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Zwölftes Kapitel.

Die Diebe haben die ehrlichen Leute gebunden. Du
und ich, wir könnten jetzt die Diebe berauben
und lustig nach London fahren.

Heinrich IV. Erster Theil.

Die Sonne stand hoch über den Lichtungen der Enfielder Jagd und das Rothwild, welches sie damals in Menge enthielt, spielte in malerischen Gruppen unter den alten Eichen des Forstes, als ein Cavalier und eine Dame zu Fuße, obwohl in Reitkleidern, durch einen der langen Gänge schlenderten, welche zur Bequemlichkeit der Jäger in den Wald gehauen waren. Ihr einziger Begleiter war ein Page, der auf einem spanischen Klepper mit einem schweren Mantelsacke ihnen in ehrerbietiger Entfernung folgte. Die Dame in dem phantastischen Putze jener Zeit, mit einer ungewöhnlichen Menge von Glaskorallen, Troddeln und Borten behängt, in der einen Hand einen Wedel von Straußfedern, in der andern ihre Reitmaske von schwarzem Sammt, schien sich zu bemühen, durch die kleinen Künste der Koketterie die Aufmerksamkeit ihres Begleiters zu fesseln. Dieser schien zuweilen ihr Geschwätz anzuhören ohne darauf zu achten, und zuweilen seine ernsten Betrachtungen zu unterbrechen, um ihr zu antworten.

»Ach nein, edler Herr,« sprach sie, »Ihr geht so schnell, daß ich zurück bleibe. – Ich will Euren Arm nehmen. Aber wie fange ich das an mit meiner Maske und meinem Fächer? Warum habt Ihr mich nicht meine Kammerfrau mitnehmen lassen, daß sie mir diese Dinge hielte? Wartet, ich stecke meinen Wedel in meinen Gürtel. So. Jetzt habe ich eine Hand frei, um Euch zu halten und jetzt sollt Ihr mir nicht fortlaufen.«

»Mach' denn fort,« antwortete der Herr, »und laß uns schnell gehen, da du schlechterdings nicht bei der Kammerfrau, wie du sie nennst, und bei der übrigen Bagage hast bleiben wollen. – Du bekommst vielleicht Etwas zu sehen, was dir nicht gefällt.«

Die Dame ergriff seinen Arm. Da er aber in dem bisherigen Schritte fortging, ließ sie plötzlich seinen Arm los und rief, er habe ihr an der Hand wehe gethan. Der Cavalier blieb stehen und betrachtete den hübschen Arm, welchen sie ihm mit Ausrufungen über seine Grausamkeit darhielt. »Er ist gewiß blau und schwarz bis an den Ellenbogen!« klagte sie, indem sie den Aermel über das Handgelenk aufstreifte.

»Ihr seid gewiß ein albernes Närrchen,« erwiderte der Herr, nachlässig den verletzten Arm küssend. »Es ist blos ein hübsches Incarnat, welches die blauen Adern besser hervorhebt.«

»Nein, edler Herr, jetzt seid Ihr albern,« antwortete die Dame. »Aber es ist mir nur lieb, daß ich Euch heute irgendwie zum Sprechen bringen kann. Wenn ich darauf bestanden habe, Euch in den Wald zu folgen, so war es blos um Euch zu unterhalten. Ich bin doch wohl eine bessere Gesellschaft, als Euer Page. – Sagt mir doch, sind diese hübschen Dinger mit Hörnern nicht Hirsche?«

»Ja, Lenchen,« antwortete nachlässig ihr Begleiter.

»Was thun wohl die vornehmen Leute mit einer so großen Menge derselben?«

»Sie schicken sie in die Stadt, Lenchen, und da machen kluge Männer Wildpasteten aus ihrem Fleische und tragen ihre Hörner als Trophäen,« antwortete Lord Dalgarno, den der Leser bereits erkannt haben wird.

