Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.
Tischgespräch.

Und, Sir, sind die Gerüchte wahr,
Hat Holland Großes vor, fürwahr,
Oestreich – vor allen Zugemüsen
Mag welsche Bohnen ich genießen.


Und wie das lebhaft, munter ist,
Als ob – beliebt Mylady Whist?

Tischgespräch.

Als man im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, reichte Lady Penelope ihren Arm an Tyrrel mit einem herablassenden Lächeln, welches ihm die ganze Ehre, die ihm widerfuhr, begreiflich machen sollte. Aber der unempfindliche Künstler, weit entfernt, die mindeste Verwunderung über eine, die ihm geziemende Erwartung so hoch übersteigende Gunst zu verrathen, schien diese Auszeichnung ganz einfach als eine dem Fremdesten in der Gesellschaft gebührende zu betrachten. Ja, als er Lady Penelope an das obere Ende der Tafel geführt hatte, und seinen Stuhl zwischen dem ihrigen und dem der Lady Binks einnahm, schien der übermüthige Mensch so wenig sich über den ihm gebührenden Platz erhaben zu finden, als ob er bei der ehrlichen Mistreß Blower aus dem Bowhead gesessen hätte, welche nach dem Brunnen kam, den Ueberrest einer Influenza, wie sie eine Magenüberladung nannte, hinweg zu spühlen.

Diese Gleichgiltigkeit reizte Lady Penelope mächtig, und steigerte ihren Wunsch, in Tyrrels Geheimniß, wenn es ein solches gab, tiefer einzudringen, und ihn für ihre Partei zu gewinnen. Wenn du, mein Leser, je an einem Badeorte warst, so weißt du, daß, während die Gäste nicht immer den durch nichts ausgezeichneten Leuten artig entgegen zu kommen pflegen, sie dagegen solch ein fremdes, vorher besprochenes Wunderthier mit der größten Anstrengung verfolgen. Die Amazonen, welche die Häupter der Parteien sind, bereiten, gleich den Jägern zu Buenos-Ayres, ihre Schlingen und Fallen, und alle Kriegslisten aufbietend, suchen sie ihres Sieges über das nichts ahnende Ungeheuer gewiß zu werden, und es gefesselt ihrer Menagerie einzuverleiben. Wenige Worte werden es erklären, weßhalb Lady Penelope diese Jagd mit mehr als gewöhnlichem Eifer trieb.

Sie war die Tochter eines Grafen. Schön gestaltet, konnten ihre Züge in der Jugend wohl hübsch genannt werden, obwohl sie jetzt zu stark geworden waren, um noch darauf Anspruch zu machen. Die Nase war schärfer hervorgetreten, die jugendliche Rundung der Wangen ging verloren, und da während der fünfzehn Jahre, in welchen sie als gesetzgebende Schönheit der Gegenstand der Toasts war, der rechte Mann nicht gesprochen hatte, so begann Ihro Herrlichkeit, die damals eben durch die Beerbung einer alten Verwandtin ganz unabhängig geworden war, von dem Glücke der Freundschaft zu sprechen, den Sommer in der Stadt zu hassen, und nur von grünen Feldern und Auen zu schwatzen.

In der Zeit, als Lady Penelope ihre Lebensweise zu ändern begann, war sie so glücklich, mit dem Beistande Doctor Quacklebens die Tugenden der St. Ronans-Quelle zu entdecken; und nachdem sie eifrig dazu beigetragen hatte, die Urbs in rure (Stadt auf dem Lande) einzurichten, welche sich darum zu erheben begonnen, ließ sie sich als leitendes modisches Gestirn in der kleinen Provinz nieder, welche sie einigermaßen selbst entdeckt und bewohnbar gemacht hatte. Sie konnte folglich mit Recht wünschen, den Tribut der Huldigung eines Jeden einzufordern, der sich ihrem Gebiete nahte.

