte ich meinen!«

»Potz Sternchen, Madam,« sagte der bestürzte Landgerichtsschreiber, – »was wollen Sie nur, daß ich in einer solchen unklaren Geschichte, als die ihrige da ist, beginnen soll? – Lassen Sie sich doch Etwas vernünftig vorstellen – bedenken Sie, daß kein Corpus delicti vorhanden ist!«

» Corpus delicti? Was ist das für ein Ding?« fragte Meg. »Ohne Zweifel etwas, wofür man bezahlen muß, denn das ist immer das Ende, worauf Ihre schweren unverständlichen Worte hinauslaufen. – Und weßhalb kann ich nicht auch solch' ein Corpus delicti kaufen, oder ein Habeas Corpus, oder sonst irgend ein Corpus auf der Welt, so lange ich doch bereit bin, gern und willig das Geld dafür zu zahlen?«

»Der Himmel behüte und bewahre uns, Mistreß Dods, Sie mißverstehn mich ganz und gar! – Wenn ich sage, hier ist kein Corpus delicti, so meine ich, daß kein Beweis vorhanden ist, daß das Verbrechen wirklich stattfand.«

»Und will denn der Mann mir sagen, daß ein Mord kein Verbrechen ist?« fragte Meg, welche ihre einmal gewonnene Ansicht viel zu fest gefaßt hatte, sich durch irgend Jemand anders davon abbringen zu lassen. »Ich weiß aber dennoch sehr wohl, daß es ein von göttlichen und menschlichen Gesetzen verpöntes Verbrechen ist, und mehr als ein hübscher Mensch ist dafür gehangen worden!«

»Das weiß ich Alles ebenfalls sehr wohl, Mistreß Dods. Aber potz Sternchen, Mistreß Dods, in diesem Falle hier ist ja schlechterdings kein Beweis eines Mordes vorhanden – kein Anzeichen, daß ein Todtschlag verübt ward – der Leichnam kann nicht nachgewiesen werden – das ist's, was wir ein Corpus delicti nennen.«

»Nun gut, der Teufel mag Euch mehr auspressen!« rief Meg in Wuth aufspringend, »denn ich will nun wieder nach Hause. – Und was des armen Jungen Körper anbetrifft, der soll mir gefunden werden, und sollte ich die Erde drei Meilen umher mit Hacke und Schaufel umgraben lassen – und geschähe es auch nur, um dem armen Kinde ein christliches Begräbniß zu verschaffen, den Mac Turk zur Strafe zu ziehn, nebst dem ganzen mörderischen Haufen da unten am Brunnen, und solch' einen alten kindisch gewordnen Thoren, wie Sie, John Bindloose, tüchtig zu beschämen.«

Wuthentbrannt verlangte sie nach ihrem Wagen. Aber des Anwalts Absicht und Vortheil stimmte keineswegs dazu, daß seine Clientin ihn so erzürnt verlassen sollte. Er beschwor sie, Geduld zu haben, erinnerte sie, daß die Pferde, die armen Dinger, ja eben erst in den Stall gekommen wären – ein Bewegungsgrund, welcher der alten Posthalterin unwiderstehlich zu Herzen drang, der schon bei ihrer frühsten Erziehung die sorgliche Pflege der Postpferde unter ihren heiligsten Pflichten eingeprägt ward. Sie nahm also verdrießlich ihren Platz wieder ein, während Mr. Bindloose sich den Kopf zerbrach, irgend etwas zu ersinnen, welches die alte Dame zur Vernunft zu bringen vermöchte, als seine Aufmerksamkeit durch einiges Geräusch auf dem Flur erregt ward.



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