»Ei, Ihr wollt mich zum Besten haben,« antwortete die Begleiterin; »aber Ihr mögt denken was Ihr wollt, ich weiß Alles, was Wildpret betrifft. Ich habe jedes Jahr davon gegessen, wenn wir bei dem Herrn Beigeordneten speiseten.« Sie sprach die letzteren Worte mit gedämpfter Stimme, denn ein Gedanke an ihre Erniedrigung fuhr ihr durch den bethörten Sinn, und sie fügte traurig hinzu: »Jetzt würde er nicht mit mir sprechen, und wenn er mir auch im engsten Gäßchen begegnete.«

»Ohne Zweifel würde er es bleiben lassen,« erwiderte Dalgarno. »Denn du, Lene, würdest ihn mit einem einzigen Blicke aus der Fassung bringen. Du hast doch wohl zu viel Stolz, als daß du ein Wort an einen solchen Kerl verlieren solltest?«

»Ich?« antwortete Lenchen. »Ja, der hochmüthige Bursche ist mir viel zu gering. Denkt, alle Leute im Stadtviertel mußten mit der Mütze in der Hand dastehen, wenn er vorbeiging, auch mein armer alter Christie.« Hier begann sie zu weinen.

»Der Teufel hole dein Gewimmer!« rief Dalgarno barsch. – »Nein, nein, Lenchen, erbleiche nicht, ich zürne dir nicht, Närrchen. Aber was soll ich dazu denken, wenn du ewig zurückblickst nach deinem Verließe dort am Flusse, welches ärger nach Pech und altem Käse roch, als ein Welscher nach Zwiebeln, – und das in einem Augenblicke, wo ich dich auf ein Schloß bringe, so schön, wie eins im Feenland?«

»Kommen wir heute Abend hin, edler Herr?« fragte Lene, ihre Thränen trocknend.

»Heute Abend, Lenchen? Noch nicht in vierzehn Tagen.«

»Gott sei bei uns und bewahre uns! – Aber kommen wir nicht auf die See? – Ich dachte, Jedermann käme zur See aus Schottland. Ich weiß, Lord Glenvarloch und Richard Moniplies sind zur See heraufgekommen.«

»Es ist ein großer Unterschied zwischen Heraufkommen und Hinuntergehen,« antwortete Dalgarno.

»Gewiß,« sprach das einfältige Weib. »Aber ich meine doch, ich hätte Leute sowohl vom Hinunterfahren zur See nach Schottland, wie vom Herauffahren sprechen hören. Wißt Ihr auch den Weg? Haltet Ihr es für möglich zu Lande hinzukommen, lieber Herr?«

»Es kommt auf den Versuch an, liebes Kind,« sagte Dalgarno. »Die Leute sagen, England und Schottland liegen auf derselben Insel, also läßt sich hoffen, daß ein Landweg sie verbindet.«

»Nein, so weit kann ich nicht reiten,« sprach das Weib.

»Wir wollen dir den Sattel weicher füttern lassen,« erwiderte der Lord. »Wie wirst du deine Bürgerhaut abstreifen und aus der Raupe eines armseligen Gäßchens zum Schmetterling in einem Fürstengarten werden. Du sollst so viele Anzüge bekommen, als der Tag Stunden hat, so viele Mägde, als die Woche Tage hat, so viele Diener, als das Jahr Wochen hat, und du sollst auf die Jagd und Baize reiten mit einem Freiherrn, anstatt einem alten Schiffkrämer aufzuwarten, der Nichts konnte, als sich räuspern und spucken.«

»Aber Ihr wollt mich doch auch zu Eurer Liebsten machen?« sprach Lene.

»Ei was denn sonst?« fragte der Lord.

»Ja ich meine, zu Eurer Frau Liebsten.«

»Lenchen, diese Gefälligkeit kann ich dir nicht versprechen. Eine Frau Liebste und eine Liebste, das ist ein großer Unterschied.«

»Ich habe von Frau Suddlechop, bei der Ihr mich untergebracht hattet, ganz kürzlich gehört, daß Lord Glenvarloch die Tochter des Uhrmachers David Ramsay heirathet.«

»Lenchen, es ist ein Zwischenraum zwischen Becher und Lippe,« bemerkte Dalgarno. »Ich trage Etwas bei mir, welches das Aufgebot zu dieser hoffnungsvollen Heirath zunichte machen kann, und zwar noch ehe der Tag seinem Ende viel näher gekommen ist.«