In anderer Hinsicht entsprach Lady Penelope ganz dem gewöhnlichen Bilde ihrer zahlreichen Mitschwestern. Ihre eigentlich tadellosen Grundsätze hinderten sie nicht, leichtsinnig ihrer Laune zu folgen, und etwas frei in der Wahl ihrer Gesellschaft zu sein. Gutmüthig, aber eigensinnig und launig, war sie gern bereit, sich freundlich, ja großmüthig zu zeigen, in so fern es weder Anstrengung erforderte, noch ihr Vergnügen dadurch gestört ward. Sie war stets bereit, ein junges Mädchen in die Welt einzuführen, und brachte alle Welt in Aufruhr, um Subscriptionen in den Gang zu bringen. Aber wenig kümmerte sie sich darum, wie viel oder mit wem ihre thörichte junge Pflegebefohlne tanzen mochte, so daß für einen großen Theil der jungen Damen Ihro Herrlichkeit die entzückendste Frau in der Welt war. Auch besaß Lady Penelope so viel Welt, verstand so genau, wenn es zu schweigen, wenn es zu reden galt, wie man sich einer Verlegenheit durch den Schein der Unwissenheit entziehen und doch zugleich andeuten kann, man sei nicht getäuscht, daß man ihre eigentlichen Thorheiten nicht eher inne ward, als bis sie zu sehr die Aufgeweckte zu spielen suchte. Dieß ereignete sich häufiger in der letzten Zeit, wo sie vielleicht voraussetzte, da sie nicht umhin konnte zu bemerken, wie die Künste der Toilette ihr nothwendiger wurden, daß durch die Breschen, welche die Zeit hervorbringe, neues, stärkeres Licht auf ihren Geist einwirke. Viele ihrer Freunde waren aber der Meinung, Lady Penelope hätte besser gethan, auf der Mittelstraße zu bleiben, welche einem feinen, wohlerzogenen Frauenzimmer so schön geziemt, als daß sie ihre so neu begründeten Ansprüche als Gönnerin der Künste und Wissenschaften zur Schau trug; aber das war durchaus nicht ihre Meinung, und ohne Zweifel war Ihre Herrlichkeit hierin der beste Richter.