»So? Aber mein Vater war ebensoviel, wie David Ramsay, und eben so wohlhabend. Warum solltet Ihr mich also nicht heirathen? Ihr habt mir Leid genug zugefügt; warum solltet Ihr mir nicht diese Gerechtigkeit widerfahren lassen?«

»Aus zwei guten Gründen, Lenchen. Dir hat das Schicksal einen Mann und mir hat der König eine Frau aufgehangen.«

»Ja, edler Herr,« wandte Lenchen ein, »aber sie bleiben in England und wir gehen nach Schottland.«

»Deine Bemerkung ist wichtiger, als du es verstehst,« erwiderte Dalgarno. »Ich habe schottische Rechtsgelehrte sagen hören, daß das eheliche Band in unserem glücklichen Lande durch die sanfte Hand des gewöhnlichen Gesetzes gelöst werden kann, während in England eine eigne Verfügung des Parlaments dazu gehört, um es zu zerreißen. Also, Lenchen, wir wollen diese Sache überlegen, und mögen wir nun wieder verheirathet werden oder nicht, so wollen wir wenigstens unser Möglichstes thun, um geschieden zu werden.«

»Ernstlich, mein zuckersüßer edler Herr? Dann will ich weniger an Hans Christie denken, denn alsdann wird er sich wieder verheirathen, da er ein wohlstehender Mann ist. Es soll mir lieb sein, zu wissen, daß Jemand Sorge für ihn trägt, wie ich es gethan habe. Ach, er war ein liebevoller alter Mann, obwohl seine zwanzig Jahre älter als ich. Ich hoffe und bete, kein junger großer Herr soll mehr über seine Schwelle kommen.«

Das Weib war nahe daran, wieder in heftiges Weinen auszubrechen. Allein Dalgarno hielt diese Regung in ihr nieder, indem er in rauhem Tone sagte: »Madamchen, ich bin dieser Aprilschauer überdrüssig. Ihr werdet vielleicht wohl thun, Eure Thränen auf eine passendere Gelegenheit zu sparen. Wer weiß, welche Wendung des Schicksals in wenigen Minuten mehr davon in Anspruch nimmt, als Ihr aufzuwenden habt.«

»Ach, guter edler Herr! was wollt Ihr damit sagen? Hans Christie pflegte keine Geheimnisse vor mir zu haben, und ich hoffe, auch Ihr werdet Eure Absichten nicht vor mir verheimlichen.«

»Setze dich neben mich auf diese Bank,« erwiderte der Freiherr. »Ich bin verbunden, hier einige Augenblicke zu weilen, und wofern du schweigen kannst, will ich einen Theil dieser Augenblicke zu der Erwägung verwenden, inwiefern ich im vorliegenden Falle das leuchtende Muster, welches du mir vor Augen stellst, befolgen kann.«

Der Platz, wo er Halt machte, war damals schon nicht viel mehr als ein kleiner Hügel, theilweise umgeben von einem Graben, woher er den Namen Camleter Graben führte. Ein Paar behauene Steine lagen auf dem Hügel; sie waren dem Schicksale derjenigen entgangen, welche weggeführt worden waren, um an verschiedenen Stellen des Waldes Wohnungen für die königlichen Förster zu erbauen. Diese Spuren, welche eben noch hinreichten, um zu zeigen, daß »hier vor alter Zeit des Menschen Hand gewirkt,« waren die Trümmer des Wohnsitzes der einst großen, aber bereits längst vergessenen Familie der Mandeville, Grafen von Essex, denen vor Zeiten die Enfielder Jagd und die weitläufigen Besitzungen in der Nähe gehört hatten. Das Auge sah ringsumher nur Wald; auf verschiedenen Seiten aber schweifte es durch breite und, wie es schien, endlose Schneißen, welche hier als in ihrem gemeinschaftlichen Mittelpunkt zusammenliefen. Der Platz war also, welchen Weg man auch einschlagen mochte, nicht zu verfehlen, und darum hatte Lord Dalgarno ihn gewählt für den Kampf, zu welchem er durch Richard Moniplies den Freiherrn von Glenvarloch herausgefordert hatte.