Zur andern Seite Tyrrels saß Lady Binks, ehemals die schöne Miß Bonyriggs, welche während der letzten Badezeit in der Gesellschaft abwechselnd Bewunderung, Lächeln und Erstaunen erregte, indem sie den wildesten hochländischen Tanz ausführte, den tollsten Klepper ritt, mit dem schallendsten Gelächter den derbsten Scherz beantwortete, und den kürzesten Rock aller zu St. Ronans versammelten Badenymphen trug. – Nur wenige begriffen es, daß dieß wilde, unweibliche, halb wahnsinnige Benehmen nur eine täuschende Hülle ihres wahren Charakters, ja nur angenommen war, um gut verheirathet zu werden. Sie hatte ihre Augen auf Sir Bingo geworfen, und sich seinen Grundsatz gemerkt, daß, um ihn zu fangen, »ein Mädchen schon einen Puff vertragen müsse,« und daß er eine Frau sich wählen würde, welche gerade die Eigenschaften habe, die auch einen guten Jägersmann abgeben würden. Sie brachte ihre Zwangsheirath zu Stande, und machte sich höchst elend. Ihre tolle, lustige Laune war ihrem Charakter durchaus uneigenthümlich, der eigentlich leidenschaftlich, ehrgeizig und tiefsinnig war. Zartheit besaß sie durchaus nicht. – Sie wußte es selbst damals, als sie ihn zu fangen strebte, daß Sir Bingo ein ungeschlachter Tölpel und ein Narr war; aber darin hatte sie sich getäuscht, daß sie sich nicht zuvor vorstellte, wie tief Aerger und Scham sie kränken würden, wenn sie, nun Eins mit ihm geworden, seine Thorheiten ihn dem Gelächter und dem Mißbrauch preisgeben sah, oder wie sehr seine gränzenlose Rohheit ihren Widerwillen erregen würde, wenn sie ihr selbst so nahe trat. Wahr ist, er war im Ganzen ein ziemlich unschuldiges Ungeheuer; und bald bittend, bald strenger den Zügel lenkend, möchte er mit Schmeichelei und Heiterkeit noch menschlich genug zu leiten gewesen sein, aber sein unglückliches Schwanken, welches der Erklärung ihrer geheimen Heirath voran ging, hatte ihr ganzes Gemüth so gegen ihre Ehehälfte aufgebracht, daß jeder Gedanke der Versöhnung fern von ihr lag. Nicht allein die schottische Themis, so nachsichtig sie auch die Schwächen des schönen Geschlechts zu vertreten pflegt, war die Schutzgöttin dieser Ehe gewesen, selbst Gott Mars schien bereit, seinen Schild deßhalb zu ergreifen, wenn Hymen nicht in's Mittel trat. Es gab, so sagte man, einen gewissen Bruder der jungen Dame – einen Offizier – der zufällig auf Urlaub war – dieser stieg in der Nacht um eilf Uhr vor dem Hôtel zum Fuchse aus einem Miethwagen, einen tüchtigen Stock von wohl getrocknetem Eichenholze in der Hand; ihn begleitete noch ein anderer Gentleman, der, wie er selbst, mit einer militärischen Reisemütze und einem schwarzen Stock versehen war; aus demselben Wagen ward, nach Toby's glaubwürdiger Versicherung, ein kleiner Mantelsack, ein tüchtiger Andreas Ferrara Ein Degen. A. d. U. und ein zierlicher Mahagony-Kasten, achtzehn Zoll lang, drei hoch und etwa sechs breit, heraus genommen. Den andern Morgen ward ein feierliches Palawer (wie die Eingebornen in Madagascar ihre Nationalversammlung nennen) zur ungewöhnlichen Stunde gehalten, welchem der Hauptmann Mac Turk und Mr. Mowbray beiwohnten; und die Schlußfolge war, daß beim Frühstück die Gesellschaft durch die Nachricht beglückt wurde, daß Sir Bingo, seit einigen Wochen der glückliche Gatte ihres allgemeinen Lieblings, welche bisher aus Familien-Rücksichten geheim gehaltene Verbindung er jetzt endlich laut erkläre, auf den Flügeln der Liebe hineile, seine klagende Taube aus den Schatten zurückzuholen, in die sie sich geflüchtet, bis die Hindernisse ihrer gegenseitigen Glückseligkeit aus dem Wege geräumt wären. So süß aber dieß auch Alles klang, so konnte dennoch diese gallenlose Turteltaube, Lady Binks, nie, ohne den bittersten Empfindungen der Rache und der Verachtung Raum zu geben, sich dieser kränkenden Ereignisse erinnern.

Diesen unangenehmen Verhältnissen hatte die Weigerung der Familie Sir Bingos, daß er seine Gattin, ihren Wünschen gemäß, nicht nach seinem Landsitze bringen sollte, die Krone aufgesetzt; ihr Stolz ward dadurch noch tiefer gekränkt, während ihre Verachtung gegen den armen Sir Bingo sich vermehrte, der vor dem Zorn und Unwillen seiner Verwandten, so wenig er je ihren guten Rath befolgen mochte, dennoch eine kindische Angst nicht zu überwinden fähig war.

Das Betragen der jungen Dame war nicht weniger verändert als ihre Laune; ihr ehemaliges zu unbedachtsames, freies Benehmen war jetzt peinlich zurückgezogen, mürrisch und hochmüthig geworden. Das Bewußtsein, daß Viele Bedenken tragen könnten sie zu sehen, machte sie sehr eifersüchtig auf alle Vorrechte ihres Ranges, und ließ sie jede Kleinigkeit, die einer Vernachlässigung gleichen konnte, mit bitterm Unmuthe rügen. Sie hatte sich der Börse Sir Bingos zu bemächtigen gewußt, und in den Ausgaben für ihre Toilette und Equipagen unbeschränkt, zog sie es, ihrer ehemaligen Weise ganz entgegen, vor, reich und glänzend, statt lustig zu erscheinen, und durch Pracht die Aufmerksamkeit zu erzwingen, welche sie nicht länger durch Liebenswürdigkeit oder Unterhaltungsgabe zu erwerben sich herabließ. Eine geheime Ursache ihres Unglücks war noch die Nothwendigkeit, der Lady Penelope Penfeather vorzügliche Aufmerksamkeit zu zollen, deren Verstand sie verachtete, so wie sie ihre Ansprüche auf ein besonderes Anrecht, eine entscheidende Stimme im Reiche des Geschmacks und der Kunst zu behaupten, mit Scharfsinn zu durchschauen und zu würdigen verstand. Ihre Abneigung gegen Lady Penelope war um so entschiedener, weil sie wohl fühlte, daß es größtentheils von der Lady Benehmen gegen sie abhing, welch eine Rolle ihr selbst hier, in der nicht sehr gewählten Gesellschaft, zu Theil werden sollte, und daß von ihr vernachlässigt ihre Schale nur zu tief gesunken wäre. Auch Lady Penelope empfand eben keine außerordentliche Zärtlichkeit gegen Lady Binks. Die wohlbekannten, eigenthümlich mißmuthigen Gefühle unverheiratheter Frauenzimmer von gewissen Jahren gegen andre, die vor ihren eignen Augen glänzende Heirathen machen, waren ihr nicht fremd – überdem war ihr die geheime Abneigung, die Lady Binks gegen sie hegte, keinesweges entgangen. Aber sie führte einen schönen Namen, und der Glanz, mit welchem sie lebte, brachte den Ort in Ruf. So begnügten sich beide, ihren gegenseitigen Widerwillen in kleinen scharfen Hieben gelegentlich auszulassen, doch ihren Haß scheinbar mit dem Mantel der Höflichkeit zu verhüllen.

So war Lady Binks; und dennoch selbst in dieser drückenden Lage machte ihre Kleidung, ihre Equipage und reiche Umgebung sie zum Gegenstand des bittersten Neides der Hälfte der jungen Damen, die im Bade versammelt waren, welche, während die Lady durch finstern Mißmuth ihr sehr schönes Gesicht entstellte (denn ihre Züge waren so reizend als ihre Gestalt ausgezeichnet), sich einbildeten, daß sie stolz darauf, ihr Ziel erreicht zu haben, mit ihren Schätzen und ihrem brillantnen Diadem sich zu gut für ihre Gesellschaft halte. Sie unterwarfen sich demungeachtet ihrem gebieterischen Wesen, obwohl es ihnen um so tyrannischer erschien, da sie durch ihr unweibliches Benehmen als Mädchen einigen unter ihnen oft ein Gegenstand des Tadels und Anstoßes gewesen war. Auch hatte Lady Binks die Beleidigungen der Miß Bonyriggs keinesweges vergessen. Aber die schöne Schwesterschaft unterwarf sich ihren Launen, wie junge Offiziere das Brummen eines rohen, lärmenden Seekapitäns ertragen, mit dem geheimen Entschluß, es späterhin ihren Untergebenen wieder einzutränken, wenn sie selbst Kapitäns geworden sein würden.

In diesem Zustande der äußeren Wichtigkeit und geheimer Buße behauptete Lady Binks ihren Platz bei Tische, bald von einer plumpen Dummheit ihres Gemahls außer Fassung gebracht, bald von einem Seitenhiebe Lady Penelopens aufgereizt, den sie, so viel Lust sie dazu empfand, nicht zu erwiedern wagte.