»Er wird doch wohl kommen?« sprach er für sich. »Feigheit ist eben nicht sein Fehler – wenigstens war er keck genug im Parke. – Sollte vielleicht der Lümmel meine Botschaft nicht ausgerichtet haben? – Nein! er ist ein hartköpfiger Schurke, der seines Herrn Ehre höher hält als sein eignes Leben. – Lutin, hab' Acht auf den Klepper und laß deinen Falkenblick durch jeden Baumgang schweifen, um zu sehen, ob Jemand kommt. – Buckingham hat eine Herausforderung von mir bekommen, aber der hochmüthige Günstling wendet die armseligen Befehle des Königs vor, um mir eine Antwort zu verweigern. Wenn ich diesen Glenvarloch zum Narren halten oder tödten, wenn ich ihm die Ehre oder das Leben rauben kann, dann geh' ich nach Schottland hinunter mit einem Namen, der gut genug ist, um früheres Mißgeschick zu vergolden. Ich kenne meine lieben Landsleute. Sie zürnen nie Einem, der Gold oder Kriegsruhm heimbringt, – wie viel weniger, wenn er Gold und zugleich Lorbeeren hat.«

Während er so für sich sprach und sich dann weiter der Ungnade erinnerte, in welche er gefallen war, und sich Gründe ausdachte, warum er den Freiherrn von Glenvarloch hassen müsse, wechselten seine Gesichtszüge mit den Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen. Lenchen, welche unbeachtet zu seinen Füßen saß und ihn erwartungsvoll ansah, bemerkte mit Schrecken, wie seine Wangen gluthroth wurden, wie seine Lippen sich zusammenpreßten, wie das Auge sich ausdehnte und wie sein ganzes Antlitz den Ausdruck verzweifelter Entschlossenheit beim Herannahen des entscheidenden Kampfes mit einem Todfeinde trug. Die Einsamkeit des Ortes, die Umgebungen, so sehr verschieden von denen, an welche sie gewöhnt war, die unheimliche Düsterheit, welche sich plötzlich auf dem Antlitze ihres Verführers lagerte, sein Gebot an sie, zu schweigen, die Unbegreiflichkeit seines müßigen Verweilens ohne erkennbaren Grund, während er eine lange Reise vor sich hatte, – Alles dies zusammen ließ sonderbare Gedanken in ihrem schwachen Kopfe aufsteigen. Sie hatte von Weibern gelesen, die sich von Zauberern, von Verbündeten der höllischen Mächte oder gar von dem Vater des Uebels selber zur Untreue in der Ehe hatten verführen lassen. Sie hatte gelesen, daß der Verführer sein Opfer in eine Wüstenei fern von Menschen geführt und dort die liebliche Gestalt, in welcher er ihre Zuneigung gewonnen, mit seiner wahren Gräuelgestalt vertauscht habe. Sie erwehrte sich des unheimlichen Gedankens, der sich ihr aufdrang. Sie würde denselben vermuthlich allegorisch, wenn auch nicht buchstäblich verwirklicht gesehen haben, wofern nicht ein anderer Auftritt erfolgt wäre.

Der Page, der ein besonders scharfes Auge hatte, rief seinem Herrn zu, daß Reiter auf sie zukämen, und deutete mit dem Finger nach einer der Schneißen. Dalgarno sprang auf, hielt die Hand gegen die Sonnenstrahlen über das Auge und spähte nach der angedeuteten Richtung hin. In diesem Augenblicke fiel ein Schuß. Eine Kugel streifte seine Hand, durchbohrte sein Gehirn und stürzte ihn entseelt in den Schooß des Opfers seiner Liederlichkeit. Das Gesicht, welches sie in den letzten fünf Minuten so genau beobachtet hatte, verzog sich einen Augenblick krampfhaft und erstarrte in diesem Ausdrucke für immer.

Noch ehe der Pulverdampf sich verzogen hatte, stürzten aus dem Gebüsch, aus welchem der Schuß gefallen war, drei Gauner hervor. Der eine packte fluchend den Pagen, der andere legte Hand an das Weib und stieß schreckliche Drohungen aus, um ihr Jammergeschrei zum Schweigen zu bringen. Der dritte begann die Bürde von dem Pferde des Pagen loszumachen.