Sie blickte zuweilen auf ihren Nachbar Franz Tyrrel, doch ohne ihn anzureden, und nahm schweigend die üblichen Höflichkeiten an, welche er ihr widmete. Sie hatte sehr wohl seine Unterredung mit Sir Bingo beobachtet, und aus Erfahrung die Art, wie ihr Gemahl sich aus einem für ihn ungünstig endenden Streit zurückzuziehen pflegte, wie seine dummdreiste Albernheit, sich in solche Verlegenheiten zu stürzen, kennend, zweifelte sie gar nicht, daß er von dem Fremden irgend eine neue Unwürdigkeit erduldet habe. Mit einem wunderbaren Gemisch von Empfindungen betrachtete sie deßhalb den Fremden, kaum wissend ob sie sich freue, daß er den, welchen sie haßte, gekränkt habe, oder ob sie empört sei, daß er Jemand zu beleidigen wagte, dessen Erniedrigung nothwendig auf sie rückwirken mußte. Noch andre Gedanken mochten sich ihr aufdrängen – kurz sie beobachtete ihn mit großer, wenn auch stummer Aufmerksamkeit. Tyrrel dagegen vermochte ihr nur sehr wenige zu zollen, da er durch Lady Penelope Penfeather gänzlich in Beschlag genommen war.

Aus seinen höflichen, doch ausweichenden Antworten konnte Lady Penelope nur entnehmen, daß Tyrrel die entlegensten Gegenden Europens auf seinen Reisen sah, ja selbst in Asien war. Getäuscht, aber nicht zurückgestoßen fuhr die Lady in ihrer Höflichkeit fort, ihm, als einem Fremden, mehrere Anwesende schildernd, denen sie sich erbot ihn vorzustellen, als Leuten, in deren Gesellschaft er Vortheil oder Unterhaltung finden könnte. Mitten in diesem Gespräch unterbrach sie sich, kurz ausrufend:

»Wollen Sie mir verzeihen, Mr. Tyrrel, wenn ich bekenne, daß ich Ihren Gedanken einige Augenblicke nachgespürt, und Sie jetzt durchschaut habe. Die ganze Zeit, daß ich Ihnen da von den guten Leuten hier erzähle, und daß Sie mir so höfliche Antworten darauf geben, daß man sie mit großem Nutzen und äußerst schicklicherweise in den Familiengesprächen für Fremde, die Englisch zum gewöhnlichen Gebrauch lernen wollen, einrücken könnte – ist Ihre ganze Aufmerksamkeit auf den leeren Sessel gerichtet gewesen, der uns gegenüber, zwischen unserm würdigen Präsidenten und Sir Bingo Binks unbesetzt geblieben ist.«

»Ich gestehe, Mylady, daß ich einigermaßen erstaune, einen so vorzüglichen Platz unbenutzt zu sehen, da der übrige Theil des Tisches fast überfüllt ist.«

»O gestehen Sie mehr, Sir! – Gestehen Sie, daß für einen Poeten ein leerer Platz – Banko's Sitz – mehr Reiz hat, als wenn er selbst mit der Fülle eines Aldermanns eingenommen wäre. – Wie denn, wenn die finstere Dame plötzlich hinein gleiten möchte? Würden Sie den Muth haben, dem Geist in's Angesicht zu schauen, Mr. Tyrrel? – Ich versichere Sie, ganz unmöglich ist das nicht.«

» Was ist nicht ganz unmöglich, Lady Penelope?« fragte Tyrrel mit einigem Erstaunen.

»Erschrecken Sie schon? – Ja dann fürchte ich, daß Sie die furchtbare Zusammenkunft nicht ertragen werden.«

»Welche Zusammenkunft? Wen erwartet man?« fragte Tyrrel, unfähig seine Neugierde ganz zu unterdrücken, obwohl er das Ganze für einen Scherz der Lady ansah.

»Wie ich entzückt bin,« rief sie, »daß ich endlich die Stelle, wo Sie verwundbar sind, getroffen habe! Erwartet? – sagte ich erwartet? – Nein, nein, nicht erwartet! –

Sie gleitet gleich der Nacht, von Land zu Land
Und eigner Zauber liegt in ihrer Rede.