Der Leser wird bereits vermuthet haben, daß die Reiter, welche der Page erspäht hatte, Niemand anders waren, als Richard Moniplies, die zwei Templer, welche mit Begierde einem kleinen Scharmützel entgegen sahen, und Jin Vin als Führer. Wohl beritten und bewaffnet hatten sie den Plan gemacht, vor den Räubern bei dem Camleter Graben anzukommen und sie auf der That zu ertappen. Sie hatten sich nicht einfallen lassen, daß die Gauner gegen die Gewohnheit der damaligen englischen Räuber erst morden würden, um dann zu rauben. Ferner wurden sie durch einen eigenen Zufall im Walde aufgehalten. Unter einem Baume sahen sie einen Mann sitzen, welcher so jämmerlich stöhnte, daß Lowestoffe anhielt und ihn fragte, ob er Schaden genommen habe. Der Mann antwortete, er verfolge sein von einem Schurken verführtes Weib. Richard erkannte mit Erstaunen in ihm Hans Christie.

»Ach, Meister Moniplies, helft mir!« rief der Unglückliche. »Ich habe erfahren, daß mein Weib nur eine Viertelstunde voraus ist mit dem schwarzen Bösewicht Lord Dalgarno!«

»Pack' ihn auf!« rief Lowestoffe, »diesen Orpheus, der seine Eurydice sucht. Wir wollen Lord Dalgarno's Beutel retten und ihm dagegen seine Maitresse abjagen. Nimm ihn mit, wär' es auch nur, um Mannigfaltigkeit in das Abenteuer zu bringen. Ich habe mit Sr. Herrlichkeit ein Hühnchen zu pflücken, weil er mich bemokelt hat. Wir haben noch zehn Minuten Zeit.«

Wo es sich um das Leben handelt, ist das Rechnen auf die Minute eine mißliche Sache. Die zwei Minuten, welche der Aufenthalt bei Christie und das Aufsitzen desselben hinter Vincent wegnahm, hätten wahrscheinlich dem Lord Dalgarno das Leben retten können. So wurde also seine verbrecherische Liebschaft mittelbarer Weise die Ursache seines Todes. »Zuchtruthen werden für uns die Lieblingslaster.«

Die Reiter kamen auf dem Schauplatze des Verbrechens in dem Augenblicke an, wo die Räuber hervorgebrochen waren. Richard, der seine besondern Gründe hatte, sich an den mit Losmachung des Mantelsacks beschäftigten Colepepper zu machen, sprengte mit solcher Heftigkeit auf ihn an, daß er ihn umritt. Allein bei dieser Gelegenheit stolperte sein Pferd und warf ihn ab, da er eben kein großer Reiter war. Doch schnell raffte er sich auf, fiel über den Gauner her und warf ihn nochmals nieder, obwohl derselbe stark war und sich trotz seiner sonstigen Feigheit jetzt mit dem Muthe der Verzweiflung wehrte. Moniplies rang ihm ein langes Messer aus der Hand, versetzte ihm damit einen Stich und sprang auf. Der Verwundete versuchte ebenfalls sich aufzuraffen, aber Richard hatte eine Stutzbüchse ergriffen und schlug ihm mit dem Kolben dermaßen auf den Kopf, daß er entseelt niedersank.

»Bravo, Richardel!« rief Lowestoffe, der mit einem der Gauner gefochten und ihn in die Flucht getrieben hatte. »Bravo! Da liegt die Sünde, geschlagen wie ein Ochs, und die Bosheit mit abgestochener Kehle wie ein Kalb.«

»Ich weiß nicht, warum Ihr mir meine Erziehung zum Vorwurf machen wollt, Meister Lowestoffe,« erwiderte Richard mit großer Ruhe. »Ich sage Euch, die Fleischbank gibt gar keine üble Vorübung zu einem solchen Geschäft.«

»Herbei, ihr Männer!« rief der andere Templer. »Hier liegt Dalgarno ermordet!«

Lowestoffe und Richard liefen hin. Der Page, welcher jetzt freie Hand hatte, benutzte den Augenblick, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Weder von ihm, noch von dem schweren Gelde, welches sein Pferd trug, wurde je mehr Etwas gehört.

Der dritte Gauner hatte den Angriff Ringwoods und Jans nicht abgewartet und zeitig die Flucht ergriffen. Die fünf Männer umstanden und betrachteten mit Entsetzen die blutige Leiche des Freiherrn und den tobenden Schmerz des Weibes, welches sein Haar zerraufte und wie wahnsinnig schrie, bis ihr Jammer gehemmt ward oder vielmehr eine neue Richtung erhielt durch das unerwartete Auftreten ihres Ehemannes. Christie heftete einen kalten und strengen Blick auf sie und sagte im entsprechenden Tone: »Nun, Weib, du nimmst dir den Verlust deines Buhlen sehr zu Herzen.« Und mit einem Blick auf die blutige Leiche des Zerstörers seines Lebensglückes sprach er die feierlichen Worte der Schrift: »Die Rache ist mein, spricht der Herr; ich will sie üben. – Ich, den du verletzt hast, will der Erste sein, der dir die dem Todten gebührende Ehre erweiset.«

Mit diesen Worten hüllte er den Todten in seinen Mantel, betrachtete ihn einen Augenblick und schien sich zu besinnen, was er nun weiter zu thun habe. Als sein Blick von dem Leichnam des Verführers langsam auf die Theilnehmerin und das Opfer des Verbrechens hinüberglitt, als er das Weib seine Füße umfassen sah, ohne daß sie gewagt hätte emporzublicken, nahmen seine groben und mürrischen Gesichtszüge einen Ausdruck von Würde an, welcher den leichtsinnigen Templern und dem rathfertigen Richard ehrerbietiges Schweigen gebot. »Kniee nicht vor mir, Weib,« sprach er; »kniee vor Gott, wider den du gesündigt hast, mehr als gegen einen Wurm deinesgleichen. Wie oft habe ich dir gesagt, wenn du putzsüchtig und leichtsinnig warest: Hoffart kommt vor dem Falle! Eitelkeit hat zur Thorheit geführt, Thorheit zur Sünde, und Sünde zum Tode, ihrem ursprünglichen Gefährten. Mußtest du Pflicht und Ehrbarkeit und häusliche Liebe vergessen und dich in den wilden Taumel der Lüste stürzen mit den Gottlosen? Da liegst du nun, wie ein zertretener Wurm, und krümmst dich neben dem Leichnam deines Buhlen! Du hast mir viel Böses gethan – mich bei meinen Freunden entehrt, den guten Ruf von meinem Hause und den Frieden von meinem Herde verscheucht. Aber du bist meine erste und einzige Liebe gewesen, und ich will dich nicht ganz verworfen sehen, wofern ich es verhindern kann. – Meine Herren, ich danke euch, so weit es ein Mann mit gebrochenem Herzen vermag. – Richard, empfehlt mich Eurem ehrenwerthen Herrn. Ich habe Galle in den Kelch seiner Leiden geschüttet; aber ich war betrogen. – Stehe auf, Weib, und folge mir.«

Er faßte sie beim Arme und hob sie auf, während sie unter einem Strome von Thränen und mit bitterem Schluchzen ihre Reue auszusprechen suchte. Sie hielt die Hände vor das Gesicht, ließ sich jedoch von ihm wegführen. Als sie um ein Gebüsch herumbogen, welches ihnen den Schauplatz des Todes verdeckte, drehte sie sich noch ein Mal um, warf einen irren Blick nach dem Leichnam Dalgarno's, schrie laut auf, hing sich an den Arm ihres Mannes und rief wie wahnsinnig: »Rette mich! rette mich! Sie haben ihn ermordet!«