Aber kommen Sie. Jetzt gehören Sie mir auf Gnade und Ungnade, und ich will großmüthig sein und mich erklären. – Wir nennen – versteht sich unter uns – Miß Clara Mowbray, die Schwester des jungen Gentleman, der zunächst bei Miß Parker sitzt, die finstere Dame, und jener Sitz ist für sie aufbewahrt. – Denn man hatte sie erwartet – nein, nicht erwartet! – Ich vergesse schon wieder! – Aber man glaubte es sei möglich, daß sie uns heute beehre, da unsere Gesellschaft gerade so groß und so anziehend ist. – Ihr Bruder ist der Gutsherr des Ortes – und so zollt man ihr die Höflichkeit, sie als den ausgezeichnetsten Gast zu behandeln, und weder Lady Binks noch ich wenden etwas dagegen ein. – Es ist eine sonderbare junge Person, Clara Mowbray – sie unterhält mich sehr – ich bin immer sehr erfreut sie zu sehen.«

»Aber heute wird sie nicht erscheinen,« sagte Tyrrel, »wenn ich Ew. Herrlichkeit recht verstanden habe?«

»Nein, ihre Stunde ist vorüber, selbst ihre Stunde,« entgegnete Lady Penelope – »man hat das Mittagessen über eine halbe Stunde deßhalb verspätet, und unsere alten Invaliden hier waren ganz ausgehungert, wie Sie an den Thaten sehen können, die sie seitdem glorreich verübten. – Aber Clara ist ein unartiges Geschöpf, nur dann, wenn es ihr durch den Kopf fährt, jetzt will sie kommen, so kömmt sie. – Sie ist voller Grillen und Launen. – Viele Leute finden sie hübsch, – aber sie hat ein so geistiges überirdisches Wesen, daß sie mich immer an Mat. Lewis's gespenstische Lady mahnt.« Und sie wiederholte mit vielem Ausdruck:

»Es gibt ein Ding, es gibt ein Ding,
Das hätt' ich gern von Dir;
Ich hätte gern den goldnen Ring,
O Krieger, gib ihn mir!

Und dann, erinnern Sie sich der Antwort:

Den Ring Lord Brooke der Tochter nimmt,
Und schwört den Eid dabei,
Daß er zur Braut sie mir bestimmt,
Sobald der Krieg vorbei.

Sie malen eben sowohl Figuren als Landschaften vermuthe ich, Mr. Tyrrel? – Sie müssen eine Skizze für mich entwerfen, – eine Kleinigkeit. Skizzen, denke ich, zeigen den freien Geist der Kunst noch besser als vollendete Zeichnungen. – Ich schwärme für die freien Ergießungen des Genius – – die Blitzen gleich aus den Wolken zucken! – Sie sollen mir eine Skizze für mein kleines Boudoir entwerfen, mein liebes eignes wunderliches Winkelchen zu Airy Castle, und Clara Mowbray soll zum gespenstigen Fräulein sitzen.«

»Das würde nicht sehr schmeichelhaft für Eurer Herrlichkeit Freundin sein,« entgegnete Tyrrel.

»Freundin? Hm, ganz so weit sind wir noch nicht, obwohl ich Clara sehr gern mag. – Einen höchst gefühlvollen Ausdruck hat ihr Gesicht; ich dächte ich hätte im Louvre eine Antike gesehen, die ihr sehr ähnlich war (ich war im Jahr 1800 dort); ja sie hat ganz einen antiken Schnitt – etwas hohläugig – die Sorge scheint ihren Augen Gewölbe bereitet zu haben, aber Gewölbe vom schönsten Alabaster mit Bogen von Ebenholz, – eine gerade Nase, und Mund und Kinn vollkommen griechisch geformt – eine Fülle lang wallenden schwarzen Haares zu dem blendend weißesten Teint, den Sie je sahen, – weiß, wie das weißeste Pergament, – und nicht eine Spur von Farbe auf ihren Wangen, auch nicht die geringste. Wollte sie eitlerweise sich eines vorsichtigen Anflugs des Roths bedienen, so würde sie schön genannt werden können. Selbst wie sie da ist, nennen sie manche so, obwohl doch gewiß, Mr. Tyrrel, drei Farben nothwendig zur Schönheit eines weiblichen Gesichtes sind. Indessen wir pflegten sie in dem vorigen Jahre immer unsere Melpomene zu nennen, wie wir damals Lady Binks, welche noch nicht Lady Binks war – unsere Euphrosine nannten. – Thaten wir das nicht, meine Liebe?«

»Was thaten wir, Madam?« fragte Lady Binks mit schärferem Tone, als einem so schönen Gesicht wohl hätte eigen sein sollen.