Lowestoffe war durch den Auftritt erschüttert. Bald aber schämte er sich als ein Mann von Welt seiner Gemüthsbewegung, bezwang dieselbe und rief: »Laßt sie laufen, vorab den gutherzigen, leichtgläubigen, versöhnlichen Ehemann! So ein ächter Londoner gefälliger Ehegatte ist doch ein gar edelmüthiges Vieh. Hörner hat er, aber zahm wie ein fetter Ochse, stößt er nicht damit. Ich möchte sie gar gern sehen, wenn sie ihre Maske und ihr Reithütchen mit dem Kinntuch und dem groben Spitzhute wieder vertauscht hat. Brüderchen, wir wollen sie an der Paulslände besuchen, das gibt eine bequeme Bekanntschaft.«

»Ihr thätet besser daran, wenn Ihr den diebischen Zigeuner Lutin zu fangen suchtet,« bemerkte Moniplies. »Meiner Seele, er ist auf und davon mit dem Gelde.«

Ein Förster kam eben mit seinen Leuten auf den Platz und machte sich auf, dem Pagen mit Geschrei nachzusetzen. Allein er fand bald, daß sein Beginnen vergebens war, und kehrte zurück. Die Templer übergaben die Leichname seiner Aufsicht, ertheilten ihm die gesetzmäßige Auskunft und kehrten mit Richard und Jan nach London zurück, wo sie viel Lob ernteten. Vincents Fehltritte wurden vergeben, weil er es möglich gemacht hatte, die Gaunerbande zu zersprengen; daß sie zu spät gekommen waren, um Lord Dalgarno zu retten, wurde ihnen eher zum Lobe, als zum Tadel angerechnet.

Georg Heriot, der vermuthete, wie es mit Vincent stand, erwirkte von seinem Meister die Erlaubniß, ihn in einem wichtigen Geschäfte nach Paris schicken zu dürfen. Ueber sein weiteres Schicksal können wir keinen nähern Aufschluß geben, vermuthen aber, daß es günstig war, und daß er in Gemeinschaft mit seinem Lehrgenossen ein vortheilhaftes Geschäft anfing, als David Ramsay nach der Vermählung seiner Tochter sich zu Ruhe setzte. Der große Alterthumsforscher Dr. Trockenstaub besitzt eine alte Uhr, in welcher ein Stück Darmsaite die Stelle der Kette vertritt, und welche auf dem silbernen Zifferblatte die Inschrift trägt: »Vincent und Tunstall.«

Meister Lowestoffe verfehlte nicht, seinen Ruf als Weltmann zu rechtfertigen, indem er sich nach Hans Christie und Frau Lenchen erkundigte. Zu seinem Erstaunen und zu seinem Schaden (er hatte zehn Goldstücke gewettet, daß er sich in der Familie einheimisch machen wolle) fand er den Laden und die Vorräthe verkauft und den ehemaligen Eigenthümer mit seiner Frau verschwunden. Kein Mensch wußte, wo sie hingekommen waren. Man glaubte aber, sie seien nach Amerika ausgewandert.

Die Freifrau von Dalgarno empfing die Nachricht von dem Tode ihres unwürdigen Gemahls mit gemischten Empfindungen, worunter die vorherrschende die des Entsetzens war, daß er mitten im Laufe seiner Verruchtheiten umgekommen sei. Ihre Schwermuth nahm demzufolge zu, und untergrub ihre bereits erschütterte Gesundheit noch mehr. Da sie durch ihres Gemahles Tod wieder in den vollen Besitz ihres Vermögens gekommen war, beschloß sie, ihrem Vetter Glenvarloch den Pfandbrief auf seine Güter wieder zu verschaffen. Allein der Notar, in dessen Händen die Papiere gewesen, war verschwunden. Richard beobachtete Stillschweigen, die Templer thaten auf seine Bitte desgleichen. Mithin glaubte man, der Notar habe die Papiere mitgenommen. Beiläufig gesagt, scheuchten Besorgnisse ähnlicher Art, wie die Skurliewhitters, die Frau Suddlechop für immer von London weg. Sie starb im Raspelhause zu Amsterdam.

Der ehrenfeste alte Graf von Huntinglen folgte mit stolzer Haltung und thränenlosem Auge dem Leichenzuge seines einzigen Sohnes zu seiner letzten Ruhestätte. Die einzige Thräne, welche er am Ende auf den Sarg fallen ließ, galt weniger dem Schicksal der Person, als dem Erlöschen des Mannsstammes seines uralten Hauses.



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