»Ich bedaure, daß ich Sie aus Ihren Träumen aufschreckte, meine Liebe,« entgegnete Lady Penelope. »Ich versicherte nur eben Mr. Tyrrel, daß Sie einst Euphrosine waren, obwohl Sie jetzt zu den Fahnen des Penseroso geschworen haben.«

»Ich weiß nicht, ob mir eine dieser Benennungen gebührt, ich weiß nur, und dessen bin ich gewiß, daß ich nicht im Stande bin, Euer Herrlichkeit Witz und Wissen zu begreifen.«

»Die arme Seele,« flüsterte Lady Penelope Herrn Tyrrel zu; »wir wissen was wir sind, wir wissen aber nicht, was aus uns noch werden kann. – Und nun, Mr. Tyrrel, ich war die Sibylle, welche sie hier durch unser Elysium hülfreich leitete, ich denke, daß ich zur Vergeltung einiges Vertrauen verdiene.«

»Unbedingt, sobald ich nur irgend etwas zu bekennen wüßte, welches im mindesten Ew. Herrlichkeit Aufmerksamkeit anziehen könnte;« entgegnete Tyrrel.

»O der Grausame! Er will mich nicht verstehen!« rief Lady Penelope aus: »Ganz deutlich also Sir, ich ersehne mir einen kleinen Blick in Ihre Mappe – bloß um zu erforschen, welche Gegenstände Sie der Verheerung der Zeit zu entreißen, und durch Ihren Pinsel unsterblich zu machen gedenken. Sie wissen es nicht, Mr. Tyrrel, Sie können es nicht wissen – nicht ahnen – wie sehr ich für Ihre ›sanfte, lautlose Kunst‹ schwärme. Mein Herz stellt sie zunächst der Poesie – ihr gleich – ja vielleicht noch höher als Musik!«

»Ich besitze in der That nur Weniges, welches würdig sein möchte, einem solchen Richter, als Ew. Herrlichkeit sind, vorgelegt zu werden;« entgegnete Tyrrel. »Solche Kleinigkeiten, wie jenes Blatt, das Ew. Herrlichkeit gesehen haben, lasse ich zuweilen an den Füßen der Bäume zurück, wo ich sie entwarf.«

»Wie Orlando seine Verse im Ardenner Walde? O der gedankenlosen Verschwendung! – Mr. Winterblossom hören Sie es? – Wir müssen Mr. Tyrrel auf seinen Spaziergängen nachfolgen, und auflesen was er hinter sich läßt.«

Ein Gelächter, das Sir Bingo aufschlug, brachte Lady Penelope etwas in Verlegenheit; ihn durch unmuthigen Blick zu mehr Rücksicht nöthigend, fuhr sie mit großer Emphase fort:

»Mr. Tyrrel, das muß nicht sein. – So läßt es der Lauf der Welt nicht zu, dem selbst die Schwingen des Genies uns nicht entrücken können. – Wir müssen einen Kupferstecher zu Rathe ziehen – obwohl vielleicht Sie selbst beider Künste Meister sind?«

»Ich möchte es fast behaupten,« rief Winterblossom, mit Mühe ein Wort einmischend, »die freie Zeichnung wollte es mir schon andeuten.«

»Ich will nicht läugnen, daß ich zuweilen etwas Kupfer durch meine Kritzeleien verdorben habe,« erwiederte Tyrrel, »da so gute Richter mich dieses Verbrechens zeihen; aber es waren nie mehr als flüchtige Versuche.«

»Nichts weiter,« rief Lady Penelope. »Mein Lieblingstraum ist erfüllt! – Schon seit langer Zeit wünschen wir die merkwürdigsten und romantischsten Punkte unsers kleinen Arkadiens hier, – Plätze, welche der Freundschaft, den Künsten, der Liebe und den Grazien geheiligt sind, durch des Künstlers Griffel unsterblich gemacht zu sehen. Sie sollen dieß Werk beginnen, Mr. Tyrrel; wir wollen mit Noten und Beschreibungen Ihr Unternehmen verherrlichen – alle wollen wir beitragen – doch einigen muß es verstattet werden, ungenannt zu bleiben. Sie wissen, Mr. Tyrrel, die Gunst der Feen muß stets das Geheimniß umhüllen. – Ja, Ihnen soll sogar die Plünderung des Stammbuchs vergönnt werden. – Einige sehr liebliche Dinge enthält es von Mr. Chatterley; – und Mr. Edgeit, ein Jünger Ihrer Kunst, ich bin dessen gewiß, er wird uns seinen Beistand gönnen. – Doctor Quackleben trägt auch einige gelehrte Notizen bei. – Und was die Subscription anbetrifft –«

»Finanzielle Dinge – finanzielle! Ew. Herrlichkeit, ich rufe zur Ordnung!« rief der Rechtsgelehrte, Lady Penelope mit der bäuerischen Vertraulichkeit unterbrechend, welche er wahrscheinlich humoristischen Scherz zu nennen pflegte.

»Wie käme ich dazu, die Ordnung überschritten zu haben, Mr. Micklewham?« fragte Ihro Herrlichkeit sich in die Brust werfend.

»Ich rufe noch einmal zur Ordnung! – Kein Befehl einer Geldzahlung kann ohne die Zustimmung des Ausschusses erlassen werden.«

»Ich bitte Mr. Micklewham, wer hat hier denn vom Gelde gesprochen?« fragte Ihro Herrlichkeit, und flüsterte Tyrrel zu, »der alte erbärmliche Rabulist denkt an nichts, als an seinen elenden Mammon!«

»Sie sprachen von einer Subscription, Mylady, und das will eben so viel sagen als vom Gelde, nur in Hinsicht der Zeit findet ein Unterschied Statt – da nämlich eine Subscription ein Contrakt de futoro ist, und einen Tractum temporis in gremio enthält. – Und ich habe viele der vorzüglichsten Badegäste schon die Subscriptionen als einen großen Mißbrauch tadeln hören, die, wenn sie nicht andern Leuten nachstehen und sich ihrem Spotte aussetzen wollten, sie nöthigten, gute gültige Münzen für Balladen, Kupferstiche oder Dinge hinzugeben, die sie nachher gar nicht brauchen könnten.«

Mehrere Gäste an dem untern Ende des Tisches stimmten durch Zeichen und beifälliges Murmeln dem Redner bei, der dadurch aufgemuntert, kräftig fortfahren wollte, als Tyrrel mit Mühe, ehe die Debatten fortgesetzt wurden, sich Gehör verschaffte, und die Gesellschaft versicherte, daß Ihro Herrlichkeit aus zu großer Güte in einem Irrthume sei; daß er eben kein Werk unter Händen habe, welches ihres Schutzes würdig wäre, und daß es, mit dem größesten Danke für ihre gütige Absicht, nicht in seiner Macht stehe, ihrer Aufforderung Genüge zu leisten. Man kicherte hin und wieder ein wenig auf Kosten Lady Penelopens, und der Rechtsgelehrte bemerkte leise, sie sei etwas zu freigebig mit ihrer Gönnerschaft. – Ohne für den Augenblick einen neuen Versuch zu machen (da auch überdem die schon längst hinweggetragenen Speisen kaum längere Zögerung erlaubten), gab Lady Penelope das Zeichen zum Aufbruch der Damen, und ließ die Männer bei den umkreisenden Bechern zurück.



 << zurück weiter >>